Vergaberecht: Urkundenfälschung, wenn Vergabeakte durch rückdatierte Schriftstücke ergänzt wird?
Das Oberlandesgericht Thüringen (Beschluss vom 23.06.2009; Az.:1 Ws 222/09) hatte im Rahmen einer Strafsache zu entscheiden, ob die nachträgliche Einfügung von rückdatierten Schriftstücken in eine Vergabeakte als Urkundenfälschung zu werten ist. Ferner stellte das Gericht in seiner Entscheidung klar, ab welchem Zeitpunkt im Falle einer Vergabeakte von einer Urkunde ausgegangen werden kann, bzw. ob und unter welchen Voraussetzungen eine Vergabeakte eine sog. Gesamturkunde darstellt. Zuletzt ging das Gericht der Frage nach, ob die Änderung der Vergabeakte als Falschbeurkundung im Amt im Sinne des § 348 StGB zu werten ist.
Inhaltsverzeichnis
I. Sachverhalt
Im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung für eine Abfallbeseitigungsanlage hatte der für die Führung der Vergabeakte verantwortliche Mitarbeiter der Vergabestelle am 12.03.2003 einige rückdatierte Schriftstücke in die Vergabeakte aufgenommen. Ein zweiter Mitarbeiter hatte die nachträglich aufgenommenen Schriftstücke vorbereitet und den zur Führung der Vergabeakte Verantwortlichen veranlasst, diese Dokumente in die Vergabeakte aufzunehmen. Am 14.03.2003 wurde durch einen unterlegenen Bieter bei der Vergabeprüfstelle ein Nachprüfungsantrag gestellt. Die Staatsanwaltschaft Erfurt erhob in der Folge Anklage gegen die zwei Mitarbeiter der Vergabestelle wegen des Vorwurfs der Urkundenfälschung gemäß § 267 StGB und Anstiftung zur Urkundenfälschung. Das Landgericht Meiningen lehnte eine Eröffnung des Hauptverfahrens mit dem Argument ab, dass eine strafbare Urkundenfälschung nicht vorliege. Über die daraufhin erfolgte sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft hatte das OLG Thüringen zu entscheiden.
II. Die Entscheidung des OLG Thüringen
Das OLG Thüringen bestätigte die Entscheidung des Landgerichts Meiningen und verneinte das Vorliegen einer Urkundenfälschung. Schulmäßig begründete das Gericht seine Entscheidung wie folgt:
Hinweis:
Eine Urkunde im Sinne des Strafrechts ist eine verkörperte, menschliche Gedankenerklärung, die zum Beweis eines Rechtsverhältnisses geeignet und bestimmt ist und seinen Aussteller erkennen lässt.
1. Unechte Urkunden wurden nicht hergestellt
Die Rückdatierung oder inhaltliche Unrichtigkeit der Schriftstücke ist nicht strafbar, da insofern nur eine schriftliche Lüge vorliegt, die nicht unter den Tatbestand der Urkundenfälschung nach § 267 StGB fällt. § 267 StGB schützt nicht den Glauben an die inhaltliche Richtigkeit einer Urkunde, sondern nur den Glauben an die Echtheit der Urkunde, mithin also den Glauben daran, dass die Erklärungen in der Urkunde vom erkennbaren Aussteller stammen. Der aktenführungsverantwortliche Angeklagte wollte jedoch gerade als Urheber der Urkunden erscheinen, insofern lag keine Herstellung einer unechten Urkunde vor.
2. Kein Verfälschen einer echten Urkunde
Das Gericht sieht in der nachträglichen Einfügung von rückdatierten auch keine Verfälschung einer echten Urkunde. Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass eine Verfälschung einer Urkunde nur dann vorliege, wenn die Urkunde nach der Vorstellung des Ausstellers fertiggestellt sei und der Aussteller seine Verfügungsbefugnis über die Urkunde verloren habe. Weiter erbringe eine Urkunde Beweis nach außen nur bezogen auf den Zeitpunkt, zu dem die Urkunde nach außen gegeben werde. Gerade weil nach der Vorstellung des Ausstellers noch keine fertige Urkunde vorlag, verneinten die Richter eine Verfälschung einer Urkunde. Bei einer Vergabeakte handle es sich um eine Sammlung mehrerer Vorgänge, die nicht von vornherein abgeschlossen sein müsse und dies zumeist auch nicht sei. Das Gericht bemüht einen Vergleich mit einer polizeilichen Ermittlungsakte, bei der ebenfalls eine Stoffsammlung stattfinde, die erst in der Folge geordnet und abgelegt werde, jedenfalls, so die Richter, sei die Vergabeakte nicht von vornherein abgeschlossen und werde in der Folge nur noch chronologisch ergänzt. Nach dem maßgeblichen Willen des die Vergabeakte Führenden liege daher auch noch keine abgeschlossene Vergabeakte und somit keine Urkunde vor.
Das Gericht argumentiert weiter, dass die aktenführende Stelle die Vergabeakte ergänzen und vervollständigen könne, wenn keine gesetzlichen Vorschriften entgegenstünden. Ein Verstoß stelle aber keine Urkundenfälschung dar, sondern betreffe wieder die inhaltliche Richtigkeit der Vergabeakte. Schlussendlich wurde die Vergabeakte erst in dem Zeitpunkt zu einer Urkunde mit Beweiswert nach außen, als diese bei der Vergabekammer vorgelegt wurde.
3. Kein Vorliegen einer Gesamturkunde
Das Gericht lehnte ferner in Bezug auf die Vergabeakte das Vorliegen einer Gesamturkunde ab.
Hinweis:
Eine Gesamturkunde im Sinne des Strafrechts ist eine auf Rechtssatz, Geschäftsgebrauch oder Vereinbarung beruhende feste und dauerhafte Zusammenfassung mehrerer Einzelurkunden zu einem übergeordnetem Ganzen, das einen über die Einzelurkunden hinausgehenden Gedankeninhalt auch in negativer Hinsicht beweisen kann (BGHSt 4, 60, 61).
Das OLG Thüringen führte aus, es sei schon zweifelhaft, ob der Vergabeakte ein Erklärungsinhalt zukomme, der über den Inhalt der Einzelstücke hinausgehe, dies sei nur subjektiv aus Sicht der Vergabebehörde zu bejahen.
Ferner fehle der Vergabeakte die für eine Qualifikation als Gesamturkunde notwendige feste und dauerhafte Verbindung der Einzelstücke. Eine Klärung, wie die Zusammenfassung auszusehen habe, sei bisher noch nicht abschließend gerichtlich erfolgt, in allen bisherigen Fällen aber sei Gegenstand einer Gesamturkunde ein gebundenes Buch oder zumindest eine ähnliche Form. Das Gericht stellte allerdings Grundsätze auf, unter welchen Voraussetzungen von einer Gesamturkunde auszugehen ist. Zum Einen solle dies der Fall sein, wenn die einzelnen Urkunden körperlich fest miteinander verbunden seien (wobei es einer gerichtlichen Überprüfung im Einzelfall bedürfe, ob dieses Merkmal vorliege oder nicht), zum Anderen müsse die Vergabeakte eine strenge Chronologie aufweisen. Dies sei zum Beispiel dann der Fall, wenn sie durchgängig nummeriert sei. Die streitgegenständliche Vergabeakte erfülle nach Ansicht der Richter keine dieser Voraussetzungen und sei somit auch nicht als Gesamturkunde anzusehen.
4. Auch keine Falschbeurkundung im Amt nach § 348 StGB
Das Gericht entschied des Weiteren, dass die nachträglichen Einfügung von rückdatierten Schriftstücken in die Vergabeakte den Tatbestand der Falschbeurkundung im Amt nach § 348 StGB ebenfalls nicht erfülle, da die Vergabeakte und ihre Bestandteile keine öffentliche Urkunde im Sinne des § 348 StGB darstelle. Sie diene nicht als Beweis für und gegen jedermann über das konkrete Verfahren. Ferner gebe es keine Festlegung, dass die Vergabeakte bestimmte Inhalte enthalten müsse. Das Gericht führt hierzu folgendes aus:
„Die Vergabeakte als Ganzes und ebenso ihre Bestandteile sind zwar dazu gedacht, im Verhältnis zu Außenstehenden, namentlich den Bietern, Beweis über den Ablauf des Verfahrens und seine Ordnungsmäßigkeit zu erbringen. Sie soll Transparenz schaffen. Sie dient als Grundlage für die Sachverhaltsermittlung der Vergabekammer (…). Sie soll auch über den Verfahrensgang, den richtigen zeitlichen Ablauf und die Zeitnähe einer schriftlichen Niederlegung zu dem beschriebenen Vorgang Beweis erbringen können. Für die Würdigung eines Vermerks ist es wesentlich, ob er am Tage des Ereignisses, am Tag danach oder erst drei Monate oder Jahre später niedergelegt worden ist. Es muss nachprüfbar sein, ob die Niederlegung des Vermerks mit einer frischen Erinnerung erfolgte oder nicht. Dies ist notwendig, um das Verfahren nach §§ 97 ff. GWB überhaupt zu sichern. Gerade das Nachprüfungsverfahren nach §§ 102 ff. GWB, für das die Vergabeakten bestimmt sind, dient der Durchsetzung der subjektiven Rechte der Unternehmen i.S. des § 97 Abs. 2 GWB (…). Dabei handelt es sich nicht um verwaltungsinterne Vorgänge ohne Außenwirkung, die schlichte amtliche Urkunden wären (…). Gerade die hier vorliegende Akte ist auch ersichtlich aufbereitet worden, strukturiert und mit einleitenden Vermerken versehen worden, um für einen Dritten, der die Akten nicht selbst geführt hat und auch nicht etwa als Vorgesetzter laufend mit dem Verfahren befasst war, rasch eine Nachvollziehbarkeit des Vorgangs zu schaffen. Doch genügt diese Qualität der Vergabeakte nicht, um sie zu einem geeigneten Objekt einer Falschbeurkundung im Amt zu machen, da vorausgesetzt wird, dass ihre Beweiswirkung über das gegenständliche Verfahren hinausreicht.“
III. Fazit
Das OLG Thüringen hat in seiner Entscheidung klargestellt, dass die nachträgliche Einfügung von rückdatierten Schriftstücken in die Vergabeakte grundsätzlich keine Urkundenfälschung darstellt. Von einer Verallgemeinerung dieses Beschlusses sollte jedoch abgesehen werden, da es durchaus vorkommen könnte, dass eine Behörde eine Vergabeakte als echte Gesamturkunde gemäß der zwei vom OLG Thüringen aufgestellten Kriterien führt.
Diese Kriterien lauten wie folgt:
- Feste körperliche Verbindung der einzelnen Urkunden oder
- Aufweisen einer strengen Chronologie, z.B. bei durchgängiger Nummerierung der einzelnen Vergabeaktsblätter.
In diesen Fällen würde eine nachträgliche Manipulation den Tatbestand der Urkundenfälschung erfüllen.
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