Keine Vertragsstrafe für urheberrechtlich geschützte Kartenausschnitte im Wayback Machine-Archiv
Nach der Einstellung des Google Cache verlagern sich in Zukunft ggf. die Diskussion um Vertragsstrafen bei Unterlassungsverträgen auf das Archiv der Wayback Machine. In einem Beschluss vom 19. Februar 2024 (Az.: 3 U 229/23) hat sich das OLG Nürnberg dazu geäußert und festgestellt, dass das Vorhandensein urheberrechtlich geschützter Kartenausschnitte im Wayback Machine-Archiv keine Vertragsstrafe nach sich zieht.
1. Vertragsstrafe oder nicht?
Die Beklagte hatte unrechtmäßig Kartenausschnitte online genutzt und sich vertraglich zur Unterlassung verpflichtet. Die Klägerin entdeckte später, dass diese Inhalte weiterhin im Wayback Machine-Archiv verfügbar waren und auch in den Suchergebnissen von Bing Hinweise darauf zu finden waren.
Das Landgericht Nürnberg wies die Klage auf Unterlassung und Zahlung zweier Vertragsstrafen von jeweils 4.050,00 € am 19.10.2023 ab. Begründet wurde dies damit, dass keine erneute Verletzungshandlung durch die Beklagte vorliege.
Die Klägerin legte gegen dieses Urteil Berufung ein und argumentierte, dass die Beklagte gegen den Unterlassungsvertrag verstoßen habe, da sie nicht gegen die Speicherung im Internetarchiv vorgegangen und keine Löschanträge bei Suchmaschinen gestellt habe.
Kurz zur Erklärung: Die Wayback Machine ist ein digitales Archiv des World Wide Web, das von der gemeinnützigen Organisation Internet Archive betrieben wird. Das Archiv speichert Snapshots von Webseiten zu verschiedenen Zeitpunkten und ermöglicht es Nutzern, ältere Versionen von Webseiten aufzurufen und zu durchsuchen..
2. Wayback Machine-Archiv kein Verstoß gegen Unterlassungserklärung
Das OLG Nürnberg bestätigte, dass das Vorhandensein der Inhalte im Wayback Machine-Archiv keinen Verstoß gegen die abgegebene Unterlassungserklärung darstellt. Die Richter betonten, dass die Beklagte keine Kontrolle über die Bereithaltung der Kartenausschnitte in der Wayback Machine habe und diese somit nicht in ihrer Zugriffssphäre liegen. Sie stellten klar:
"Im Streitfall kann kein öffentliches Zugänglichmachen im Sinne von § 19a UrhG angenommen werden, da die Beklagte keine Kontrolle über die Bereithaltung der Kartenausschnitte im Internetarchiv ‚w…‘ ausübt und diese daher nicht in ihrer Zugriffssphäre befinden. Die Beklagte verschafft somit nicht Dritten bewusst Zugang zu den Kartenausschnitten."
3. Bing: Treffer kein Vertragsverstoß
Das Gericht entschied auch, dass Treffer in den organischen Suchergebnissen von Bing keinen Verstoß gegen die Unterlassungsvereinbarung darstellen. Die Klägerin konnte nicht ausreichend darlegen, dass die Kartenausschnitte tatsächlich öffentlich wiedergegeben wurden. Die Richter erklärten:
"Soweit die Klägerin einen Verstoß gegen den Unterwerfungsvertrag schließlich darauf stützt, dass bei der Eingabe bestimmter Begriffe in Suchmaschinen ein Link zu der Datei mit dem streitgegenständlichen Kartenausschnitt auf der Homepage der Beklagten an erster Stelle der Ergebnisliste erschienen sei, kann dies aus den nachfolgenden beiden Gründen der Berufung nicht zum Erfolg verhelfen…. a) Zum einen fehlt es beim Vortrag im Zusammenhang mit den Suchmaschinen an der Darlegung des Zugänglichmachens der Kartenausschnitte, also der Wiedergabe, selbst. Auf den vorgelegten Screenshots mit den Ergebnislisten der Suchmaschinen ist lediglich ein Link zu einem PDF-Dokument auf der von der Beklagten betriebenen Homepage ersichtlich. Die Werke sind in der Ergebnisliste weder als Vorschaubilder (…) noch sonst erkennbar….
b) Zum anderen fehlt es – wegen der Übertragbarkeit der im Zusammenhang mit der Eingabe der genauen URL gemachten Überlegungen zur Öffentlichkeit der Zugänglichmachung (vgl. dazu die obigen Ausführungen unter Ziffer 1.) auf die im vorliegenden Fall notwendige Eingabe bestimmter Begriffe in Suchmaschinen – an der Darlegung einer öffentlichen Wiedergabe. Aufgrund der vorliegend maßgeblichen Einzelfallumstände ist in der konkreten Situation nicht damit zu rechnen, dass eine entsprechend große Personengruppe die Kartenausschnitte suchen und auffinden könnte."
Übrigens: Bereits im letzten Jahr hatte sich das LG Karlsruhe in einer vergleichbaren Konstellation aus dem Wettbewerbsrecht ähnlich geäußert.
Das LG Karlsruhe entschied, dass die bloße Tatsache, dass Inhalte in der Wayback Machine archiviert sind, nicht als Verstoß gegen eine Unterlassungserklärung gewertet werden kann. Das Gericht stellte fest, dass die Beklagte keine Kontrolle über die Archivierung durch die Wayback Machine hat und daher nicht für das Vorhandensein dieser Inhalte verantwortlich gemacht werden kann. Dies bedeutet, dass eine Vertragsstrafe nicht verhängt werden kann, wenn die Inhalte ohne Zutun der Beklagten in der Wayback Machine gespeichert wurden.
Das Gericht argumentierte, dass die Beklagte keine aktive Rolle bei der Bereithaltung der Inhalte in der Wayback Machine spielt und daher keine Pflicht zur Beseitigung dieser Inhalte besteht. Die Archivierung erfolgt automatisch durch die Wayback Machine und liegt außerhalb der direkten Kontrolle der Beklagten.
Siehe hierzu unseren Beitrag.
Fazit: Google Cache ist tot – lang lebe die Wayback Machine
Die Entscheidung des OLG Nürnberg markiert einen weiteren Schritt in der rechtlichen Auseinandersetzung mit der Frage der Archivierung von Inhalten durch die Wayback Machine und Unterlassungserklärungen, insbesondere vor dem Hintergrund der Einstellung des Google Caches. Es ist zu erwarten, dass ähnliche Streitigkeiten vermehrt auf Bing und die Wayback Machine zukommen werden.
Tipp: Sie haben Fragen zu dem Beitrag? Diskutieren Sie hierzu gerne mit uns in der Unternehmergruppe der IT-Recht Kanzlei auf Facebook .
Link kopieren
Als PDF exportieren
Per E-Mail verschicken
Zum Facebook-Account der Kanzlei
Zum Instagram-Account der Kanzlei
0 Kommentare