Zusätzliches Widerrufsrecht bei kostenpflichtiger Verlängerung von kostenlosen Abo-Verträgen?

Zusätzliches Widerrufsrecht bei kostenpflichtiger Verlängerung von kostenlosen Abo-Verträgen?
09.11.2023 | Lesezeit: 6 min

Der Online-Vertrieb von digitalen Inhalten erfolgt in der Regel auf Grundlage von Abo-Verträgen, bei denen nach einer kurzen kostenlosen Testphase der Vertrag automatisch in ein kostenpflichtiges Abo mit einer bestimmten Laufzeit überführt wird. Werden solche Abo-Verträge im Fernabsatz abgeschlossen, steht Verbrauchern ein Widerrufsrecht zu. Nun hat der EuGH darüber entschieden, ob Verbraucher nicht nur beim Abschluss des kostenlosen Abo-Vertrags, sondern auch bei der kostenpflichtigen Verlängerung des Abos ein Widerrufsrecht haben. Wir stellen die Widerrufsbestimmungen und die EuGH-Entscheidung in diesem Beitrag vor.

I. Widerrufsrecht bei Dienstleistungen und Verträgen über digitale Inhalte

Das Verbraucher-Widerrufsrecht bei Fernabsatzverträgen nach § 312g Abs. 1 BGB ist nicht auf Kaufverträge über physische Waren beschränkt, sondern besteht auch beim Abschluss von Verträgen über Dienstleistungen oder über die Lieferung von nicht auf einem körperlichen Datenträger (=DVD, etc..) befindlichen digitalen Inhalten im Wege des Fernabsatzes.

Die Widerrufsfrist beträgt bei solchen Verträgen 14 Tage und beginnt bereits mit dem Vertragsschluss (§ 355 Abs. 2 BGB, § 356 Abs. 2 Nr. 2 BGB) . Allerdings beginnt die Widerrufsfrist unabhängig hiervon nicht zu laufen, bevor der Unternehmer den Verbraucher entsprechend den zwingenden gesetzlichen Anforderungen u.a. über

  • die Bedingungen,
  • die Frist und
  • das Verfahren für die Ausübung des Widerrufsrechts

unterrichtet hat (§ 356 Abs. 3 BGB) . Das Widerrufsrecht erlischt dann aber spätestens zwölf (12) Monate und 14 Tage nach dem Vertragsschluss.

Bei Verträgen über die Erbringung von Dienstleistungen und über die Lieferung bzw. Bereitstellung von nicht auf einem körperlichen Datenträger befindlichen digitalen Inhalten kann das Verbraucher-Widerrufsrecht zudem unter bestimmten gesetzlichen Voraussetzungen zudem auch vorzeitig zum Erlöschen gebracht werden (§ 356 Abs. 4 BGB, § 356 Abs. 5 BGB) .

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II. Abo-Verträge im digitalen Bereich

Verträge über die Lieferung bzw. Bereitstellung von nicht auf körperlichen Datenträgern befindlichen digitalen Inhalten können ihrer Art nach sein:

  • Kaufverträge, z.B. wenn eine App gegen Zahlung einer einmaligen Vergütung per Download dauerhaft zur Verfügung gestellt wird, und
  • Verträge sonstiger Art über die Bereitstellung digitaler Leistungen, z.B. in Form von Zugang zu digitalen Inhalten in einem geschützten Nutzerbereich für die Dauer des Vertragszeitraums, beispielsweise zur direkten Nutzung auf der Plattform des Anbieters und / oder per Streaming, nicht gegen Zahlung einer einmaligen Vergütung, sondern ihm Rahmen von Abonnements gegen Zahlung von regelmäßigen Entgelten, z.B. monatlich.

Auch solche Abonnement-Verträge über die Bereitstellung von digitalen Inhalten unterliegen dem EU-Verbraucher-Widerrufsrecht, wenn sie im Rahmen des Fernabsatzes abgeschlossen werden.

Nicht selten werden Abo-Verträge über digitale Inhalte zu Marketingzwecken zunächst für einen bestimmten Zeitraum, z.B. für 30 Tage, in einer kostenlosen Testphase angeboten, bevor dann ein kostenpflichtiges Abonnement beginnt.

III. EuGH-Urteil: Nur ein Widerrufsrecht bei Abo-Verträgen

1. Der Sachverhalt zum EuGH-Fall

In einem jüngeren Fall des EuGH (Urteil vom 5. Oktober 2023, Az. C‑565/22) betreibt ein Unternehmen Internet-Lernplattformen für Schüler der Primar- und Sekundarstufe und bietet seine Leistungen auch gegenüber Verbrauchern an.

Die AGB des Unternehmens sehen vor, dass bei der erstmaligen Buchung eines Abonnements auf der Online-Plattform dieses 30 Tage lang ab Vertragsschluss kostenlos getestet und während dieser Zeit jederzeit fristlos gekündigt werden kann. Weiter sehen die AGB auch vor, dass

  • das Abo nach Ablauf der 30 Tage kostenpflichtig wird und
  • die bereits bei Abschluss vereinbarte bezahlte Abonnementfrist zu laufen beginnt, wenn innerhalb der genannten 30 Tage keine Kündigung erfolgt.

Für den Fall, dass der kostenpflichtige Abonnementzeitraum abläuft, ohne dass eine Vertragsparteien gekündigt hat, regeln die AGB, dass sich das Abo automatisch um einen bestimmten Zeitraum verlängert.

Bei Vertragsschluss im Fernabsatz informiert der Betreiber der Online-Plattform die Verbraucher über das den Verbrauchern aus diesem Grund zustehende gesetzliche Widerrufsrecht.

Der Verein für Konsumenteninformation (VKI) ist der Ansicht, Verbrauchern stünde bei den beschriebenen Verträgen nicht nur ein gesetzliches Widerrufsrecht aufgrund des Abschlusses des kostenlosen Test-Abos zu, sondern auch wegen bzw. bei automatischer Fortsetzung bzw. Verlängerung des kostenlosen Abos in ein kostenpflichtiges Abo. Hierbei handele es sich um einen neuen Vertragsschluss im Fernabsatz, der auch ein weiteres gesetzliches Widerrufsrecht auslöse. Letztlich kam es zu einem Gerichtsverfahren und zur Vorlage der unionsrechtlichen Rechtsfrage im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens vor den EuGH.

2. EuGH: Grundsätzlich nur ein Widerrufsrecht

Der EuGH hat entschieden, dass ein Verbraucher bei einem im Fernabsatz abgeschlossenes Abo-Vertrag, der zunächst unentgeltlich ist, sich dann aber automatisch kostenpflichtig verlängert, grundsätzlich nur einmal ein Recht zusteht, den Vertrag zu widerrufen.

Nach der Begründung des EuGH sei das Ziel des Widerrufsrechts bereits dann erreicht, wenn der Verbraucher vor Abschluss des Abo-Vertrags über eine klare, verständliche und ausdrückliche Information über den Preis der vertragsgegenständlichen Leistungen verfügt, der entweder

  • ab dem Zeitpunkt des Vertragsabschlusses oder
  • ab einem späteren Zeitpunkt, wie z. B. ab der Fortsetzung in einen entgeltlichen Vertrag oder ab Verlängerung des Abo-Vertrags um einen bestimmten Zeitpunkt zu zahlen ist.

Abgesehen von dieser Fortsetzung bzw. Verlängerung des Abo-Vertrags würden sich dessen Vertragsbedingungen, die dem Verbraucher bekannt seien, nicht verändern. Somit sei kein weiteres Widerrufsrecht zu rechtfertigen.

Mit anderen Worten: Wenn bereits bei Abschluss des Abos deutlich ersichtlich war, dass das Abo bei Nicht-Kündigung kostenpflichtig wird und zu welchen Konditionen, bedarf es keines erneuten Widerrufsrechts für Verbraucher.

3. Ausnahme bei unzureichender Information über die Gesamtkosten

Etwas anderes gilt aus Sicht des EuGH allerdings dann, wenn:

  • die Vertragsbedingungen sich derart ändern, dass es sich genau genommen um einen anderen Vertrag als denjenigen handelt, den der Verbraucher zunächst abgeschlossen hat, oder
  • der Verbraucher (von Anfang an) nicht hinreichend über die Gesamtkosten des betreffenden Abos informiert worden ist.

Ist der Verbraucher bei Abschluss eines kostenlosen Test-Abos nicht klar, verständlich und ausdrücklich darüber informiert worden, dass das Abo nach einem kostenlosen Anfangszeitraum kostenpflichtig wird, steht dem Verbraucher laut EuGH ein zusätzliches Widerrufsrecht zu.

Hinweis: Verstöße gegen das gesetzliche Widerrufsrecht und die Pflichten zur Belehrung über dieses führen immer wieder zu Abmahnungen, die bei Kenntnis der Sachlage vermieden werden können. Buchen Sie gerne noch heute eines unserer Schutzpakete, wenn Sie zu:

  • den Pflichten im Zusammenhang mit dem gesetzlichen Widerrufsrecht von Verbrauchern, einschließlich der Informations- und Belehrungspflichten,
  • den Möglichkeiten zur Ausgestaltung der Vorgaben des Widerrufsrechts möglichst zu Gunsten von Händlern und
  • etwaigen Gesetzesänderungen

stets aktuell informiert sein möchten. Sprechen Sie uns natürlich gerne auch persönlich an, wenn Sie hierzu Fragen haben.

IV. Das Wichtigste in Kürze

  • Verbrauchern steht auch bei Abschluss von Abo-Verträgen, die nach einer kostenlosen Testphase ab einem bestimmten Zeitpunkt kostenpflichtig werden, grundsätzlich nur ein Widerrufsrecht zu.
  • Die automatische Verlängerung der kostenlosen Test-Phase in ein kostenpflichtiges Abo mit einer bestimmten Laufzeit führt also nicht zu einem weiteren Widerrufsrecht.
  • Allerdings kann doch eine zusätzliche Widerrufsmöglichkeit bestehen, wenn der Unternehmer bei Abschluss eines Abo-Vertrags nicht klar, verständlich und ausdrücklich über das Widerrufsrecht informiert hat, insbesondere hinsichtlich der Gesamtkosten des Abos oder sich mit der (vermeintlichen) Abo-Verlängerung die Vertragsbedingungen grundlegend verändern.

Tipp: Sie haben Fragen zu dem Beitrag? Diskutieren Sie hierzu gerne mit uns in der Unternehmergruppe der IT-Recht Kanzlei auf Facebook .


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