Prüf- und Überwachungspflicht auf Amazon: „Nahezu werktägliche“ Überprüfung = Schutz vor Vertragsstrafe!
Bereits im Jahr 2016 urteilte der BGH, dass Amazon-Händler für ihre Angebot für die durch Dritte begangenen Rechtsverstöße haften. Um eine solche Haftung zu vermeiden, obliegt es dem Amazon-Händler „regelmäßige“ Prüf- und Überwachungspflichten einzuhalten. Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht konkretisierte nun in einer aktuellen Entscheidung das Merkmal der "Regelmäßigkeit" solcher Prüf- und Überwachungspflichten. Lesen Sie mehr hierzu in unserem Beitrag.
Inhaltsverzeichnis
- Was lag dem Fall für ein Sachverhalt zugrunde?
- Urteil des OLG Schleswig-Holstein
- „Nahezu werktägliche Überprüfung“ kann genügen
- Prüfungsfrequenz: Auf die Art der Ware kommt es an
- „Nahezu werktägliche Überwachung“ von Standardprodukten ausreichend
- Softwaregestützte Überwachung ist nicht notwendig
- Fazit
Was lag dem Fall für ein Sachverhalt zugrunde?
Ein Interessenverband (Kläger) ging gegen einen Online-Händler (Beklagter) vor. Im Raum stand der Streit darum, ob der Beklagte an den Kläger eine Vertragsstrafe aus einem in der Vergangenheit geschlossenen Unterlassungsvertrag zu zahlen hatte.
Der Verstoß gegen den Unterlassungsvertrag lag in der Bewerbung einer Garantie, wobei die zugehörigen Garantiebedingungen nicht entsprechend erläutert wurden. Das LG Itzehoe (Urt. v. 29.06.2018, Az. 5 HKO 12/18) wies die Klage auf Zahlung der Vertragsstrafe ab. Zwar sei ein Verstoß gegen die strafbewehrte Unterlassungserklärung festzustellen. Den Beklagten treffe jedoch kein Verschulden, da er seine Angebote „fast werktäglich“ auf problematische Begriffe in der Artikelbeschreibung überprüft habe.
Der Kläger wollte diese Entscheidung nicht akzeptieren und legte Berufung beim Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht ein.
Urteil des OLG Schleswig-Holstein
Auch das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht (Urt. v. 02.04.2019, Az. 6 U 30/18) wies die Klage ab. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Zahlung einer Vertragsstrafe, da der Beklagte nicht schuldhaft gegen die Vertragsstrafenvereinbarung verstoßen habe.
Grundsätzlich habe der Beklagte im Rahmen des abgegebenen Vertragsstrafeverprechens Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten. Wenn eine Zuwiderhandlung vorliege, werde das Verschulden des Schuldners vermutet, sofern er sich nicht entlasten könne. Die vom Beklagten vorgenommenen Kontrollen hätten jedoch ausgereicht, um die bestehende Verschuldensvermutung zu widerlegen. Mangels Verschuldens sei die Berufung somit zurückzuweisen, so die Richter.
„Nahezu werktägliche Überprüfung“ kann genügen
Die von der Vorinstanz festgestellte „nahezu werktägliche Überprüfung“ der Angebote durch den Beklagten mittels manueller Stichwortsuchen habe die Verschuldensvermutung entkräftet.
Die Häufigkeit und die Art und Weise der Überprüfungen genügten sogar den vom BGH im Rahmen der Störerhaftung im Markenrecht aufgestellten Anforderungen, so das Gericht. Hiernach sei dem Anbieter auf dem Amazon Marketplace zuzumuten, ein von ihm dauerhaft oder über einen längeren Zeitraum eingestelltes Angebot regelmäßig darauf zu überprüfen, ob rechtsverletzende Änderungen vorgenommen worden sind.
Wie häufig solche Prüf- und Überwachungspflichten auszuführen seien, sei nicht starr nach Tagen bzw. Stunden zu beurteilen. Vielmehr müsse im Rahmen einer Einzelfallbetrachtung jeweils eine angemessene Regelmäßigkeit der Prüfpflicht ermittelt werden, so der BGH.
Prüfungsfrequenz: Auf die Art der Ware kommt es an
Im vorliegenden Fall konkretisierte das OLG die vom BGH aufgestellten Grundsätze. Die Richter erachteten die Prüfungsfrequenz des Beklagten als ausreichend. Ein Kriterium bei der Bestimmung der Prüfungsfrequenz sei die Frage, ob es sich bei den angebotenen Artikeln um Waren handele, an deren ASIN viele andere Händler angehängt sind. Solche Angebote klassifizierte das Gericht als „Standardware“. Hier sei die Prüfpflicht intensiver als bei Produkten, die von eher wenigen Händlern angeboten werden.
Weiter spiele auch die Komplexität des Produkts eine Rolle. Bei komplexen Produkten sei die Wahrscheinlichkeit höher, dass etwaige Fehler in der Artikelbeschreibung zu finden sein könnten. Dementsprechend sei hier auch ein höherer Prüfungsmaßstab anzusetzen als bei simplen oder standardisierten Produkte wie z. B. Büchern.
Noch ein weiterer Aspekt zur Beurteilung der Prüfungsfrequenz sei die Frage, ob ein Fehler in der Artikelbeschreibung schwerwiegende Folgen haben könne. Dies sei beispielsweise bei sicherheits- oder gesundheitsbezogenen Angaben der Fall.
„Nahezu werktägliche Überwachung“ von Standardprodukten ausreichend
Dem Rechtsstreit lagen unvollständige Artikelbeschreibungen von Haushaltsartikeln (Bratpfanne und Toaster) zugrunde. Bei solchen Waren handle es sich nach Ansicht des Gerichts um standardisierte Produkte. Zwar sei eine höhere Prüfungsintensität erforderlich, da an solchen Angeboten viele andere Händler angehängt seien.
Vorliegend handele es sich jedoch um unvollständige Angaben betreffend einer Garantie und somit seien weder Gesundheits- noch Sicherheitsgefahren zu befürchten gewesen. Aus diesem Grund sei es unschädlich, dass an vereinzelten Werktagen die Überprüfung unterblieben sei. Nahezu werktägliche, morgendliche Überprüfungen seien jedenfalls ausreichend gewesen.
Softwaregestützte Überwachung ist nicht notwendig
Das OLG Schleswig-Holstein ging auch auf einen Einwand des Klägers ein, wonach der Beklagte Software zur Prüfung und Überwachung seiner Angebote hätte einsetzen sollen. Eine Softwarelösung sei laut Kläger in der Lage, in Echtzeit mit minutengenauen Benachrichtigungen über Veränderungen in den Angeboten zu informieren.
Eine manuelle Suche des Beklagten komme dem nicht im Ansatz nahe und sei deshalb nicht ausreichend für eine Entlastung. Dieser Einschätzung erteilte das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht jedoch eine Absage. Einem Verkäufer könne nicht allgemein vorgeschrieben werden, dass er eine Software einsetzen müsse, wenn die Schlagwortsuche ausreiche, um auf etwaige Veränderungen seines Angebots in angemessener Zeit zu reagieren.
Fazit
Grundsätzlich ist die Abgabe einer Unterlassungserklärung in Bezug auf Inhalte von Artikelbeschreibungen auf der Plattform Amazon problematisch. Auch andere Händler, die an dieselbe ASIN angehängt sind, können unter anderem die Produktbeschreibung ändern (sofern diese die Änderungs- bzw. Schreiberechte für den jeweiligen Artikel inne haben). Wird aufgrund einer solchen Änderung eines Dritten ein Rechtsverstoß begangen, haftet der Amazon-Händler, wenn er sich nicht entsprechend entlasten kann. Eine solche Entlastung kommt in Betracht, wenn die eigenen Angebote regelmäßig auf Verstöße überprüft werden.
Die im vorliegenden Urteil zitierte BGH-Rechtsprechung (Urt. v. 03.03.2016, Az. I ZR 140/14) führt dazu, dass Händler ihre Angebote „regelmäßig“ auf unzulässige Angaben zu überprüfen haben, um sich bei durch Dritte begangene Rechtsverstöße entlasten zu können.
Was genau unter „regelmäßig“ zu verstehen ist, wurde durch den BGH offengelassen. Nach Ansicht des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht ist eine „nahezu werktägliche“ Überprüfung sämtlicher Angebote ausreichend. Dies gilt laut OLG jedoch nur für „Standardware“. Ein weiterer Faktor für die Bestimmung der Prüfungsfrequenz ist die Frage, ob viele oder nur wenige andere Händler an die entsprechende ASIN angehängt sind. Schließlich könnten auch drohende Gesundheits- oder Sicherheitsgefahren aufgrund falscher Angaben in den Produktbeschreibungen eine höhere Prüfungsfrequenz rechtfertigen.
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