BGH-Urteil zu Versandapotheken: Versandhandel mit Defekturarzneimitteln grundsätzlich zulässig
Ein Apotheker, der die Erlaubnis zum Versandhandel mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln erhalten hat, darf grundsätzlich auch mit Defekturarzneimitteln aus eigener Herstellung Versandhandel betreiben. Eine Zulassung dieser Arzneimittel nach § 21 Abs. 1 AMG ist nach Auffassung des BGH in diesem Falle nicht notwendig; vielmehr sind Defekturarzneimittel auch im Versandhandel von der Ausnahmeregelung des § 21 Abs. 2 AMG erfasst (vgl. BGH, Urt. v. 14.04.2011, Az. I ZR 129/09).
Nach den §§ 13 Abs. 2 Nr. 1, 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG ist es Apothekern grundsätzlich erlaubt, innerhalb bestimmter Grenzen ohne besondere arzneimittelrechtliche Zulassung Arzneimittel selbst herzustellen und zu vertreiben (Defekturarzneimittel: bis zu hundert abgabefertige Packungen an einem Tag, im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs hergestellt, zur Abgabe im Rahmen der bestehenden Apothekenbetriebserlaubnis bestimmt). Nach aktueller Ansicht des BGH darf ein Apotheker, dem die Erlaubnis zum Versandhandel mit Arzneimitteln erteilt wurde, im Rahmen dieser Erlaubnis auch Defekturarzneimittel abgeben (vgl. BGH, Urt. v. 14.04.2011, Az. I ZR 129/09; mit zahlreichen weiteren Nachweisen):
„Nach § 13 Abs. 2 Nr. 1 AMG benötigt der Inhaber einer Apotheke unter anderem für die Herstellung von Arzneimitteln im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs keine Herstellungserlaubnis. Der Begriff des üblichen Apothekenbetriebs ist dabei auf die einer Apotheke nach den arzneimittelrechtlichen und apothekenrechtlichen Bestimmungen zugewiesenen Aufgaben bezogen. Er umfasst deshalb seit dem Jahr 2004 beim Vorliegen einer Versandhandelserlaubnis auch den Arzneimittelversand […]. Da aber die Regelung in § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AMG nicht zuletzt deshalb praktische Bedeutung hat, weil der Apotheker die danach ohne Zulassung zu vertreibenden Defekturarzneimittel, die er nicht von anderen Apotheken beziehen kann […], gemäß § 13 Abs. 2 Nr. 1 AMG im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs auch ohne gesonderte Herstellungserlaubnis herstellen darf, kann schwerlich angenommen werden, dass der Begriff des üblichen Apothekenbetriebs in den beiden Vorschriften unterschiedlich auszulegen ist […].“
Eine unkontrollierte Ausbreitung nicht zugelassener Medikamente sei dadurch nach Ansicht des BGH nicht zu befürchten, da das geltende Arzneimittelrecht über ausreichend Schutzmechanismen gegen solchen Wildwuchs verfügt:
„Dem Bedürfnis, einer unkontrollierten Verbreitung behördlich nicht geprüfter Fertigarzneimittel entgegenzuwirken, trägt die in § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG getroffene Regelung insbesondere dadurch Rechnung, dass die Befreiung von der Zulassungspflicht allein für Arzneimittel gilt, die zur Abgabe im Rahmen der bestehenden Apothekenbetriebserlaubnis bestimmt sind. Die Betriebserlaubnis für eine Apotheke lässt die Abgabe eines Arzneimittels regel-mäßig lediglich an die Endverbraucher zu, die es bei ihr nachfragen; nur wenn eine Gesamtbetriebserlaubnis besteht, ist die Abgabe auch an Kunden der an-deren Apotheken zulässig, die von dieser Erlaubnis umfasst sind. Damit wird bereits auf diesem Weg das Ziel erreicht, eine unüberschaubare und deshalb unerwünschte Streuung von zulassungsfrei in Verkehr gebrachten Defekturarzneimitteln zu verhindern […].“
Ebenso vermochten die Richter keine drohende Gefahr durch die mögliche Umgehung der allgemeinen Zulassungspflicht von Medikamenten erkennen:
„Der Gefahr einer Aushöhlung der Zulassungspflicht gemäß § 21 Abs. 1 AMG durch Defekturarzneimittel, die ebenfalls als Argument dafür angeführt wird, dass Defekturarzneimittel auch im Falle einer Versandhandelserlaubnis nur im regional begrenzten Versorgungsbereich der Apotheke versendet werden dürfen, wird […] zum einen durch die in § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG bestimmte Mengenbeschränkung entgegengewirkt […]. Zum anderen ist in diesem Zusammenhang insbesondere das […] im Jahr 1990 gerade zu diesem Zweck in § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG zusätzlich aufgenommene Erfordernis zu berücksichtigen, dass bei einer Defektur die wesentlichen Herstellungsschritte in der Apotheke vorgenommen werden müssen […].“
Des Weiteren, so der Senat, ist es auch weder notwendig noch im Gesetz vorgesehen, den Handel mit Arzneimitteln für Apotheker räumlich/örtlich zu beschränken:
„[Es] ergeben sich weder aus dem Arzneimittelgesetz noch aus dem Apothekengesetz oder der Apothekenbetriebsordnung Anhaltspunkte dafür, nach welchen Gesichtspunkten der regional begrenzte übliche Versorgungs- und Einzugsbereich einer Apotheke zu bestimmen sein könnte. Der Gesetzgeber hat jedoch in denjenigen Fällen, in denen er eine räumliche Beschränkung des Wirkungskreises von Apothekern […] für notwendig erachtet hat, in dieser Hinsicht ausdrückliche und hinreichend klar formulierte Regelungen getroffen […]. Gebietskörperschaftliche Grenzziehungen, wie sie im Apothekengesetz in den beiden genannten Fällen enthalten sind oder waren, sind zudem für die Bestimmung der Grenzen des üblichen Apothekenbetriebs ungeeignet. […].
Eine räumliche Begrenzung des Versands von Defekturarzneimitteln ist zudem ebenso wenig wie bei Rezepturarzneimitteln […] zur Qualitätssicherung erforderlich. Das Gesetz sieht es als selbstverständlich an, dass die Qualität eines Arzneimittels durch seine Versendung keine Einbuße erleiden darf, und ordnet, um dies sicherzustellen, an, dass allein diejenigen Apotheken Arzneimittel versenden dürfen, die das in § 11a Satz 1 Nr. 2 ApoG und § 17 Abs. 2 ApBetrO vorgesehene Qualitätssicherungssystem vorhalten […].“
Es ist offiziell: Apotheker mit Versandhandelserlaubnis dürfen auch ihre Defekturarzneimittel im Wege des Fernabsatzes vertreiben. Durch die Begrenzung der Herstellungsmengen ist gerade keine Gefahr einer Umgehung der Zulassungspflichten zu befürchten, und auch sonst ist nicht einzusehen, warum ein Medikament, das ja völlig legal vor Ort abgegeben werden darf, nicht auch versandt werden darf. Vielmehr können Apotheker, die Defekturarzneimittel herstellen, diese nun mit einer gewissen Rechtssicherheit einem größeren Kundenkreis zugänglich machen.
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