Orientierungshilfe der EU-Kommission: Haftung des Verbrauchers bei unsachgemäßer Behandlung der Widerrufsware

Orientierungshilfe der EU-Kommission: Haftung des Verbrauchers bei unsachgemäßer Behandlung der Widerrufsware
25.06.2014 | Lesezeit: 9 min

Die Rücksendung von schadhafter oder gebrauchter Ware im Widerrufsfall war eine der großen Ärgernisse und Streitpunkte des alten Widerrufsrechts. Auch wohlmeinende Onlinehändler sahen sich mit Fällen offensichtlichen Missbrauchs des Widerrufsrechts (z.B. bei getragenen Kleidungsstücken ) konfrontiert. Die neue Verbraucherschutzrichtlinie 2011/83, die durch Umsetzung in nationales Gesetz in den meisten EU-Mitgliedsstaaten ab dem 13.6.2014 gilt, versucht hier durch Präzisierung der Pflichten des Verbrauchers Abhilfe zu schaffen.

Die vor kurzem in englischer Sprache veröffentlichte Orientierungshilfe der EU-Kommission für den innergemeinschaftlichen Onlinehandel ist ein wertvolles Referenzdokument für die Auslegung der Richtlinie. Allerdings gibt diese Orientierungshilfe keine verbindliche Auslegung von EU-Recht. Erst recht will sie keine rechtlich verbindliche Empfehlung für die Auslegung von nationalen Rechtsfragen geben. Die deutsche Rechtspraxis kann daher von dieser Orientierungshilfe abweichen.

Im Folgenden sollen die Aussagen der Orientierungshilfe zur Haftung des Verbrauchers bei unsachgemäßer Behandlung der Widerrufsware vorgestellt werden. Diese Darstellung beschränkt sich auf den für den deutschen Onlinehändler relevanten Bereich des Fernabsatzes. Begrifflichkeiten werden der deutschen Fassung der Verbraucherschutzrichtlinie entnommen.

1. Einschlägige Bestimmungen und Erwägungsgründe der Richtlinie

14 Abs. 2 Richtlinie

(2) Der Verbraucher haftet für einen etwaigen Wertverlust der Waren nur, wenn dieser Wertverlust auf einen zur Prüfung der Beschaffenheit, Eigenschaften und Funktionsweise der Waren nicht notwendigen Umgang mit den Waren zurückzuführen ist. Der Verbraucher haftet in keinem Fall für den Wertverlust der Waren, wenn er vom Unternehmer nicht gemäß Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe h über sein Widerrufsrecht belehrt wurde.

Erwägungsgrund 47

Manche Verbraucher üben ihr Widerrufsrecht aus, nachdem sie die Waren in einem größeren Maß genutzt haben, als zur Feststellung ihrer Beschaffenheit, ihrer Eigenschaften und ihrer Funktionsweise nötig gewesen wäre. In diesem Fall sollte der Verbraucher das Widerrufsrecht nicht verlieren, sollte aber für einen etwaigen Wertverlust der Waren haften. Wenn er Beschaffenheit, Eigenschaften und Funktionsweise der Waren feststellen will, sollte der Verbraucher mit ihnen nur so umgehen und sie nur so in Augenschein nehmen, wie er das in einem Geschäft tun dürfte. So sollte der Verbraucher beispielsweise ein Kleidungsstück nur anprobieren, nicht jedoch tragen dürfen.

Der Verbraucher sollte die Waren daher während der Widerrufsfrist mit der gebührenden Sorgfalt behandeln und in Augenschein nehmen. Die Verpflichtungen des Verbrauchers im Falle des Widerrufs sollten den Verbraucher nicht davon abhalten, sein Widerrufsrecht auszuüben.

Artikel 14 Abs. 2 führt eine wichtige Einschränkung der Haftung des Verbrauchers ein. Er haftet nur, wenn er über sein Widerrufsrecht belehrt wurde. Hier zeigt sich die Wichtigkeit einer ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrung.

Wie in Erwägungsgrund 47 ausgeführt, kann der Verbraucher sein Widerrufsrecht ausüben unabhängig von der Frage der sachgemäßen Behandlung der Widerrufsware.

Art. 14 Abs. 2 macht den Verbraucher haftbar für einen „etwaigen Wertverlust der Waren …, wenn dieser Wertverlust auf einen zur Prüfung der Beschaffenheit, Eigenschaften und Funktionsweise der Waren nicht notwendigen Umgang mit den Waren zurückzuführen ist“.

Im Erwägungsgrund 47 wird zu der Pflicht des Verbrauchers ausgeführt:

"Wenn er Beschaffenheit, Eigenschaften und Funktionsweise der Waren feststellen will, sollte der Verbraucher mit ihnen nur so umgehen und sie nur so in Augenschein nehmen, wie er das in einem Geschäft tun dürfte. Der Verbraucher sollte die Waren daher während der Widerrufsfrist mit der gebührenden Sorgfalt behandeln und in Augenschein nehmen“.

Der Erwägungsgrund 47 nennt für den Widerrufsfall ausdrücklich das Beispiel, dass Kleidungsstücke zwar anprobiert aber nicht getragen werden dürfen.

Die Wertminderung der Ware kann insbesondere in den Reinigungs- und Reparaturkosten der Ware bestehen und, wenn die Ware nicht mehr als Neuware verkauft werden kann, in dem objektiv messbaren Einkommensverlust des Händlers, wenn er die Ware als Gebrauchtware verkaufen muss.

Ob die Prüfung der Ware über das hinausgeht geht, was zur „Feststellung ihrer Beschaffenheit, ihrer Eigenschaften und ihrer Funktionsweise nötig gewesen wäre“ kann im Streitfall nur von Fall zu Fall entschieden werden. Der Vergleich mit dem, was ein Verbraucher normalerweise in einem Ladengeschäft tun darf, ist dabei ein wertvoller Anhaltspunkt. Die Orientierungshilfe gibt hier folgende Beispielsfälle

  • Vor dem Kauf von Audi/Video und Aufnahmegeräten kann der Verbraucher normalerweise in einem Ladengeschäft die Bild- und Tonqualität testen.
  • Beim Anprobieren von Kleidungstücken in einem Ladengeschäft werden die Etiketten des Herstellers nicht entfernt.
  • Der Verbraucher kann normalerweise in einem Ladengeschäft Hausgehaltsgeräte wie Küchengeräte nicht in ihren verschiedenen Funktionen ausprobieren. Eine solche Nutzung würde unausweichlich Gebrauchsspuren hinterlassen.
  • Dem Verbraucher würde es nicht gestattet, Software auf einen Computer aufzuspielen. Daher können angemessene Kosten der Rücksetzung des Gerätes bei der Wertminderung berücksichtigt werden.

- Before purchasing audio/video and recording equipment, the consumer would normally be able to test the image or sound quality;
- Trying on a garment in a shop would not involve the removal of the manufacturer's tags;
- The consumer would not normally be able to practically test household appliances, such as kitchen appliances, the actual use of which unavoidably leaves traces;
- Also, the consumer would not be able to carry out software configuration of a computer; hence reasonable costs for any resetting of such equipment would also constitute diminished value.

Es sollte bedacht werden, dass die „Feststellung der Funktionsweise“ in diesem Zusammenhang etwas anderes ist als der Nachweis einer völligen Schadensfreiheit. Sollte sich beim Gebrauch der Ware herausstellen, dass die Ware schadhaft ist, so ist der Verbraucher durch die Gewährleistungsansprüche gem. der EU-Verbrauchsgüterkaufrichtlinie (1999/44/EG) geschützt.

Grundsätzlich sollte der Verbraucher die Verpackung der Ware öffnen können, um die Ware wie im Ladengeschäft unverpackt in Augenschein nehmen zu können. Schäden an der Verpackung können daher keine Haftungsansprüche gegen den Verbraucher auslösen. Allerdings sollten Schutzfolien nur entfernt werden, soweit das zur Feststellen der Beschaffenheit unbedingt erforderlich ist.

It should be kept in mind that 'establishing the functioning' in this context is different from verifying that the good is fault-free in every respect. If it turns out to be faulty in the course of its subsequent use, the consumer is protected by legislation on sales and guarantees (Directive 1999/44/EC). In principle, the consumer should be able to open the packaging to access the good if similar goods are normally displayed in shops in unpacked condition. Hence the damage caused to the packaging by merely opening it cannot give rise to the compensation obligation. However, any protective films applied on the item should only be removed where strictly necessary to test it.

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2. Nationale Beweislastregeln zu Lasten des Verbrauchers in der Frage der zweckdienlichen Ausübung des Widerrufsrechts nur unter Berücksichtigung der einschlägigen EU-Richtlinien

Der EUGH hat auf der Grundlage der alten Rechtslage in einer Vorabentscheidung hinsichtlich eines Entscheidungsersuchens des Amtsgerichts Lohr vom 3.9.2009 (C-489/07) ausgeführt, dass „die (damalige) nationale (deutsche) Regelung, (die) dem Verbraucher die Beweislast dafür auferlegte, dass er die Ware während der Widerrufsfrist nicht in einer Weise benutzt hat, die über das hinausgeht, was zur zweckdienlichen Ausübung seines Widerrufsrechts erforderlich ist… . die Wirksamkeit und die Effektivität des Rechts auf Widerruf beeinträchtigt“ (Randnummer 27).

3. Durchsetzung der Haftungsansprüche des Händlers gegen den Verbraucher wegen unsachgemäßer Behandlung der Widerrufsware nach jeweiligem nationalem Recht

Die Richtlinie verbietet zwar dem Händler, die Erstattung des Kaufpreises solange zu verweigern, bis seine Haftungsansprüche gegen den Verbraucher geregelt sind. Die Richtlinie regelt aber nicht die Frage, wie denn die Durchsetzung der Haftungsansprüche gegen den Verbraucher erfolgen soll. Insbesondere wird nicht die Frage geregelt, ob der Händler das Recht hat, einseitig die Wertminderungskosten beim Widerruf zu Lasten des Verbrauchers von dem Erstattungsbetrag (Kaufpreis) abzuziehen. Diese Frage wird gem. Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie durch jeweiliges nationales Recht der EU-Mitgliedsstaaten geregelt.

The Directive does not regulate the enforcement of the consumer's liability for the diminished value, in particular whether this liability merely implies the right of the trader to bring legal proceedings against the consumer or his right to unilaterally charge the consumer for the damage or to reduce the amount of the reimbursement due to the consumer in order to compensate the purported diminished value.
These issues are accordingly subject to general contract and procedural laws of Member States, as per Article 3(5). For example, Member States may allow traders to reduce the amount of money refunded for goods returned in order to cover their diminished value due to mishandling during the right of withdrawal period.

4. Gefahrtragung bei Rücksendung der Ware an die Adresse des Händlers im Fall der Ausübung des Widerrufsrechts

Die Richtlinie regelt nicht die Frage, wer und ab welchem Zeitpunkt bei Rücksendung der Ware an den Händler im Widerrufsfall das Risiko für einen Verlust oder eine Beschädigung der Ware trägt. Diese Frage ist nicht mit der Frage des Versands der Ware an den Verbraucher zu verwechseln. Art. 20, Richtlinie behandelt zwar die Frage des Risikoübergangs bei Versand der Ware durch den Händler an die Adresse des Verbrauchers. Hier ist aber der umgekehrte Fall zu entscheiden: Rücksendung der Ware durch den Verbraucher an die Adresse des Händlers. Diese Frage richtet sich nach jeweiligem nationalem Recht des EU-Mitgliedsstaates.

The Directive does not regulate who bears the risk for accidental damages or loss in the context of the return of goods when the consumer exercises the right of withdrawal from the contract. Therefore, also this matter is subject to national laws, which can, for example, provide that the risk during the return of the goods lies with the consumer after the risk has passed to him upon delivery in accordance with Article 20.

Anmerkung:

Gemäß § 355 Abs. 3 Satz 4 BGB n.F. trägt nach deutschem Recht der Händler bei Widerruf die Gefahr der Rücksendung der Ware.

§ 355 Abs. 3 BGB n.F.

(3) Im Falle des Widerrufs sind die empfangenen Leistungen unverzüglich zurückzugewähren. Bestimmt das Gesetz eine Höchstfrist für die Rückgewähr, so beginnt diese für den Unternehmer mit dem Zugang und für den Verbraucher mit der Abgabe der Widerrufserklärung. Ein Verbraucher wahrt diese Frist durch die rechtzeitige Absendung der Waren. Der Unternehmer trägt bei Widerruf die Gefahr der Rücksendung der Waren.

Grundsätzlich soll der Verbraucher bei der Rücksendung der Ware in angemessener Weise dafür Sorge tragen, dass die Ware den Händler erreicht und nicht beim Transport beschädigt wird, z.B. durch Beauftragung eines anerkannten Transportunternehmens oder Postdienstleisters.

Wenn der Verbraucher im Rahmen des Widerrufs nie Besitz an der Ware übernommen hat, z.B. wenn der Verbraucher die Annahme der Ware verweigert und diese Verweigerung mit einer Widerrufserklärung verbindet, trägt der Händler weiterhin das Risiko des Verlustes oder der Beschädigung der Ware, da ein Gefahrübergang i.S.d. Art. 20, Richtlinie voraussetzt, dass der Verbraucher die Ware in Besitz genommen hat.

In principle, when returning the goods, the consumer should take reasonable care to ensure that they reach the trader and are not damaged in transit, for example, by choosing an established transport or postal service provider.

Where the consumer has never taken physical possession of the good, e.g. by refusing to take delivery, which could be either without any explicit statement or accompanied by information to the trader about his will to withdraw from the contract, the trader would continue bearing the risk of loss or damage since no transfer of risk to the consumer will have taken place according to Article 20.

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1 Kommentar

C
Caroline Streck 11.05.2018, 22:08 Uhr
Rückgabe beschädigter Ware
Sehr geehrte Damen und Herren,
eine Kundin hat heute ein Puzzle zurückgeschickt, bei dem die Schachtel eingerissen ist. Dies war bei Versand definitiv nicht der Fall. Die Puzzle-Teile an sich sind unbeschädigt, aber mit der eingerissenen Schachtel kann ich es nicht mehr zum eigentlichen Preis verkaufen. 
Wie kann ich damit umgehen? 
Mit freundlichen Grüßen Caroline Streck 

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