(Virtuelles) Hausrecht: BGH ändert seine Rechtsprechung + hilfreiche Muster für Online-Händler
Das Hausrecht gibt nicht nur stationären Händlern ein wirksames Instrument an die Hand. Auch Online-Händlern steht auf ihren Internetpräsenzen ein virtuelles Hausrecht zu, wie die Rechtsprechung in der Vergangenheit mehrfach bestätigt hat. Somit befähigt auch das virtuelle Hausrecht Händler, störende Kunden abzuweisen. Doch unter welchen Bedingungen kann das (virtuelle) Hausrecht ausgeübt werden? Der BGH hat mit einer aktuellen Entscheidung seine bisherige Rechtsprechung in einem wesentlichen Punkt aufgegeben. Was dies für Online-Händler bedeutet und unter welchen Voraussetzungen auch nach der neuen Rechtsprechung noch ein (virtuelles) Hausverbot ausgesprochen werden kann, erfahren Sie in unserem neuesten Beitrag.
I. Die Grundlagen des (virtuellen) Hausrechts
Ausgehend von einer Entscheidung des Landgerichts Bonn (Urt. v. 16.11.1999, Az. 10 O 457/99) zu Ausschluss- und Blockaderechten des Betreibers eines Online-Diskussionsforums hat sich inzwischen eine gefestigte Rechtsprechung entwickelt. Danach verfügen auch Betreiber von Internetpräsenzen über ein originäres virtuelles Hausrecht, welches im Rahmen von spezifischen Grenzen zur Inanspruchnahme besonderer autoritärer Kompetenzen befähigt.
Bei sich nicht konform verhaltenden Kunden und daraus resultierenden zu erwartenden Rechtsverletzungen oder Betriebsstörungen knüpft das virtuelle Hausrecht primär an die Eigentums- und Besitzrechtsgarantien des Zivilrechts an. Hausrechtliche Abwehrrechte aus §§ 903, 1004 Abs. 1 BGB werden dann abgeleitet, wenn der beeinträchtigte Shopbetreiber gleichzeitig Eigentümer der den Webauftritt tragenden Server und weiterer technischer Einrichtungen ist.
In derlei Fällen können rechtliche oder tatsächliche Gefährdungen des Online-Auftritts grundsätzlich über die eigentumsrechtliche Alleinverfügungsbefugnis unterbunden werden. Aber auch Mieter bzw. durch entsprechende Verträge berechtigte Nutzer der Servertechnik stehen hausrechtliche Ansprüche aus den §§ 861, 862 i.V.m. § 858 BGB zu.
Auch wenn ein virtuelles Hausrecht im Online-Shop grundsätzlich anerkannt wird, kann der jeweilige Händler nicht nach freiem Belieben Maßnahmen gegenüber potenziell störenden Kunden ergreifen. Der Online-Händler muss sich insofern an dem durch die Öffnung seines virtuellen Geschäfts zum Ausdruck kommenden Willen festhalten lassen, mit jedem kaufwilligen Besucher zu kontrahieren.
Nach einem Leiturteil des BGH (welches sich bis dato vollständig auf den Verkauf über das Internet übertragen ließ) liegt in der Zugänglichmachung des Geschäftsbetriebs für jedermann ein weitgehender Verzicht auf spezifische hausrechtliche Befugnisse (BGH, Urteil vom 03.11.1993, Az.: VIII ZR 106/93). Auszugehen sei insofern von einem generellen Einverständnis bezüglich des Aufsuchens der (virtuellen) Geschäftsräume durch Kunden, das dem Händler das Recht nehme, diese beliebig und nach freiem Willen auszuschließen.
Hinweis: Weitergehende Informationen zum Thema Hausrecht könnten Sie in unserem Ratgeber zur wirksamen Ausübung des Hausrechts im Online-Shop - inkl. Muster nachlesen!
II. Sachverhalt der neuen BGH-Entscheidung
Die Beklagte im neuen BGH-Fall (Urteil vom 29.05.2020, Az.: V ZR 275/18) betrieb eine Therme mit Saunabereich, die die Klägerin seit mehreren Jahren regelmäßig besuchte. Die Beklagte führte die Klägerin in einer Gästekartei für Stammkunden und informierte sie regelmäßig über Angebote. Über diese Angebote erwarb die Klägerin zu Sonderkonditionen zahlreiche nicht personengebundene Eintrittskarten. Später erteilte die Beklagte der Klägerin ein schriftlich vorbereitetes, unbefristetes Hausverbot für die von ihr betriebene Therme sowie alle ihr angehörenden Einrichtungen.
Die Klägerin verlangte von der Beklagten, das Hausverbot zurückzunehmen, hilfsweise, ihr den bereits entrichteten Eintrittspreis zu erstatten. Das Amtsgericht hat die Beklagte auf ihr Anerkenntnis hin zur Rückzahlung der Ticketkosten gegen Rückgabe der erworbenen Eintrittskarten verurteilt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Die nächste Instanz hat das Hausverbot auf die beteiligte streitgegenständliche Therme beschränkt und die Berufung der Klägerin im Übrigen zurückgewiesen.
Schließlich wollte die Klägerin vor dem BGH erreichen, dass das Hausverbot auch im Übrigen zurückgenommen oder, hilfsweise, die Nichtigkeit des Hausverbots festgestellt wird.
III. BGH gibt bisherige Rechtsprechung auf
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs konnten sich Einschränkungen bei der Ausübung des Hausrechts insbesondere daraus ergeben, dass der Hausrechtsinhaber die Örtlichkeit für den allgemeinen Publikumsverkehr öffnete und dadurch seine Bereitschaft zu erkennen gab, generell und unter Verzicht auf eine Prüfung im Einzelfall jedem den Zutritt zu gestatten, der sich im Rahmen des üblichen Verhaltens bewegt.
Das schloss es zwar auch in solchen Fällen nicht aus, dass der Berechtigte die Befugnis zum Aufenthalt nach außen hin erkennbar an rechtlich zulässige Bedingungen knüpfte. Geschieht dies jedoch nicht oder sind die Bedingungen erfüllt, bedarf ein gegenüber einer bestimmten Person ausgesprochenes Verbot, die Örtlichkeit zu betreten, zumindest grundsätzlich eines sachlichen Grundes.
In solchen Konstellationen trete nach Ansicht des BGH die Privatautonomie (Art. 2 Abs. 1 GG) des Hausrechtsinhabers in ihrem Gewicht zurück. Die Grundrechte des Betroffenen nach dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) und das Gebot der Gleichbehandlung (Art. 3 GG) überwiegen somit die des Hausrechtsinhabers. Ohne die Angabe eines hinreichenden, sachlichen Grundes war somit die Verhängung eines Hausrechts nach der nun überholten Rechtsprechung des BGH nicht möglich.
Der BGH stellte zwar grundsätzlich fest, dass es zur Freiheit jeder Person gehöre, nach eigenen Präferenzen darüber zu bestimmen, mit wem sie unter welchen Bedingungen Verträge abschließen will. Gleichheitsrechtliche Anforderungen für das Verhältnis zwischen Privaten können sich jedoch aus Art. 3 Abs. 1 GG jedoch für spezifische Konstellationen ergeben. Beispielsweise wenn der Ausschluss von Veranstaltungen, die aufgrund eigener Entscheidung der Veranstalter einem großen Publikum ohne Ansehen der Person geöffnet werden, für die Betroffenen in erheblichem Umfang über die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben entscheidet, sind die Rechte Dritter zu wahren.
Indem ein Privater eine solche Veranstaltung ins Werk setzt, erwachse ihm von Verfassungs wegen auch eine besondere rechtliche Verantwortung, wie der BGH feststellte. Die aus dem Hausrecht erwachsenden - so wie in anderen Fällen möglicherweise aus einem Monopol oder aus struktureller Überlegenheit - resultierende Entscheidungsmacht dürfe nicht dazu genutzt werden, bestimmte Personen ohne sachlichen Grund von einem solchen Ereignis auszuschließen.
Jetzt aber kommt der Clou: An diesem Punkt änderte der BGH nun seine Rechtsauffassung. Nach den genannten Grundsätzen bedurfte die Erteilung eines Hausverbots nicht schon dann eines sachlichen Grundes, wenn der Hausrechtsinhaber die Örtlichkeit für den allgemeinen Publikumsverkehr ohne Ansehen der Person öffnete. Der BGH präzisierte an dieser Stelle: Ein sachlicher Grund sei nur unter der weiteren Voraussetzung erforderlich, dass die Verweigerung des Zutritts für die Betroffenen in erheblichem Umfang über die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben entscheide.
In diesem Fall greife die Wirkung von Art. 3 Abs. 1 GG zwischen dem Betreiber einer solchen Einrichtung und deren (potentiellen) Besuchern, Gästen oder Kunden über die in Art. 3 Abs. 3 GG und in den §§ 19 ff. AGG besonders geregelten Diskriminierungsverbote hinaus und stelle die Ausübung des Hausrechts durch den Veranstalter bzw. Betreiber in einen Zusammenhang mit dem Recht des Einzelnen auf Teilhabe am kulturellen Leben.
IV. Objektiver Prüfungsmaßstab: Gesellschaftliches und kulturelles Leben
Der BGH stellte in seiner neuen Entscheidung fest, dass dem Betreiber einer Einrichtung, die erhebliche Bedeutung für das gesellschaftliche und kulturelle Leben hat, eine besondere rechtliche Verantwortung zugewiesen werde. Diese Verantwortung verbiete es ihm, bestimmte Personen ohne sachlichen Grund auszuschließen. Welche Bedeutung der Zugang zu einer Einrichtung für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben habe, sei daher nicht aus der Perspektive des einzelnen Besuchers zu beurteilen.
Es komme vielmehr auf die objektivierte Sicht desjenigen an, der die Einrichtung dem allgemeinen Publikumsverkehr öffne. Hier hat der BGH ausgeführt, dass es darauf ankommt, welche Funktion die von dem Betreiber willentlich eröffnete und betriebene Einrichtung bei typisierender Betrachtung hat.
Der BGH begründete diese Sichtweise mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Dieses berücksichtigte in anderen Fällen der mittelbaren Grundrechtswirkung, in denen insbesondere die Unausweichlichkeit von Situationen, das Ungleichgewicht zwischen sich gegenüberstehenden Parteien, die gesellschaftliche Bedeutung von bestimmten Leistungen oder die soziale Mächtigkeit einer Seite bei der Abwägung eine maßgebliche Rolle spielte.
Merksatz: Nach der neuen Rechtsprechung des BGH bleibt damit festzuhalten, dass ein Ausschluss ohne sachlichen Grund erfolgen kann, wenn der Kauf über den betroffenen Online-Vertriebskanal nicht in die Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben des Kunden eingreift. Es dürfte wohl nur in seltenen Fällen denkbar sein, dass ein verwehrter Kaufvertragsschluss mit einem Kunden in dessen Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben eingreifen wird.
V. Fazit
Der BGH hat in seiner bemerkenswerten, aber vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des BVerfG nicht unerwarteten Entscheidung klargestellt, dass es für die Verhängung eines (virtuellen) Hausrechts nicht immer eines sachlichen Grundes bedarf.
Lediglich wenn der durch die Ausübung des Hausrechts verwehrte Zugang sich in erheblichem Umfang auf die Teilnahme am gesellschaftlichen bzw. kulturellen Leben auswirkt, ist die Angabe eines solchen sachlichen Grundes zwingend notwendig. Im Umkehrschluss bedeutet dies eine Stärkung des Hausrechts für Bereiche, die nicht zur gesellschaftlichen bzw. kulturellen „Grundversorgung“ zählen. Somit dürfte ein Großteil der Online-Händler von den gelockerten Voraussetzungen zur Durchsetzung des Hausrechts profitieren.
VI. Hilfreiche Muster
Zur wirksamen Ausübung des Hausrechts in Online-Shops hat die IT-Recht Kanzlei ihren Mandanten folgende hilfreiche Muster entwickelt:
- Muster 1: Mitteilung über die Kontosperrung bei Verstoß gegen Nutzungsbedingungen
- Muster 2: Mitteilung über die Ablehnung zukünftiger Geschäftsbeziehung inkl. Aufforderung zur Unterlassung von Bestellungen bei Zahlungsverzug
- Muster 3: Mitteilung über die Ablehnung zukünftiger Geschäftsbeziehung inkl. Aufforderung zur Unterlassung von Bestellungen bei übermäßiger Ausübung von Widerrufsrechten
- Muster 4: Vertragsaufhebung nach Mitteilung über Geschäftsverweigerung
- Muster 5: Mitteilung über Kontosperrung nach wiederholten Bestellungen trotz Geschäftsverweigerung
- Muster 6: Letztmalige gütliche Aufforderung zur Unterlassung von Bestellaufgaben und Androhung einer gerichtlichen Durchsetzung
- Muster 7: Abmahnung wegen Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb + Unterlassungsverpflichtungserklärung
Mandanten können auf diese Muster hier zugreifen.
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