Textiletikett im Fokus: Wie lassen sich PVC-Textilfasern korrekt kennzeichnen?
Tipp: Weiterführende Informationen finden Sie hier: "Leitfaden zur Textilkennzeichnungsverordnung: Abmahnsicher Textilien verkaufen"
Die EU-Textilkennzeichnungsverordnung verpflichtet Industrie und Handel unter anderem dazu, den Verbraucher über die Faserzusammensetzung der angebotenen Textilerzeugnisse zu informieren. Bei der Umsetzung dieser Pflicht sorgt die EU-Textilkennzeichnungsverordnung mit ihren technischen Begriffen jedoch so manches Mal für Unsicherheiten, wie welche Faser korrekt zu bezeichnen ist. Insbesondere die Bezeichnung von PVC-Fasern führt immer wieder zu zahlreichen Fragezeichnen. Im Folgenden erfahren Sie daher, wie Sie PVC-Fasern der EU-Textilkennzeichnungsverordnung entsprechend korrekt kennzeichnen.
A. Sinn und Zweck der Textilkennzeichnungspflicht
Sinn und Zweck der Textilkennzeichnungspflicht ist, dass sich der Verbraucher anhand der gemachten Angaben zu der Faserzusammensetzung (z. B. „100 % Filz“) ein Bild über die Qualität und Verwendbarkeit der jeweils angebotenen Textilerzeugnisse machen kann.
Jeder Verbraucher soll EU-weit auf den ersten Blick erkennen und verstehen können, aus welchen Fasern sich T-Shirt, Hose oder Kleid zusammensetzt.
Um dieses Ziel zu erreichen, vereinheitlicht die EU-Textilkennzeichnungsverordnung die Bezeichnungen von Textilfasern und die Angaben auf Etiketten, Kennzeichnungen und Unterlagen, die Textilerzeugnisse auf verschiedenen Herstellungs-, Verarbeitungs- und Vertriebsstufen begleiten.
B. Grundsätzlich: Abmahngefahr bei Verwendung von nicht in der Textilkennzeichnungsverordnung genannten Bezeichnungen
Eine europaweit einheitliche Kennzeichnung ist nur dann zu erreichen, wenn Handel und Industrie auch europaweit die gleichen Begriffe für die Kennzeichnung der Zusammensetzung der Textilerzeugnisse nutzen. Art. 5 Abs. 1 Textilkennzeichnungsverordnung schreibt dementsprechend vor, dass für die Kennzeichnung ausschließlich nur die in der Textilkennzeichnungsverordnung genannten Begriffe genutzt werden. Konkret regelt dort Anhang I zur Textilkennzeichnungsverordnung, welche Bezeichnungen für welche Fasern verwendet werden dürfen.
Das bedeutet: Begriffe, die nicht in Anhang I zur Textilkennzeichnungsverordnung genannt werden, dürfen nach der deutlichen Regelung in Art. 5 Abs. 1 Textilkennzeichnungsverordnung auch nicht für die Kennzeichnung genutzt werden. Dementsprechend sind auch Kurz- oder Fantasienamen nicht zulässig.
Wie penibel genau Händler und Hersteller bei der Einhaltung dieser Pflicht vorgehen sollten, verdeutlicht ein aktuelles Urteil vom OLG München (Urteil vom 20.10.2016, 6 U 2046/16). Die Münchener Richter stellten fest, dass die Verwendung der Textilfaserkennzeichnung „Acryl“ gegen die Kennzeichnungspflicht aus der Textilkennzeichnungsverordnung verstößt und abgemahnt werden kann. Denn: Anhang I Nr. 26 zur Textilkennzeichnungsverordnung (in der berichtigten Fassung) schreibt vor, dass für derartige Fasern die Bezeichnung „Polyacryl“ verwendet werden muss. Der Begriff „Acryl“ wird in Anhang I hingegen nicht genannt. Dieser Verstoß war nach Auffassung des OLG München auch geeignet, eine spürbare Beeinträchtigung für die Interessen der Verbraucher i. S. v. § 3a Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) hervorzurufen. Konkret heißt es dazu in den Entscheidungsgründen:
„In diesem Zusammenhang ist nämlich zu berücksichtigen, dass der Verbraucher nicht ohne Weiteres Kenntnis darüber hat, was sich hinter dem von der Antragsgegnerin verwendeten Begriff „Acryl“ verbirgt und dieser Begriff im Textilbereich möglicherweise als Synonym zu „Polyacryl“ benutzt wird. Es ist durchaus denkbar, dass er aufgrund der fehlenden Verwendung des Präfixes „Poly-“ (mit der Bedeutung „viel“, „mehr“ oder „verschieden“) davon ausgeht, dass „Acryl“ eine andere Faserart (mit für den Verbraucher im Einzelfall aus seiner Sicht ggf. günstigeren oder auch ungünstigeren Eigenschaften) beschreibt als „Polyacryl“. Zu Recht verweist das Landgericht außerdem auf den Umstand, dass Anhang I in Nr. 29 auch die Faserbezeichnung „Modacryl“ aufführt, so dass für den Verbraucher die zusätzliche Unsicherheit entstehen kann, ob der Begriff „Acryl“ nicht auch für „Modacryl“ steht.“
C. Und was ist mit PVC?
Unsicherheit herrscht in diesem Zusammenhang bei vielen Herstellern und Händlern, die Textilerzeugnisse aus Polyvinylchlorid anbieten. Denn: Im Anhang I zur Textilkennzeichnungsverordnung findet sich die Bezeichnung Polyvinylchlorid nicht. Anhang I Nr. 27 zur Textilkennzeichnungsverordnung verwendet lediglich den Begriff „Polychlorid“. Dieser beschreibt eine „Faser aus linearen Makromolekülen, deren Kette aus mehr als 50 Gewichtsprozent chloriertem Olefin (z. B. Vinylchlorid, Vinylidenchlorid) aufgebaut wird.“
Um die Unsicherheit aufzuklären, lohnt hier ein kurzer Blick auf die Herstellung von PVC. Grundbaustein von PVC ist Vinylchlorid (Chlorethen), das durch die Zugabe von Peroxiden in einer Ketten-Polymerisation zu Polyvinylchlorid – dem festen PVC, das wir kennen – polymerisiert. Eine PVC-Faser lässt sich somit unproblematisch unter die oben genannte Beschreibung subsumieren.
Das bedeutet: Für die Bezeichnung eines Textilerzeugnisses, das aus PVC besteht, sollte auch der Begriff „Polychlorid“ verwendet werden.
D. Abmahngefahr bei Verwendung des Begriffs PVC?
Eine Verwendung der Bezeichnung „PVC“ verstößt somit gegen Art. 5 Abs. 1 Textilkennzeichnungsverordnung, wonach nur die im Anhang I zur Textilkennzeichnungsverordnung genutzten Begriffe für die Textilkennzeichnung genutzt werden dürfen.
Allerdings ist fraglich, ob der Verstoß die Spürbarkeitsschwelle des § 3a UWG überschreitet. Denn: Eine wettbewerbsrechtliche Abmahnung setzt nach § 3a UWG stets voraus, dass der Verstoß (hier: gegen die Textilkennzeichnungsverordnung) geeignet ist, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen. Nicht jeder Verstoß gegen die Textilkennzeichnungsverordnung ist also gleich unlauter i. S. d. § 3a UWG. Der Verstoß muss vielmehr von einem gewissen Gewicht für das Wettbewerbsgeschehen und die Interessen der geschützten Personenkreise sein.
Dies ist gleich aus mehreren Gründen fraglich:
- Der Verbraucher erhält durch die Angabe „PVC“ ein „Mehr“ an Information, weil das verwendete Polymer anders als bei der vorgeschriebenen Angabe „Polychlorid“ genau bestimmt wird.
- Anders als bei der vom OLG München als unlauter eingestufte Bezeichnung „Acryl“, bei der eine Verwechslungsgefahr mit der Bezeichnung „Modalcryl“ besteht (vgl. OLG München, Urteil vom 20.10.2016, 6 U 2046/16), besteht bei der Verwendung der Bezeichnung „PVC“ anstatt „Polychlorid“ keine Verwechslungsgefahr mit einer anderen Faserart. Die Faserart wird vielmehr konkret bezeichnet.
- Der Begriff „PVC“ hat sich in der deutschen Umgangssprache als beschreibende Angabe für die in Anhang I Nr. 27 dargestellte Faserart eingebürgert. Im Gegensatz zu der Bezeichnung „Polychlorid“ ist die Bezeichnung „PVC“ für den Verbraucher deutlich geläufiger.
Die Verwendung des Begriffs „PVC“ ist somit wohl eher nicht geeignet, die Interessen der Verbraucher spürbar zu beeinträchtigen, da dieser Begriff in den deutschen Wortschatz Eingang gefunden hat. Das OLG München hat mit gleicher Begründung vertreten, dass die Spürbarkeitsschwelle bei der Verwendung der Bezeichnung „Cotton“ anstatt „Baumwolle“ nicht überschritten wird (ebenfalls im Urteil vom 20.10.2016, 6 U 2046/16).
Achtung: Diese Einschätzung ist jedoch nicht durch die Rechtsprechung abgesichert. Wer rechtlich auf Nummer sicher gehen will, sollte daher auf die Bezeichnung „PVC“ verzichten und stattdessen die Bezeichnung „Polychlorid“ für die Textilkennzeichnung nutzen.
E. Fazit
Die Verwendung des Begriffs „PVC“ für die Textilkennzeichnung verstößt gegen Art. 5 Abs. 1 Textilkennzeichnungsverordnung. Ob dieser Verstoß jedoch die Spürbarkeitsschwelle des § 3a UWG überschreitet und somit unlauter ist, ist mehr als fraglich. Händler und Hersteller, die rechtlich auf Nummer sicher gehen wollen, sollten PVC-Fasern als „Polychlorid“-Fasern kennzeichnen.
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