Fragen und Antworten zum Amazon-Vertriebsverbotsurteil des OLG Frankfurt a.M.
Viele bekannte Markenhersteller unterhalten sogenannte selektive Vertriebssysteme, in denen nur gewisse Händler für den Weiterverkauf zugelassen werden. Trotz der kartellrechtlichen Bedenklichkeit derartiger Handelsbindungen hat das OLG Frankfurt a.M. jüngst mit Urteil vom 22.11.2015 (Az. 11 U 84/14) einem Hersteller gestattet, Händler mit einer Amazon-Verkaufstätigkeit aus seinem Vertriebssystem auszuschließen, und so weite Teile des Online-Handels in Unruhe versetzt. Inwieweit dem Urteil aber tatsächlich die unterstellte Breitenwirkung zukommt und ob Online-Händler in Zukunft um eine deutliche Beschränkung ihrer wirtschaftlichen Handlungsfreiheit fürchten müssen, klärt die IT-Recht Kanzlei nebst anderen Gesichtspunkten mit den nachfolgenden Fragen und Antworten zur Entscheidung.
Inhaltsverzeichnis
- Das OLG Frankfurt erlaubt es Markenherstellern, Händlern den Verkauf über Marktplätze zu verbieten: Was bedeutet das Urteil, das noch nicht rechtskräftig ist?
- Das Kartellamt hat in derselben Frage zuletzt anders entschieden und den selektiven Vertrieb von Markenherstellern eher eingeschränkt. Was bedeutet das?
- Wie sollten sich Händler jetzt verhalten?
- Wie sollten sich Hersteller/Marken jetzt verhalten?
- Was ist notwendig, um die entstandene Unsicherheit zu beenden?
Hinweis: Eine detaillierte Urteilsbesprechung hält die IT-Recht Kanzlei unter https://www.it-recht-kanzlei.de/vertrieb-amazon-verkaufsverbot.html bereit.
Das OLG Frankfurt erlaubt es Markenherstellern, Händlern den Verkauf über Marktplätze zu verbieten: Was bedeutet das Urteil, das noch nicht rechtskräftig ist?
Das Urteil wurde in der Berufungsinstanz durch ein Oberlandesgericht gefällt, dessen Rechtsprechung keine allgemeingültige Verbindlichkeit zukommt. Abweichende Urteile anderer Gerichte in gleichgelegenen Fragen sind deshalb grundsätzlich möglich. Weder müssen Händler zurzeit um ein stets durchsetzbares Verbot von Verkaufsaktivitäten auf Amazon fürchten, noch dürfen sich umgekehrt Markenhersteller darauf verlassen, dass ihre Vertriebsbeschränkungen für bestimmte Plattformen generell zulässig sind.
Dies gilt erst recht, als das Urteil des OLG Frankfurt noch nicht rechtskräftig ist und mit dem Rechtsmittel der Revision zum Bundesgerichtshof angegriffen werden kann. Die Revision wurde gerade deshalb zugelassen, weil die Frage nach der kartellrechtlichen Zulässigkeit von Vertriebsverboten auf Online-Marktplätzen von besonderer Bedeutung ist und aus Gründen der Rechtssicherheit eine einheitliche Entscheidung des Bundesgerichtshofs als höchstem Gericht in Kartellsachen erfordert. Erst eine solche vermag nämlich, die Rechtsauslegung maßgeblich zu beeinflussen und andere Gerichte zum Folgeleisten anzuhalten.
Die Entscheidung des OLG Frankfurt ist dennoch beachtenswert, weil sich ihr eine deutliche richtungsweisende Tendenz entnehmen lässt, Vertriebsbeschränkungen gegenüber Händlern auf Amazon nicht als per se kartellrechtswidrig einzustufen. Nicht ausgeschlossen ist, dass sich weitere Gerichte dieser Auffassung bis zu einer abschließenden Klärung durch den Bundesgerichtshof anschließen werden und der selektive Ausschluss von einzelnen Marktplätzen aus Vertriebssystemen einen zahlenmäßigen Anstieg erfährt.
Das Kartellamt hat in derselben Frage zuletzt anders entschieden und den selektiven Vertrieb von Markenherstellern eher eingeschränkt. Was bedeutet das?
Grundsätzlich ist zwischen dem Kartellamt und den Gerichten streng zu unterscheiden, weil verschiedene Arten der Kartellrechtsdurchsetzung betroffen sind. Das Kartellamt verfolgt als Staatsbehörde auf eigene Initiative Kartelle und andere wettbewerbsbeschränkende Strukturen, um die Freiheit des Wettbewerbs und die Unverfälschtheit der Märkte zu gewährleisten. Dahingegen werden die Gerichte bei privaten Auseinandersetzungen (vor dem OLG Frankfurt bspw. „Deuter vs. Händler“) in Kartellrechtssachen angerufen und urteilen meist über Unterlassungsbegehren und Schadensersatzforderungen. Auffassungen und Bewertungen der Kartellämter sind für die Gerichte in Privatstreitigkeiten nicht bindend, können aber bei der Urteilsfindung mitberücksichtigt werden. Dass derzeit verschiedene Institutionen entgegengesetzte Meinungen vertreten, verdeutlicht nicht zuletzt den weiten Beurteilungsspielraum und die Brisanz der Problematik der Marktplatz-Vertriebsbeschränkungen im Internet.
Wie sollten sich Händler jetzt verhalten?
Keinesfalls sollten sich Händler von dem Urteil des OLG Frankfurt übermäßig einschüchtern lassen. Zum einen kommt diesem keinerlei Bindungswirkung zu, sodass abweichende Gerichtsentscheidungen durchaus möglich sind. Zum anderen wird vielen Herstellern der Vertrieb auf Amazon über ihre Händler weiterhin durchaus recht sein, weil damit eine großflächige Marktdurchdringung ihrer Produkte gewährleistet wird. Einer Fortsetzung der Verkaufstätigkeit auf Amazon steht daher in den meisten Fällen wohl nichts im Wege.
Allenfalls Händler, die entgegen vertraglicher Vereinbarungen mit dem Hersteller dessen Produkte auf Online-Marktplätzen vertreiben, sollten nun aufwachen. Hier ist in Ansehung des Urteils eine gesteigerte Gefahr von Unterlassungsklagen und Vertragsstrafenforderungen nicht auszuschließen.
So oder so gilt: eine fortwährende und besonnene Kommunikation mit den Herstellern vermag, Unsicherheiten auszuräumen und Konfliktsituationen ohne die Inanspruchnahme der Gerichte aufzulösen.
Wie sollten sich Hersteller/Marken jetzt verhalten?
Für Markenhersteller, denen der händlerbasierte Vertrieb ihrer Produkte über Amazon aus Imagegründen schon länger ein Dorn im Auge war, stellt die Entscheidung des OLG Frankfurt sicher einen – wenn auch kleinen – Etappensieg dar. Ob dadurch allerdings die gerichtliche Durchsetzbarkeit von Online-Vertriebsverboten spürbar wahrscheinlicher geworden ist, ist fraglich. Abweichende Urteile und vor allem eine anderslautende Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofs sind denkbar.
Nach wie vor sollten Hersteller vor der Einführung von selektiven Vertriebssystemen stets die damit einhergehenden Auswirkungen auf die Marktdurchdringung ihrer Produkte, das Markenimage und nicht zuletzt auch auf die Beziehung zu ihren Händlern gegeneinander abwägen.
Was ist notwendig, um die entstandene Unsicherheit zu beenden?
Für mehr Rechtssicherheit könnte im konkreten Fall zunächst eine abschließende Klärung der Marketplace-Verbotsproblematik durch den Bundesgerichtshof sorgen. Die Revision wurde wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage insofern zugelassen.
Zu beachten ist allerdings, dass gerade im Bereich des Kartellrechts die jeweiligen Umstände des Einzelfalls (Art des Produkts, Marktstärke des Herstellers, gegenläufige Händlerinteressen) stets den entscheidenden Ausschlag geben können.
Wünschenswert wäre deshalb eine fortschreitende einheitliche Positionierung der Gerichte in grundlegenden Fragen. Ist der Image-Schutz eigentlich ein zulässiges Ausschlusskriterium? Und wenn ja, besteht beim Vertrieb über einen bestimmten Online-Marktplatz überhaupt die Gefahr von Image-Schäden? Wann überwiegt das Interesse des Herstellers an Exklusivität das Bedürfnis der Händler, ihre Ware möglichst breitgestaffelt anzubieten?
Bis es soweit ist, dürften allerdings noch zahlreiche Einzelverfahren auf den deutschen Richterpulten landen.
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1 Kommentar
Was mich noch interessieren würde. Wie verhält es sich, wenn eine ausländische Firma den Händlern den Verkauf über Amazon verweigert und als Begründung anführt, dass ein anderer Händler die exklusiven Verkaufsrechte für den Kanal Amazon besitzt.
Ist dies zulässig?