Vertrauensarbeitszeit im Umfeld von IT-Projekten – was sollten Arbeitnehmer und Arbeitgeber beachten?
Im IT-Bereich sind lange Arbeitszeiten üblich. Das Projekt ist immer eilig, der Kunde ist König und wird natürlich auch am Wochenende unterstützt. Viele Arbeitgeber sind daher dazu übergegangen, in ihren Arbeitsverträgen keine festen Arbeitszeiten mehr zu normieren. Stattdessen gilt eine so genannte Vertrauensarbeitszeit. Sie basiert darauf, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitszeit selbständig einteilen darf, so lange er seinen Pflichten aus dem Arbeitsvertrag nachkommt. Und genau dort setzen die rechtlichen Probleme an:
- Wie viele Stunden die Woche muss der Arbeitnehmer denn tätig sein, wenn keine feste Stundenzahlt vereinbart ist?
- Darf der Arbeitnehmer drei Stunden Mittagspause machen, wenn er abends länger tätig ist?
- Darf der Arbeitnehmer, welcher am Wochenende gearbeitet hat ohne Vorankündigung am drauffolgenden Montag nicht oder erst spät erscheinen?
- Erhält der Arbeitnehmer die im Arbeitsvertrag genannte Vergütung egal ob er 30, 45 oder 60 Stunden die Woche arbeitet?
- Ist es überhaupt zumutbar, 60 Stunden die Woche zu arbeiten?
Diese Fragen werden im Folgenden beantwortet.
Wöchentliche Arbeitszeit, Pausen und Freizeitausgleich
Es gibt verschiedene Modelle der Vertrauensarbeitszeit. Zum Teil wird im Vertrag ein Arbeitszeitvolumen für einen bestimmten Zeitraum festgeschrieben. Zum Teil fehlt die Festlegung gänzlich. Es gilt dann die „übliche“ Arbeitszeit. Sie dürfte sich um 40 Stunden/h herum bewegen. In der Regel dürften sich auch betriebsübliche Zeiten eingespielt haben, in denen die Arbeitnehmer tätig sind.
Da es Kern der Vertrauensarbeitszeit ist, dass der Arbeitnehmer sich seine Arbeitszeit frei einteilen darf, sollte auch eine Pause von drei Stunden kein Problem sein, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeit schafft und das Zuviel an Pausenzeit hinten anhängt. Der Arbeitnehmer sollte aber zuvor sorgfältig prüfen, was in seinem Betrieb tatsächlich üblich ist. Es ist durchaus möglich, dass eine interne Anweisung besteht, die Mittagspause auf nur eine Stunde zu begrenzen. Der Arbeitnehmer, welcher dieses ignoriert, riskiert eine Abmahnung, der bei neuerlichem Verstoß gegen die gleiche Pausenregelung sogar eine Kündigung folgen kann. Letztlich bildet auch Vertrauensarbeitszeit häufig ein Korsett, in dem nicht vollständig nach Belieben verfahren werden kann.
Ähnlich verhält es sich im Hinblick auf etwaigen Freizeitausgleich für etwaige Mehrarbeit. Es mag ratsam sein, den direkten Vorgesetzten darüber zu informieren, wenn man gedenkt, an einem Tag nur wenig oder gar nicht zu arbeiten. Dieses gilt insbesondere dann, wenn eine Erreichbarkeit zu den üblichen Tageszeiten aufgrund besonderer Freizeitaktivitäten oder ärztlichen Untersuchungen nicht gewährleistet sein sollte.
Vertrauensarbeitszeit heißt zunächst, dass beide Seiten davon ausgehen, dass die jeweils andere Partei sich an die Vereinbarungen hält. Der Arbeitgeber geht davon aus, dass der Arbeitnehmer täglich zur Arbeit erscheint und in üblichem Umfang tätig ist und nur dann Freizeitausgleich nimmt, wenn er in der Vergangenheit mehr gearbeitet hat oder kurz vor einer besonders arbeitsintensiven Phase steht.
Der Arbeitnehmer dagegen geht davon aus, dass der Arbeitgeber seinen Einsatz sieht und entsprechend honoriert und etwaige Abwesenheiten des Arbeitnehmers nicht in Frage stellt. Letztlich ist es aber doch so: das Tagesgeschehen muss weitergehen und im laufenden Projekt müssen bestimmte Mitarbeiter taggleich erreichbar sein bzw. muss klar sein, wie es auch ohne den Freizeitausgleich suchenden Arbeitnehmer weitergehen kann. Dieses lässt sich nur gewährleisten, wenn es gewisse Absprachen gibt. Möglicherweise sogar nur mit Kollegen, auf die das Telefon umgeleitet wird. Längeres Verschwinden ohne Erklärung und ohne Erreichbarkeit ist für einen Arbeitnehmer jedoch auch dann nicht zu empfehlen wenn er Vertrauensarbeitszeit genießt. Das ist gewissermaßen gegen die Spielregeln und außerhalb des Vertrauensrahmens.
Auswirkungen von Mehrarbeit auf die Vergütung – besteht bei Vertrauensarbeitszeit ein Anspruch auf die Vergütung von Überstunden?
In der Realität ist es so, dass im Projektgeschäft meist wenig Zeit für Freizeitausgleich ist, so dass sich im Laufe der Zeit ein beträchtliches fiktives Überstundenkonto aufbaut. Es existiert natürlich nicht wirklich, denn es gibt kein Zeiterfassungssystem, keine fest vorgeschriebene Wochenarbeitszeit und kein festgeschriebenes Recht auf Überstundenabbau durch Freizeitausgleich. Trotzdem mag sich so mancher Arbeitnehmer fragen, ob die vereinbarte Vergütung tatsächlich angemessen ist. Im Vorstellungsgespräch war ihm die Vertrauensarbeitszeit positiv geschildert wurden. Es wurde erklärt, dass in der Regel 40 Stunden die Woche gearbeitet werden. Tatsächlich ist der Arbeitnehmer jedoch mindestens von Montag bis Freitag von 09.00 bis 19.00 Uhr anwesend. Pausen macht er kaum, manchmal wird es später. Der Arbeitnehmer fragt sich, ob seine Vergütung angemessen ist.
An dieser Stelle betreten wir eine rechtliche Grauzone. Nach der Rechtsprechung sind Überstunden dann zu vergüten, wenn die Erbringung der Arbeitsleistung den Umständen nach nur gegen eine gesonderte Vergütung erwartet werden darf. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer keine deutlich hervorgehobene Vergütung erhält. Als Maßstab für die hervorgehobene Vergütung setzt das Gericht die die Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung an (vgl. BAG vom 22.02.2012, 5 AZR 765/10; BAG vom 17.08.2011, 5 AZR 406/10). Sie beträgt in den alten Bundesländern derzeit € 71.400,00 im Jahr. Wer weniger verdient hat, erzielt keine deutlich herausgehobene Vergütung und es kann daher auch nicht erwartet werden, dass der Arbeitnehmer Überstunden ohne Vergütung oder Freizeitausgleich ableistet. Um die Überstundenvergütung zu ermitteln, ist sodann das übliche Entgelt für eine normale Arbeitsstunde zu ermitteln.
Bei der nicht festgelegten Vertrauensarbeitszeit ist das natürlich schwierig. Es gibt schon keine fest vereinbarte Stundenanzahl. Es gibt kein sicheres System der Zeiterfassung, es gibt keine Vereinbarung dazu, welchen Leistungsumfang die Vergütung tatsächlich abdeckt. Wie soll der betroffene Arbeitnehmer hier Überstunden geltend machen? Im Zweifel kann er sie nicht nachweisen, häufig dürften sie auch verfallen sein, denn die meisten Arbeitsverträge erhalten eine Ausschlussklausel, nach der Ansprüche nur drei Monate nach Fälligkeit geltend gemacht werden können. Fällig werden die Überstunden aber mit der Abrechnung des Monats, in dem sie erbracht wurden. In dem Zeitpunkt, in dem ein Arbeitnehmer tatsächlich über die Einforderung einer Überstundenvergütung nachdenkt – meist bei Ende des Arbeitsverhältnisses - dürfte daher in der Regel nur noch ein kleiner Betrag überhaupt zur Debatte stehen.
Darüber hinaus entsteht bei der Vertrauensarbeit ein weiterer rechtlicher problematischer Gesichtspunkt. Überstunden müssen – bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen - nur dann vergütet werden, wenn diese vom Arbeitgeber angeordnet bzw. gebilligt wurden oder zur Erledigung der Arbeit notwendig waren (vgl. BAG vom 16.05.2012, 5 AZR 347/11; siehe bereits BAG vom 17.04.2002, 5 AZR 644/00). Bei Vertrauensarbeitszeit ist die Notwendigkeit schon deshalb fraglich, weil ja die grundsätzliche Möglichkeit zur Reduktion der Arbeitszeit im Rahmen einer Art Freizeitausgleich bestand. Der Arbeitnehmer müsste also zusätzlich vortragen, warum ihm das nicht möglich war. Mindestens aber müsste er entsprechenden Behauptungen des Arbeitgebers, warum es sich hierbei nicht um vergütungspflichtige Anwesenheitszeiten gehandelt haben soll (vgl. Arbeitsgericht Berlin vom 02.11.2012, 28 Ca 13586/12) einiges entgegenhalten. Das dürfte in der Praxis kaum möglich sein. Damit ist das Prinzip der Vertrauensarbeitszeit auch eines, welche die Möglichkeit auf die Erzielung einer Überstundenvergütung für diejenigen, welche unterhalb der genannten Schwelle verdienen, deutlich erschwert. Oberhalb der Schwelle wird Mehrarbeit ohnehin ohne zusätzliche Vergütung erwartet.
Grenzen der Arbeitszeitgestaltung
Um es Vorweg zu nehmen: Regelmäßige Arbeitszeiten von 60 Stunden die Woche sind keinesfalls die Regel und lassen sich auch nicht mit dem Arbeitszeitgesetz (ArbZG) in Einklang bringen. Dieses schreibt für Arbeitnehmer, die keine leitenden Angestellten sind, folgendes vor:
- Pro Werktag (diese sind Montag bis Samstag) dürfen höchstens 10 Stunden täglich gearbeitet werden, § 3 ArbZG. Die Zeiten für Pausen werden hinzugerechnet. Pausen sind keine Arbeitszeit.
- Pro Woche dürfen im Durchschnitt nicht mehr als 48 Stunden gearbeitet werden. Dabei lässt das Arbeitszeitgesetz eine Betrachtung über einen Zeitraum von 6 Monaten zu. Das bedeutet, dass in einzelnen Wochen mehr als 48 Stunden gearbeitet werden kann, wobei wiederum die tägliche Grenze von 10 Stunden nicht überschritten werden darf und außerdem innerhalb von 6 Monaten im Durchschnitt 8 Stunden täglich nicht überschritten werden dürfen.
- Wenn am Tag mehr als 6 Stunden gearbeitet werden, ist eine Pause von mindestens 30 Minuten vorgeschrieben, bei mehr als 9 Stunden von 45 Minuten.
- Weiterhin ist zwischen zwei Arbeitseinsätzen eine zwingende Ruhezeit von ununterbrochenen 11 Stunden einzuhalten (§ 5 ArbZG).
- Es gilt ein grundsätzliches Beschäftigungsverbot an Sonn- und Feiertagen. Für Arbeitnehmer, die besonderen Schutz genießen, wie z.B. Jugendliche, sind zusätzlich besondere Schutzvorschriften anzuwenden.
Daneben muss der Arbeitgeber auch noch die gesetzlichen Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten einhalten. Sobald über die werktägliche Arbeitszeit von 8 Stunden hinaus gearbeitet wird, ist dieses je Arbeitnehmer aufzuzeichnen. Die Aufzeichnungen sind für zwei Jahre aufzubewahren (§ 16 Abs. 2 ArbZG). Aus ihnen muss auch hervorgehen, ob die Mehrarbeit wie vorgeschrieben ausgeglichen wurde und ob Ruhezeiten eingehalten werden konnten.
Interessant für die Praxis ist, dass der Arbeitgeber die Aufzeichnungen nicht persönlich und/oder zentralisiert durchführen muss. Es reicht, die Arbeitnehmer einzuweisen, sie zur Eigenaufschreibung anzuhalten und durch organisatorische Maßnahmen und Kontrollen sicherzustellen, dass die Arbeitnehmer den Anweisungen auch nachkommen. Die Vornahme der Einweisung, Anordnung und Kontrollen, ist zu dokumentieren.
Die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben ist durchaus im Interesse der Arbeitgeber. Neben der Tatsache, dass Arbeitnehmer, welche auch Zeit zur Regeneration finden, oft die leistungsfähigeren Mitarbeiter sind, normiert das ArbZG in § 16 erhebliche Bußgelder von bis zu 250.000,- € für Verstöße gegen die aus dem ArbZG resultierenden Verpflichtungen.
Zusammenfassung
Vertrauensarbeitszeit ohne jegliche Vorgaben indiziert Verstöße. Dieses mag damit anfangen, dass faktisch keine Überstunden vergütet werden, obwohl es für den Arbeitnehmer aus seinem Arbeitsvertrag nicht transparent ist, wie viele Stunden er tatsächlich tätig sein muss. Es mag so manchem Projektmitarbeiter und so manchem Arbeitgeber auch nicht klar sein, dass bei einem Arbeitsende erst um 22.00 Uhr die gesetzlich vorgeschriebene Ruhezeit nur einzuhalten ist, wenn der Arbeitsbeginn am Folgetag nicht vor 09.00 Uhr liegt.
Arbeitnehmer und Arbeitgeber sollte sich daher genau überlegen, welche Randbedingungen für die Vertrauensarbeitszeit in ihrem Unternehmen gelten sollen. Soweit gar nichts festgelegt ist, profitiert vordergründig zunächst der Arbeitgeber. Denn er spart ggf. Vergütung, muss keine Zeiterfassungssysteme etablieren und in diese investieren und wirkt modern. Entpuppen sich die Arbeitsbedingungen aber als zu hart, lassen sie dem Arbeitnehmer gar wenig Freizeit, so wird sich mancher fragen, ob er genug verdient und in Leistung und Motivation nachlassen. Insofern erscheint eine gewisse Transparenz im System als vorteilhaft für beide Parteien. Die tatsächliche Wochenarbeitszeit sollte daher ebenso festgelegt werden, wie etwaige Anwesenheits- und Mitteilungspflichten des Arbeitnehmers.
Auch ist das Erfordernis der Pflege der Arbeitszeitenaufzeichnungen ernst zu nehmen. In der Praxis häufen sich die Fälle, in denen Arbeitnehmer ihre Arbeitgeber wegen zu langer Arbeitszeiten anzeigen. Hier stellt sich dann für den Arbeitgeber die Frage, ob er einen solchen „Whistleblower“ kündigen darf. Aber das ist ein anderes Thema und dann wohl auch nicht seine einzige Sorge. Denn wer einmal Besuch von der Aufsichtsbehörde bekommt, muss sich auf weitere Besuche und Bußgeldforderungen einstellen.
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