Frage des Tages: Ausschluss des Widerrufsrechts für Mystery- und Überraschungsboxen nach Öffnung?
Nicht nur im Lebensmittelbereich sind Mystery- und Überraschungsboxen stark im Kommen. Für viele Verbraucher geht von derlei Warenmischungen, deren genauen Inhalt sie erst nach Entgegennahme und Öffnung erfahren, eine hohe Lockwirkung in der Hoffnung aus, ein besonders Schnäppchen zu schlagen oder etwas Neuartiges kennen zu lernen. Wie ist es aber um das gesetzliche Verbraucherwiderrufsrecht bestellt? Können Verbraucher geöffnete Mystery-Boxen bei deren Nichtgefallen per Widerruf zurückgeben oder kommt ein Ausschluss dieses Rechts in Betracht? Wir klären auf.
Inhaltsverzeichnis
- I. Geöffnete Überraschungsboxen: Gesetzlicher Ausschluss des Widerrufsrechts?
- 1.) Widerrufsausschluss wegen individueller Konzeption
- 2.) Widerrufsausschluss wegen Entsiegelung
- 3.) Zwischenfazit
- II. Ausschluss von Teilwiderrufen
- 1.) Ablehnung von Teilwiderrufsbegehren zulässig?
- 2.) Notwendige Umsetzungen im Shop
- III. Fazit
I. Geöffnete Überraschungsboxen: Gesetzlicher Ausschluss des Widerrufsrechts?
Online-Händler, die Verbrauchern Mystery-Boxen anbieten, sind von Natur aus daran interessiert, diesen im Falle des Öffnens der Pakete ihr Widerrufsrecht zu versagen.
Könnten Verbraucher bei Nichtgefallen des Inhalts einfach von Ihrem Widerrufsrecht Gebrauch machen und die Box nach dem Öffnen als Ganzes zurückgeben, würden nämlich die Funktion und auch der Effekt der randomisierten Produktzusammenstellungen ausgehöhlt.
Besondere Charakteristik der Boxen soll demnach gerade sein, dass der Verbraucher ihren Inhalt nicht kennt und sich mithin auf eine Überraschung sowie einen unbestimmten „Mix“ einlässt und diesen Umstand als vertragsgemäßen Zustand akzeptiert.
Könnte er sich durch ein Widerrufsrecht nach Öffnen der Box wieder einseitig vom Vertrag lösen, wäre die akzeptiere Überraschung vertraglich entwertet.
1.) Widerrufsausschluss wegen individueller Konzeption
Oftmals wird daher erwägt, einen Widerrufsausschluss über eine individuelle Paketzusammenstellung herzuleiten.
Zwar besteht nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB ein Widerrufsrecht nicht für Verträge zur Lieferung von Waren, die nicht vorgefertigt sind und für deren Herstellung eine individuelle Auswahl oder Bestimmung durch den Verbraucher maßgeblich ist oder die eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse des Verbrauchers zugeschnitten sind.
Bei genauerer Lektüre der gesetzlichen Ausnahme ergibt sich jedoch, dass diese auf Mystery- und Überraschungsboxen nicht anwendbar ist.
Schließlich erhalten die Boxen grundsätzlich nur eine Selektion bereits vorgefertigter Waren, deren individuelle Zusammenstellung gerade nicht nach Auswahl oder Bestimmung des Verbrauchers, sondern vielmehr nach Ermessen des Händlers erfolgt.
Mit der Argumentation, die Inhalte einer Überraschungsbox seien nach den persönlichen Vorlieben und Interessen des Verbrauchers selektiert, gelingt ein Ausschluss des Widerrufsrechts also nicht.
2.) Widerrufsausschluss wegen Entsiegelung
Vielfach sind im Internet Passagen in der Widerrufsbelehrung zu finden, nach denen das Widerrufsrecht für Mystery- und Überraschungsboxen nach deren Öffnung wegen „Entsiegelung“ ausgeschlossen sein soll.
Derartige Ausschlüsse sind allerdings mit dem geltenden Widerrufsrecht nicht zu vereinbaren und unzulässig, weil sie dem gesetzlichen Leitbild zuwiderlaufen.
Das Gesetz sieht einen Ausschluss des Widerrufsrechts beim Öffnen von Mystery- und Überraschungsboxen mit Zufallsinhalt nämlich gerade nicht vor.
Wegen „Entsiegelung“, also dem Bruch eines Siegels auf oder an der Verpackung durch den Verbraucher, darf nach geltendem Recht ein Widerrufsrecht nur ausgeschlossen werden bei
- Waren, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene nicht zur Rückgabe geeignet sind (§ 312g Abs. 2 Nr. 3 BGB)
- Ton- oder Videoaufnahmen oder Computersoftware in einer versiegelten Packung (§ 312g Abs. 2 Nr. 6 BGB)
Einen Ausschlusstatbestand für die „Entsiegelung“ eines Pakets mit mehreren individuell abermals verpackten Produkten, also einer Umverpackung für darin befindliche Einzelprodukte, kennt das Gesetz nicht.
Sehen Händler einen solchen Ausschluss dennoch vor, verstoßen sie gegen Verbot von Abweichungen vom gesetzlichen Widerrufsregime nach § 361 Abs. 2 BGB und verhalten sich abmahnbar wettbewerbswidrig.
3.) Zwischenfazit
Einen gesetzlichen Ausschluss des Widerrufsrechts für Mystery- und Überraschungsboxen mit vorgefertigten Produkten nach deren Öffnung sieht das geltende Recht grundsätzlich nicht vor.
Händler sind daher zwingend verpflichtet, auch für geöffnete Boxen ein Verbraucherwiderrufsrecht einzuräumen.
Selbst erdachte Formulierungen, die ein Verbraucherwiderrufsrecht auszuschließen gedenken, sind nach derzeitigem Stand unzulässig.
Eine Ausnahme besteht lediglich für Überraschungsboxen mit frischen Lebensmitteln wie Obst oder Gemüse. Hier kann ein Ausschluss des Widerrufsrechts aufgrund deren schneller Verderblichkeit nach § 312g Abs. 2 Nr. 2 BGB einschlägig sein, wenn zu erwarten ist, dass die Frischprodukte einen Rücklauf im Rahmen der jeweils 14-tägigen Widerrufs- und Rücksendefrist nicht genießbar überdauern würden.
In diesem Fall knüpft der Ausschluss aber an die beinhalteten Produkte selbst und nicht an das Öffnen der Überraschungsbox an.
II. Ausschluss von Teilwiderrufen
Müssen Händler schon ein Widerrufsrecht für die gesamte Box mit Inhalt nach deren Öffnen grundsätzlich akzeptieren, so kann ihnen immerhin daran gelegen sein, dass Verbraucher sich nicht nur die besten Bestandteile herauspicken und nur den nicht überzeugenden Rest zurückgeben.
Denkbar wäre es also, Teilwiderrufe von Verbrauchern nur in Bezug auf bestimmte Box-Inhalte wirksam auszuschließen.
1.) Ablehnung von Teilwiderrufsbegehren zulässig?
Inwiefern das geltende Verbraucherrecht ein gesetzliches Recht des Verbrauchers zum Teilwiderruf überhaupt anerkennt, ist in der Vergangenheit bereits vielfach kontrovers diskutiert worden.
Nach heute herrschender Meinung gesteht das Gesetz dem Verbraucher ein Recht auf Teilwiderruf nicht zu. Vielmehr geht es stattdessen davon aus, dass der Verbraucher seine Willenserklärung auf Abschluss des Vertrages nur insgesamt, nicht aber auch lediglich bezüglich einzelner Teile widerrufen kann (vgl. Wortlaut des § 355 Abs. 1 BGB) .
Auch die EU-Kommission, auf deren Richtlinie 2011/83/EU das aktuelle Verbraucherrecht basiert, geht in Ihrem Leitfaden nicht von einem gesetzlichen Teilwiderrufsrecht aus, sondern sieht allenfalls die Möglichkeit einer Vereinbarung zwischen Händler und Verbraucher über die teilweise Vertragsrückabwicklung.
In Punkt 6.4.1 widmet sich dieser Leitfaden ausdrücklich der Frage des Teilwiderrufs und gibt zu erkennen, dass dieser offenbar bewusst nicht in Bestimmungen der Richtlinie aufgenommen wurde. Wortlautgemäß heißt es:
Obwohl in der Richtlinie ein solches Recht nicht ausdrücklich vorgesehen ist, hindert sie den Unternehmer und den Verbraucher auch nicht daran, einen teilweisen Rücktritt vom Vertrag durch Rücksendung lediglich einer einzelnen Ware oder aber mehrerer Waren, die im Zuge einer gemeinsamen Bestellung verkauft wurden, zu vereinbaren.
Impliziert wird insofern, dass die Möglichkeit des Teilwiderrufs dem Verbraucher nicht von Rechts wegen zugesprochen wird, sondern dass diese vielmehr ein „Plus“ ist, welches der Händler vertraglich explizit einräumen muss.
In Bezug auf den Teilwiderruf von Mystery- bzw. Überraschungsboxen ergibt sich damit, dass Online-Händler nicht verpflichtet sind, diesen zu akzeptieren.
Vielmehr können Sie Teilwiderrufsbegehren von Verbrauchern zurückweisen und sie vor die Option stellen, entweder den gesamten Vertrag zu widerrufen oder an der Bestellung insgesamt festzuhalten.
2.) Notwendige Umsetzungen im Shop
Weil das Gesetz per se einen „Teilwiderruf“ nicht kennt und davon ausgeht, dass ein Verbraucher nur den Vertrag als Ganzes soll widerrufen können, gilt das Prinzip des Ausschlusses mit individueller Ermöglichung.
Dies bedeutet, dass ein Teilwiderruf des Verbrauchers grundsätzlich unzulässig ist und vom Händler allenfalls individuell vertraglich bewilligt werden kann.
Für Verkäufer von Mystery- und Überraschungsboxen hat dies zur Folge, dass sie für den wirksamen Ausschluss des Teilwiderrufs keine weiteren Vorkehrungen treffen und insbesondere ihre Widerrufsbelehrungen nicht anpassen müssen.
Wird ein Teilwiderruf begehrt, kann dieser mit bloßem Hinweis auf die Gesetzeslage als unzulässig zurückgewiesen werden.
Um den Verbraucher schon bei Vertragsschluss für diesen Umstand zu sensibilisieren, kann auf den betroffenen Produktdetailseiten aber zusätzlich ein Hinweis auf den Ausschluss des Teilwiderrufs platziert werden, etwa in dieser Form:
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III. Fazit
Ein Ausschluss des Verbraucherwiderrufsrechts für geöffnete Mystery- und Überraschungsboxen kommt grundsätzlich nicht in Betracht, weil keine passenden gesetzlichen Ausschlussgründe existieren. Weder eine „Zusammenstellung nach Maß“ noch eine „Entsiegelung“ vermögen das Recht zum Widerruf wirksam auszuhebeln.
Schutz bietet immerhin, dass es Verbrauchern nach gesetzlichem Vorbild verwehrt ist, ihren Widerruf nur auf einzelne Bestandteile einer Box zu richten. Hierauf können betroffene Händler rechtskonform auf den Produktdetailseiten hinweisen.
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