Die Zulässigkeit von länderspezifischen Preisdifferenzierungen in europäischen Online-Shops
Besonders im Online-Handel zeigt sich, dass sich die europäische Idee eines grenzübergreifenden Wirtschaftsraums bereits zu großen Teilen verwirklicht hat. Immer mehr Shopbetreiber avancieren zu „EU-Players“ und bieten ihre Waren auf länderspezifischen Ablegern ihrer originären Präsenz mit der entsprechenden Top-Level-Domain (.fr, .es, .co.uk etc.) an. Nicht selten allerdings werden hierbei – meist als Reaktion auf unterschiedliche Kaufkraftniveaus und Nachfragesituationen in den Mitgliedsstaaten – für dieselben Produkte unterschiedliche länderspezifische Gesamtpreise verlangt. Doch steht ein solches Vorgehen mit geltendem Unionsrecht in Einklang? Werden eventuell Diskriminierungsverbote verletzt? Lesen Sie im Folgenden mehr zur rechtlichen Bewertung selektiver Preisgestaltung in den Online-Shops für verschiedene Mitgliedsstaaten.
Inhaltsverzeichnis
- I. Nationale Preispolitiken und der Binnenmarkt
- 1.) Ziel des einheitlichen Binnenmarkts
- 2.) Formen der nationalen Preisdifferenzierung
- 3.) Tendenz
- II. Preissetzungsfreiheit vs. EU-Diskriminierungsverbote
- 1. Die unionsrechtliche Preissetzungsfreiheit
- 2.) Diskriminierungsverbote als Schranken
- III. Status Quo und Kommissionsvorschlag für neues Gesetz
- IV. Fazit
I. Nationale Preispolitiken und der Binnenmarkt
1.) Ziel des einheitlichen Binnenmarkts
Die Schaffung, Aufrechterhaltung und der Schutz eines einheitlichen europäischen Binnenmarkts stellen seit jeher tragende Grundprinzipien der Europäischen Union dar, welche nicht zuletzt mit der Gewährleistung und untergesetzlichen Ausprägung verschiedener Grundfreiheiten und der Harmonisierung des Wettbewerbsrechts umgesetzt werden sollten.
Um aber gleichsam nachträgliche künstliche Marktaufspaltungen zu verhindern und so eine dauerhafte Barrierefreiheit für den grenzübergreifenden Handel zu etablieren, sollen zudem besondere Diskriminierungsverbote eine herkunftsbedingte Ungleichbehandlung von Verbrauchern und Unternehmen unterbinden und so insbesondere dafür sorgen tragen, dass europaweite wirtschaftliche Chancengleichheit herrscht.
2.) Formen der nationalen Preisdifferenzierung
Derartigen gesetzgeberischen Bestrebungen steht im Zeitalter des gläsernen Kunden, dessen Nutzungs-, Nachfrage- und Kaufkraftverhältnisse im Online-Bereich mit modernen Technologien und Tracking-Methoden zunehmend zuverlässig analysiert und ausgewertet werden können, mehr denn je das ureigene unternehmerische Interesse entgegen, Produkte mit dem höchsten erzielbaren Gewinn abzusetzen und so die eigene Preissetzung an der Zahlungsbereitschaft bestimmter Käufergruppen zu orientieren.
Besonders bewehrt hat sich vor diesem Hintergrund in Europa die Handelsstrategie, Preisniveaus in Online-Shops mit grenzübergreifendem Zugang oder mit länderspezifischen Ablegern anhand der evaluierten durchschnittlichen Bonität der jeweiligen Inlandsbevölkerung zu bemessen und demgemäß von Verbrauchern unterschiedlicher Herkunft verschiedenhohe Gesamtpreise für dieselbe Ware zu fordern.
Derartige Preisdifferenzierungen begründen für Unternehmer einen messbaren Vorteil, indem die konkrete Bepreisung auf dem Gebiet einzelner Mitgliedsstaaten dynamisch an die festgestellte Kaufkraft angepasst und so gewählt werden kann, dass das eigene Angebot konkurrenzfähig bleibt und gleichzeitig auf genügend Nachfrage stößt. Zu beobachten sind vor allem zwei Formen der Preisdifferenzierung, von denen eine als grundsätzlich unbedenklich gilt, während die andere nicht unerhebliche europarechtliche Bedenken aufwirft.
a) Exklusive Differenzierungen (Disneyland-Fall)
Als aus europarechtlicher Sicht bedenklich erweisen sich solche Formen gespaltener Preisgestaltungen in Online-Shops, welche den Angehörigen eines Landes exklusiv ein bestimmtes Preisniveau zuweisen, während es Verbrauchern in anderen Mitgliedstaaten verwehrt bleibt, auf die Angebote der länderspezifischen Shopseiten zurückzugreifen. Im Internet wird diese Taktik regelmäßig dadurch realisiert, dass eine automatische und unumkehrbare Weiterleitung des Besuchers zum jeweiligen nationalen Shop mit anderem Preisniveau schon zu Beginn des Nutzungsvorgangs (etwa durch den Einsatz von Geo-Tracking-Tools) oder aber bei der erforderlichen Eingabe der Lieferanschrift erfolgt. Gleichermaßen sind Systeme im Einsatz, welche die Zugehörigkeit des Nutzers zu einem anderen Mitgliedsstaat erkennen und ohne Weiterleitung im selben Shop automatisch einen anderen Gesamtpreis ausweisen. Derartige exklusive Differenzierungen können durch die Aufrechterhaltung unterschiedlicher Preisniveaus in den Mitgliedsstaaten zu einer künstlichen Aufspaltung des Binnenmarkts führen und gleichsam nicht unerhebliche Diskriminierungen landesfremder Verbraucher begründen.
Für viel Aufsehen sorgte in diesem Zusammenhang im vergangenen Jahr die Online-Preispolitik des Freizeitparks „Disneyland Paris“, nach welcher französische Staatsbürger für ein Eintritts-„Premiumpaket“ lediglich 1.346€ zahlen mussten, während gegenüber deutschen Seitenbesuchern für dieselbe Leistung ein Gesamtpreis von 2.447€ erhoben wurde. Zwar konnten deutsche Interessenten unter Eingabe der entsprechenden URL auch auf die französische Domain des Online-Ticket-Shops zugreifen. Spätestens bei Eingabe des Wohnsitzes aber erfolgte stets eine automatische Weiterleitung zurück auf die deutsche Seite mit den höheren Preisen.
b) Stets zulässige, offene Differenzierungen
Demgegenüber ist denkbar, dass in länderspezifischen Online-Shops zwar unterschiedliche hohe Gesamtpreise verlangt werden, um auf verschiedene Nachfrageverhältnisse zu reagieren, Käufer in anderen Mitgliedsstaaten aber nicht gehindert sind, die günstigeren Angebote durch ein Aufsuchen von Shops mit anderen Länderkürzeln tatsächlich wahrzunehmen.
Solange der Händler durch ein solches Vorgehen gewährleistet, dass trotz divergierender Gesamtpreise in den einzelnen Mitgliedsstaaten jedes Angebot eines nationalen Shops europaweit tatsächlich verfügbar ist, sind Preisdifferenzierungen stets zulässig.
Hier werden Verbraucher aus anderen EU-Ländern nämlich nicht unmittelbar benachteiligt, weil sie die günstigeren Konditionen auch in ihren Herkunftsländern in Anspruch nehmen können. Eine Diskriminierung scheidet ebenso aus wie eine Gefährdung des Binnenmarktprojekts
3.) Tendenz
Verbraucherbeschwerden zeigen, dass vor allem Formen von exklusiven Preisdifferenzierungen nicht nur in der Freizeit- und Reisebranche, also im Dienstleistungssektor, Konjunktur haben. Auch viele mit Warenlieferungen befasste, europaweit tätige Online-Shops bedienen sich der differenzierten Preisgestaltungen ohne ausländische Zugriffsmöglichkeiten zur Gewinnmaximierung.
Im Folgenden soll auf Basis des Problemaufrisses erörtert werden, ob und inwiefern die länderspezifische exklusive Preisdifferenzierung geltendes Unionsrecht einhält und welche Voraussetzungen an ihre Zulässigkeit zu stellen sind.
II. Preissetzungsfreiheit vs. EU-Diskriminierungsverbote
Um die Zulässigkeit nationaler Preisdifferenzierungen mit Ausschließlichkeitscharakter in Online-Shops bewerten zu können, sind neben einer Prüfung der Konformität mit besonderen unionsrechtlicher Vorschriften vor allem geltende generelle EU-Maxime zu berücksichtigen.
1. Die unionsrechtliche Preissetzungsfreiheit
Prinzipiell gilt innerhalb der europäischen Union der wirtschaftliche Grundsatz der Preissetzungsfreiheit. Jeder Unternehmer soll insofern selbst und unabhängig darüber bestimmen können, zu welchen preislichen Konditionen er seine Waren am Markt anbietet.
Dieses Dogma, das sich besonders in den Verboten von horizontalen Preisabsprachen und vertikalen Preisbindungen nach Art. 101 Abs. 1 lit. a des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) wiederfindet, soll der Verfälschung von Marktverhältnissen entgegenwirken und die Unbefangenheit des Wettbewerbs dahingehend sichern, dass als preisbildende Faktoren ausschließlich die Angebote der Konkurrenz sowie die Relation von Gesamtangebot und Abnehmernachfrage verbleiben.
In Anlehnung an die eingeräumte Preisgestaltungsfreiheit scheint es Online-Händlern nicht per se verwehrt, gleichartige oder gar identische Leistungen in unterschiedlichen Wirkungsgebieten mit verschiedenhohen Preisen zu versehen und diese exklusiv einzufordern.
Vielmehr muss ihnen unter Berücksichtigung der auch unionsrechtlich gewährleisteten wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit und Berufsfreiheit (Art. 6, 15 und 16 der EU-Grundrechtecharta) grundsätzlich die Möglichkeit gegeben werden, auf länderspezifische Marktbesonderheiten, Nachfragesituationen und mittelbare Einflussfaktoren wie Ferienzeiten, Feiertage o.ä. durch eine dynamische Preisgestaltung zu reagieren.
2.) Diskriminierungsverbote als Schranken
Die Preisgestaltungsfreiheit (Synonym für Preissetzungsfreiheit) wird in Europa allerdings nicht schrankenlos gewährt. Weil sich neben den erwünschten Auswirkungen auf den Wettbewerb vor allem durch die Gefahr von Preisaufspaltungen gleichsam negative Folgen für die Zielsetzung eines einheitlichen Binnenmarkts und eines sozial geeinten Europas ergeben können, findet die Möglichkeit von Händlern, ihre Verkaufspreise nach Belieben selbst zu wählen, ihre Grenze in den unionsrechtlichen Diskriminierungsverboten.
a) Missbrauchsverbot, Art. 102 AEUV
Eine besondere Ausprägung hat die Zielsetzung der wirtschaftlichen Chancengleichheit und Freiheit des europäischen Binnenmarkts in der kartellrechtlichen Regelung des Missbrauchsverbots nach Art. 102 AEUV erfahren. Nach dieser Vorschrift ist es marktbeherrschenden Unternehmen untersagt, Abnehmer durch die Festsetzung unterschiedlicher Preise unmittelbar oder bloß mittelbar unbillig zu diskriminieren.
Die Vorschrift findet europaweit unmittelbare Anwendung und gilt daher für den gesamten europäischen Wirtschaftsraum, sodass sie die Praxis länderspezifischer Preisdifferenzierungen grundsätzlich erfassen und mithin für unzulässig erklären kann.
Entgegen einer Mindermeinung unterfallen dem Missbrauchsverbot nicht nur Preisdiskriminierungen gegenüber anderen Unternehmen. Vielmehr sind nach lit. a sämtliche Erzwingungen von unangemessen Verkaufspreisen, also auch solche gegenüber Verbrauchern, unter ein grundsätzliches Verbot gestellt.
Die Erzwingung unbilliger Preise kann sich insofern für Staatsangehörige eines anderen Mitgliedsstaates insbesondere durch Preisdifferenzierungen im Online-Bereich ergeben.
Allerdings stellt Art. 102 AEUV freilich keine allgemeingültige Zulässigkeitssperre von grenzübergreifenden Preisdisparitäten auf. Insofern ist zu berücksichtigen, dass der Tatbestand ausschließlich marktbeherrschende Unternehmen adressiert, die bereits aufgrund ihrer Marktgeltung eine immanente Gefahr für den Wettbewerb darstellen und ihre Abnehmer in besonderer Weise in die Abhängigkeit treiben können. Die Marktmacht bemisst sich grundsätzlich anhand tatsächlicher Marktanteile und wird erst jenseits der 40%-Grenze vermutet.
Da die große Mehrzahl von europaweit tätigen Online-Shops, welche sich der Methode der Preisdifferenzierung bedienen, über deutlich kleinere Marktanteile verfügen dürften, stellt das Missbrauchsverbot des Art. 102 AEUV in den meisten Fällen keine Zulässigkeitssperre für die verfolgte Preispolitik dar.
b) Diskriminierungsverbote der Grundfreiheiten und nach Art. 18 AEUV
Werden Verbraucher anderer Mitgliedsstaaten von der Nutzung bestimmter nationaler Shopseiten ausgeschlossen oder werden ihnen gegenüber höhere Preise durchgesetzt, so erfolgt per definitionem eine Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit und des Wohnsitzes. Sie werden insofern daran gehindert, dieselben Produkte auf Basis eines wirtschaftlicheren Preisniveaus zu erwerben.
Derartige Methoden untersagt das materielle Unionsrecht im Regelungsbereich der Grundfreiheiten der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit (Art. 30ff. AEUV, Art. 56ff. AEUV) implizit, während ein generelles Verbot aus dem Wortlaut des Art. 18 AEUV ausdrücklich folgt:
„Unbeschadet besonderer Bestimmungen der Verträge ist in ihrem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten.“
Zu beachten ist allerdings, dass die eben genannten Regelungen als subjektive Abwehrrechte nur gegenüber den Mitgliedsstaaten selbst geltend gemacht werden können und mithin darauf ausgelegt sind, Diskriminierungen von Seiten des Staates zu unterbinden.
Gegenüber nicht staatsgebundenen Unternehmen, die in verschiedenen Mitgliedsstaaten unterschiedliche Preisniveaus durchsetzen, finden sie dahingegen keine Anwendung und können so der Zulässigkeit der Preisdifferenzierungen auch nicht entgegen gehalten werden.
c) Art. 20 der EU-Dienstleistungsrichtlinie (2006/123/EG)
Eine besondere unternehmensbezogene Regelung, welche jegliche Diskriminierungen gegenüber Verbrauchern aufgrund der Staatsangehörigkeit und des Wohnsitzes untersagt, findet sich allerdings in der zur Konkretisierung der Dienstleistungsfreiheit (Art. 56ff. AEUV) erlassenen EU-Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG.
Nach Art. 20 Abs. 2 der Richtlinie haben die Mitgliedsstaaten insofern sicherzustellen, dass die allgemeinen Bedingungen für den Zugang zu einer Dienstleistung, die der Dienstleistungserbringer bekannt gemacht hat, keine auf der Staatsangehörigkeit oder dem Wohnsitz des Dienstleistungsempfängers beruhenden diskriminierenden Bestimmungen enthalten.
aa) Tatbestand
Zwar ist der Begriff der „Dienstleistung“ auf europarechtlicher Ebene denkbar weit zu verstehen und erfasst grundsätzlich „jede gegen Entgelt erbrachte Leistung“, zu welchen insbesondere auch kaufmännische Warenabsätze gehören.
In diesem Sinne fielen länderspezifische Preisdifferenzierung mit Ausschließlichkeitscharakter grundsätzlich unter den Verbotstatbestand des Art. 20 Abs. 2. Werden nämlich spezielle Preise in Online-Shops ausschließlich für Staatsangehörige eines Mitgliedsstaates erhoben, stellt dies eine herkunftsbezogene Diskriminierung all derjenigen Kaufinteressenten aus anderen EU-Ländern dar, welche dieselbe Ware nur zu höheren Preisen erwerben können.
bb) Problem 1: Umsetzung und Wortlaut
Problematisch allerdings ist zum einen, dass europäische Richtlinien kein unmittelbar anwendbares Recht begründen und so stets einer Umsetzung in nationales Recht durch die Mitgliedsstaaten bedürfen. Insbesondere die Implementierung der Dienstleistungsrichtlinie vollzog jedoch so schleppend, dass die Europäische Kommission bereits verschiedene Klageverfahren gegen einzelne Staaten anhängig machen musste, um sie zur nationalen Verankerung der Richtliniengrundsätze zu bewegen.
Zum anderen jedoch wird vor allem vor dem Hintergrund von länderspezifischen Preisdifferenzierungen im Online-Bereich nach wie vor über die Anwendbarkeit der Vorschrift gestritten. Sowohl der europarechtliche Wortlaut als auch die deutsche Umsetzungsvorschrift in § 5 der Verordnung über Informationspflichten für Dienstleistungserbringer (DL-InfoV) knüpfen für das Verbot an die „Bekanntgabe der diskriminierenden Bedingungen“ an.
Teilweise wird insofern vertreten, dass verdeckte Preisdiskriminierungen, über die der jeweilige Unternehmer nicht aufklärt, überhaupt nicht in den Geltungsbereich der Verbotsnorm fallen würden. Untersagt werden könnten unterschiedliche Preisniveaus nur, wenn sie vom jeweiligen Händler auch tatsächlich veröffentlich wurden.
Demgegenüber hält die europäische Kommission eine generalisierende Auslegung für geboten, um besonders schädliche, heimliche oder zumindest nicht unmittelbar ersichtliche preisliche Diskriminierungsformen nicht auch noch zu privilegieren. Demgemäß müssten Art. 20 Abs. 2 der Richtlinie und §5 der deutschen DL-InfoV auch die allgemeine Preispolitik eines Unternehmers unabhängig von ihrer Veröffentlichung erfassen. Nur mit einzelnen Verbrauchern getroffene Individualvereinbarungen seien aus dem Anwendungsbereich der Vorschrift ausgeklammert.
Eine abschließende Klärung des Verbotsumfangs sowie eine Aussage darüber, ob Art. 20 Abs. 2 der EU-Dienstleistungsrichtlinie länderspezifischen Preisdifferenzierungen im Internet grundsätzlich entgegensteht, bedürfte einer Befassung des europäischen Gerichtshofs (EuGH) mit der Thematik. Bisher ist allerdings kein anhängiges Auslegungsverfahren bekannt.
cc) Problem 2: uneindeutige Rechtfertigungsgründe
Unabhängig von der tatsächlichen Anwendbarkeit des Art. 20 Abs. 2 der Dienstleistungsrichtlinie auf die Fälle von grenzübergreifenden Preisdiskriminierungen in Online-Shops ist festzuhalten, dass das unternehmerische Diskriminierungsverbot nicht unbedingt gilt. Vielmehr sieht Art. 20 Abs. 2 am Ende eine Rechtfertigung von diskriminierenden Verhaltensweisen dann vor, wenn sie durch unmittelbare objektive Kriterien gerechtfertigt sind.
Eine nähere Definition oder einen speziellen Katalog solcher objektiven Kriterien lässt die EU-Dienstleistungsrichtlinie allerdings vermissen, sodass aufgrund des weiten Tatbestands sowohl für Unternehmer als auch für etwaig betroffene Verbraucher ein erheblicher Mangel an Rechtssicherheit besteht. Im Zweifel könnten sich Online-Händler bei der Verteidigung ihrer dynamischen Preispolitik insofern zwar auf eine objektive Rechtfertigung berufen, erführen aber erst im Zuge eines gerichtlichen Verfahrens – gegebenenfalls unter Zwischenschaltung europäischer Instanzen – , inwiefern diese tatsächlich jemals bestanden hat.
Nach einer im letzten Quartal 2015 getroffenen Aussage der europäischen Kommission können objektive Rechtfertigungsgründe weder die potentielle Kaufkraft in der Bevölkerung noch eine konkret bemessene Nachfragesituation sein. Vielmehr läge eine Rechtfertigung für Preisdifferenzen in verschiedenen Mitgliedsstaaten nur bei unterschiedlich ausgeprägten allgemeinverbindlichen Abgaberegelungen vor. Divergierende Mehrwertsteuersätze oder Lieferkosten könnten so preisliche Unterschiede rechtfertigen.
III. Status Quo und Kommissionsvorschlag für neues Gesetz
In Anlehnung an die obigen Ausführungen kann der Zulässigkeit von länderspezifischen Ungleichbehandlungen bei der Preisgestaltung in Online-Shops, die in verschiedenen Mitgliedsstaaten wirken, nur der Art. 20 Abs. 2 der EU-Dienstleistungsrichtlinie in Verbindung mit der jeweiligen nationalen Umsetzungsvorschrift (in Deutschland der §5 DL-InfoV) entgegenstehen. Offen ist allerdings, inwiefern diese Regelungen bei verdeckten Preisdiskriminierungen zwischen den Landesgrenzen überhaupt Anwendung finden. Teilweise wird so vertreten, dass die Preisunterschiede tatsächlich nachvollziehbar veröffentlicht werden müssen.
Dass ein Unternehmen, welches über das Internet in verschiedenen Mitgliedstaaten unterschiedliche Preisniveaus für dieselben Produkte aufrecht erhält, über diese Politik offen aufklärt und so den Unmut von Verbraucherschutzverbänden und Abnehmern nahezu provoziert, ist allerdings so unwahrscheinlich, dass die Vorschrift in der Praxis ihres Geltungsbereiches nahezu gänzlich beraubt würde.
Selbst aber bei Bejahung einer Anwendbarkeit auch für verdeckte Preisdifferenzierungen kommen zugunsten des Unternehmens allerdings Rechtfertigungsgründe in Betracht. Weil diese jedoch hinsichtlich ihrer Art und ihres Umfangs weitgehend unbestimmt sind und durch die europäische Rechtsprechung bislang nicht konkretisiert wurden, können sie als zuverlässige Zulässigkeitskriterien kaum in Betracht gezogen werden.
Nicht verwunderlich erscheint es mit Blick auf die derzeit herrschende Rechtsunsicherheit insofern, dass die Europäische Kommission die geltende Rechtslage für unzureichend erachtet. Einer Ankündigung zufolge soll noch in diesem Jahr ein europaweit gültiges Gesetz erlassen werden, mit welchem länderspezifische Preisdiskriminierungen in Online-Shops grundsätzlich untersagt und noch uneinheitliche Preisniveaus homogenisiert werden sollen. Weiterleitungen auf die jeweiligen nationalen Shopseiten mit anderen Preisen oder die Preiserhöhung bei Fernzugriffen werden damit unter Verbot gestellt. Auch hier sollen objektive Rechtfertigungsgründe einzelne Preisdiskriminierungen aber legalisieren können. Zu hoffen bleibt, dass diese Kriterien klarere Konturen erhalten.
IV. Fazit
Online-Händler, die mit ihrem Shop in verschiedenen europäischen Mitgliedsstaaten aktiv sind und diesen gegebenenfalls sogar unter der jeweiligen Länderdomain betreiben, können ein berechtigtes Interesse daran haben, gleichartige Waren und Dienstleistungen in Anlehnung an divergierende Nachfrage- und Kaufkraftverhältnisse je nach Mitgliedsstaat zu unterschiedlichen Preisen zu vertreiben.
Grundsätzlich unbedenklich sind derartige Preisdifferenzierungen allerdings nur, wenn auch Verbraucher aus anderen Mitgliedsstaaten unbedingten Zugang zum Preisniveau der ausländischen Shopseiten haben.
Europarechtlich problematisch gestaltet sich dahingegen die Zulässigkeit von exklusiven Differenzierungen, die eine bestimmte Preishöhe ausschließlich der Bevölkerung eines oder mehrerer Mitgliedsstaaten zuweisen und so Staatsangehörige anderer Mitgliedsstaaten – etwa durch eine automatische Preiserhöhung im Shop oder aber durch eine Weiterleitung auf die Shopseiten mit anderem Länderkürzel – von der Inanspruchnahme vollständig ausschließen.
Zwar ist nicht abschließend geklärt, inwiefern derartige Preisdifferenzierungen mit Ausschließlichkeitscharakter (Preisdiskriminierungen) schon derzeitig auf Grundlage europarechtlicher Vorschriften untersagt werden können. Allerdings arbeitet die Europäische Kommission bereits an einem neuen Gesetz, welches noch 2016 in Kraft treten soll und länderspezifische Preisdiskriminierungen unter ein grundsätzliches Verbot stellt, um eine Homogenität der Preise auf dem gesamten Binnenmarkt zu gewährleisten.
Aus Gründen der Rechtssicherheit und um spätere notwendige Umstellungen zu vermeiden, rät die IT-Recht Kanzlei dringend davon ab, auf Shopseiten für verschiedene Mitgliedsstaaten je nach Nationalität oder Wohnsitz unterschiedliche Gesamtpreise für dieselben Produkte zu verlangen oder automatische Weiterleitungen auf den einschlägigen nationalen Webshop vorzusehen.
Bei weiteren Fragen zur Preisdifferenzierung und Preisgestaltung im nationalen oder europäischen Online-Shop steht Ihnen die IT-Recht Kanzlei gern persönlich zur Verfügung.
Tipp: Fragen zum Beitrag? Diskutieren Sie hierzu gerne mit uns in der Unternehmergruppe der IT-Recht Kanzlei auf Facebook .
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3 Kommentare
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