EuGH: Zwingende Anrede-Auswahl ist DSGVO-Verstoß
Viele Webseiten fragen - etwa im Bestellvorgang - nach wie vor zwingend die Auswahl einer Anrede ab. Der EuGH hat entschieden, dass dies einen datenschutzrechtlichen Verstoß darstellt.
Inhaltsverzeichnis
Datenschutz geht vor Höflichkeit
Gerade im deutschsprachigen Bereich ist es nach wie vor üblich, den Kunden bzw. Kommunikationspartner mittels einer förmlichen Anrede anzusprechen. Sei es in der Vorfeld-Kommunikation per Email, im Checkout bzw. im Nachgang zu einer Bestellung, etwa bei einer Bestelleingangs- oder Auftragsbestätigungs-Email.
Daher ist bei einer Vielzahl von Online-Shops (dort etwa im Bestellvorgang) und Webseiten (dort etwa beim Kontaktformular oder der Anmeldemaske für den Newsletterversand) ein Anredefeld vorhanden, welches als Pflichtfeld ausgestaltet ist.
D.h., der Kunde bzw. Interessent muss sich festlegen, welche Anrede auf ihn zutrifft, um im Shop bestellen zu können bzw. mit dem Anbieter in Kontakt treten oder den Newsletter erhalten zu können.
Für viele Anbieter gebietet es die Höflichkeit, beim Umgang mit dem Kunden diesen mit einer zutreffenden Anrede anzusprechen. Wohl daher wird die Anrede noch so häufig als Pflichtangabe erhoben, um die zu erfolgende Kommunikation dann persönlicher gestalten zu können.
Für die Vertragserfüllung bzw. Zweckerfüllung bei Kontaktaufnahme oder Newsletterversand ist eine Angabe bzw. Nutzung der Anrede dagegen in aller Regel gar nicht erforderlich.
Während die Verwendung einer Anrede aus Höflichkeitsgesichtspunkten zumindest im deutschsprachigen Bereich als geboten erscheinen mag, ist die Erhebung des Datums „Anrede“ in datenschutzrechtlicher Hinsicht in den allermeisten Fällen dagegen entbehrlich und somit vermeidbar.
Wer die Nutzer zu einer entsprechenden Angabe „zwingt“, indem er ein entsprechendes Pflichtfeld für die Angabe der Anrede vorhält, läuft damit Gefahr, gegen den Grundsatz der Datenminimierung der DSGVO zu verstoßen.
EuGH erkennt auf DSGVO-Verstoß
Mit seinem Urteil vom 09.01.2025 (Az. C 394/23) entschied der Europäische Gerichtshof im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens, dass die zwingende Abfrage einer Anrede, bei welcher sich der Seitenbesucher als Mann oder als Frau festlegen muss, gegen den Grundsatz der Datenminimierung nach Art. 5 Abs. 1 lit. c DSGVO verstößt, wenn diese Abfrage (nur) der personalisierten Kommunikation dient.
In dem Fall, der der EuGH-Entscheidung zugrunde lag, ging es um die Beschwerde eines Verbandes gegen die Praxis eines französischen Eisenbahnunternehmens bei der Online-Bestellung von Fahrkarten. Wer dort online eine Fahrkarte erwerben wollte, musste sich im Rahmen des Bestellvorgangs festlegen, ob er als „Frau“ oder „Herr“ bestellt bzw. angesprochen werden will.
Die Luxemburger Richter entschieden, dass die Erhebung einer Anrede, die zugleich die Festlegung einer Geschlechtsidentität bedeutet, für den Abschluss und die Durchführung eines Eisenbahnbeförderungsvertrags nicht erforderlich ist.
Der Eisenbahnbetreiber könne den Vertrag auch ohne Festlegung einer Anrede erfüllen und die Kommunikation unter Nutzung allgemeiner Höflichkeitsfloskeln (wie etwa „Sehr geehrte Kundin, sehr geehrter Kunde“) neutral gestalten.
Auch ein berechtigtes Interesse des Eisenbahnunternehmens an der Erhebung der Anrede lehnte der EuGH ab. Die Richter betonten, dass ein berechtigtes Interesse immer in Abwägung mit den Grundrechten und Freiheiten der betroffenen Person zu bestimmen ist.
Insbesondere der Schutz vor potenzieller Diskriminierung wegen der Geschlechtsidentität sei hier vorrangig zu gewichten.
Damit wird das Interesse des Anbieters auf eine personalisierte Kommunikation vom Interesse des Kunden, sich nicht auf eine bestimmte Anrede und damit ein bestimmtes Geschlecht bei seiner Bestellung festlegen zu müssen, verdrängt. Dies umso mehr, weil auch alternative und dennoch höfliche Formen der Ansprache gegeben sind.
Fazit
Nun wurde auch von höchster Stelle entschieden, dass eine zwingende Festlegung einer Anrede wie „Frau“ oder „Herr“ im Rahmen einer Online-Bestellung rechtlich problematisch ist.
Der EuGH erkannte hier auf einen Verstoß gegen die DSGVO, weil der Abfragende auf diese Weise gegen den der DSGVO immanenten Grundsatz der Datenminimierung verstößt.
Bereits früher hatten das OLG Karlsruhe und das OlG Frankfurt am Main entschieden, dass die verpflichtende Abfrage einer Anrede „Frau“ und „Herr“, durch die notwendige Auswahl nicht-binäre Personen dazu zwinge, sich einem dieser Geschlechter zuzuordnen.
Dies stelle eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar, wenn sich die Person selbst gar nicht einem dieser beiden Geschlechter zuordnen könne.
In der eigentlichen Sache wird ein jeder zwar selbst entscheiden müssen, wie er sich zu dieser Thematik positioniert.
Aus rechtlichen Gesichtspunkten wird die Luft jedenfalls dünner, da nun durch den EuGH entschieden wurde, dass die zwingende Erhebung einer Anrede „Frau“ oder „Herr“ einen Datenschutzverstoß darstellt.
Dies gilt jedenfalls für den Regelfall, wenn der Vertrag bzw. Zweck also auch ohne diese Angabe erfüllt werden kann und der Abfragende kein ausreichendes, berechtigtes Interesse nachweisen kann.
Vermeiden Sie unnötige Datenerhebungen, da hierdurch immer ein Konflikt mit den Vorgaben der DSGVO droht.
Sofern Sie auf Ihrer Webseite bzw. in Ihrem Onlineshop eine Anrede als Pflichtangabe abfragen, sollten Sie nun reagieren und dieses Abfragefeld vom Pflichtfeld in ein freiwilliges Feld abändern bzw. die Abfrage einer Anrede gänzlich abschalten.
Andernfalls ist damit zu rechnen, dass Probleme in Form einer datenschutzrechtlichen Abmahnung, einer Anhörung durch eine Datenschutzbehörde oder eine Individualbeschwerde durch einen Betroffenen, der möglicherweise einen Schadensersatz wegen des Datenschutzverstoßes fordert, folgen.
Sofern das Anrede-Feld nicht vom Pflichtfeld zum freiwilligen Feld umgestellt werden kann, sollten bis zu einer technischen Realisierbarkeit entsprechende Formulare wie Kontaktformulare und Newsletter-Anmeldemasken deaktiviert werden.
Bei fehlender technischer Einwirkungsmöglichkeit (Anredefeld kann nicht deaktiviert werden), könnte ein Workaround auch darin bestehen, neben den Eingabemöglichkeiten "Frau" und "Herr" auch die Eingabe "keine Angabe" zu aktivieren, so dass gerade keine Festlegung einer Anrede erfolgen muss.
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5 Kommentare
Das alles ist so dermassen typisch Deutsch, da wird mir inzwischen schlecht davon.
Alles muss korrekt sein, ausdiskutiert werden und blablabla.. wen interessiert denn der Blubb?!
Leute, einfach mal das Leben genießen und bisschen locker werden!
Ich kreuze bei Bestellungen manchmal "Frau"an, manchmal "Mann" oder halt eben NICHTS. Mir ist doch völlig latte, was auf einer Rechnung steht und wie man mich anspricht, Herrgottnochmal! so wichtig bin ich nicht.
Wichtig ist, dass der Betrag stimmt.
Ein explizites "ich möchte das nicht angeben" ist etwas anderes als "ich hab halt einfach nur die Pflichtfelder ausgefüllt".
Und dass ein Teil der Kundschaft die Anrede gerne nutzt, ist noch längst kein Grund für ein Pflichtfeld - wenn das individuell wichtig ist, steht ja die Auswahl bei einem freiwilligen Feld trotzdem frei.
Wir hatten die Option [leer] schon länger in der Auswahl, aber sie wurde tatsächlich noch nie verwendet :-)
bitte beachten Sie, dass wir im Artikel nur in der gebotenen Kürze auf den dem EuGH-Urteil zugrunde liegenden Sachverhalt eingehen können.
Etwaig denkbare, zulässige weitere Gestaltungsmöglichkeiten müssen einer individuellen Rechtsberatung vorbehalten bleiben.
Wenngleich sich die Sinnhaftigkeit eines "Pflichtfelds" für eine Anrede, welches dann auch die Eingabe von "keine Angabe" bzw. ein Leerlassen zulässt, uns nicht ganz erschließen will (da es sich dann ja schon gar nicht um ein Pflichtfeld zur Angabe einer Anrede handelt), haben wir eine Ergänzung des Beitrags vorgenommen.
Man läuft genaugenommen aber keine Gefahr nur weil man ein Pflichtfeld vorhält, sondern wenn in dem Pflichtfeld nicht alle Auswahlmöglichkeiten bestehen.
Wenn z.B. Herr, Frau, Divers, [leere Auswahl]
angeboten werden, dann kann das Pflichtfeld ja mit der leeren Auswahl, und somit ohne Angabe, gefüllt werden. So entsteht trotz Pflichtfeld kein Verstoß.