AG München: Sperrvermerk am Briefkasten umfasst auch lose abgelegte Werbeflyer
Neben der E-Mail-Werbung ist auch die Briefwerbung bei Unternehmen noch immer sehr beliebt, weil sie anders als elektronische Kommunikation regelmäßig die tatsächliche Befassung mit den Werbeinhalten sicherstellt. Allerdings ist bei der Briefwerbung Vorsicht geboten: ist offensichtlich erkennbar, dass der Einwurf von Werbung unerwünscht ist, ist sie als unzumutbare Belästigung unzulässig. Wie es jedoch zu bewerten ist, wenn das Werbematerial nicht eingeworfen, sondern an der Briefkastenanlage befestigt wird, entschied jüngst das AG München.
Inhaltsverzeichnis
I. Der Sachverhalt
In einer Spalte seiner Briefkastenanlage eingeklemmt fand der Kläger zwei Werbeflyer eines Umzugsunternehmens vor. Alle Briefkästen der Anlage waren mit einem „Bitte keine Werbung einwerfen“-Hinweis, einem sogenannten „Sperrvermerk“, versehen.
Der Münchner erhob nach erfolgloser Abmahnung unter Berufung auf eine Besitzstörung, also eine rechtswidrige Beeinträchtigung des Besitzes am Briefkasten, daraufhin Klage. Er war der Auffassung, das Umzugsunternehmen habe die Werbeflyer in rücksichtloser Art verteilen lassen. Keiner der Haubewohner wolle Werbung erhalten, und schon gar nicht solch wild abgelegte und befestigte Reklame. Dies erhöhe den Lästigkeitsfaktor in erheblichem Maße.
Das beklagte Unternehmen machte geltend, sie habe diese störende Art der Verteilung nicht veranlasst und nicht zu vertreten. Sie habe die von ihr beauftragten Verteiler angewiesen, die Reklame nur in solche Briefkästen einzuwerfen, die nicht mit einem Keine-Werbung-Hinweis versehen seien. Außerdem brachte sie vor, dass die Briefkastenanlage des Mehrfamilienhauses für jedermann zugänglich sei, mithin auch ein unbekannter Dritter die Werbeflyer dort eingeklemmt haben könnte.
II. Die Entscheidung
Das AG München gab mit Urteil vom 18.03.2023 (Az: 142 C 12408/21) der Klage vollumfänglich statt.
Dem Kläger stehe ein Anspruch auf Unterlassung gem. §§ 823 Abs. 1, 863 BGB in Verbindung mit § 1004 BGB analog zu. Die Beklagte habe den Kläger in seinem Besitz bzw. Mitbesitz rechtswidrig gestört, es bestehe Wiederholungsgefahr und die Beklagte sei Störerin.
Eine Besitzstörung sei in der Regel zu bejahen, wenn Werbeflyer eingeworfen werden, obwohl erkennbar sei, dass der Einwurf von Werbung nicht gewünscht sei. Es sei das Recht des Wohnungs- und Briefkastenbesitzers aus § 862 BGB, sich gegen eine Beeinträchtigung seiner räumlich-gegenständlichen Sphäre durch das Aufdrängen von ungewünschtem Werbematerial zu wehren.
Bei der Briefwerbung seit zwar grundsätzlich keine Einwilligung des Verbrauchers nötig, weder nach Wettbewerbs- noch nach Datenschutzrecht.
Eine rechtsverletzende Störung sei aber dann gegeben, wenn der Unternehmer sich über einen erkennbaren entgegenstehenden Willen des Verbrauchers hinwegsetzt. Durch einen Sperrvermerk am Briefkasten bringe der Verbraucher insofern zum Ausdruck, dass er keine Print-Werbung erhalten möchte.
Im Fall sei die Reklame zwar nicht in den Briefkasten des Klägers eingeworfen worden, dennoch sei der Kläger in seinem Mitbesitz an der Briefkastenanlage und am Eingangsbereich des Hauses gestört.
Da die Beklagte Flyer der gegenständlichen Art im streitgegenständlichen Zeitraum in München habe verteilen lassen, sie diese mittelbare Störerin. Den Einwand des beklagten Umzugsunternehmens, die Flyer seien im konkreten Fall nicht von ihren Austrägern verteilt worden, wies das Gericht zurück. Nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises könne man davon ausgehen, dass Handzettel eines Unternehmens auch von Werbeverteilern, die für das Unternehmen tätig seien, im Rahmen der Werbeaktion eingeworfen worden seien. Es handele sich dabei um einen typischen Geschehensablauf. Auch die pauschale Geltendmachung, Dritte hätten die Handzettel verteilt haben können, stehe der Annahme des Anscheinsbeweises nicht entgegen. Die Beklagte habe keine Tatsachen beweisen könne, die die ernsthafte Möglichkeit eines abweichenden (atypischen) Ablaufs eröffneten.
Schließlich ändere daran auch der Einwand der Beklagten, sie habe die von ihr beauftragten Verteiler angewiesen, Werbung nur auf erlaubte Weise zu verteilen, nichts.
Die Beklagte sei dafür verantwortlich, die von ihr beauftragten Austräger eindringlich auf die Notwendigkeit einer entsprechenden Organisation und Kontrolle der Werbeaktion hinzuweisen. Ebenso liege es in ihrer Verantwortung, sich über den Einsatz geeigneter Schutzmaßnahmen zu vergewissern, Beanstandungen nachzugehen sowie gegebenenfalls dem Anliegen durch Androhung wirtschaftlicher und rechtlicher Sanktionen einen stärkeren Nachdruck zu verleihen, etwa durch eine Vertragsstrafenvereinbarungen. Zur Einleitung solcher Maßnahmen habe die Beklagte jedoch nichts vorgetragen.
III. Fazit
Zwar ist grundsätzlich keine wettbewerbsrechtliche oder datenschutzrechtliche Einwilligung des Verbrauchers zur Briefwerbung erforderlich.
Zu einer Rechtsverletzung führt sie aber dann, wenn der Werbende sich über den erkennbaren entgegenstehenden Willen des Verbrauchers hinwegsetzt.
Dies ist der Fall, wenn Werbung trotz eines entsprechenden Sperrvermerks eingeworfen wird. Ein solches Verhalten stellt eine Besitzstörung dar, die einen Unterlassungsanspruch begründen kann. Gleiches gilt ebenfalls für nicht eingeworfene, sondern lose am, auf dem oder in der Nähe vom Briefkasten abgelegte Werbeflyer. Beauftragt ein Unternehmen das Austeilen von Werbematerial, so liegt es in dessen Verantwortung, für eine ordnungsgemäße Austeilung der von ihm beauftragten Verteiler zu sorgen.
Welche wettbewerbs- und datenschutzrechtlichen Voraussetzungen und Besonderheiten bei der Briefwerbung zu beachten sind, zeigen wir in diesem Leitfaden.
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