BGH zu Indizien für rechtsmissbräuchliche Abmahnungen

BGH zu Indizien für rechtsmissbräuchliche Abmahnungen
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von Sarah Freytag
03.09.2019 | Lesezeit: 6 min

Nicht immer kann ein wettbewerbsrechtlicher Verstoß von einem anderen Wettbewerber ohne Weiteres abgemahnt werden. Das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) soll Mitbewerbern Schutz vor unlauteren Geschäftspraktiken gewähren, ihnen jedoch nicht als Instrument der Schikane und zur Bereicherung durch Abmahngebühren dienen dürfen. Aus diesem Grund verbietet § 8 Abs. 4 UWG die Verfolgung von Ansprüchen, soweit sich dies als rechtsmissbräuchlich darstellt. Im Laufe der Zeit hat die Rechtsprechung zur Beurteilung ob ein derartiger Rechtsmissbrauch vorliegt, einen umfangreichen Indizienkatalog entwickelt. In einer aktuellen Entscheidung vom 26.04.2019 (Az. ZR 248/16) hat der BGH einige dieser Indizien erneut aufgegriffen und weiterentwickelt.

I. Der Sachverhalt

Die Klägerin vertreibt Briefkästen als Aktionsware an große Handelsketten. Die Beklagten betreiben Baumärkte und sind Gesellschafter der Zentrale. Die Briefkästen der Klägerin wurden zuletzt vor über 10 Jahren in den Baumärkten der Beklagten vertrieben.
Im Frühjahr 2015 vertrieben die Beklagten Briefkästen, auf deren Produktverpackungen der Hinweis „Umweltfreundlich produziert“ sowie ein Siegel mit dem Aufdruck „Geprüfte Qualität“ aufgedruckt war. Bezüglich dieser Aussagen, die die Klägerin als irreführend ansah, erwirkte sie sodann eine einstweilige Unterlassungsverfügung gegen den Hersteller.

In einem nächsten Schritt mahnte die Klägerin die Zentrale der Beklagten ab, weil deren Mitglieder als Franchisenehmer Restposten der Briefkästen des unterlassungsverpflichteten Herstellers mit der streitgegenständlichen Werbeaussage und dem Siegel weiterhin vertrieben. Demnach sollten alle 327 Franchisenehmer der Beklagten eine Unterlassungserklärung abgeben. Nachdem die Zentrale diese Aufforderung zurückwies, mahnte die Klägerin 203 der betreffenden Baumärkte direkt ab und forderte jeweils, neben der Abgabe einer Unterlassungserklärung, die Erstattung von Abmahnkosten i.H.v. 984,60 Euro zuzüglich einer Abmahnpauschale i.H.v. 20 Euro.

Nachdem auch dieser Schritt für die Klägerin erfolglos blieb, reichte sie vor dem Landgericht München II Klage ein. Das Gericht hielt die Klage jedoch für rechtsmissbräuchlich und wies die Klage als unzulässig ab.
Die hiergegen eingelegte Berufung vor dem Oberlandesgericht hatte hingegen Erfolg. Gegen dieses Urteil legte die Beklagte Revision ein.

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II. Die Entscheidung

Der BGH schloss sich dem erstinstanzlichen Urteil des Landgerichts an und wies die Klage wegen Rechtsmissbrauch als unzulässig ab.
Die Abmahnungen seien nach § 8 Absatz 4 UWG rechtsmissbräuchlich und die Klage folglich unzulässig. Ob ein Rechtsmissbrauch vorliege, sei stehts unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu ermitteln und zu beurteilen.

Der BGH stellt hierzu fest, dass von einem Missbrauch im Sinne von § 8 Absatz 4 UWG unter anderem dann auszugehen sei, wenn das beherrschende Motiv des Gläubigers bei der Geldendmachung des Unterlassungsanspruches sachfremde, für sich genommen nicht schützenswerte Interessen seien. Dabei genüge es bereits, wenn diese sachfremden Interessen als Motiv für die Abmahnung überwögen.

1. Indiz: Prozesskosten stehen in keinem Verhältnis zum Jahresgewinn des Abmahnenden

Der BGH führt aus, dass bei der Bewertung auch der Umstand zu berücksichtigen sei, ob die Kosten der Rechtsverfolgung in einem vernünftigen wirtschaftlichen Verhältnis zur gewerblichen Tätigkeit der Klägerin stehen. Im vorliegenden Fall ergebe eine Gesamtbetrachtung, die aus Sicht eines wirtschaftlich denkenden Unternehmers vorzunehmen sei, dass die Rechtsverfolgungskosten zum Jahresgewinn der Klägerin in einem groben Missverhältnis stünden. Die Abmahnaktivität der Klägerin sei als rechtsmissbräuchlich zu beurteilen, da die Kosten, die für Abmahnungen und den Prozess aufgebracht werden müssen, im streitgegenständlichen Fall ein geradezu existenzbedrohendes Ausmaß angenommen hätten. Allein für die Anwaltskosten für die über 200 ausgesprochenen Abmahnungen seien der Klägerin Kosten in sechsstelliger Höhe entstanden. Diese stünden in keinem Verhältnis zum Jahresgewinn der Klägerin der sich im vierstelligen Bereich bewegt. Aus Sicht eines durchschnittlichen Unternehmers stelle dies ein nicht nachvollziehbares wirtschaftliches Risiko für das Unternehmen dar.

2. Indiz: Kein nennenswertes wirtschaftliches Interesse an der Abmahnung

Ein weiteres Indiz für einen Rechtsmissbrauch sei in dem Umstand zu sehen, dass den hohen Rechtsverfolgungskosten kein nennenswertes wirtschaftliches Interesse der Klägerin an der Beseitigung des Rechtsverstoßes gegenüberstehe. Die Briefkästen der Klägerin seien seit mehr als zehn Jahren nicht mehr in den Baumärkten der Beklagten vertrieben worden. Die als irreführend beanstandete Bezeichnung auf den streitgegenständlichen Briefkästen könne de facto den Absatz der Briefkästen der Klägerin gar nicht behindert haben. Die irreführenden Angaben auf Siegel und Verpackung führten, so das Gericht, daher weder zu einer unmittelbaren noch zu einer mittelbaren Beeinträchtigung des Briefkastenverkaufes der Klägerin.

Aus diesem Grund sei es weiterhin auch unerheblich, dass sich die Klägerin mit der ersten Abmahnung zunächst nur gegen die Zentralgesellschaft gewendet habe und erst in einem zweiten Schritt die kostenintensive Variante der Einzelabmahnungen gegen die Vielzahl von Franchisenehmer durchgeführt habe. Auch nach Scheitern der ersten Abmahnung bleibe es dabei, dass ein wirtschaftlich denkender Unternehmer, dem kein nennenswertes wirtschaftliches Interesse an der Beseitigung des Rechtsverstoßes zustehe, den Kostenaufwand für die folgende Massenabmahnungen scheuen würde.

3. Indiz: Erfolg der einstweiligen Verfügung gegen Hersteller

Im Streitfall sei für die Gesamtbetrachtung außerdem zu berücksichtigen, dass die Klägerin bereits eine einstweilige Verfügung gegenüber dem Hersteller erwirkt hatte. Der Hersteller sei im Zuge dieser Verfügung dazu verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass ausgelieferte Ware mit der beanstandeten Werbung nicht mehr im Handel angeboten werden werde. Zwar stehe es dem Verfügungskläger grundsätzlich frei, auch die Händler der beanstandeten Ware in Anspruch zu nehmen, dies sei im vorliegenden Fall jedoch aus Sicht eines wirtschaftlich denkenden Unternehmens eindeutig nicht interessensgerecht gewesen. Immerhin habe der Verkauf der Briefkästen-Restposten keine Umsatzeinbußen für die Klägerin bewirken können.

Alles in allem ließe die Unverhältnismäßigkeit der Kosten für die Massenabmahnungen zum wirtschaftlichen Interesse der Klägerin den Schluss zu, dass eine missbräuchliche Rechtsverfolgung im Sinne von § 8 Absatz 4 UWG bejaht werden könne.

III. Fazit

Ob ein rechtsmissbräuchliches Abmahnverhalten eines Mitbewerbers vorliegt, muss stets anhand einer Gesamtbetrachtung am Einzelfall erfolgen. Es lohnt sich jedoch, sich einige bekannte Fallgruppen aus der Rechtsprechung zu vergegenwärtigen, um ein Gefühl dafür zu entwickeln, ob es sich bei einer Abmahnung oder Klage um ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Mitbewerbers handelt.

Zu nennen sind hier beispielsweise:
- Das Bestehen eines extremen Missverhältnisses zwischen dem Jahresumsatz und des Abmahnumsatzes bzw. den Rechtsverfolgungskosten
- Kein wirtschaftliches Interesse an der Unterlassung des Rechtsverstoßes (z.B. wenn sich die Geschäftstätigkeiten der Parteien nur geringfügig überschneiden)
- Verwandtschaftsverhältnis mit dem Prozessbevollmächtigten oder kollusives Zusammenwirken mit Rechtsanwalt
- Verselbstständigte Abmahntätigkeit: Unverhältnismäßige Geltendmachung von Rechtsverfolgungskosten und Abmahnaktivität im Vergleich zur eigentlichen gewerblichen Tätigkeit

Tipp: Die Aufbereitung weitere Einzelentscheidungen auf dem Gebiet rechtsmissbräuchlicher Abmahnungen finden Sie in dieser Indizienliste der IT-Recht Kanzlei.

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