BGH zu Widerrufsrecht: Keine Besserstellung des Verbrauchers bei Vertragsabschluss im Fernabsatz

BGH zu Widerrufsrecht: Keine Besserstellung des Verbrauchers bei Vertragsabschluss im Fernabsatz
von Anna Bosch
02.12.2016 | Lesezeit: 6 min

Mit Spannung dürfte der Online-Handel das im Oktober 2016 vom Bundesgerichtshof verkündete Urteil im „Katalysator-Fall“ (BGH-Urteil v. 12.10.2016 – Az. VIII ZR 55/15) zum Thema Widerrufsrecht erwartet haben, dessen Urteilsgründe nun im Volltext vorliegen. Der Fall drehte sich um die Frage einer Wertersatzpflicht eines Verbrauchers, der im Wege des Fernabsatzgeschäfts einen Katalysator gekauft und zwecks (kurzer) Probefahrt eingebaut hatte, nach erklärtem Widerruf aber die vollständige Rückerstattung des gezahlten Kaufpreises verlangte. Die IT-Recht Kanzlei stellt Ihnen im heutigen Beitrag das Urteil vor und erläutert, in welchen Fällen Verbraucher trotz erfolgreichen Widerrufs Wertersatz zu leisten haben.

1) Was war geschehen?

In dem vom BGH entschiedenen Fall hatte ein Verbraucher im Februar 2012 im Wege des Fernabsatzes einen Katalysator für sein KFZ gekauft und diesen anschließend von einer Fachwerkstatt in seinen Mercedes einbauen lassen, um mit diesem eine (kurze) Probefahrt zu unternehmen. Dabei stellte der Käufer eine schlechtere Laufleistung seines Fahrzeugs fest und widerrief daraufhin noch im selben Monat - fristgemäß - den Kaufvertragsschluss. Obwohl er die Kaufsache alsbald zurück sandte, verweigerte ihm die Verkäuferin allerdings mit dem Hinweis auf seine Wertersatzpflicht die Rückerstattung des Kaufpreises, die der Käufer sodann versuchte gerichtlich durchzusetzen. Trotz deutlicher Gebrauchsspuren am Katalysator hatte seine auf vollständige Rückzahlung des Gesamtkaufpreises Klage in erster Instanz vor dem Amtsgericht noch Erfolg.

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2) Wie entschied der BGH den Rechtsstreit?

Der BGH entschied in der Sache zugunsten der Verkäuferin. Der Einbau des Katalysators in das Fahrzeug des Klägers und sein anschließender Gebrauch im Rahmen einer kurzen Probefahrt gingen über eine - gestattete - bloße Prüfung seiner Eigenschaften und seiner Funktionsweise hinaus und hätten unstreitig zu einer Verschlechterung der Kaufsache geführt.

Der Verbraucher schulde daher trotz des Widerrufs Wertersatz, da das Widerrufsrecht nicht dazu diene, eine Besserstellung des Vertragsabschlusses im Fernabsatz gegenüber einem solchen im stationären Handel – dem klassischen Ladengeschäft – zu begründen. Denn die Vorschriften über den Widerruf von Willenserklärungen, die auf den Abschluss von Fernabsatzverträgen gerichtet sind, dienen lediglich der Kompensation von Gefahren bei bloß virtuellen Begutachtungsmöglichkeiten anhand von Fotos etc. aufgrund der bei Fernabsatzgeschäften fehlenden Möglichkeit die Waren vor Vertragsschluss in Augenschein zu nehmen. Der Verbraucher soll nach dem Willen des Gesetzgebers auch mit online/fernmündlich erworbenen Waren so umgehen dürfen, wie er dies auch in einem Ladengeschäft hätte tun dürfen. Eine zulässige Prüfung sei aber von einer „übermäßigen Nutzung“ abzugrenzen.

„Eine Ware, die bestimmungsgemäß in einen anderen Gegenstand eingebaut werden soll, ist für den Käufer im Ladengeschäft regelmäßig nicht auf ihre Funktion im Rahmen der Gesamtsache prüffähig. Daher ist eine solche Prüfung auch beim Kauf im Fernabsatz nicht wertersatzfrei zu gewähren.“

3) Rechtsgrundlagen und Übertragbarkeit des Urteils

Zentrale Vorschrift für die Widerrufsfolgen ist § 357 BGB, die allerdings binnen relativ weniger Jahre mehrfach geändert wurde. Im konkreten Fall legte der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung für den Wertersatzanspruch zwar die im Jahr 2012 geltende Fassung des § 357 Abs. 3 BGB zugrunde. Gleichwohl können sich Händler auf das Urteil berufen, da auch der seit 2014 geltende § 357 Abs. 7 BGB einen Wertersatzanspruch vorsieht, wenn „der Wertverlust auf einen Umgang mit den Waren zurückzuführen ist, der zur Prüfung der Beschaffenheit, der Eigenschaften und der Funktionsweise der Waren nicht notwendig war“ und der Verbraucher auf diese Rechtsfolge hingewiesen wurde. Dem BGH zufolge stehe eine Wertersatzpflicht des Verbrauchers für eine unangemessene Benutzung der im Fernabsatz gekauften Sache auch nicht der europäischen Fernabsatzrichtlinie entgegen. Dem Verbraucherschutz werde zudem dadurch Rechnung getragen, dass der Verkäufer die Beweislast für das Vorliegen einer übermäßigen Nutzung trage.

Damit ist das Urteil dem Grunde nach zwar durchaus auf andere Fälle des Verbraucherwiderrufs übertragbar, bei Verweigerung einer Kaufpreisrückerstattung sollten Händler allerdings auch das Vorliegen einer übermäßigen Nutzung nachweisen können. Ein pauschaler Verweis auf das Urteil hilft Händlern also wenig, wenn dem Verbraucher im Einzelfall – ausnahmsweise – eine Ingebrauchnahme für die Prüfung gestattet werden muss (vgl. „Wasserbett-Urteil“ des BGH vom 3.11.2010 – VIII ZR 337/09).

4) Wertersatzhöhe

Auch zur Wertersatzhöhe nimmt der BGH in seinem Urteil vom 12.10.2016 Stellung. Danach sind Kosten für die Vorbereitung und die Durchführung eines Wiederverkaufs zwar nicht ersatzfähig, da sie auch bei allen anderen Fällen des Widerrufs anfallen können. Jedoch darf hinsichtlich der Höhe des vom Verbraucher zu leistenden Wertersatzes der Gewinnanteil des Händlers durchaus berücksichtigt werden. „Nach der vom Gesetzgeber getroffenen Wertentscheidung ist es interessengerecht, die Parteien bei einem gesetzlichen Rückgewährschuldverhältnis grundsätzlich an ihrer Bewertung von vereinbarter Leistung und Gegenleistung festzuhalten; die objektiven Wertverhältnisse sollen dagegen nur ausnahmsweise dann maßgebend sein, wenn eine Bestimmung der Gegenleistung, also eine privatautonom ausgehandelte Entgeltabrede, fehlt.“

5) Kein Gleichlauf der Rechtsfolgen bei Widerruf und Rücktritt

Auch wenn der BGH in jüngerer Zeit in mehreren Entscheidungen den Verbraucherschutz gestärkt hat, ist dieses Urteil keine Kehrtwende von der bisherigen Rechtsprechung, sondern die konsequente Folge einer Unterscheidung zwischen Widerrufs- und Gewährleistungsrecht. Obwohl sich der Verbraucher im konkreten Fall unter Umständen auf einen Sachmangel hätte berufen können und über eine Rücktrittserklärung an sich günstigere Rechtsfolgen erreicht hätte (mildere Haftung des Verbrauchers für Verschlechterungen bei Rücktritt), muss er sich dem BGH zufolge an seiner Widerrufserklärung festhalten lassen und die insoweit schärfere Haftung in Kauf nehmen. Denn bei einem Fernabsatzgeschäft bleibe es dem Verbraucher unbenommen, „bei der Lieferung einer mangelhaften Sache dasjenige Gestaltungsrecht (Widerruf oder Rücktritt) zu wählen, das für ihn im Gesamtergebnis günstiger erscheint“. Mache ein Verbraucher von dem – nicht an eine Begründungspflicht geknüpften – gesetzlichen Widerrufsrecht Gebrauch, müsse er mit den Unterschieden der beiden Rückabwicklungssysteme in den Rechtsfolgen leben.

"Die getroffene Wahl des Gestaltungsrechts ist für den Verbraucher verbindlich."

6) Fazit

Der Bundesgerichtshof machte im „Katalysator-Fall“ deutlich, dass das Widerrufsrecht bei Fernabsatzgeschäften keine Besserstellung des Verbrauchers bezwecke, sondern lediglich einen Nachteilsausgleich für die im stationären Handel vorhandenen Prüf-, Vergleichs- und Beratungsmöglichkeiten darstelle. Das aktuelle Urteil dürfte aus Händlersicht also zu begrüßen sein, da Verbraucher bei übermäßiger Nutzung einer im Fernabsatz gekauften Ware wertersatzpflichtig sein können.,

Der BGH betont allerdings, dass der Wertersatz bei Ausübung des Verbraucherwiderrufsrechts nur dann geschuldet sei, wenn ein Hinweis auf die Wertersatz-Pflicht in Textform nach § 126b BGB (im Vergleich zur strengeren Schriftform) erteilt worden sei. Zudem ist unbedingt zu beachten, dass Händler die Beweislast für eine über die bloße Prüfung hinausgehende unangemessene Nutzung tragen. Im Einzelfall muss also sorgsam geprüft werden, ob Händler diesen Nachweis führen können, denn nur dann können sie die Rückerstattung des Kaufpreises ganz oder teilweise mit dem Hinweis auf eine Wertersatzpflicht des Verbrauchers erfolgreich verweigern.

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