OLG Rostock: Kein Anscheinsbeweis bei der Beweisfrage zum Zugang von E-Mails

OLG Rostock: Kein Anscheinsbeweis bei der Beweisfrage zum Zugang von E-Mails
26.08.2024 | Lesezeit: 6 min

Die Frage des Zugangs spielt in Rechtsstreitigkeiten eine zentrale Rolle, insbesondere bei Fristen und Willenserklärungen. Während bei Briefen oft ein Anscheinsbeweis greift, ist die Situation bei E-Mails komplexer. Das Oberlandesgericht Rostock entschied am 03.04.2024 (Az.: 7 U 2/24), dass dieser Anscheinsbeweis bei E-Mails nicht gilt, sodass der Absender den tatsächlichen Zugang der Nachricht detailliert nachweisen muss. Diese Entscheidung beeinflusst die Beweisführung in der digitalen Kommunikation erheblich.

Allgemein: Zugang einer Willenserklärung und Bedeutung

Wann eine Willenserklärung dem Empfänger als zugegangen gilt, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Von Bedeutung ist beispielsweise, ob die Willenserklärung empfangsbedürftig ist oder nicht. Ob sie unter Anwesenden oder Abwesenden abgegeben wird und ob sie mündlich erklärt wird oder ob es sich um eine verkörperte Erklärung, wie hier eine E-Mail, handelt. Gesetzlich geregelt ist nur der Zugang verkörperter Erklärungen unter Abwesenden.

Nicht empfangsbedürftige Willenserklärungen werden bereits mit ihrer Abgabe wirksam, wenn der Wille des Erklärenden erkennbar endgültig geäußert wurde, so dass sich die Frage des Zugangs hier nicht stellt.

Relevant wird dieser jedoch bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen. Diese können nämlich erst dann eine Rechtsfolge auslösen, wenn sie einem anderen zugegangen sind. Ist der Wille des Erklärenden erkennbar endgültig geäußert und die Erklärung willentlich in Richtung des Empfängers in Bewegung gesetzt, so ist in der Regel der Zugang der Willenserklärung erfolgt. Dieser ist im Rechtsverkehr von großer Bedeutung, da er Auswirkungen auf Fristen und z.B. die Widerrufsmöglichkeit nach § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB hat.

Zunächst ist zwischen Willenserklärungen unter Anwesenden und unter Abwesenden zu unterscheiden.

Die Abgabe unter Anwesenden setzt eine gleichzeitige Kommunikation und damit eine unmittelbare Kenntnisnahme voraus. Bei verkörperten Erklärungen tritt der Zugang mit der Übergabe der Erklärung ein. Bei mündlichen Erklärungen ist nach der eingeschränkten Vernehmungstheorie darauf abzustellen, ob der Empfänger unter normalen Umständen Kenntnis nehmen kann. Auch ohne tatsächliche Kenntnisnahme gilt die Erklärung als zugegangen, wenn der Erklärende keinen Zweifel daran haben muss, dass der Empfänger die Erklärung verstanden hat.

Wird eine Erklärung unter Abwesenden abgegeben, so gilt sie gemäß §§ 130, 131 BGB grundsätzlich dann als zugegangen, wenn sie in den räumlichen oder persönlichen Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dieser unter gewöhnlichen Umständen die Möglichkeit der Kenntnisnahme hatte (eine tatsächliche Kenntnisnahme ist nicht erforderlich), diese nach den Gepflogenheiten des Rechtsverkehrs auch erwartet werden kann und kein vorheriger oder gleichzeitiger Widerruf i.S.v. § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB vorliegt.

Der Gesetzgeber hat das Risiko, dass eine verkörperte Willenserklärung den Empfänger nicht oder verspätet erreicht, zwischen Absender und Empfänger verteilt. Ersterer trägt das Zugangsrisiko bis zu dem Zeitpunkt, zu dem unter normalen Umständen mit der Kenntnisnahme zu rechnen ist. Der Empfänger trägt das Risiko, dass er die Willenserklärung aus Gründen, die in seiner Person liegen, nicht oder erst verspätet zur Kenntnis nimmt. Entscheidend ist die abstrakte Möglichkeit der Kenntnisnahme unter gewöhnlichen Umständen.

In seinem Urteil vom 03.04.2024 (Az.: 7 U 2/24) hat sich das OLG Rostock nunmehr mit der Frage befasst, wann eine elektronische Willenserklärung in Form einer E-Mail im gewöhnlichen Geschäftsverkehr als zugegangen gilt und welcher Beweis hierfür zu erbringen ist.

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Die Entscheidung des OLG Rostock

Nach Auffassung des OLG Rostock trägt grundsätzlich der Kläger die Beweislast für den Zugang einer E-Mail. Die oben erwähnte Beweiserleichterung des Anscheinsbeweises greife hier nicht.

Das Gericht argumentiert, dass es keine Grundlage für die Annahme eines Anscheinsbeweises für den Zugang einer versandten E-Mail (ohne Empfangs- oder Lesebestätigung) gebe. Sowohl in der höchstrichterlichen Rechtsprechung als auch in der Lehre wird die Auffassung vertreten, dass für den Zugang einer gewöhnlichen E-Mail allein aufgrund der Absendung (auch in Verbindung mit dem Ausbleiben einer Unzustellbarkeitsnachricht des Absenders) kein Anscheinsbeweis spricht. Auch wenn der Zugang unter den genannten Voraussetzungen die Regel sein mag, ist er unter den gegenwärtigen technischen Bedingungen noch nicht so typisch, dass eine Beweiserleichterung des ersten Anscheins gerechtfertigt wäre.

Das Gericht führte weiter aus, dass die Beklagte auch auf Hinweis der Klägerin ihren elektronischen Posteingang im fraglichen Zeitraum nicht vorlegen bzw. offenlegen müsse. Ebenso wie in der „analogen“ Welt sei dies nicht gerechtfertigt. Auch dort könne der Nachweis des Zugangs einer Willenserklärung im Rahmen eines Zivilprozesses nicht durch die Durchsuchung von Briefkästen oder Wohn- und Geschäftsräumen des vermeintlichen Empfängers geführt werden. Ebenso wenig kann von einem vermeintlichen E-Mail-Empfänger verlangt werden, dass er selbst seinen E-Mail-Account mit dem virtuellen Posteingang oder sonstigen Ablageordnern (z.B. „Gelöschte Objekte“) zu Beweiszwecken zur Verfügung stellt.

Auswirkungen auf Online-Händler im Tagesgeschäft

Insgesamt erfordert die Entscheidung des OLG Rostock von Online-Händlern auch im Tagesgeschäft einen sorgfältigeren Umgang mit der E-Mail-Kommunikation und verstärkte Maßnahmen zur Nachweisbarkeit des Zugangs elektronischer Nachrichten. Dies ist vor allem wichtig, damit Sie als Online-Händler im Streitfall die erforderlichen Nachweise erbringen können. Im Folgenden wird auf einige besonders relevante Aspekte hingewiesen.

  • Nachweis des Zugangs von E-Mails: Online-Händler müssen sicherstellen, dass sie den Zugang wichtiger E-Mails (z.B. Vertragsbestätigungen, Kündigungen, Fristsetzungen) nachweisen können. Dies kann bedeuten, dass sie verstärkt auf Lesebestätigungen oder Empfangsbestätigungen bestehen müssen.
  • Kommunikation mit Kunden: Es wird für Online-Händler entscheidend, zuverlässige und nachvollziehbare Kommunikationsmethoden zu verwenden, um den Zugang von wichtigen Mitteilungen sicher zu dokumentieren. Dies könnte die vermehrte Nutzung von zertifizierten E-Mail-Diensten oder anderen nachweisbaren Kommunikationswegen erfordern.
  • Rechtssicherheit: Ohne den Anscheinsbeweis müssen Händler zusätzliche Vorkehrungen treffen, um rechtliche Sicherheit zu erlangen. Dies kann erhöhte Kosten und Aufwand bedeuten, um im Streitfall den Zugang einer E-Mail zu beweisen.
  • Dokumentation und Archivierung: Händler sollten ihre Prozesse zur Dokumentation und Archivierung von E-Mails und elektronischen Mitteilungen überprüfen und gegebenenfalls anpassen, um den Anforderungen der Beweisführung gerecht zu werden.

Fazit

Die Beweislast für den Zugang einer E-Mail liegt grundsätzlich beim Absender. Ein Anscheinsbeweis, der den Zugang einer E-Mail allein aufgrund ihres Versands vermutet, ist nicht anerkannt. Weder die höchstrichterliche Rechtsprechung noch die juristische Literatur sehen hierfür eine Grundlage. Der bloße Versand einer E-Mail und das Ausbleiben einer Unzustellbarkeitsnachricht reichen nicht aus, um den Zugang der E-Mail zu beweisen. Der Empfänger ist auch nicht verpflichtet, seinen elektronischen Posteingang zu Beweiszwecken offenzulegen.

Um im Streitfall vor Gericht auf der sicheren Seite zu sein, sollten Sie als Online-Händler daher verstärkte Maßnahmen zur Nachweisbarkeit des Zugangs elektronischer Nachrichten ergreifen.

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