Webshop-Betreiber aus dem Ausland und deutsches Widerrufsrecht im Fernabsatzhandel
Ein Händler mit Sitz in Österreich verkauft über einen Online-Shop Waren. Er versendet die Waren auch nach Deutschland. Muss dieser Händler nun gegenüber den deutschen Kunden eine deutsche Widerrufsbelehrung vorrätig halten?
Inhaltsverzeichnis
- I. Einführung
- II. Widerrufsbelehrungen und grenzüberschreitender Warenverkehr in der EU
- 1. Widerrufsrecht ist Verbraucherschutzrecht
- 2. Relevanz der Ausrichtung auf bestimmte EU-Staaten oder des Vertragsschlusses mit Verbrauchern?
- 3. Widerrufsbelehrung vorrätig halten vs. erteilen
- 4. Das Herkunftslandprinzip nach § 3 Absatz 1 und Absatz 2 TMG
- 5. Kein Einfluss auf den Ort des gewöhnlichen Aufenthalts des Käufers
- 6. Europaweite Rechtsunsicherheit und Gemeinsames Europäisches Kaufrecht
- III. Fazit
I. Einführung
Eine einfache und eindeutige Antwort auf die Frage ist nicht möglich. Die Thematik des grenzüberschreitenden Warenverkehrs, insbesondere beim Webshop-Verkauf an Verbraucher, wird gegenwärtig rechtlich stark diskutiert, ist höchstrichterlich jedoch noch nicht entschieden. Bislang hat sich – soweit ersichtlich – nur das LG Karlsruhe (Urteil vom 16.12.2011, Az. 14 O 27/11 KfH III) damit befasst.
Zudem ist die Frage nicht präzise gestellt, da nicht vollkommen klar ist, was mit „deutscher Widerrufsbelehrung“ gemeint ist. Ist darunter die Notwendigkeit einer Widerrufsbelehrung nach deutschem Recht in deutscher Sprache zu verstehen oder lediglich eine Belehrung in deutscher Sprache – wobei auch die Übersetzung einer dem Inhalt nach etwa spanischen Widerrufsbelehrung in deutscher Sprache darunter fallen würde?
II. Widerrufsbelehrungen und grenzüberschreitender Warenverkehr in der EU
Hinter dem Sachverhalt stecken mehrere rechtliche Fragen, die es zu beantworten gilt.
1. Widerrufsrecht ist Verbraucherschutzrecht
Das Widerrufsrecht im Fernabsatzhandel gemäß §§ 312d, 312b, 312c, 312e BGB bzw. nach der sog. Fernabsatzrichtlinie 97/7/EG vom 20. Mai 1997 dient dem Verbraucherschutz. Dies ist zwar nicht höchstrichterlich, aber vom LG Karlsruhe (Urteil vom 16.12.2011, Az. 14 O 27/11 KFH III) entschieden worden und leuchtet unmittelbar ein. Demzufolge gehört zum zwingenden Verbraucherschutzrecht das Widerrufsrecht des Verbrauchers samt all der damit verbundenen Informations- und Folgepflichten.
Die Einordnung des Widerrufsrechts als Verbraucherschutzrecht ist für die Bestimmung des auf einen Kaufvertrag zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher anzuwendenden Rechts nach der europäischen Rom I-Verordnung (Verordnung (EG) Nr. 593/2008 vom 17. Juni 2008) relevant.
Zwar können gemäß Artikel 3 Absatz 1 der Rom I-Verordnung Käufer und Verkäufer das auf den Kaufvertrag anzuwendende Recht frei wählen; allerdings setzt sich nach Artikel 6 der Rom I-Verordnung stets auch das Verbraucherschutzrecht des Aufenthaltsstaates der Käufers durch, wenn er Verbraucher ist. Dasselbe gilt, wenn die Kaufvertragsparteien gar keine Rechtswahl getroffen haben.
Wird somit im Fernabsatzhandel ein Kaufvertrag zwischen einem Verkäufer, der Unternehmer ist, mit Sitz in Österreich und einem Käufer, der Verbraucher ist, mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland geschlossen, so findet deutsches Verbraucherschutzrecht und damit auch das Recht des deutschen Fernabsatzwiderrufsrechts Anwendung.
2. Relevanz der Ausrichtung auf bestimmte EU-Staaten oder des Vertragsschlusses mit Verbrauchern?
Für die Beantwortung der Frage, ob das Verbraucherschutzrecht und damit das Fernabsatzwiderrufsrecht desjenigen Staates auf einen Kaufvertrag Anwendung findet, in dem der Käufer, der Verbraucher ist, seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, ist es irrelevant, ob der Verkäufer seinen Geschäftsbetrieb auf diesen Staat in irgendeiner Weise ausgerichtet hat.
Die etwaige Ausrichtung eines Geschäftsbetriebs – etwa eines Webshops – auf einen bestimmten Staat spielt lediglich bei der Bestimmung des anzuwendenden Wettbewerbsrechts oder des Vertragsstatuts sowie anderer rechtlicher Aspekte eine Rolle, soweit die Parteien keine ausdrückliche Rechtswahl getroffen haben.
3. Widerrufsbelehrung vorrätig halten vs. erteilen
Findet das deutsche Verbraucherschutzrecht und damit auch das deutsche Fernabsatzwiderrufsrecht Anwendung, weil ein Verkäufer, der Unternehmer ist, mit Sitz in Österreich oder einem anderen EU-Mitgliedstaat mit einem Käufer, der Verbraucher ist und seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat, einen Kaufvertrag schließt, so muss der Verkäufer den Käufer ordnungsgemäß über dessen (deutsches) Widerrufsrecht belehren.
Es genügt nicht, dass der Verkäufer eine deutsche Widerrufsbelehrung oder eine Widerrufsbelehrung in deutscher Sprache lediglich vorrätig hält. Es gelten die allgemeinen Pflichten nach dem deutschen Fernabsatzwiderrufsrecht, wie sie ein Verkäufer mit Sitz in Deutschland, der Unternehmer ist, gleichfalls beachten muss.
4. Das Herkunftslandprinzip nach § 3 Absatz 1 und Absatz 2 TMG
Das telemedienrechtliche sog. Herkunftslandprinzip, das in Deutschland in § 3 Absatz 1 und Absatz 2 des Telemediengesetzes (kurz: TMG) geregelt ist, das wiederum auf den EU-weit geltenden Artikel 3 der Richtlinie 2000/31/EG vom 8. Juni 2000 zurückgeht, führt nicht dazu, dass ein Verkäufer, der Unternehmer ist, lediglich die Vorschriften des Rechts desjenigen Mitgliedstaates beachten muss, in dem er seinen Sitz hat.
Zwar führt das Herkunftslandprinzip grob gesagt dazu, dass ein Diensteanbieter im Prinzip lediglich die Vorschriften desjenigen Staates beachten muss, in dem er niedergelassen ist. Allerdings bezieht sich dies nur auf die telemedienrechtlichen Regelungen, die einen alleinigen Online-Bezug haben.
Dies betrifft beispielsweise den Verkauf von unkörperlichen Gegenständen, wie den Verkauf von Software oder Musik per Download unmittelbar über das Internet, nicht aber den Online-Verkauf von körperlichen Gegenständen wie etwa Kleidungsstücken oder Software auf externen Datenträgern.
5. Kein Einfluss auf den Ort des gewöhnlichen Aufenthalts des Käufers
Ein Webshop-Betreiber muss stets das Fernabsatzwiderrufsrecht sowie das sonstige Verbraucherschutzrecht desjenigen Staates beachten, in dem der jeweiligen Käufer, der Verbraucher ist, seinen gewöhnlichen Aufenthalt, also seinen Wohnsitz hat.
Nach deutschem Recht – wenn also ein Webshop-Betreiber aus dem Ausland an einen Verbraucher mit Wohnort in Deutschland ein Produkt verkauft – muss der Verkäufer zumindest unmittelbar nach Vertragsschluss den Käufer über das Widerrufsrecht im Fernabsatzhandel frist- und formgerecht belehren.
Dasselbe gilt für Käufer, die ihren Wohnsitz in anderen EU-Mitgliedstaaten haben entsprechend.
Aus diesem Grund sollte ein Verkäufer seinen Webshop derart einrichten, dass er seine Waren lediglich an Verbraucher mit Wohnsitz in solchen Staaten verkauft, deren Verbraucherschutzrecht ihm bekannt ist und nach deren Recht er ordnungsgemäß über das Widerrufsrecht belehren kann.
Dies könnte dem Verkäufer in solchen Fällen Schwierigkeiten bereiten, in denen er sich seine Käufer nicht unmittelbar selbst aussuchen kann, wenn also ein Käufer aus dem Ausland einen Artikel im eBay- oder Webshop „anonym“ bestellt. Allerdings kann sich der Verkäufer darauf einstellen und seine Verkaufstätigkeit auf diejenigen Staaten beschränken, auf die er sich in rechtlicher Hinsicht vorbereitet hat. Dies kann er etwa dadurch erreichen, dass er in seinem Webshop bekannt macht, dass er seine Waren nur in die von ihm ausdrücklich genannten Staaten liefert.
6. Europaweite Rechtsunsicherheit und Gemeinsames Europäisches Kaufrecht
Im Bereich des grenzüberschreitenden Warenverkehrs herrscht folglich besonders im B2C-Bereich erheblicher Rechtsberatungsbedarf bis hin zu einer fast unerträglichen Rechtsunsicherheit.
Wenn ein Verkäufer mit Sitz in einem EU-Mitgliedstaat, beispielsweise Polen, seine Waren an Verbraucher in der gesamten EU verkaufen will, so muss er an sich das Verbraucherschutzrecht und damit u. a. das Widerrufsrecht im Fernabsatzhandel eines jeden EU-Mitgliedstaates beachten. Dazu zählt neben der Kenntnis der entsprechenden Rechtslage auch die Belehrung über das Widerrufsrecht mit richtigem Inhalt und in der korrekten Sprache. Dies bedeutet einen immensen Aufwand für den Verkäufer.
Hierauf hat die EU reagiert und das Gemeinsame Europäische Kaufrecht (kurz: GEK) entwickelt, das gegenwärtig noch im Entwurfsstadium ist.
Nach Vorstellung der EU sollen Verkäufer dieses einheitliche Kaufrecht ihren Kaufverträgen mit Verbrauchern nach ihrer Wahl, also optional, zugrunde legen können, unabhängig davon, in welchem Staat der Verbraucher seinen Sitz hat. Es würde dann lediglich dieses eine Kaufrecht und nicht dasjenige eines oder mehrerer EU-Mitgliedstaaten gelten.
Doch ob überhaupt und falls ja wann dieses einheitliche europäische Kaufrecht kommt, ist allerdings noch nicht absehbar.
III. Fazit
Viele rechtliche Schwierigkeiten im Zusammenhang mit dem grenzüberschreitenden B2C-Handel innerhalb der EU sind höchstrichterlich noch nicht entschieden worden. Daher ist eine vollkommen rechtssichere Auskunft auf viele Fragen aus diesem Bereich gegenwärtig kaum möglich.
Allerdings zeigt die angesprochene Entscheidung des LG Karlsruhe eine klare Tendenz zum möglichst starken Verbraucherschutz.
Unserer Einschätzung nach ist das Urteil des LG Karlsruhe aus rein rechtlicher Sicht betrachtet richtig, denn es bildet die aktuelle Rechtslage in Deutschland und der EU korrekt ab. Allerdings ist diese gegenwärtige Rechtslage extrem verkäuferfeindlich, da sie dazu führt, dass Webshop-Betreiber, wollen sie ihre Waren auch an Verbraucher mit Wohnsitz in anderen EU-Mitgliedstaaten verkaufen, enormen Rechtsberatungsbedarf haben oder – alternativ – ein nicht unerhebliches Rechtsrisiko eingehen.
Zwar werden Rechtsverstöße in diesem Bereich bislang – soweit ersichtlich – kaum geahndet, was sicherlich auch daran liegen mag, dass sich kaum jemand auf dieses rechtsunsichere Terrain traut. Dennoch drohen bei Rechtsverstößen prinzipiell kostspielige Abmahnungen, Bußgelder sowie Rechtsstreitigkeiten.
Auf die gestellte Antwort ist zusammenfassend wie folgt zu antworten:
So wie sich die Rechtslage gegenwärtig darstellt, muss ein Händler mit Sitz in Österreich, der über einen Webshop Waren auch nach Deutschland verkauft, gegenüber Verbrauchern mit Sitz in Deutschland ordnungsgemäß über das deutsche Widerrufsrecht nach dem deutschen Fernabsatzwiderrufsrecht belehren.
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5 Kommentare
Allerdings ist und bleibt der Verbraucherschutz im grenzüberschreitenden Warenverkehr ein Europa dennoch eine hohe rechtliche Hürde. Zwar ist der Verbraucherschutz in der gesamten EU aufgrund von EU-Richtlinien im Grundsatz harmonisiert worden. Jedoch waren die einzelnen EU-Mitgliedstaaten lediglich dazu verpflichtet, bei der Umsetzung der EU-Richtlinien ins nationale Recht für einen Mindestschutz für Verbraucher zu sorgen. Darüber hinaus gehend durften sie auch einen stärkeren Verbraucherschutz regeln. Einige EU-Mitgliedstaaten haben deshalb heute ein höheres Verbraucherschutzniveau als andere – Deutschland beispielsweise ein besonders hohes.
Nun sieht die Rom I-Verordnung aber eben gerade vor, dass jeder Verbraucher sich auf das zwingende Verbraucherschutzrecht seines Wohnsitzlandes berufen kann. Wohnt er in einem EU-Mitgliedstaat, in dem über den EU-weiten Mindestschutz hinaus ein besonders hohes Verbraucherschutzniveau herrscht, so kann er sich gemäß Artikel 6 Absatz 2 der Rom I-Verordnung trotz der anderweitigen Rechtswahl durch den Verkäufers hierauf berufen.
Wie sehen sie das?