OLG Koblenz: Erforderlichkeit eines Kontrollmechanismus bei Eingrenzung des abnahmeberechtigten Kundenkreises
I. Welcher Sachverhalt ging der Entscheidung voraus?
Inhaltsverzeichnis
Ein nach § 8b UWG (Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb) eingetragener, qualifizierter Wirtschaftsverband klagte gegen die Betreiberin eines Online-Shops für Medizinprodukte, u.a. auch für die streitgegenständlichen Antigen-Tests zum Nachweis des Coronavirus SARS-Cov-2. Diese Corona-Schnelltests waren nicht für die Eigenanwendung durch Laien zugelassen.
Die Maßnahmen der Online-Händlerin zur Begrenzung des Kundenkreises im Hinblick auf zugangsbeschränkte Produkte waren wie folgt ausgestaltet:
Auf der Homepage des Online-Shops der Beklagten fand sich auf jeder Seite der Hinweis
"Exklusiv für Medizinprofis"
sowie darunter:
"Die Angebote dieses Shops sind für Personen, Anstalten, Behörden und Unternehmen bestimmt, welche die Artikel in ihrer beruflichen oder dienstlichen Tätigkeit anwenden."
Die letzte Aussage war auch in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Online-Händlerin enthalten.
Im Zuge des Bestellprozesses war unmittelbar über dem Bestätigungsbutton „Kaufen“ platziert:
"Ich habe die AGB gelesen und bin einverstanden. Darüber hinaus bestätige ich ausdrücklich einer Fachgruppe anzugehören und die Artikel in meiner beruflichen oder dienstlichen Tätigkeit anzuwenden."
Den Kläger erreichten Informationen, nach denen die Shopbetreiberin Corona-Schnelltests trotz fehlender Zulassung auch an nicht abnahmeberechtigte Laien verkaufte. Daraufhin bestellte und erhielt ein angestellter Syndikusanwalt des klägerischen Wirtschaftsverbandes die besagten Corona-Schnelltests im Online-Shop der Beklagten.
Der Kläger sah hierin die unzulässige Abgabe von Tests an einen Käufer, der keiner bezugsberechtigten Fachgruppe angehöre, mahnte die Händlerin ab und verlangte die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung, die bis zum Zeitpunkt des Urteils nicht erfolgt war.
Vor Gericht machte der Wirtschaftsverband einen Verstoß der Beklagten gegen §§ 3 Abs. 1, 3a UWG i.V.m. § 6 MPG (Medizinproduktegesetz) aufgrund einer rechtswidrigen Abgabe von Schnelltests geltend. Hinsichtlich der Abgabe mangele es an effektiven Maßnahmen zur Sicherstellung bzw. zur Kontrolle eines Verkaufs des Produktes ausschließlich an empfangsberechtigte Personenkreise.
So habe der nicht abnahmeberechtigte Syndikusanwalt bei der Bestellung nicht aktiv durch Anklicken eines separaten Kästchens bestätigen müssen, zum Kreis der Bezugsberechtigten der MPAV (Medizinprodukte-Abgabeverordnung) zu gehören. Der Hinweis auf der Homepage und in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Shopbetreiberin genüge jedenfalls nicht der ordnungsgemäßen Zugangsbeschränkung eines für einen eingrenzten Kundenkreis zugelassenen Produkts.
Nach Ansicht der Beklagten sei im Hinblick auf die Erweiterung des Kreises der Bezugsberechtigten durch § 3 Abs. 4a MPAV nicht zumutbar die Nachprüfung möglich, ob die Online-Bestellung durch eine berechtigte Person aufgegeben wurde. Sie könne nur auf die mit der Bestellung zwingend abgegebene Zusicherung des Kunden vertrauen, dieser sei einer entsprechenden Fachgruppe zuzuordnen und verwende die Ware in beruflicher oder dienstlicher Tätigkeit.
Die Abgabe an den Syndikusanwalt des klägerischen Verbandes sei schon aufgrund seiner Eigenschaft als abnahmeberechtigter Arbeitgeber i.S.d. § 3 Abs. 4a MPAV nicht unzulässig. Der Syndikusanwalt bestellte unter Angabe der E-Mail-Adresse seiner Kanzlei. Dies habe für die Händlerin keine Zweifel an einer Arbeitgeberschaft des Käufers begründet. Der Kläger habe den geltend gemachten Verstoß gegen § 6 MPG durch den Testkauf vielmehr provoziert.
II. So hat das OLG Koblenz entschieden
Das Oberlandesgericht Koblenz lehnte wie die Vorinstanz die Rechtsauffassung der Beklagten ab und wies ihre Berufung zurück.
1. Erforderlichkeit ausreichender Kontrollmechanismen
Das Gericht führte aus, die Shopinhaberin müsse bei der Wahl und Ausgestaltung ihrer Vertriebswege eigenverantwortlich gewährleisten, dass keine Abgabe der streitgegenständlichen Corona-Schnelltests an nicht empfangsberechtigte Kunden erfolgt.
Der Verkauf an den Syndikusanwalt des klägerischen Verbandes stelle die Abgabe an eine nicht abnahmeberechtigte Person dar, vor allem handele es sich mangels Beschäftigung von Mitarbeiter nicht um einen Arbeitgeber gemäß §§ 3 Abs. 4a Nr. 4 MPAV.
Ob der Besteller durch die Angabe der E-Mail-Adresse seiner Kanzlei das Vertrauen auf seine Arbeitgeberstellung begründete, müsse nicht abschließend geklärt werden, da die Händlerin selbst nicht geltend mache, vor Versendung der Ware die hinterlassenen Kundendaten auf eine Berechtigung hin zu kontrollieren.
Ebenso sei es nicht unüblich, dass Besucher von Online-Shops Hinweise auf oder Erläuterungen zu Zugangsbeschränkungen bestimmter Produkte vor Abschluss des Bestellvorgangs nicht wahrnehmen oder bewusst übergehen.
2. Keine Rechtsmissbräuchlichkeit des provozierten Verstoßes durch Testkauf
Im vorliegenden Fall sei dem Kläger auch nicht nach Treu und Glauben versagt, die unzulässige Abgabe im Zuge eines Testkaufs geltend zu machen, da er den Kauf nicht auf unlautere Weise herbeigeführt habe.
Grundsätzlich gelte, dass bei der unlauteren Hervorrufung eines fremden Wettbewerbsverstoßes Rechtsmissbräuchlichkeit vorliege, wenn Unterlassung gefordert wird. Dies sei auch der Fall, wenn dabei mit dem veranlassten Verstoß die Verletzung der Interessen Dritter bzw. der Allgemeinheit verbunden ist.
Unlauterkeit könne jedoch nicht bereits bei einem normalen Testkauf durch einen Konkurrenten oder einem von ihm Beauftragten angenommen werden. Im Grundsatz seien Testkäufe nämlich zulässig. Der Testkauf stelle ein unverzichtbares Mittel zur Kontrolle des Wettbewerbsverhaltens von Mitbewerber dar. Für seinen Erfolg sei die Geheimhaltung des Zwecks unumgänglich.
Als unzulässig seien jedoch solche Testkäufe anzusehen, die lediglich das Ziel verfolgen, den Konkurrenten „hereinzulegen“, um ihn mit wettbewerbsrechtlichen Forderungen belasten zu können. Dies sei bei dem Gebrauch verwerflicher Mittel oder bei Fehlen zulänglicher Hinweise auf bereits eingetretene oder zukünftige Rechtsverstöße in Erwägung zu ziehen.
Die Unzulässigkeit des vorliegenden Testkaufs sei nach diesen Grundsätzen nicht gegeben. Bereits vor der Bestellung des Syndikusanwalts erreichten den Kläger Informationen über den Verkauf nicht zugelassener Schnelltests an Laien durch die Beklagte. Für diesen Verdacht hätte auch die Ausgestaltung des Bestellprozesses gesprochen: Dabei werde vom Kunden nämlich keine über die stets notwendige Betätigung des Buttons „Kaufen“ hinausgehende Handlung gefordert, mit der er separat erkläre, dem abnahmeberechtigten Personenkreis anzugehören.
Die konkrete Bestimmung der im vorliegenden Fall ausreichenden Kontrollmechanismen könne offenbleiben, da die Händlerin jedenfalls weder eine Abfrage der genauen empfangsberechtigten Personengruppe, welcher der Käufer zuzuordnen sei, noch eine separate Bestätigung der generellen Abnahmeberechtigung des Kunden durch sein „Anklicken“ eines zusätzlichen „Kästchens“ vorgenommen habe.
Die Unzulässigkeit des Testkaufs ergebe sich auch nicht aus dem Hinwegsetzen des Syndikusanwalts über die allgemeinen Hinweise auf der Homepage und in den AGB der Shopbetreiberin, dass die Angebote nur für Personen, Anstalten, Behörden und Unternehmen bestimmt seien, welche die Artikel in ihrer beruflichen oder dienstlichen Tätigkeit anwenden oder aus der durch Betätigung des „Kaufen-Buttons“ automatischen Bestätigung, zu einer solchen Fachgruppe zu gehören.
Das Gericht führte die Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofes an, der bei einer vergleichbaren Ausgestaltung des Bestellprozesses eine Rechtsmissbräuchlichkeit des Testkaufs annahm, da der Käufer darauf abgezielt habe, sich den Vorsorgemaßnahmen der Beklagten zur Abwendung eines Wettbewerbsverstoßes zu entziehen und dadurch einen solchen Verstoß auszulösen.
Allerdings sei eine derartige Rechtsmissbräuchlichkeit jedenfalls dann abzulehnen, wenn wie vorliegend Anhaltspunkte dafür bestehen, dass bei entsprechender Ausgestaltung des Bestellprozesses Lieferungen an nicht bezugsberechtigte Käufer erfolgen und auf diese Weise ein Abgabeverbot verletzt wird.
Zulässige Testkäufe könnten ebenso bezwecken, die erfolgreiche Funktionsweise von Kontrollmechanismen zur Verhinderung eines Missbrauchs oder auch lediglich eines Fehlgebrauchs durch Kunden zu testen. Hierbei müsse sich der beauftragte Testkäufer rechtswidrig verhalten, da sonst die Kontrollmaßnahmen nicht zum Zuge kommen und folglich auch nicht überprüft werden könnten.
Vorliegend beschuldige der Kläger die Händlerin, keine geeigneten Kontrollmechanismen zur Unterbindung von Abgaben an nicht Abnahmeberechtigte eingebaut und so gegen das Abgabeverbot verstoßen zu haben. Der eingesetzte Testkäufer hätte nur auf die erfolgte Weise handeln können, um entsprechenden Meldungen auf den Grund zu gehen.
Das Gericht verneinte daher einen rechtsmissbräuchlichen Testkauf und nahm aufgrund der unzulässigen Abgabe der Schnelltests durch die Beklagte einen Unterlassungsanspruch an.
III. Fazit
Online-Händler haben beim Verkauf von Produkten, die einer Zugangsbeschränkung an ausgewählte Kundenkreise unterliegen, besondere Sorgfalt walten zu lassen.
Das OLG Koblenz entschied, dass hierzu ausreichende Kontrollmaßnahmen vom Anbieter ergriffen werden müssen. Reine Hinweise auf der Homepage oder in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen genügen nicht einer ordnungsgemäßen Zugangsbeschränkung.
Testkäufe zur Kontrolle der getroffenen Vorsorgemaßnahmen sind grundsätzlich zulässig. Insbesondere bei Vorliegen von Anhaltspunkten über Verkäufe an nicht abnahmeberechtigte Kunden ist ein Testkauf zur Überprüfung nicht rechtsmissbräuchlich, auch wenn dadurch ggf. ein Verstoß des Händlers gegen ein Abgabeverbot provoziert wird.
Jedenfalls die Abfrage der jeweiligen zugehörigen Personengruppe an Empfangsberechtigten oder die separate Bestätigung der generellen Abnahmeberechtigung durch Anklicken des Bestellers eines gesonderten Kästchens ist ratsam.
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