Bundesarbeitsgericht zur Zulässigkeit verdeckter Videoüberwachung

Bundesarbeitsgericht zur Zulässigkeit verdeckter Videoüberwachung
von Dr. Sebastian Kraska
05.10.2012 | Lesezeit: 9 min

In seinem Urteil vom 21.6.2012 (Az.: 2 AZR 153/11) hatte jüngst das Bundesarbeitsgericht (BAG) zur Zulässigkeit verdeckter Videoüberwachungsmaßnahmen Stellung genommen und entschieden, dass die heimliche Videoüberwachung eines Arbeitnehmers erlaubt ist, wenn der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers besteht, weniger einschneidende Mittel zur Aufklärung des Verdachts ergebnislos ausgeschöpft sind, die verdeckte Videoüberwachung damit praktisch das einzig verbleibende Mittel darstellt und sie insgesamt nicht unverhältnismäßig ist. Das Urteil der Vorinstanz LAG Köln wurde aufgehoben und zur neuen Verhandlung und Entscheidung an dieses zurückverwiesen.

Beitrag von Herrn Rechtsanwalt Benjamin Schuetze, LL.M. (Wellington)

Einleitung

In dem Verfahren, welches über die Vorinstanzen Arbeitsgericht Köln (Az.: 8 Ca 722/09) und Landesarbeitsgericht Köln (Az.: 6 Sa 817/10 ) zum BAG gelangte, stritten die Parteien um die Wirksamkeit einer Kündigung. Die Klägerin war bei der Beklagten, einem bundesweit tätigen Einzelhandelsunternehmen, seit 1990 als Verkäuferin (zuletzt stellvertretende Filialleiterin) beschäftigt. Mit Zustimmung des Betriebsrats installierte ein Überwachungsunternehmen in einem Zeitraum von 22 Tagen im Dezember 2008 verdeckte Videokameras in den Verkaufsräumen der Filiale.

Im Januar 2009 sichtete die Arbeitgeberin auf diese Weise gewonnenes und von dem Überwachungsunternehmen aufbereitetes Filmmaterial im Beisein eines Betriebsratsmitglieds. Auf den Aufzeichnungen war u.a. erkennbar wie die Klägerin nach Geschäftsschluss Zigaretten aus den im Kassenbereich belegenen Zigarettenregalen entwendete, womit die Klägerin anschließend auch konfrontiert wurde. Nach der Anhörung des Betriebsrats und mit dessen Zustimmung kündigte die Arbeitgeberin der Klägerin fristlos, hilfsweise fristgerecht zum nächsten zulässigen Kündigungstermin. Dagegen wendete sich die Klägerin mit ihrer Klage vor dem Arbeitsgericht Köln, in der sie bestritt Zigaretten entwendet zu haben. Außerdem sei der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört worden, da ihm das Videomaterial nicht vollständig sondern nur ein Zusammenschnitt übergeben wurde. Darüber hinaus sei die heimliche Videoüberwachung ein Verstoß gegen ihr informationelles Selbstbestimmungsrecht aus welchem ein Beweisverwertungsverbot resultiere.

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Die Entscheidungsgründe

Das grundgesetzlich gewährleistete, auch im Privatrechtsverkehr und insbesondere im Beschäftigungsverhältnis zu beachtende allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers –hier Recht am eigenen Bild – wird nicht schrankenlos gewährt. Durch die Wahrnehmung überwiegend schutzwürdiger Interessen des Arbeitgebers können Eingriffe gerechtfertigt sein. Bei der Kollision des allgemeinen Persönlichkeitsrechts mit dem schutzwürdigen Interesse des Arbeitgebers ist durch Güterabwägung im Einzelfall zu ermitteln, welchem Rechtsgut Vorrang eingeräumt werden muss.

Die heimliche Videoüberwachung eines Arbeitnehmers ist danach zulässig, wenn der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers besteht (a), weniger einschneidende Mittel zur Aufklärung des Verdachts ergebnislos ausgeschöpft sind, die verdeckte Videoüberwachung damit praktisch das einzig verbleibende Mittel darstellt (b) und sie insgesamt nicht unverhältnismäßig ist (c). Weiterhin muss der Verdacht gegen einen zumindest räumlich und funktional abgrenzbaren Kreis von Arbeitnehmern bestehen und darf sich nicht auf eine allgemeine Mutmaßung beschränken, es könnten Straftaten begangen werden. Eine bereits konkrete Verdachtslage, die sich gegen einzelne, bestimmte Arbeitnehmer richtet ist freilich nicht notwendig, allerdings bezieht sich das Ausschöpfen weniger einschneidender Mittel hier auch auf die weitere Einschränkung des Kreises der Verdächtigen.

Die Beklagte hatte hier – unter Beweisantritt – vorgetragen, in der Filiale der Klägerin hätten erhebliche Inventurverluste (ca. 7.600,00 Euro mtl.) bestanden. Diese konnten im Rahmen „üblicher Maßnahmen“ zur Reduzierung von Inventurdifferenzen nicht beseitigt werden. Als weniger einschneidende Mittel sei zunächst die Anzahl der Inventuren sowie der Früh- und Spätkontrollen erhöht worden sowie der Umfang der Warenabschreibungen verstärkt kontrolliert worden. Dabei seien insbesondere die Verluste bei Tabakwaren aufgefallen und da hier eine Abschreibung wegen Überschreiten des Mindesthaltbarkeitsdatums nicht erfolge, hätte der Verdacht bestanden, dass Mitarbeiterdiebstähle für die Inventurverluste verantwortlich waren. Zudem trug die Beklagte vor, die verdeckte Videoüberwachung sei nur auf sensible Bereiche, insbesondere die „Kassenzone mit den Zigarettenschütten“ beschränkt gewesen.

Im vorliegenden Fall wurde der Sachverhalt nicht gänzlich ausermittelt. Die Vorinstanz hatte nicht festgestellt, dass und in welcher Höhe die von der Beklagten vorgetragenen Inventurdifferenzen – die von der Klägerin bestritten wurden – tatsächlich vorgelegen haben. Soweit ausgeführt werde es habe der Verdacht bestanden, dass „Mitarbeiterdiebstähle erheblichen Einfluss auf die Inventurdifferenzen“ gehabt hätten, sei nicht festgestellt worden auf welche Tatsachen sich dieser Verdacht begründe und welcher zumindest eingrenzbare Mitarbeiterkreis hiervon betroffen sei, obwohl die Klägerin bestritten hatte, dass es überhaupt zu Inventurdifferenzen gekommen war. Hier ist weitere Sachaufklärung durch das LAG Köln notwendig.

Das BAG führt weiter aus, dass die Zustimmung des Betriebsrates zu der Überwachungsmaßnahme die Feststellung der den Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Klägerin rechtfertigenden Gründe nicht ersetzen kann, weil die Betriebsparteien von einer Rechtfertigung ausgingen. Rechtfertigungsgründe müssen vielmehr auch tatsächlich bestanden haben. Zur Ansicht der Klägerin, der Betriebsrat sei nicht ordnungsgemäß angehört worden führte das BAG aus, dass bei der Beweiswürdigung berücksichtigt wurde, dass es sich bei den Videoaufnahmen, welche dem Betriebsrat vorgelegt wurden, lediglich um Ausschnitte aus dem Gesamtmaterial handelte, deren Beweiswert – insbesondere weil die Bilder mit Orts- und Datumsangaben gekennzeichnet waren – nicht beeinträchtigt war, die Beweiswürdigung durch das LAG Köln damit nicht rechtfehlerhaft war. Das LAG Köln hatte keinen Verstoß gegen § 102 Abs. 1 BetrVG erblicken können und festgestellt, die Beklagte hat unwidersprochen vorgetragen, dass sie selbst nicht im Besitz der vollständigen Videoüberwachung ist, sondern das für die Maßnahme beauftragte Unternehmen. Mag dies in der vorliegenden Entscheidung auch dahingestellt bleiben, dürfte die Beklagte mit diesem Einwand nicht gehört werden. Wenn sie sich dazu entscheidet, die Überwachungsmaßnahme im Wege der Auftragsdatenverarbeitung oder Funktionsübertragung – letzteres dürfte vorliegend der Fall sein – extern zu vergeben, hat sie auch für das Verhalten des externen Dienstleisters einzustehen.

Ferner ergebe sich auch aus dem Gebot des § 6b Abs. 2 BDSG kein Beweisverwertungsverbot. Danach ist „der Umstand der Beobachtung und die verantwortliche Stelle durch geeignete Maßnahmen erkennbar zu machen“. Teilweise wird argumentiert, daraus folge, dass eine verdeckte Videoüberwachung in öffentlich zugänglichen Räumen ausnahmslos unzulässig sei. Dem schließt sich das BAG nicht an, sondern hält verdeckte Videoüberwachung dort für zulässig, wo sie das einzige Mittel zur „Überführung von Arbeitnehmer ist, die der Begehung von Straftaten konkret verdächtig sind“ und führt weiter aus, dass sich weder aus Normsystematik noch den Gesetzesmaterialen ergebe, die Kennzeichnung der Überwachungsanlage sei materielle Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Maßnahme. Deshalb ergebe sich daraus auch kein Beweisverwertungsverbot.

Fazit

Als Ergebnis des Urteils lässt sich zweierlei festhalten:

Arbeitsrecht

Einem Mitarbeiter, der aus dem Warenbestand des Arbeitgebers Zigarettenpackungen entnimmt (im vorliegenden Fall zu zwei nachgewiesenen Gelegenheiten), kann auch nach längerer Betriebszugehörigkeit wegen dieses Fehlverhaltens gekündigt werden. Ein solches Verhalten kann – nach Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls – sogar einen wichtigen Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB darstellen. Die durch das BAG im sog. „Fall Emmely“ (BAG, Urteil vom 10.6.2010 - 2 AZR 541/09) eingezogene Bagatellgrenze, die in der Folgezeit zu einer gewissen Unsicherheit auf Seiten der Arbeitgeber führte, ist vorliegend nicht berührt. In dem Fall welcher bundesweites Aufsehen erregte, ging es um die Frage ob ein Arbeitgeber einer bei ihm seit 31 Jahren ohne rechtliche relevante Störungen beschäftigten Kassiererin fristlos kündigen kann, weil diese ihr nicht gehörende Pfandbons (Gesamtwert 1,30 Euro) einlöste. Allerdings hatte im vorliegenden Fall die Vorinstanz LAG Köln die außerordentliche Kündigung für unzulässig gehalten und geurteilt, bei der Interessenabwägung fielen eine 18-jährige, beanstandungsfreie Tätigkeit und ein relativ geringer, wirtschaftlicher Schaden zu Gunsten der Klägerin ins Gewicht, sodass der Beklagten die Beendigung des Arbeitsverhältnisses unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist noch zuzumuten sei.

Beschäftigtendatenschutz

Führte eine verdeckte Videoüberwachung zur Aufdeckung des Fehlverhaltens, kann das so gewonnene Beweismaterial in einem arbeitsgerichtlichen Prozess nicht ohne weiteres verwertet werden. Das Verwertungsinteresse des Arbeitgebers überwiegt das informationellen Selbstbestimmungsrechts des Arbeitnehmers nur dann, wenn die Art der Informationsbeschaffung trotz der mit ihr verbundenen Persönlichkeitsbeeinträchtigung als schutzbedürftig zu qualifizieren ist. Dies ist bei verdeckter Videoüberwachung nur dann der Fall, wenn der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers bestand, es keine Möglichkeit zur Aufklärung durch weniger einschneidende Maßnahmen (mehr) gab und die Videoüberwachung insgesamt nicht unverhältnismäßig war. Obwohl das BAG die Prüfung einer Verletzung des informationellen Selbstbestimmungsrecht der Klägerin und ein daraus ggf. resultierendes Beweisverwertungsverbot gar nicht an § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG ausgerichtet hat, weil diese Regelung zum Zeitpunkt der Videoaufnahmen (2008) noch nicht in Kraft getreten war, lassen sich die in der Entscheidung aufgestellten Grundsätze auf die Tatbestandsmerkmale des § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG übertragen. Dafür spricht auch, dass die Neuregelung laut ihrer Gesetzesbegründung keinen neuen Beschäftigtendatenschutz kodifizieren sollte, sondern lediglich den bisher von der Rechtsprechung erarbeiteten Grundsätzen eine gesetzliche Form verleihen sollte.

So ist die endgültige Entscheidung hier auf Einzelfallebene zu treffen und es obliegt dem LAG Köln, an welches der Rechtsstreit zurückverwiesen wurde, den Fall unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalles zu entscheiden. Hier bleibt Raum für Interpretation, was vor allem in der Frage mündet, ob wirklich alle – weniger einschneidenden – Mittel zur Aufklärung ausgeschöpft wurden. Ansatzpunkt könnte zum Beispiel die Frage sein, warum die verdeckte Videoüberwachung nicht auf die Zigarettenschütten beschränkt war, sondern den gesamten Kassenbereich mit erfasste. Bei der verdeckten Überwachung des Kassenbereiches ist nämlich zu bedenken, dass das Kassenpersonal der Videoüberwachung für die gesamte Dauer der Maßnahme ausgesetzt war, ohne dass bisher geklärt werden konnte, ob dies entweder aus baulichen Gründe nicht anders oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich war oder inwieweit das Kassengeschehen selbst die vermuteten Zigarettendiebstähle beeinflusste.

Für die Praxis ist ein weiterer Aspekt von Bedeutung. Unternehmen, die den Einsatz verdeckter Videoüberwachung als ultima ratio planen, werden durch die vorliegende Entscheidung auf ihre besonderen Transparenz- und Dokumentationspflichten hingewiesen. So muss nicht nur jeder konkrete Tatverdacht mit dem bisher ermittelten Schaden, Kreis der Verdächtigen und bisher gesammelten Indizien aktenkundig gemacht werden, das Unternehmen muss auch die bisher eingesetzten milderen Mittel zur Aufklärung dokumentieren. Darüber hinaus sind, neben der frühzeitigen Einbindung des Betriebsrats, nach Aufklärung des Sachverhaltes auch die Beschäftigten, welche ebenfalls verdeckt videoüberwacht wurden, über die Ermittlungsmaßnahmen im Nachhinein zu informieren.

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