Abmahnfalle Widerrufsbelehrung – tausende Anbieter potentiell betroffen: Kombination mehrerer Varianten zum Fristbeginn in einer Belehrung kann wettbewerbswidrig sein
Lange war es still um eines der Hauptprobleme der Verbraucherrechterichtlinie (VRRL): Das Thema der korrekten Belehrung des Verbrauchers über den Fristbeginn nach neuem Verbraucherrecht wird für viele Onlinehändler durch eine aktuelle Entscheidung des LG Frankfurt a.M. wieder relevant. Viele tausend Händler, die derzeit die angegriffene Formulierung nutzen, sind daher abmahngefährdet.
Worum geht es?
Während die Information des Verbrauchers über den Beginn der Widerrufsfrist nach altem Recht statisch erfolgen konnte, machte die VRRL die Sache ungleich komplizierter: Seit dem 13.06.2014 sieht das Gesetz in Bezug auf Fernabsatzverträge über Waren ganze vier verschiedene Varianten für die Information über den Fristbeginn vor.
Bei der Sache gibt es zwei Probleme:
Zum einen schreibt das gesetzliche Belehrungsmuster in seinen Gestaltungshinweisen ausdrücklich vor, dass immer nur eine der vier möglichen Varianten Verwendung finden darf.
Zum anderen ist die neue Widerrufsbelehrung in dieser Hinsicht gewissermaßen „dynamisch“ gestaltet, da für den jeweiligen „Fristbeginnbaustein“ u.a. die konkrete Versandkonstellation entscheidend ist und der Händler diese Dynamik bereits im Vorfeld beherrschen müsste, um ordnungsgemäß zu belehren. Er müsste daher bei der einheitlichen Bestellung mehrerer Waren in Echtzeit wissen, ob diese zusammen oder getrennt geliefert werden, um korrekt über den Fristbeginn informieren zu können.
Bisherige Praxis
Da eine dynamische Widerrufsbelehrung in der Praxis nicht umsetzbar ist, haben sich in der Beratungspraxis primär zwei Lösungsansätze herausgebildet.
So wird teilweise empfohlen, in die Widerrufsbelehrung schlicht mehrere für den Fristbeginn relevante Varianten aus dem gesetzlichen Muster nebeneinander zu übernehmen. Diese Praxis widerspricht jedoch ganz klar dem gesetzgeberischen Gedanken, der darauf abzielt, immer nur eine Variante darzustellen (vgl. bereits oben).
Die andere Lösung besteht darin, nur eine Variante zu verwenden, und zwar diejenige, die vom Sinn her im Grunde auf alle denkbaren Konstellationen zutrifft: So wird für den Fristbeginn dann schlicht immer darauf abgestellt, wann die „letzte Ware“ in Besitz genommen wurde.
Diesen – auch von der IT-Recht Kanzlei favorisierten Weg – hat die Europäische Kommission in ihrem „LEITFADEN DER GD JUSTIZ zur Richtlinie 2011/83/EU (…)“ „abgesegnet“. Freilich kommt dieser Empfehlung der Kommission keine Rechtsverbindlichkeit zu. Letztlich hat ein Gericht darüber zu entscheiden, ob die verwendete Widerrufsbelehrung rechtskonform ist oder nicht.
Die Entscheidung das LG Frankfurt a.M.
Diese Entscheidung hat nun das LG Frankfurt a.M. (Beschluss vom 21.05.2015, Az.: 2-06 O 203/15) getroffen – und zwar in Bezug auf eine Widerrufsbelehrung, die dem oben geschilderten, ersten Lösungsweg mit der Darstellung mehrerer Varianten folgt.
Getroffen hat es ein bekanntes schwedisches Möbelhaus, welches von einem Verbraucherschutzverband vor dem LG Frankfurt a.M. wegen Verwendung der folgenden Widerrufsbelehrung auf Unterlassung in Anspruch genommen worden ist:
"Die Widerrufsfrist beträgt vierzehn Tage ab dem Tag,
a) an dem Sie oder ein von Ihnen benannter Dritter, der nicht der Beförderer ist, die Waren in Besitz genommen haben bzw. hat, wenn Sie eine Ware oder mehrere Waren im Rahmen einer einheitlichen Bestellung bestellt haben und die Ware bzw. Waren einheitlich geliefert wird bzw. werden;
b) an dem Sie oder ein von Ihnen benannter Dritter, der nicht der Beförderer ist, die letzte Ware in Besitz genommen haben bzw. hat, wenn Sie mehrere Waren im Rahmen einer einheitlichen Bestellung bestellt haben und die Waren getrennt geliefert werden,·
c) an dem Sie oder ein von Ihnen benannter Dritter, der nicht der Beförderer ist, die letzte Teilsendung oder das letzte Stück in Besitz genommen haben bzw. hat, wenn Sie eine Ware bestellt haben, die in mehreren Teilsendungen oder Stücken geliefert wird.
Wenn mehrere der vorstehenden Alternativen vorliegen, beginnt die Widerrufsfrist erst zu laufen, wenn Sie oder ein von Ihnen benannter Dritter, der nicht Beförderer ist, die letzte Ware oder letzte Teilsendung bzw. das letzte Stück in Besitz genommen haben bzw. hat;"
Problematisch ist nach Ansicht des LG Frankfurt a.M. bei dieser Form der Belehrung, dass für den Verbraucher der Eindruck erweckt werden könnte, die unter den Buchstaben a) bis c) geschilderten Szenarien könnten kumulativ vorliegen. Hierzu trägt auch der letzte Satz in obigem Zitat bei. Das Gericht sah deshalb eine nicht ausreichende Information über den Beginn der Widerrufsfrist und darin eine Wettbewerbsverletzung und erließ die beantrage Verbotsverfügung.
Da es sich bei der Entscheidung um eine Beschlussverfügung im einstweiligen Rechtsschutz handelt, liegen keine Gründe vor. Ferner ist nicht bekannt, ob sich das Möbelhaus mittels Widerspruch gegen die einstweilige Verfügung wehrt oder ob die Sache durch Abschlusserklärung bereits abgeschlossen worden ist.
Jedenfalls befindet sich beim Möbelhaus nun eine abgeänderte Widerrufsbelehrung im Einsatz…
Was nun?
Durch die aktuelle Entscheidung kocht ein längst vergessen geglaubtes Problem wieder hoch.
Gibt man die vom Landgericht Frankfurt a.M. beanstandete Passage bei Google ein, erntet man abertausende Suchtreffer. Ob es hier zu einer neuen Abmahnwelle kommen wird, bleibt abzuwarten. Potentielle Opfer gibt es jedoch zuhauf.
Bislang konzentrieren sich nach unseren Erfahrungen die Abmahnungen nach wie vor auf den Einsatz veralteter Widerrufsbelehrungen, also Stand vor dem 13.06.2014. Dies könnte sich jedoch nun bald ändern.
Muss ich meine Widerrufsbelehrung mit mehreren Varianten zum Fristbeginn austauschen?
Aus unserer Sicht steht eine solche Widerrufsbelehrung schon deswegen nicht im Einklang mit dem Gesetz, weil das gesetzliche Muster vorschreibt, dass nur ein Baustein zum Fristbeginn Verwendung finden darf.
Das Landgericht Frankfurt a.M. hat einer so gestalteten Widerrufsbelehrung jedenfalls dann eine Absage erteilt, wenn der Verbraucher dabei zu dem Eindruck gelangen kann, mehrere Alternativen könnten gleichzeitig eingreifen. Diese Konsequenz kann insbesondere durch den Zusatz
„Wenn mehrere der vorstehenden Alternativen vorliegen, beginnt die Widerrufsfrist erst zu laufen, wenn Sie oder ein von Ihnen benannter Dritter, der nicht Beförderer ist, die letzte Ware oder letzte Teilsendung bzw. das letzte Stück in Besitz genommen haben bzw. hat;"
eintreten, wie die Entscheidung verdeutlicht. Sofern man an der „Mehr-Varianten-Lösung“ trotz der aktuellen Unruhe weiter festhalten möchte, sollte jedenfalls ausdrücklich klargestellt werden, dass die Varianten nur alternativ, und nicht kumulativ vorliegen können.
Eine berechtigte Frage stellt sich jedoch ganz generell: Warum sollte man sich unnötigerweise in die – derzeit noch abstrakte - Gefahr einer solchen Abmahnung bringen, indem mehrere Varianten zum Fristbeginn Verwendung finden, wenn es doch in der Praxis einen wesentlich einfacheren und sichereren Weg gibt, den sogar die EU-Kommission vorschlägt?
Zumal derartige Widerrufsbelehrungen durch ihre „Überlänge“ auf Plattformen wie eBay.de oder Amazon.de häufig zu praktischen Problemen wegen einer beschränkten Zeichenanzahl führen.
In Internetforen sind etliche Beiträge verunsicherter Händler zu finden, die „ihre“ Mehr-Alternativen-Widerrufsbelehrung am 13.06.2014 – dem Tag der großen VRRL-Umstellung – schlicht bei eBay nicht einfügen konnten, da zu lang. Sogar von Abmahnungen diesbezüglich liest man vereinzelt.
In eigener Sache
Update-Service Mandanten der IT-Recht Kanzlei sind von dieser Thematik generell nicht betroffen, da die IT-Recht Kanzlei sich für den Weg entschieden hat, der auch von der Europäischen Kommission favorisiert wird: Unsere Rechtstexte sehen nicht mehrere Anknüpfungspunkte für den Beginn der Widerrufsfrist vor.
Also: Warum kompliziert – wenn es auch einfach geht?
Tipp: Fragen zum Beitrag? Diskutieren Sie hierzu gerne mit uns in der Unternehmergruppe der IT-Recht Kanzlei auf Facebook .
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2 Kommentare
Die „Mehr-Varianten“-Lösung wurde seinerzeit im Dokument als eine denkbare Lösungsmöglichkeit diskutiert. Diese wurde seitens der IT-Recht Kanzlei jedoch weder damals als „einzig sinnvolle Alternative“ angepriesen (diese Aussage bezieht sich vielmehr auf die statische Widerrufsbelehrung im Generellen), noch wurde diese jemals in der Beratungspraxis durch die IT-Recht Kanzlei den Mandanten empfohlen.
Wir nehmen die Kritik jedoch zum Anlass, das veraltete Dokument in Kürze komplett zu entfernen. Eine Überarbeitung erachten wir aufgrund des Alters der dortigen Ausführungen nicht mehr für sinnvoll.
Die Variante gemäß "LEITFADEN DER GD JUSTIZ zur Richtlinie 2011/83/EU" kann ich nicht entdecken. Wird das Whitepaper dahingehend angepasst?