Rechtsmissbrauch: 243 Abmahnungen/Jahr wegen fehlender OS-Verlinkung

Rechtsmissbrauch: 243 Abmahnungen/Jahr wegen fehlender OS-Verlinkung
11.11.2020 | Lesezeit: 6 min

Die Abmahnungen wegen der fehlenden Verlinkung auf die OS-Plattform sind seit Jahren Dauerthema. Und wenn so zahlreich abgemahnt wird, dann ist natürlich auch der Vorwurf des Rechtsmissbrauchs nicht fern. Denn wenn sachfremde Motive wie die Generierung von Anwaltskosten und nicht die Ziele des Wettbewerbs im Vordergrund stehen, können Abmahnungen rechtsmissbräuchlich sein. Das OLG Frankfurt a.M. (Beschluss v. 25.09.2020, Az. 6 U 57/20) hatte sich nun mit einem Fall auseinanderzusetzen, in dem 243 Serienabmahnungen ausgesprochen wurden….

Am Anfang war die Abmahnung…

Es ging inhaltlich um eine Abmahnung wegen der fehlenden Verlinkung bzw. des fehlenden Hinweises auf die Streitschlichtungsplattform der EU-Kommission (=OS-Plattform). Ein Thema also, das seit Jahren bei Abmahnern so beliebt ist.

Betroffen von der Abmahnung war ein Reisebüro, das seine Leistungen über ein Internetportal ohne die erforderlichen Inhalte angeboten hatte. Nach einer Abmahnung landete die Sache vor dem LG Frankfurt (3-6 O 16/19). Dies wies die Klage ab, mit dem Argument, dass es an einem konkreten Wettbewerbsverhältnis fehle. Und nun wurde auch die Berufung via Beschluss zurückgewiesen – wegen Rechtsmissbrauches.

Verteidigung: Rechtmissbrauch

Rechtmissbrauch – was ist das eigentlich? Das Gesetz formuliert das hinsichtlich der in einer Abmahnung geltend gemachten Ansprüche in § 8 Abs. 4 UWG wie folgt:

"Die Geltendmachung der in Absatz 1 bezeichneten Ansprüche ist unzulässig, wenn sie unter Berücksichtigung der gesamten Umstände missbräuchlich ist, insbesondere wenn sie vorwiegend dazu dient, gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder Kosten der Rechtsverfolgung entstehen zu lassen."

Das Gesetz gibt also keine festen Kriterien vor, sondern führt nur beispielhaft auf, was als missbräuchlich im Zusammenhang mit Abmahnungen angesehen werden kann. Das gibt natürlich Spielraum für die Rechtsprechung – und der wird auch ausgefüllt:

Wir hatten hierzu mal in der Vergangenheit eine Indizienliste zum Thema Rechtsmissbrauch veröffentlicht.

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Vornehmlich: Sachfremde Motive

Zurück zum Fall: Nach den Ausführungen des OLG Frankfurt ist von einem Missbrauch im Sinne der vorgenannten Vorschrift auszugehen, wenn das beherrschende Motiv des Abmahners sachfremde, für sich genommen nicht schutzwürdige Interessen und Ziele sind. Diese müssen allerdings nicht das alleinige Motiv sein. Es reicht aus, dass die sachfremden Ziele überwiegen.

Und ein solches Überwiegen der sachfremden Interessen wurde hier angenommen:

"Dafür kann es sprechen, wenn der Abmahnende bei objektiver Betrachtung kein nennenswertes wirtschaftliches Interesse an der Unterbindung der beanstandeten Rechtsverstöße hat und die massenhafte Abmahnung von Mitbewerbern für seine Marktstellung nicht von Bedeutung ist (vgl. BGH, Urteil vom 26.4.2018 – I ZR 248/16 = GRUR 2019, 199, Rn 21, 23 – Abmahnaktion II). Im Streitfall war daher zu berücksichtigen, ob sich die Beklagte und die Klägerin am Markt überhaupt begegnen. Es bleibt dabei, dass die Klägerin nur vage Angaben zu ihren angeblichen Aktivitäten auf dem Reisemarkt macht. Unterlagen, die ihre Reisevermittlungstätigkeit belegen sollen, möchte sie weiterhin nur in der Form vorlegen, dass die jeweiligen Vertragspartner und weitere Angaben geschwärzt bleiben. Eine ausreichende Überprüfung ist daher nicht möglich."

Indiz: Vielfachabmahnungen

Schließlich wird dann vom Gericht auf die Anzahl der Abmahnungen eingegangen, die in der Praxis ja oftmals als DAS Indiz für rechtsmissbräuchliche Abmahnungen angeführt werden.

In diesem Zusammenhang muss eine Entscheidung des BGH erwähnt werden: Auch der BGH hatte sich mit dem Thema Rechtsmissbrauch bereits auseinandergesetzt und folgende Indizien aufgezählt, die auf einen Rechtsmissbrauch schließen lassen:

  • Prozesskosten stehen in keinem Verhältnis zum Jahresgewinn des Abmahnenden
  • Kein nennenswertes wirtschaftliches Interesse an der Abmahnung

Auf diese höchstrichterliche Entscheidung nimmt auch das OLG Frankfurt Bezug, indem es klarstellt, dass beide vorgenannten Kriterien nicht kumulativ vorliegen müssen:

Entgegen der Ansicht des Klägers setzt ein Rechtsmissbrauch bei einer Vielzahl von Abmahnungen nicht kumulativ voraus, dass kein nennenswertes wirtschaftliches Interesse an der Rechtsverfolgung besteht und die Abmahnungen im Verhältnis zum Jahresgewinn des Abmahnenden mit einem existenzbedrohenden Verfolgungsaufwand verbunden ist. Insoweit missversteht die Klägerin die BGH-Entscheidung „Abmahnaktion II“ (Urteil vom 26.4.2018 - I ZR 248/16 = GRUR 2019, 199, Rn 23). Der BGH hat ausgesprochen, dass beim Vorliegen dieser beiden Indizien von einer missbräuchlichen Rechtsverfolgung regelmäßig auszugehen ist. Keineswegs ist damit gesagt, dass ein Rechtsmissbrauch nur dann angenommen werden kann, wenn beide Indizien zusammenkommen.

Die Richter des OLG nehmen dann nochmals auf das oben erwähnte BGH-Urteil Bezug und stellen die Bedeutung der Anzahl der Abmahnungen für die Annahme des Rechtsmissbrauches heraus:

"Vielmehr bedarf es stets einer Gesamtabwägung der Umstände des konkreten Einzelfalls. Grundsätzlich kann eine hohe Anzahl von Abmahnungen innerhalb eines bestimmten Zeitraums schon für sich genommen den Missbrauch indizieren. Das hat der BGH bei 150 Abmahnungen innerhalb eines Jahres angenommen (BGH GRUR 2001, 260, 261 - Vielfachabmahner)."

Das Gericht begründet schließlich mit der vorliegend so hohe Anzahl der Abmahnungen (243) eines "Bagatellverstoßes" in einem relativ kurzen Zeitraum (1 Jahr) den Rechtsmissbrauch:

"Bereits die hohe Zahl von Abmahnungen, die die Klägerin zwischen Februar 2018 und Februar 2019 aussprechen ließ, spricht für ein missbräuchliches Vorgehen. Die Klägerin hat unstreitig über 240 Abmahnungen ausgesprochen, wobei es in fast allen Fällen entweder um die fehlende Verlinkung zur OS-Plattform oder um die Verletzung anderer Pflichten von Diensteanbieten geht. Hierbei handelt es sich um leicht ermittelbare Verstöße, die durch ein systematisches Durchforsten des Internets auffindbar sind. Die Klägerin wird durch diese Verstöße in ihrer wirtschaftlichen Betätigung nicht unmittelbar berührt. Die Verstöße, namentlich die fehlende Verlinkung zur OS-Plattform, betreffen die Rechtsbeziehungen der abgemahnten Reiseunternehmen zu ihren Kunden. Sie erschweren den Marktzugang für die Klägerin nicht. Zwar liegt es im Interesse eines lauter handelnden Unternehmens, dass auch Mitbewerber die Regeln des lauteren Wettbewerbs einhalten. Mit diesem Interesse lässt sich jedoch das massenhafte und flächendeckende Abmahnen von Bagatellverstößen innerhalb eines kurzen Zeitraums nicht erklären."

Verteidigung: Viele Fehler = viele Abmahnungen?

Sofern der Abgemahnte den Einwand des Rechtsmissbrauches anführt, dauert es meist nicht lange, bis der Abmahner argumentiert, dass massenhafte Verstöße eben massenhafte Abmahnungen nach sich ziehen würden. So auch vorliegend. Dieser Argumentation konnte das OLG Frankfurt aber nicht folgen. Und dabei wurde va. auf die Art der Verstöße abgestellt: Denn die abgemahnten Verstöße behinderten die Klägerin hier nicht in ihrer Geschäftstätigkeit:

"Die Klägerin hat keine Verstöße abgemahnt, die sie ersichtlich in ihrer Geschäftstätigkeit behindern. Es ist auch nicht ersichtlich, dass sie nur gegen solche Unternehmen vorgegangen ist, mit denen sie – sachlich oder örtlich – in einem intensiven Wettbewerb steht."

Den Vortrag, dass hier auch noch andere Verstöße abgemahnt wurden, konnte die unterlegene Partei letztlich nicht mit Beweisen untermauern.

Fazit: Prävention statt Repression

Die beste Verteidigung ist immer noch: Abmahnungen zu vermeiden. In diesem Zusammenhang verweisen wir auf unseren wöchentlichen Abmahnradar und unsere regelmäßig versendeten Update-Service-Newsletter, in denen wir auch über das Thema der fehlenden Verlinkung auf die OS-Plattform mehrfach informiert haben.

Sollte es dann doch mal zu einer Abmahnung gekommen sein, dann kann der Einwand des Rechtsmissbrauches helfen. Hierbei müssen Indizien wie eine hohe Anzahl von Abmahnungen ins Feld geführt werden. Auch wenn das in vorliegendem Fall gelungen ist und die Anzahl der Abmahnungen wirklich außerordentlich hoch war, ist der Nachweis des Rechtsmissbrauchs in der Praxis oft gar nicht so leicht zu erbringen.

Bestenfalls wird hier bald das neue Gesetz gegen den Abmahnmissbrauch weiterhelfen und zur Vermeidung von derartigen Abmahnungen, unabhängig von deren Anzahl, beitragen.

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