Vergaberecht: Rügefrist beginnt nicht mit Verdacht sondern erst mit positiver Kenntnis eines Vergabeverstoßes

Vergaberecht: Rügefrist beginnt nicht mit Verdacht sondern erst mit positiver Kenntnis eines Vergabeverstoßes
16.08.2007 | Lesezeit: 8 min

Erkennt ein Bieter im Vergabeverfahren einen Verstoß gegen Vergabevorschriften muss er unverzüglich rügen, will er seine Antragsbefugnis nicht verlieren. Oft herrscht aber Unsicherheit, ob diese unverzügliche Rügefrist bereits bei einem Verdacht oder erst nach positiver Kenntnis eines Verstoßes beginnt. Auch sind Behörden oft unsicher, ob sie berechtigt sind neue Firmen (Newcomer) als geeignete Bieter zu qualifizieren, obwohl diese noch keine Anlaben über die Vergangenheit machen können.

Inhaltsverzeichnis

Die Vergabekammer des Bundes (VK 3 - 07/07) hat nun mit Beschluss vom 7. Februar 2007 entschieden, dass der Beginn der Rügefrist erst ausgelöst wird, wenn dem Bieter die Tatsachen, die einem behaupteten Vergabeverstoß zugrunde liegen, positiv bekannt sind. Darüber hinaus müssen „Newcomer” nicht zwingend als ungeeignet ausgeschlossen werden.

Hintergrund

In EU-Vergabeverfahren oberhalb der Schwellenwerte haben übergangene Bieter, die sich in ihren Rechten verletzt wähnen, die Möglichkeit, ein Nachprüfungsverfahren zu beantragen.Der Ablauf eines Nachprüfungsverfahrens ist in den §§ 102 ff. GWB geregelt. Dort ist beispielsweise festgelegt, dass die Vergabekammern und Beschwerdegerichte den Sachverhalt von Amts wegen erforschen (§ 110 GWB), d. h. sich nicht allein auf die Anträge und Schriftsätze der Verfahrensbeteiligten (§ 109 GWB) stützen.

Die Nachprüfung einer behaupteten Vergaberechtsverletzung durch die Vergabekammern und Beschwerdegerichte erfolgt dabei immer in zwei Schritten:

  • Zunächst prüft die Vergabekammer oder das Gericht die formale Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags (§ 107 GWB). Zulässig ist ein Antrag dann, wenn der Antragsteller antragsbefugt ist (§ 107 Abs. 2 GWB), d. h. „ein Interesse am Auftrag hat und ihm durch die behauptete Verletzung der Vergabevorschriften ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht.”, er also bei ordnungsgemäßer Durchführung des Vergabeverfahrens Aussicht auf die Erteilung des Zuschlags gehabt hätte.
  • Danach wird geprüft, ob die Rüge des behaupteten Vergaberechtsverstoßes rechtzeitig erfolgt (§ 107 Abs. 3 GWB), d. h. sobald der Fehler vom Antragsteller erkannt wird. Ein Antrag ist daher unzulässig, wenn der Antragsteller den gerügten Verstoß gegen Vergabevorschriften bereits im Vergabeverfahren erkannt und gegenüber dem Auftraggeber nicht unverzüglich gerügt hat Der Antrag ist außerdem unzulässig, wenn Verstöße gegen Vergabevorschriften, die aufgrund der Bekanntmachung erkennbar waren, nicht spätestens bis zum Ablauf der in der Bekanntmachung genannten Frist zur Angebotsabgabe oder zur Bewerbung gegenüber dem Auftraggeber gerügt werden.
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Sachverhalt

I. Tatbestand

Die ausschreibende Behörde hatte in den Verdingungsunterlagen Nachweise über die Eignung der Bieter gefordert. Die Bieter hatte unter anderem zum Nachweis ihrer Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit Angaben zu machen über

  • den Umsatz in den letzten drei abgeschlossenen Geschäftsjahren, soweit es Leistungen betraf, die mit der zu vergebenden Leistung vergleichbar waren.
  • die Zahl der bei ihm in den letzten drei abgeschlossenen Geschäftsjahren jahresdurchschnittlich beschäftigten Arbeitskräfte, gegebenenfalls gegliedert nach Berufsgruppen,
  • die dem Bieter für die Ausführung der zu vergebenden Leistung zur Verfügung stehende technische Ausrüstung.

Auch hatte der Bieter zum Nachweis seiner Zuverlässigkeit „auf Verlangen” einen Gewerbezentralregisterauszug vorzulegen, sowie den Nachweis, dass er über die gesamte Vertragslaufzeit jederzeit im Besitz einer gültigen Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerberlassung nach den §§ 1 und 2 des Gesetzes zur Regelung der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung (AÜG) ist.

Der rügende Bieter hatte alle geforderten Angaben und Nachweise geliefert. Die übrigen vier Angebote enthielten nicht sämtliche der oben genannten Nachweise und Angaben. Dem Angebot des Bieters mit der Nr. 1 war die Erlaubnis im Sinne des AÜG lediglich in Kopie beigefügt, die Angaben zum Umsatz in den letzten drei Geschäftsjahren sowie die Angaben über die Zahl der beschäftigten Arbeitskräfte fehlten. Das Angebot des Bieters Nr. 2 enthielt keine Angaben zum Umsatz, zu den in den letzten drei Jahren ausgeführten vergleichbaren Leistungen sowie zu den bisherigen Beschäftigten. Dem Angebot des Bieters Nr. 3 war nur eine notariell beglaubigte Kopie einer AÜG-Erlaubnis für eines der sechs Mitglieder der Bietergemeinschaft beigefügt. Umsatzangaben wurden für kein Mitglied der Bietergemeinschaft gemacht. Die weiteren o.g. Nachweise wurden jeweils nicht für sämtliche sechs Mitglieder der Bietergemeinschaft vorgelegt. Das Angebot eines weiteren Bieters, den die Beschaffungsgelle bereits gemäß § 25 Nr. 1 Abs. 2 VOL/A ausgeschlossen hatte, enthielt abgesehen von ungenauen Angaben zur technischen Ausrüstung überhaupt keine der oben genannten. Nachweise oder Angaben.

Am 22. Dezember 2006 übersandte die Beschaffungsstelle dem Bieter, der schließlich ein Nachprüfungsverfahren einleitete, ein Schreiben gemäß § 13 VgV. Hierin teilte sie mit, dass auf sein Angebot nicht der Zuschlag erteilt werden könne, weil es unter Berücksichtigung aller Umstände nicht als das wirtschaftlichste erscheine und er nach der Wertung der Angebote nicht auf dem ersten Rang liege. Sie beabsichtige, den Zuschlag nunmehr losweise zwei anderen Bietern zu erteilen.

Am 4. Januar 2007 rügte der ausgeschlossene Bieter, dass die erfolgreichen Bietern aus mehreren Gründen nicht den Zuschlag erhalten dürften, insbesondere weil sie mangels Eintragung in das Handelsregister rechtlich nicht existent seien. Die Beschaffungsstelle half diesen Rügen nicht ab. Mit Schriftsatz vom 10. Januar 2007 stellte der ausgeschlossene Bieter einen Antrag auf Nachprüfung bei der Vergabekammer des Bundes.

II. Gründe

Die Vergabekammer des Bundes entschied, dass der Nachprüfungsantrag zulässig und begründet sei.

1. Rüge rechtzeitig

Die Rüge vom 4. Januar 2007, sei rechtzeitig erfolgt. § 107 Abs. 3 S. 1 GWB verlange, dass eine Rüge unverzüglich zu erheben sei, nachdem der betreffende Bieter den gerügten Verstoß gegen Vergabevorschriften erkannt habe. Dies setzte unter anderem voraus, dass der Bieter die Tatsachen positiv kenne, die dem behaupteten Vergabeverstoß zugrunde lägen (vgl. BGH, Beschluss vom 26. September 2006, X ZB 14/06). Der Bieter stützte sich in seiner Rüge im Wesentlichen darauf, dass sich die erfolgreichen Bieter noch in Gründung befänden und daher mehrere geforderte Erklärungen und Nachweise noch nicht hätten abgeben können. Hierfür hätte der Antragstelle im Anschluss an das § 13 VgV-Schreiben vom 22. Dezember 2006 erst in das Handelsregister Einsicht nehmen müssen, was ihm– wie er nachvollziehbar vorgetragen habe – wegen der Weihnachtsfeiertage und der Umstellung des Handelsregisters auf EDV nicht vor dem 2. Januar 2007 möglich gewesen sei. Der vorherige bloße Verdacht, die für den Zuschlag vorgesehenen Bieter seien noch nicht im Handelsregister eingetragen, löse keine Rügeobliegenheit aus (vgl. BGH, aaO.).

2. Rüge begründet

Der Nachprüfungsantrag sei auch begründet, da der Antragsteller dadurch in seinen Rechten verletzt sei, dass die Angebote der ausgewählten Bieter nicht hätten bei der Auswahl berücksichtigt werden dürfen, weil sie ihre Eignung nicht in der vom Auftraggeber geforderten Form nachgewiesen hätten. Die Beschaffungsstelle habe in der Bekanntmachung unter anderem gefordert, dass die Bieter bestimmte Angaben zum Umsatz, zu den bisher erbrachten vergleichbaren Leistungen sowie über die Anzahl der beschäftigten Arbeitskräfte machen müssten. Es gelte, dass ein Bieter einen geforderten Nachweis und geforderte Angaben zu seiner Eignung zunächst einmal nur für seine Person selbst abgeben müsse. Die erfolgreichen Bieter hätten aber, wenn überhaupt, lediglich Aussagen zu ihren Muttergesellschaften gemacht. Aber auch die Eignungsangaben für ihre Muttergesellschaften, auf deren Leistungsfähigkeit sie sich beriefen, seien nicht vollständig gemacht worden.

Zwar sei es vom Beurteilungsspielraum eines öffentlichen Auftraggebers gedeckt , wenn er auf Angaben des Bieters für die Vergangenheit verzichte, da ein Bieter als „Newcomer” noch keine derartigen Daten machen könne und dennoch die Geeignetheit eines Bieters bejahe. Der Bieter müsse dann aber angeben, dass er noch keine Umsätze etc. angeben könne, indem er ausdrücklich und explizit über diesen Sachverhalt aufkläre. Die Bieter hätte also zum Beispiel ausführen müssen, dass er erst im November 2006 zu dem speziellen Zweck gegründet worden sei, sich um die ausgeschriebenen Aufträge zu bewerben, und dass mangels Vorhandenseins keine vergangenheitsbezogenen Angaben gemacht werden könnten. Andernfalls sei es für den Auftraggeber nicht transparent, ob das Angebot im Punkt Eignungsnachweise einfach nur unvollständig sei, weil an sich mögliche Angaben versehentlich nicht gemacht seien, oder ob die Angaben nicht möglich gewesen seien, weil die geforderten Daten nicht existierten. Es obliege an dieser Stelle dem Bieter, dem Auftraggeber die Informationen über den Sachverhalt zu verschaffen, auf deren Grundlage dieser die Schlussfolgerung über die materielle Eignung überhaupt erst treffen könne (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21. Dezember 2005, VII-Verg 69/05). Wenn ein Bieter seine Eignung nicht in der vom Auftraggeber geforderten Form nachweise, dürfe sein Angebot gemäß § 25 Nr. 2 Abs. 1 VOL/A nicht berücksichtigt werden. Dem Auftraggeber stehe insoweit kein Ermessen zu (vgl. nur OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 22. Dezember 2004, VII-Verg 81/04; und vom 28. Juni 2006, VII-Verg 18/06).

Die Angebote der beiden erfolgreichen Bieter hätten daher von der Wertung ausgeschlossen werden müssen. Wegen § 24 Nr. 1 VOL/A hätten fehlende Eignungsnachweise auch nicht vom Auftraggeber nachgefordert oder nach Ablauf der Angebotsfrist nachgereicht werden dürfen. Durch Aufklärungsgespräche dürften nur etwaige Zweifel über bereits mit dem Angebot vorgelegte Unterlagen oder hierin gemachte Angaben behoben werden, jedoch könnten nicht – wie im streitgegenständlichen Fall - fehlende Angaben nachgeholt werden, um auf diese Weise ein bisher unvollständiges Angebot zu ergänzen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 30. Juli 2003, VII - Verg 32/03; vom 26. Januar 2005, VII-Verg 45/04; und vom 16. Januar 2006, VIIVerg 92/05).

Für den Fall, dass die Beschaffungsstelle das Vergabeverfahren fortführe, sei dem Antragsteller der Zuschlag zu erteilen. Sein Angebot sei nämlich das einzige, das sämtliche Eignungsanforderungen erfülle. Alle anderen Bieter hätten ihre Eignung nicht wie gefordert nachgewiesen und dürften deshalb nicht berücksichtigt werden.

Fazit

  • Hat ein Bieter den Eindruck, dass er in einem Vergabeverfahren in seinen Rechten verletzt wird, muss er, wenn die Verletzung in den Vergabeunterlagen selbst liegt, bis spätestens zum Ablauf der in der Bekanntmachung genannten Frist rügen.
  • Erkennt ein Bieter einen Verstoß ersts im Vergabeverfahren muss er gegenüber dem Auftraggeber unverzüglich rügen. Ein bloßer Verdacht alleine löst die Rügefrist noch nicht aus. Diese beginnt erst bei positiver Kenntnis des Verstoßes
  • Wird ein Bieter aufgefordert, zum Nachweis seiner Eignung Angaben zu machen und Nachweise zu erbringen, bezieht sich diese Eignungsnachweise und Nachweise zunächst einmal nur auf den Bieter selbst. Er hat also geforderten Angaben für seine Person und nicht für seine Muttergesellschaft zu machen.
  • Die Eignung eines „Newcomers” muss nicht deshalb zwingend verneint werden, weil er keine Daten über seine Eignung für die Vergangenheit machen kann. Er muss dies aber deutlich machen, damit die Beschaffungsstelle erkennen kann, dass die Angaben nicht aus Versehen unterlassen wurden.

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Bildquelle:
h.lunke / PIXELIO

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