Wann beginnt die Widerrufsfrist bei der Lieferung mangelhafter Waren?

Wann beginnt die Widerrufsfrist bei der Lieferung mangelhafter Waren?
10.12.2020 | Lesezeit: 4 min

Die Widerrufsfrist beträgt beim Online-Kauf mindestens vierzehn Tage und beginnt grds. mit Lieferung der Ware beim Verbraucher. Doch was gilt, wenn die Ware fehlerhaft ist? Beginnt die Widerrufsfrist schon mit der ersten mangelhaften Lieferung oder erst mit der zweiten mangelfreien (Nach-) Lieferung? Erfahren Sie mehr hierzu in unserem heutigen Beitrag.

Hintergrund

Online-Händler müssen grds. im Rahmen von Fernabsatzverträgen das gesetzlich vorgeschriebene Widerrufsrecht gegenüber Verbrauchern einräumen. Hierbei beträgt die Widerrufsfristlänge mindestens 14 Tage, wobei die Widerrufsfrist dann beginnt, wenn der Verbraucher oder ein von diesem benannter Dritter, der nicht der Beförderer ist, die letzte Ware in Besitz genommen haben bzw. hat. Doch was gilt im Hinblick auf den Beginn der Widerrufsfrist für den Fall, dass die Lieferung mangelhaft ist (z.B. beschädigte Teile enthält)?

Mit einem derartigen Fall beschäftigte sich im Februar 2020 das AG Cuxhaven.

1

Zum konkreten Fall des AG Cuxhaven

Im streitigen Fall hatte die Verbraucherin online einen Thermomix bestellt. Leider war ein zum Lieferumfang gehöriger Aufsatz zersplittert. Im Rahmen der Nacherfüllung wurde der Käuferin zehn Tage später ein neuer Aufsatz geliefert. Wiederum zehn Tage nach dieser Nachlieferung erklärte die Käuferin per E-Mail den Rücktritt vom Vertrag. Den Thermomix samt Aufsatz sandte sie zurück. Die Käuferin hielt den Widerruf für verspätet.

Entscheidend für den Rechtsstreit war die Frage in Bezug auf den maßgeblichen Zeitpunkt für den Beginn der Widerrufsfrist. Begann die Frist mit der Erstlieferung (mit beschädigtem Aufsatz), so war die Widerrufsfrist zum Zeitpunkt der E-Mail bereits verstrichen. Die Käuferin hätte den Kaufpreis zahlen müssen. Begann die Widerrufsfrist erst mit der Ersatzlieferung (neuer, unbeschädigter Aufsatz), war der Widerruf fristgerecht ausgeübt. Die Käuferin hätte den Kaufpreis nicht zahlen müssen.

Das Amtsgericht Cuxhaven (Urteil vom 25.02.2020, Az.: 5 C 429/19) stellte sich auf den Standpunkt, der Widerruf beginne erst mit der Nachlieferung des Aufsatzes. Hieraus folgerte das Gericht, dass die Käuferin den Vertrag wirksam widerrufen hatte und folglich den Kaufpreis nicht zahlen muss. Denn Zweck des Widerrufsrechts sei es, dass die Verbraucher die gelieferte Ware zu Hause in einem Umfang untersuchen können sollen, wie es auch in einem Ladengeschäft möglich wäre. In einem Ladengeschäft hätte die Käuferin die verschiedenen Aufsätze ausprobieren oder zumindest näher betrachten können.

Doch nicht jeder Mangel führt automatisch zu einem derartigen verlängerten Widerrufsrecht.

Die Differenzierung anhand des Mangels

Die Frage, inwieweit die Lieferung einer mangelhaften Sache den Beginn der Widerrufsfrist beeinflusst, ist bisher nicht höchstrichterlich geklärt und daher noch umstritten.

Zumindest bei unerheblichen Mängeln fängt mit Lieferung der mangelhaften Sache die Widerrufsfrist zu laufen an. Hier kommt es also auf den Zeitpunkt der Erstlieferung, nicht der Nachlieferung an. Im vorliegenden Fall wäre das beispielsweise der Fall, wenn der Thermomix-Aufsatz nur leicht verkratzt, nicht jedoch zersplittert gewesen wäre. In diesem Szenario hätte die Käuferin den Thermomix und auch den spezifischen Aufsatz in all seinen Funktionen ausprobieren können.

Der Online-Händler hätte zwar einen kratzfreien Aufsatz liefern müssen, ein verlängertes Widerrufsrecht wäre der Käuferin jedoch nicht eingeräumt worden. Nachliefern sollte der Online-Händler jedoch mangelfrei. Sonst kann der Verbraucher in der Regel den Kaufpreis mindern, Schadensersatz verlangen oder vom Vertrag zurücktreten.

Ist der Mangel hingegen so erheblich, dass die Überprüfung der Funktionen der Ware nicht möglich ist, beginnt die Widerrufsfrist nach Ansicht der meisten Juristen mit der Nacherfüllung. Dies ist der Fall, wenn Teile der Ware schwerer beschädigt sind, sodass die Funktionsfähigkeit der Ware beeinträchtigt ist.

Fazit

Wann die Widerrufsfrist zu laufen beginnt, hängt in der Regel von der Art des Mangels im Zeitpunkt der Lieferung ab. Kann der Käufer trotz Mangels die gelieferte Ware ordnungsgemäß überprüfen und verwenden, beginnt der Lauf der Widerrufsfrist also schon mit der Erstlieferung. Bei erheblichen Mängeln beginnt der Lauf der Widerrufsfrist erst mit der Nacherfüllung.

Sicherlich gibt es in einer Vielzahl von Fällen einen Graubereich, hier wird es schwer sein zu entscheiden, wann die Widerrufsfrist tatsächlich zu laufen beginnt. In diesen Situationen kann oftmals eine kulante, verbraucherfreundliche Behandlung der Angelegenheit helfen, oder Sie setzen auf die Einschaltung eines Rechtsbeistands.

Noch kein Mandant und Interesse an unseren sicheren Rechtstexten für den Verkauf Ihrer Waren im Online-Handel? Gerne, buchen Sie einfach eines der Schutzpakete der IT-Recht Kanzlei (bereits ab mtl. nur 5,90 € erhältlich).

Tipp: Sie haben Fragen zu dem Beitrag? Diskutieren Sie hierzu gerne mit uns in der Unternehmergruppe der IT-Recht Kanzlei auf Facebook .


Link kopieren

Als PDF exportieren

Drucken

|

Per E-Mail verschicken

Zum Facebook-Account der Kanzlei

Zum Instagram-Account der Kanzlei

0 Kommentare

Weitere News

Frage des Tages: Können Online-Händler das Verbraucher-Widerrufsrecht ausschließen?
(04.07.2024, 13:01 Uhr)
Frage des Tages: Können Online-Händler das Verbraucher-Widerrufsrecht ausschließen?
Zusätzliches Widerrufsrecht bei kostenpflichtiger Verlängerung von kostenlosen Abo-Verträgen?
(09.11.2023, 13:58 Uhr)
Zusätzliches Widerrufsrecht bei kostenpflichtiger Verlängerung von kostenlosen Abo-Verträgen?
Verbraucher veräußert nach dem Widerruf die Kaufsache - und jetzt?
(15.09.2022, 14:46 Uhr)
Verbraucher veräußert nach dem Widerruf die Kaufsache - und jetzt?
BGH: Kein Fernabsatz mehr bei persönlichem Kontakt
(14.06.2018, 17:47 Uhr)
BGH: Kein Fernabsatz mehr bei persönlichem Kontakt
OLG Hamm: Bei Erotikspielzeug Ausschluss des Fernabsatzwiderrufsrechts möglich
(30.11.2016, 23:27 Uhr)
OLG Hamm: Bei Erotikspielzeug Ausschluss des Fernabsatzwiderrufsrechts möglich
Widerrufsrecht: Verbrauchereigenschaft, Ausschluss und Versandkosten – drei klassische Probleme in einem Urteil des AG Berlin-Köpenick
(27.05.2011, 09:51 Uhr)
Widerrufsrecht: Verbrauchereigenschaft, Ausschluss und Versandkosten – drei klassische Probleme in einem Urteil des AG Berlin-Köpenick
© 2004-2024 · IT-Recht Kanzlei