Paketverlust nach Annahme durch Nachbarn: Wer haftet?
Bei Abwesenheit des Empfängers hinterlegen Paketdienste die Sendung oft bei Nachbarn, um weitere Zustellversuche zu vermeiden. Was passiert aber, wenn die Ware bei der Ersatzzustellung verloren geht? Muss der Händler erneut liefern oder das Geld zurückerstatten? Kann der Nachbar oder der Paketdienst in Regress genommen werden?
I. Kein Anspruch auf Zweitlieferung gegen den Händler
Online-Bestellungen sind grundsätzlich als Schickschulden einzuordnen.
Bei einer Schickschuld muss der Händler nicht dafür einstehen, dass die Sendung auch tatsächlich beim Käufer ankommt. Vielmehr ist der Händler im Fernabsatz zur Erfüllung seiner Leistungsverpflichtung nur gehalten, die Ware für den Versand vorzubereiten und an einen gewissenhaft ausgewählten Versanddienstleister zu übergeben.
Geht eine Sendung nun nach Zustellung an den Nachbar unter, kann der Käufer eine erneute Lieferung regelmäßig nicht verlangen.
Dem Händler ist seine Leistung bei Untergang oder Verlust der Versandware vor Zustellung beim bestimmungsgemäßen Empfänger nämlich grundsätzlich mit der Folge unmöglich im Sinne des §275 Abs. 1 BGB geworden, dass er von seiner Leistungspflicht befreit wird.
Dies gilt selbst dann, wenn der Händler wie im Regelfall von Anfang keine individuell bestimmte, sondern nur irgendeine Sache aus dem mit der Bestellung vorgegebenen Produktsegment schuldete. Sobald der Händler nämlich die Kaufsache aussondert und dem Transportunternehmen übergibt, beschränkt sich seine Leistungspflicht gemäß §243 Abs. 2 BGB auf eben diese Sache. Geht sie sodann verloren oder unter, liegt immer ein Fall der Leistungsunmöglichkeit vor.
II. Rückzahlungsanspruch gegen den Händler?
Kann der Verbraucher bei Paketverlust in der Sphäre des Nachbarn nicht die Lieferung einer neuen Sache verlangen, so wird er zumindest daran interessiert sein, vom Händler seinen Kaufpreis zurückzuerhalten. Immerhin hat ihn die bestellte Ware nie erreicht.
Grundsätzlich trägt nach gesetzlichem Vorbild zwar der Käufer die Preisgefahr (Gefahr, trotz Nichterhalt der Ware den Kaufpreis entrichten zu müssen) für den zufälligen Untergang, den Verlusts oder der Beschädigung ab der Übergabe an das Transportunternehmen, § 447 Abs. 1 BGB.
Nach § 475 Abs. 2 BGB gilt genau diese Vorschrift bei Verbrauchsgüterkäufen (= Kaufverträge zwischen einem Unternehmen und einem Verbraucher über bewegliche Sachen) aber nur, wenn der Verbraucher ein Transportunternehmen ohne entsprechende Empfehlung/Benennung des Händlers selbst beauftragt hat.
Im Regelfall, der Auswahl des Versanddienstleisters durch den Händler, gilt § 447 Abs. 1 BGB daher nicht und es gilt stattdessen § 446 BGB. Dieser legt aber die Preisgefahr dem Händler auf und befreit ihn davon erst mit der Übergabe der Ware an den Verbraucher.
Regelmäßig kein Gefahrenübergang bei Zustellung an Nachbarn
Wird ein Paket an einen empfangsbereiten Nachbarn zugestellt, weil der eigentliche Empfänger nicht anzutreffen ist, findet grundsätzlich kein Gefahrübergang hin zum Empfänger statt.
Das Gesetz macht den Gefahrübergang nämlich von der tatsächlichen Aushändigung der Ware an den bestimmungsgemäßen Empfänger abhängig. Nimmt ein Nachbar die Sendung an und geht sie sodann verloren, konnte der bestellende Verbraucher aber nie tatsächlichen Gewahrsam an der Ware begründen und darf mithin nicht so behandelt werden, als wirke die Ersatzzustellung unmittelbar für oder gegen ihn.
Etwas anderes gilt nur in Fällen, in denen Verbraucher konkret ausgewählten Nachbarn eine Vollmacht zur Entgegennahme erteilen und diese dem Versandunternehmen gegenüber kundtun. Erfolgt bei Abwesenheit des Verbrauchers die Zustellung an den bevollmächtigten Nachbarn, muss sich der Verbraucher aufgrund seiner ausdrücklichen Willensbekundung zur stellvertretenden Annahme durch einen Dritten so behandeln lassen, als sei ihm die Ware persönlich zugestellt worden. Dies hat dann zur Folge, dass mit der Übergabe an den bevollmächtigten Nachbarn die Preisgefahr auf den Verbraucher übergeht und Rückforderungsansprüche gegen den Händler ausgeschlossen sind.
Wird jedoch ohne vorangegangene Bevollmächtigung an irgendeinen Nachbarn zugestellt, ohne dass der Verbraucher der Ersatzzustellung im Vorfeld zustimmen konnte, verbleibt die Preisgefahr beim Händler.
Kommt ein Paket beim Verbraucher also nicht an, weil es in der Sphäre des Nachbarn verloren geht, trägt der Händler dafür die wirtschaftliche Verantwortung.
Wird er nach § 275 Abs. 1 BGB von der Leistung frei, entfällt für den Verbraucher bei einem Verbrauchsgüterkauf nach § 326 Abs. 1 BGB deswegen die Kaufpreiszahlungspflicht.
Ist der Kaufpreis bereits gezahlt worden, muss ihn der Händler nach § 326 Abs. 4 BGB i.V.m. § 346 BGB zurückerstatten.
Dies gilt selbst dann, wenn der Nachbar zu vertreten hätte, die Bestellung nicht mehr aushändigen zu können.
Da der Nachbar im Vertragsverhältnis zwischen Händler und Verbraucher unbeteiligter Dritter ist, ist auch in diesem Fall der Untergang der Sendung weder von der einen oder anderen Vertragspartei zu vertreten mit der Folge, dass die o.g. Gefahrtragungsregeln Anwendung finden.
III. Regressansprüche des Händlers
Verliert der Händler infolge des Untergangs der Kaufsache beim Nachbarn seinen Kaufpreisanspruch und muss so gegebenenfalls bereits bezahlte Beträge zurückerstatten, erleidet er einen Schaden in Höhe des Warenwertes. Immerhin besitzt der weder die veräußerte Ware, noch hat er einen Anspruch auf den Kaufpreis.
Ob und inwiefern er diesen Schaden entweder beim Versandunternehmern oder beim Nachbarn kompensieren kann, soll im Folgenden erörtert werden.
1.) Regress gegenüber Transportdienstleister
Übergibt der Händler die Kaufsache einem Transportunternehmen, schließt er mit diesem einen sogenannten Frachtvertrag, welcher das Unternehmen zur ordnungsgemäßen Beförderung an den bestimmungsgemäßen Empfänger verpflichtet.
Grundsätzlich ist es dem Transportdienstleister vertraglich also nicht gestattet, die Ware im Wege der Ersatzzustellung einem Dritten anstelle des Empfängers zuzustellen, um sich damit der Beförderungsverpflichtung zu entledigen. Derartige Ersatzzustellungen bedürfen insofern eigentlich stets einer ausdrücklichen Einwilligung des auftraggebenden Händlers.
Liefert ein Dienstleister die Ware im Wege der Ersatzzustellung aus, verstößt er damit prinzipiell gegen seine vertragliche Pflicht zur Übergabe an den Empfänger und wird für etwaige Schäden, die dem Händler hieraus entstehen, nach §280 Abs. 1 BGB ersatzpflichtig.
Allerdings behalten sich Transportdienstleister das Recht zur Ersatzzustellung an Nachbarn grundsätzlich in ihren AGB vor und bedingen damit eine vorangehende Einwilligungspflicht des Händlers ab, um den Zustellprozess zu vereinfachen und effizienter auszugestalten.
AGB-Klauseln, die das initiative Recht des Transportunternehmens auf Ersatzzustellung an Nachbarn mit schuldbefreiender Wirkung bei Nichtantreffen des Empfängers vorsehen, sind in B2B-Vertragsverhältnissen (wie etwa denjenigen zwischen Händler und Transportunternehmen) grundsätzlich wirksam.
Behält sich ein beauftragtes Transportunternehmen in seinen AGB bei Abwesenheit des Empfängers die Ersatzzustellung beim Nachbarn also vor und kann diese im Streitfalle nachweisen, ist ein Regress beim Transportdienstleister regelmäßig ausgeschlossen.
2.) Regress gegenüber annehmendem Nachbarn
Anstelle einer Schadloshaltung beim Transportunternehmen kommt ein Regress beim Nachbarn in Betracht, in dessen Sphäre das Paket vor der Übergabe an den Empfänger verloren ging.
Weil das Eigentum an der Versandware mangels Entgegennahme durch den bestimmungsgemäßen Empfänger noch nicht auf diesen übergehen konnte und mithin bei einer Annahme durch den Nachbarn noch dem Händler zusteht, kann der Nachbar für den Untergang der Sendung grundsätzlich aus §823 Abs. 1 BGB in Anspruch genommen werden.
Die Person des Nachbarn, an den ersatzweise zugestellt wurde, ist vom Händler auf simplem Wege mit Hilfe des Transportunternehmers oder durch Mitwirkung des Empfängers zu ermitteln, dem regelmäßig ein Abholschein mit ausgewiesenem Namen des Ersatzempfängers vorliegen wird.
Maßgebliche Voraussetzung für die Geltendmachung des Regresses in Höhe des Warenwerts, den der Händler durch Verlust seines Zahlungsanspruchs einbüßen muss, ist allerdings, dass der Nachbar den Verlust der Sendung verschuldet, also vorsätzlich oder fahrlässig herbeigeführt hat.
Weil den Nachbarn eine Sorgfaltspflicht für die Aufbewahrung des Pakets bis zur Übergabe an den Empfänger aus dem Gedanken heraus trifft, dass er sich freiwillig zur Entgegennahme bereiterklärt hat und diese auch hätte ablehnen können, wird ein fahrlässig verschuldeter Untergang regelmäßig anzunehmen sein, wenn
- der Nachbar das Paket unbeaufsichtigt vor der Wohnungstür des Empfängers deponiert und es sodann entwendet wird
- das Paket an einem allgemein zugänglichen Ort außerhalb der nachbarlichen Herrschaftssphäre gelagert wird und verschwindet
- das Paket vom Nachbarn zur Weitergabe an den Empfänger an einen Dritten übergeben wird, der nicht nachweisen kann, zur Abholung bevollmächtigt zu sein
- der Paketinhalt durch ein schädigendes Verhalten des Nachbarn selbst vollständig zerstört wird (Herunterfallenlassen, unsachgemäße Lagerung etc.)
Kann der Händler (gegebenenfalls unter Mitwirkung des Empfängers) ein derartiges Fehlverhalten des Nachbarn nachweisen, ist dieser ihm gegenüber verpflichtet, den entstandenen Schaden zu ersetzen.
IV. Reaktionsmuster für Mandanten
Für Mandanten bieten wir hilfreiche Reaktionsmuster für Fälle an, in denen Verbraucher nach Paketverlust in der Nachbarssphäre Ansprüche geltend machen.
Die Muster stehen hier im Mandantenportal zur Verfügung.
V. Fazit
Die Gefälligkeit eines Nachbarn, bei Abwesenheit des Empfängers eine Sendung für diesen anzunehmen, birgt für den Händler stets ein wirtschaftliches Risiko.
Gehen Pakete vor der Übergabe an den Empfänger nämlich durch den Nachbarn verloren, verliert der Händler seinen Anspruch auf Kaufpreiszahlung und muss bereits gezahlte Beträge an den Verbraucher zurückerstatten.
Wegen entsprechender AGB-Klauseln kann der Händler seinen Schaden regelmäßig nicht beim beauftragten Transportunternehmen geltend machen. Demgegenüber kann eine Schadloshaltung beim Nachbarn erfolgreich sein, wenn dieser den Untergang der Sendung, etwa durch infolge eines unbedachten Abstellens vor der Wohnung des Empfängers, verschuldet hat.
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16 Kommentare
Alles wird auf einen Konflikt zwischen Kunde - Onlineshop abgewälzt, der dann versuchen muss, sein Geld beim Transporteur wieder einzufordern oder gleich zu lassen und als Verlust abzuschreiben.
1. Es gibt keine COVID Einschränkungen mehr, die diese Art rechtfertigen
2. Zustelldienste sind Dienstleister mit einem Beförderungsauftrag.
3. Es wird eine feste Adresse vereinbart und keine Angaben vor der Haustür, Kontaktlos oder sonst wo.
4. Der Aufwand nach einer solchen nicht erhaltenen Lieferung sollte dem Dienstleister mit mind. 45 Euro netto in Rechnung gestellt werden. Dies betrifft die Schadensmeldung, Einholung von Erklärungen des Kunden usw.
Warum sind Zusteller nicht verpflichtet, persönlich zu klingeln? DHL will sich ja demnächst noch weiter aus dieser Verantwortung winden.
Nun fühlt sich natürlich keiner Schuldig ! Ich möchte Ihm weder den Inhalt schenken noch habe ich Kontakt zu Ihm und möchte dies auch nicht ! Ich bin seit 6 Monaten weg und stehe unter Schutz damit er mich nicht finden kann ...
Was kann ich in so einem Fall tun ??
Dann haben die ja deine Unterschrift, da der Empfänger schließlich das Paket quittiert. Dann kann man nicht einfach behaupten, das Paket sei verloren udn alles hat seine Richtigkeit. Aber wenn irgendein Nachbar/angeblicher Nachbar/Besuch von Nachbarn unterschreibt und das Paket verschlampt, behält, nicht rausrückt, dann haben Versender/Transporteur eben NICHT den Nachweis, daß an den korrekten Empfänger geliefert wurde.
Und in dem Fall kann man sich (hoffe ich!!) auch durchsetzen und sein Geld zurückerhalten.