Temu als Marktplatz: Keine gute Wahl für deutsche Händler?

Temu als Marktplatz: Keine gute Wahl für deutsche Händler?
27.09.2024 | Lesezeit: 8 min

Temu dürfte das Hassobjekt der Online-Händlerschaft schlechthin sein. Billigstware aus China, die in der EU oft gar nicht verkehrsfähig ist, dubiose Werbeversprechen und Preise, bei denen kaum einer mitgehen kann, der sich an Recht und Gesetz hält. Doch kürzlich hat Temu angekündigt, auch deutschen Händlern einen Verkauf über seinen Marktplatz zu ermöglichen. Die Besucherzahlen und Reichweite sind gute Argumente dafür, dort zu verkaufen. Doch macht das wirklich Sinn?

Worum geht es?

Wenngleich Temu inzwischen nahezu jedem Internetnutzer ein Begriff sein dürfte: Temu ist ein Online-Marktplatz, der erst im Jahre 2022 gegründet wurde und von einer Firma mit Sitz in Shanghai betrieben wird. Für die Erbringung der Plattform-Dienste in Europa tritt inzwischen eine Gesellschaft mit Sitz in Irland auf.

In dieser kurzen Zeit hat Temu ein extremes Wachstum hingelegt und ist zu einer der bekanntesten Online-Plattformen weltweit aufgestiegen.

Auf Temu verkaufen fast ausschließlich asiatische Händler ihre Produkte, die in Sachen Qualität und Einhaltung der notwendigen rechtlichen Vorgaben zumindest einen fragwürdigen Ruf besitzen. Dies zu extrem günstigen Preisen, die Händler mit Sitz in Deutschland in aller Regel nicht ansatzweise mitgehen können.

Daher ist Temu zum Feindbild vieler (deutscher) Online-Händler geworden, ruiniert es die Preise, bewegt Bestandskunden zur Abwanderung und das alles mit zumindest sehr fragwürdigen Praktiken in Bezug auf Marketing und Einhaltung hierzulande zu beachtender rechtlicher Vorgaben.

Im Spätsommer kündigte Temu nun an, den Marktplatz auch für deutsche Händler zu öffnen.

Inzwischen können neben Händlern mit Sitz in Deutschland auch solche mit Sitz in Frankreich, Italien, Spanien, Großbritannien und den Niederlanden via Temu handeln.

Aufgrund der extrem großen Reichweite und Bekanntheit wägen derzeit viele deutsche Online-Händler ab, ob ein Verkauf via Temu Sinn macht.

Was ist so problematisch an Temu?

Das enorme Wachstum dürfte Temu in erster Linie durch die extrem niedrigen Preise für die dort angebotenen Waren erzielt haben. Gerade Erstbesteller werden mit fast schon unglaublich niedrigen Preisen regelrecht geködert, die App von Temu zu installieren und dann bei Temu zu bestellen.

Aber auch generell ist das Preisniveau der bei Temu angebotenen Waren sehr niedrig. Manche sprechen von Ramschware, andere überzeugt die Qualität, wenn man bereit ist, kleinere Abstriche zu machen.

Jedenfalls trifft Temu den Nerv der Zeit:

Steigende Lebenshaltungskosten, befeuert durch die hohe Inflation in den letzten Jahren sowie schlechte Zukunftsaussichten aufgrund der Kriege und Multikrisensituation zwingen sehr viele Verbraucher, ihre Ausgaben genauer zu überdenken. Spontankäufe von der Couch aus und nicht zwingend notwendige Anschaffungen werden zurückgefahren – Gift für den Handel, auch für den seit Jahren durch starkes Wachstum verwöhnten Online-Handel.

Da kommt es vielen Verbrauchern sehr gelegen, dass es mit Temu eine Shopping-Plattform gibt, auf der viele Waren sehr deutlich unter dem Preisniveau (auf den ersten Blick) vergleichbarer Waren angeboten werden. So lässt sich die Kauflust befriedigen und zugleich entsteht noch der Eindruck, man hätte sich 50% und mehr im Vergleich zum Kauf bei einem deutschen Händler gespart.

Nach Angaben der Europäischen Kommission verfügt Temu über mehr als 45 Millionen Nutzer monatlich mit weiterhin steigender Tendenz (Stand Frühjahr 2024).

Ferner fällt Temu durch sehr aggressives Marketing auf. Als Internetnutzer ist es fast unmöglich, den Bannern von Temu zu entkommen. Dabei ist die Werbung inhaltlich oft fragwürdig aus juristischer Sicht.

Werbung mit angeblichen Rabatten von bis zu 85%, Mondpreisen, nur vorgeschoben kurzen Aktionszeiträumen sowie vorgegaukelten, nur sehr geringen Restbeständen stehen im Raum. Auch in Bezug auf die zahlreichen, guten Produktbewertungen ergeben sich Fragezeichen.

Der Verbraucherzentrale Bundesverband hatte den Betreiber von Temu u.a. deswegen im März 2024 wettbewerbsrechtlich abgemahnt. Dieser soll daraufhin eine Unterlassungserklärung abgegeben haben.

Großartige Änderungen an der Werbepraxis sind aber bisher eher nicht erkennbar.

Neben diesen formalen Kritikpunkten kommt hinzu, dass ein Großteil der via Temu angebotenen Waren in der Europäischen Union (und damit auch in Deutschland) schlicht nicht verkehrsfähig ist.

Häufig fehlen notwendige Kennzeichnungen, wie etwa mit dem CE-Zeichen oder den Herstellerangaben. Auch deutschsprachige Bedienungsanleitungen sind oft Fehlanzeige.

Darüber hinaus mangelt es in aller Regel an den notwendigen Registrierungen für Elektro- und Elektronikgeräte sowie für Batterien.

Ein erheblicher Anteil der via Temu angebotenen und nach Deutschland gelieferten Produkte dürfte damit hier gar nicht auf den Markt gelangen.

Da der Zoll – wenn überhaupt – aber nur stichprobenartig die neue Paketflut aus China kontrolliert, gelangen zuhauf unsichere Produkte auf den hiesigen Markt. Dies zu Preisen, die ein Händler mit Sitz in Deutschland, der sich an die hiesigen regulatorischen Vorgaben hält, gar nicht realisieren könnte.

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Vom Feind zum Verkaufspartner?

Aus den vorgenannten Gründen sind deutsche Online-Händler nicht gut auf Temu zu sprechen. Der ein oder andere könnte sich nun aber veranlasst sehen, die Verkaufsplattform selbst als Händler zu nutzen, nachdem die Öffnung für Anbieter mit Sitz in Deutschland erfolgt ist. Schließlich trifft der Händler dort auf eine sehr große Zahl von Interessenten und muss zumindest derzeit so gut wie keine Gebühren an Temu zahlen.

Doch, ist das aus rechtlicher Sicht eine gute Idee?

Wir haben uns Verkaufsauftritte, auch von in Deutschland ansässigen Anbietern, bei Temu einmal genauer angesehen.

Dabei ist festzustellen, dass doch noch erhebliche rechtliche Defizite bestehen dürften, was den Verkauf via Temu aus rechtlichen Gesichtspunkten betrifft:

Kein anklickbarer Link auf die Onlinestreitschlichtungsplattform der EU-Kommission

So dürfte schon kein rechtssicheres Impressum hinterlegbar sein, weil dort anscheinend kein anklickbarer Link auf die Onlinestreitschlichtungsplattform der EU-Kommission dargestellt werden kann.

Zudem ist bereits generell fraglich, ob die vorhandene technische Darstellung, um zum jeweiligen Händlerimpressum zu gelangen, überhaupt den Anforderungen des § 5 DDG an die leichte Erkennbarkeit und unmittelbare Erreichbarkeit genügt.

Erkennbar ist die Impressumseite nur daran, dass auf der jeweiligen Artikelseite ein „Angeboten von“ gefolgt von einem kleinen, kreisförmigen Logo dargestellt wird, welches angeklickt werden muss. Sodann gelangt der Interessent auf eine neue Seite, wo oben der Verkäufername gefolgt von einem kleinen Infosymbol dargestellt wird. Erst bei Klick auf das Infosymbol wird ein Pop-Up mit den „Händlerinformationen“ dargestellt. Dort erscheinen dann die Impressumsdaten.

Keine Möglichkeit der Platzierung von Rechtstexen

Ferner scheint keine Möglichkeit dafür vorgesehen sein, dass der jeweilige Händler neben dem Impressum noch weitere, notwendige Rechtstexte wie AGB mit Kundeninformationen, eine Datenschutzerklärung und eine Widerrufsbelehrung mit Muster-Widerrufsformular hinterlegen kann.

Dadurch wäre es dem jeweiligen Händler unmöglich, seinen gesetzlichen Verbraucherinformationspflichten in Deutschland nachzukommen. Die von Temu selbst dargestellte „Rückgabe- und Rückerstattungsrichtlinie“ genügt jedenfalls nicht den Anforderungen an eine rechtskonforme Widerrufsbelehrung.

Die Folge eines solchen Informationsdefizits können dann nicht nur teure Abmahnungen von Mitbewerbern oder Abmahnverbänden sein. Wird z.B. keine korrekte Widerrufsbelehrung dargestellt, verlängert sich die Widerrufsfrist des Verbrauchers auf 12 Monate und 14 Tage.

Keine Angabe von Grundpreisen

Auch konnten wir keine Möglichkeit finden, bei grundpreispflichtigen Waren (wie etwa Schnüren oder Schläuchen) die notwendige Grundpreisangabe in räumlicher Nähe zu jeder Preisangabe darzustellen.

Unzureichende Darstellung der wesentlichen Eigenschaften

Weiterhin ist die Darstellung der wesentlichen Eigenschaften der im Warenkorb befindlichen Waren auf der finalen Bestellseite unzureichend.

Unlautere Rabattwerbung

Schließlich haftet der jeweilige Verkäufer wohl auch ohne Weiteres für die (bereits vom Verbraucherzentrale Bundesverband abgemahnte) aggressive Preiswerbung Temus (insbesondere mit Rabatten ohne eindeutige Erläuterung des „teuren“ Preises, Countdowns und angeblich nur noch stark begrenzten Warenverfügbarkeiten). Dies gilt umso mehr, weil Temu in der Anfangsphase, so wird berichtet, selbst die Preisgestaltung der von neuen Händlern angebotenen Waren übernimmt. Im Gegenzug müssen die Händler zunächst keine Einstell- oder Verkaufsgebühren bezahlen.

Damit dürfte der Fantasie Temus in Sachen Rabattwerbung wohl auch weiterhin kaum eine Grenze gesetzt sein. Blöd nur, dass künftig dafür dann auch der deutsche Händler angegriffen werden kann, dessen Produkte mit einer unlauteren Rabattwerbung seitens Temu beworben werden.

Die Liste an rechtlichen Fallstricken für Temu-Händler ließe sich noch fortsetzen.

Aber alleine die vorgenannten Probleme machen deutlich, dass ein rechtssicherer Verkauf via Temu noch in weiter Ferne liegt.

Wer als juristisch greifbarer Händler (was bei deutschen Händlern natürlich der Fall ist) via Temu verkauft, dürfte sich beim derzeitigen Stand der Plattform folglich schnell Ärger einhandeln.

Fazit:

Anders als der Betreiber der Plattform, der für deutsche Gerichte und Behörden juristisch quasi nicht greifbar ist, ist dies der deutsche Online-Händler, der bei Temu anbietet, ganz gewiss.

Aus diesem Grunde sollte es schon aus rechtlichen Gesichtspunkten wohlüberlegt sein, als deutscher Händler bei Temu anzubieten.

Die Plattform weist derzeit einfach noch (zu) viele rechtliche Defizite in Bezug auf die Einhaltung der in der EU / in Deutschland geltenden rechtlichen Vorgaben auf.

Während Temu als solches wohl noch länger weitermachen kann wie bisher und so der europäische Markt weiterhin mit nichtkonformen, oftmals sogar unsicheren Verbraucherprodukten überschwemmt wird, dürften dort aktiv werdende Händler mit Sitz in Deutschland oder der EU aufgrund der Defizite mit wettbewerbsrechtlichen Abmahnungen zu rechnen haben.

Wir können Ihnen für alle gängigen Verkaufsplattformen, über die ein rechtssicherer Online-Handel möglich ist, abmahnsichere Rechtstexte (wie Impressum, AGB, Datenschutzerklärung und Widerrufsbelehrung) anbieten.

So etwa für die Online-Marktplätze

- Amazon
- BILD
- eBay
- etsy
- Kaufland
- Kleinanzeigen.de
- Mediamarkt
- Metro
Verschaffen Sie sich gerne hier einen Überblick über die von uns angebotenen Schutzpakete für Online-Händler und Webseitenbetreiber.

Doch es dürfte nicht nur die juristische Problematik einem erfolgreichen Handeln entgegen stehen:

Das auf Temu vorherrschende, extrem niedrige Preisniveau wird bei Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben an Produktkonformität und – sicherheit sowie der deutschen Erwartungen an einen vernünftigen Kundenservice auf Dauer nicht zu halten sein.

Damit wird es dem typischen Temu-Kunden im Ergebnis wohl dann doch wieder egal sein, ob er bei einem deutschen oder einen chinesischen Verkäufer bestellt, ist der Chinese deutlich günstiger.

Vielen deutschen Online-Händlern dürfte Temu aber generell so unsympathisch sein, dass diese nicht nur aufgrund der juristischen Problematiken von einem Verkauf über die Plattform absehen dürften.

Wir behalten die Entwicklungen auf Temu für Sie im Auge. Sollte dort ein rechtssicherer Handel denkbar sein, werden wir auch entsprechende Rechtstexte passend für den Handel via Temu anbieten.

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Bildquelle:
QubixStudio

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4 Kommentare

C
Christine 19.11.2024, 13:22 Uhr
Frau
Den ersten Kommentar kann ich nur bestätigen: '.....machen wir uns nichts vor....
S
SM 04.10.2024, 13:07 Uhr
Viele Deutsche Unternehmen produzieren doch seit Jahren bereits in Fernost. Jetzt haben die Lieferanten von damals direkten Kundenkontakt!
Jetzt machen wir uns doch nichts vor: So viel "made in Germany", wie wir immer behaupten, gibt es schon längst nicht mehr. Es mag sein, dass den Chinesen wichtige und sinnvolle Zertifikate der EU fehlen, die Sicherheit garantieren. Im Bereich der Bekleidung sieht das aber ganz anders aus. Machen wir uns mal nichts vor: Baumwolle wächst nicht auf deutschen Rübenäckern, sondern kommt überwiegend aus Fernost. Genauso wie sämtliche Kunstofffasern in der Klamotte. Stretch? Ein China Produkt. Nicht selten laufen in chinesischen/ indische Produktionsstätten die "deutschen" Bekleidungsstücke vom selben Band, wie die billigen "Plagiate". Deutschland hat jahrzehntelang von den günstigen Produktionsbedingungen im Ausland profitiert und konnte günstig hergestellte Produkte margenstark im eigenen Land verkaufen. Der Unterschied: Damals hatten diese Produktionsstätten keinen direkten Kontakt zum europäischen Konsumenten. Jetzt sprießen allerorts Logistik-Hubs in Europa aus dem Boden, die Ware ist innerhalb von 48 Stunden beim Kunden. Hersteller verkaufen über Temu, Alibaba, Shein & Co. die Ware direkt zum Kunden - ohne Umwege über die etablierten Marken und geben die Preisvorteile direkt weiter.
D
D. 30.09.2024, 21:16 Uhr
Selbst schuld!
Ja, das kommt davon, wenn 80% des Volkes täglich Propaganda konsumiert und nur noch Matsch im Hirn hat dank Gehirnwäsche und diverser Injektionen. Dann kommt man dahin, wo wir jetzt sind.
Einfach mal keine Altparteien wählen, sich bilden und über den bornierten Tellerrand schauen, dann ändert sich auch was. Oder dann halt nicht jammern!
c
cf 30.09.2024, 06:47 Uhr
Soviel zum Thema Nachhaltigkeit
Es ist immer wieder interessant zu sehen wie unterschiedlich Menschen die Welt sehen. Die EU ist fest überzeugt, dass die Menschen bei uns nachhaltigere Produkte lieben, kaufen wollen und nur aufgrund der Kennzeichnung total verunsichert sind. Die Kund*innen dagegen merken, dass deutsche Hersteller (aufgrund der neuen EU-Verordnungen) immer teurer werden und kaufen immer mehr "nicht nachhaltige" Produkte, da sie sich die normalen Produkte inländischer Hersteller (geschweige denn die besonders nachhaltigen) nicht mehr leisten können. Und dann kommt Temu und die EU ist angeblich machtlos und kann nix dagegen tun. Tja, denkt mal darüber nach wer hier gerade wen veräppelt....
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