OLG Frankfurt a.M.: Als „im Vertrieb“ gelistetes Medikament bei tatsächlicher Nichtlieferbarkeit ist Irreführung
Damit Auskunft über die Verfügbarkeit von Medikamenten gegeben werden kann, gibt es spezielle Arzt- und Apothekensoftwaresysteme. Diese werden wiederum von Medikamenten-Informationssystemen mit Daten versorgt. Wie es wettbewerbsrechtlich zu bewerten ist, wenn die entsprechende Clearingstelle ein Medikament als „im Vertrieb“ listet, obwohl dieses wegen noch laufenden Patentschutzes frühestens in drei Monaten lieferbar ist, entschied das OLG Frankfurt a.M.
Inhaltsverzeichnis
I. Der Sachverhalt
Die Parteien stritten um die Unterlassung der Listung eines Arzneimittels in einem Medikamenten-Informationssystem. Bei der Antragstellerin handelte es sich um die deutsche Vertriebsgesellschaft der „A“-Unternehmensgruppe. Antragsgegnerin war die gemeinsame Clearingstelle der pharmazeutischen Industrie, des pharmazeutischen Großhandels und der Apotheker der Bundesrepublik Deutschland. Sie ist für die Erhebung wirtschaftlicher und rechtlicher Daten über Arzneimittel und apothekenübliche Waren in ihrer Datenbank zuständig. Diese Clearingstelle-Datenbank bildet die Grundlage aller Arzt- und Apothekensoftwaresysteme.
Nachdem ein Medikament im System als „lieferbar“ angezeigt worden war, obwohl es in Ansehung eines noch bestehenden Patentschutzes erst einige Monate später tatsächlich am Markt verfügbar gewesen wäre, beantragte die Antragstellerin vor dem LG Frankfurt a.M. den Erlass einer einstweiligen Unterlassungsverfügung gegen die Antragsgegnerin.
Die Listung weise eine nicht bestehende Marktverfügbarkeit aus und sei irreführend gem. § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 UWG. Insbesondere entfalte die Irreführung auch Relevanz gegenüber Marktteilnehmern, weil die Listung in die Endbenutzersoftware des Informationssystems für markttätige Fachkreise aufgenommen worden sei.
Nach antragsgemäßem Erlass der Verfügung und erfolglosem Widerspruch verfolgte die Antragsgegnerin ihr Rechtsschutzziel mit einer Berufung zum OLG Frankfurt a.M. weiter fort.
Die Antragsgegnerin bestritt schon das Vorliegen einer Irreführung. In der am Markt erhältlichen Endbenutzer-Software werde auch bei einem als „im Vertrieb“ gelisteten Arzneimittel jeweils der Lagerbestand angezeigt. Somit sei für den Endbenutzer erkennbar, dass das betroffene Medikament nicht lieferbar sei.
II. Die Entscheidung
Die Berufung blieb in der Sache erfolglos. Das OLG Frankfurt a.M. stufte die Listung des Medikaments als „im Vertrieb“ trotz frühster Lieferbarkeit in drei Monaten mit Urteil vom 18.08.2022 (AZ: 6 U 56/22) als wettbewerbswidrige Irreführung ein.
Der angesprochene Verkehrskreis begrenze sich im vorliegenden Fall auf die Fachkreise, d.h. auf die Ärzte und Apotheker. Dass sie die Daten aus der Clearingstelle-Liste nicht direkt erhielten, sondern nur deren Software mit diesen Daten versorgt werde, spiele keine Rolle. Maßgeblich sei, dass die Daten unverändert weitergegeben würden und so schließlich die Fachkreise erreichten. Diese würden die Listung als „im Vertrieb“ so verstehen, dass das Medikament grundsätzlich lieferbar sei.
Vorübergehende Lieferschwierigkeiten und Liefereinstellungen seien zwar nach den Clearingstelle-Richtlinien kein Anlass für die Statusmeldung „außer Vertrieb“. Allerdings seien diese Richtlinien für das Verkehrsverständnis heranzuziehen. Den angesprochenen Fachkreisen könne zwar eine erhöhte Kenntnis der Funktion und der Rahmenbedingungen der Clearingstellen-Datenbank unterstellt werden. Allerdings entnehme auch der hier angesprochene Verkehrskreis die Information, dass das Produkt grundsätzlich lieferbar sei und maximal temporäre Unterbrechungen vorlägen.
Für ein solches Verständnis spreche auch die eigene Definition der Antragsgegnerin von einem als „im Vertrieb“ gelisteten Medikament: „Ein Artikel mit Status im Vertrieb ist im Markt tatsächlich erhältlich und wird vom Anbieter vertrieben“.
Im vorliegenden Fall sei das Medikament jedoch grundsätzlich nicht lieferbar, da es aufgrund noch laufenden Patentschutzes frühestens erst in drei Monaten am Markt erhältlich gewesen wäre.
Ein Verkehrsverständnis, wonach die angesprochenen Kreise nicht verkehrsfähige, nicht zugelassene oder auch nicht lieferbare Arzneimittel in der Clearingstellen-Datenbank erwarteten, sei fernliegend. Ein solches Verständnis würde den Wert der Datenbank erheblich schmälern, da dann eine tatsächliche Versorgung eines Patienten mit einem eingetragenen Medikament nicht sichergestellt werden könne.
Schließlich sei die Irreführung auch geeignet, Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Handlung zu veranlassen, die sie sonst nicht getroffen hätten. Bezüglich der angesprochenen Apotheker habe die Antragsgegnerin nicht bestritten, dass es Apotheker gebe, die bei ihrer Software nicht über das Modul der Anzeige der aktuellen Verfügbarkeit verfügten. Für eben diese sei nicht ersichtlich, dass das Medikament nicht lieferbar sei.
III. Fazit
Der Betreiber eines Medikamenten-Informationssystems handelt irreführend, wenn er ein Medikament mit Status „im Vertrieb“ listet, obwohl dieses grundsätzlich nicht lieferbar ist. Dies stellt eine Irreführung über ein wesentliches Merkmal, im Fall die tatsächliche Lieferbarkeit, dar. Dies gilt auch dann, wenn das Medikament voraussichtlich in einigen Monaten lieferbar sein wird.
Diese Grundsätze lassen sich in identischer Geltungsweise auch auf sonstige Bereiche des Warenvertriebs übertragen. Eine unzutreffende Warenverfügbarkeitsaussage ist grundsätzlich als Irreführung zu werten, weil sie beim angesprochenen Verkehr falsche Liefererwartungen schürt.
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