LG Karlsruhe: Eintrag in Wayback Machine führt nicht zu UWG-Vertragsstrafe

LG Karlsruhe: Eintrag in Wayback Machine führt nicht zu UWG-Vertragsstrafe
13.03.2023 | Lesezeit: 7 min

Mit Urteil vom 16.02.2023, Az. 13 O 2/23 KfH, hat das LG Karlsruhe entschieden, dass es keinen Verstoß gegen eine abgegebene strafbewehrte Unterlassungserklärung darstellt, wenn der Unterlassungsschuldner die der Unterlassungserklärung zugrundeliegende Werbung nicht aus der so genannten Wayback Machine entfernt hat, in der frühere Versionen einer Website archiviert werden.

I. Sachverhalt

In dem zugrundeliegenden Sachverhalt hatte eine Onlinemarketing-Agentur einen Mitbewerber im Rahmen einer wettbewerbsrechtlichen Auseinandersetzung auf eine irreführende Werbung hingewiesen, woraufhin der Mitbewerber eine vorbeugende Unterlassungserklärung abgab, nachdem er die streitgegenständliche Werbung von seiner Internetseite und aus dem Google Cache entfernt hatte.

In der Unterlassungserklärung verpflichtete sich der Mitbewerber strafbewehrt

es zukünftig zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland mit „12 Jahre Erfahrung im Kanzleimarketing" zu werben, solange das Unternehmen der Unterlassungsschuldnerin weniger als 12 Jahre am Markt tätig war, wenn dies geschieht, wie unter (…) und nachfolgend abgebildet: (…)

Ca. 1,5 Jahre später nahm die Onlinemarketing-Agentur die Unterlassungserklärung an und forderte sodann die Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe von 7.500,00 EUR mit der Begründung, die streitgegenständliche Werbung sei in der so genannten Wayback Machine nach wie vor abrufbar, was auch zutraf.

Exkurs:

Bei der Wayback Machine handelt es sich um ein digitales Archiv des Internets, das vom Internet Archive, einer gemeinnützigen Organisation mit Sitz in San Francisco gegründet wurde und unter https://archive.org/ zugänglich ist. Dabei werden die Daten von Webseiten in regelmäßigen Intervallen gespeichert, so dass verschiedene Versionen und Zustände von Webseiten der ganzen Welt archiviert werden. Dies ermöglicht den Zugriff auf frühere Versionen von Webseiten, auch wenn sich der Zustand der Webseiten zwischenzeitlich geändert hat.

Da sich die Unterlassungsschuldnerin weigerte, die geforderte Vertragsstrafe zu zahlen, erhob die Unterlassungsgläubigerin Klage vor dem LG Karlsruhe.

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II. Entscheidung des LG Karlsruhe

Das LG Karlsruhe wies die Klage jedoch ab, da kein Anspruch auf Zahlung einer Vertragsstrafe bestehe.

1. Unterlassungsvertrag zustande gekommen

Die Beklagte hatte u. a. eingewandt, dass bereits kein wirksamer Unterlassungsvertrag zustande gekommen sei, da die von ihr vorbeugend abgegebene Unterlassungserklärung nach einer Dauer von ca. 1,5 Jahren überhaupt nicht mehr annahmefähig gewesen sei.

Das LG Karlsruhe ging gleichwohl von einem wirksamen Unterlassungsvertrag aus. Dabei stützte es sich auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach bei einer auf Abschluss eines Unterlassungsvertrags gerichteten Unterlassungserklärung in der Regel davon auszugehen sei, dass der Schuldner sein Angebot unbefristet abgegeben hat mit der Folge, dass es vom Gläubiger jederzeit angenommen werden könne (vgl. BGH, Urteil vom 17.09.2009, Az. I ZR 217/07 – Testfundstelle).

2. Kein Verstoß gegen die vertragliche Unterlassungspflicht

Gleichwohl erkannte das Gericht hier keinen Verstoß gegen den Unterlassungsvertrag.

Nach Auffassung des Gerichts stelle es keinen Verstoß gegen eine Unterlassungsverpflichtung dar, wenn nicht verhindert werde, dass alte Webseiten-Versionen mit der zu unterlassenden Werbung, die aus der Zeit vor Zustandekommen des Unterlassungsvertrags stammen, in einem von Dritten selbständig betriebenen Web-Archiv weiterhin auffindbar sind, welches von üblichen Internet-Suchmaschinen nicht durchsucht werden kann.

a) Keine geschäftliche Handlung

Die Auffindbarkeit der früheren, zu unterlassenden Werbung in der Wayback Machine stellte nach Auffassung des Gerichts keine geschäftliche Handlung im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG dar. Eine solche sei jedoch Voraussetzung für einen Vertragsverstoß, da sich die Beklagte in der Unterlassungserklärung dazu verpflichtet hatte, nicht mehr „im geschäftlichen Verkehr“ mit der beanstandeten Äußerung „zu werben“.

Eine geschäftliche Handlung läge nach Auffassung des Gerichts in der Unterlassung, bei der Wayback Machine eine Löschung zu erreichen, bzw. in der deswegen fortbestehenden Abrufbarkeit nur, wenn dieses Verhalten mit der Förderung des Absatzes oder Bezugs von Waren oder Dienstleistungen unmittelbar und objektiv zusammenhinge.

Dies sei hier jedoch nicht der Fall:

An der Eignung, über den Einfluss auf geschäftliche Entscheidungen von Marktteilnehmern den Absatz der Dienstleistung der Beklagten positiv zu beeinflussen, fehlt es bei dem hier in Rede stehenden Verhalten. Die Nichtverhinderung der bloßen Abrufbarkeit der ursprünglichen Werbung unter den gegebenen Umständen stellt keine geschäftliche (Werbe-)Handlung dar. Maßgeblich ist dabei der Charakter der Wayback Machine als Archiv, das zudem nach unstreitig gebliebenem Vortrag keine eigene Suchfunktion aufweist und durch übliche Suchmaschinen nicht durchsucht werden kann. Es ist – was das internetaffine Gericht selbst beurteilen kann und darf – nach menschlichem Ermessen so gut wie ausgeschlossen, dass die Beklagte Kunden dadurch gewinnt, dass die (längst von der Homepage gelöschten und über Suchmaschinen unauffindbaren) alten Versionen ihrer Homepage zur Kenntnis und zum Anlass genommen werden, mit der Beklagten geschäftlich in Kontakt zu treten. Dabei kommt es nicht darauf, dass – wie anzunehmen ist – ein kleiner Teil der potentiellen Kunden der Beklagten die Wayback Machine kennen und gelegentlich nutzen mag. Entscheidend ist vielmehr, dass eine solche Nutzung kein denkbarer Kanal zur Absatzförderung ist.

b) Keine Beseitigungspflicht

Daneben habe nach Auffassung des Gerichts auch keine Beseitigungspflicht hinsichtlich der Wayback Machine bestanden.

Zwar müsse der Schuldner alle ihm im Einzelfall zumutbaren Anstrengungen unternehmen, um künftige Zuwiderhandlungen zu verhindern (BGH, GRUR 2018, 1183 Rn. 9 – Wirbel um Bauschutt; MüKoUWG/Fritzsche, 3. Aufl. 2022, UWG § 8 Rn. 136 m.w.N.; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler/Feddersen, 41. Aufl. 2023, UWG § 12 Rn. 5.4a). Insbesondere sei auf Suchmaschinenbetreiber hinzuwirken, da deren Cache häufig Beiträge im Internet noch verfügbar hält, die auf der Originalseite bereits seit längerem gelöscht worden sind (OLG Köln, GRUR-RR 2020, 276 Rn. 43 m.w.N.). Denn bei einer Dauerhandlung – hier: auf der Homepage vorgehaltene Inhalte – sei die Nichtbeseitigung des Verletzungszustands gleichbedeutend mit der Fortsetzung der Verletzungshandlung (BGH, GRUR 2015, 258 Rn. 64 – CT-Paradies).

Dementsprechend musste die Beklagte sowohl ihre Homepage anpassen als auch auf Suchmaschinenbetreiber einwirken, was hier auch geschehen ist.

Mit dem Anbieter der Wayback Machine musste die Beklagte nach Auffassung des Gerichts aber schon deswegen nicht in Kontakt treten, weil die bloße Auffindbarkeit einer dortigen Archivierung schon nicht den Charakter einer geschäftlichen Handlung der Unterlassungsschuldnerin trage. Die bloße Auffindbarkeit früherer Werbung hätte demnach also schon ursprünglich nicht verboten werden können, so dass sich etwaige Beseitigungspflichten der Beklagten auch nicht auf diese Internetquelle erstreckten.

c) Keine Zurechenbarkeit

Schließlich sei der Inhalt der Wayback Machine der Beklagten auch nicht zurechenbar.

Der Unterlassungsschuldner habe grundsätzlich nicht für das selbstständige Handeln Dritter einzustehen (BGH, GRUR 2014, 595 Rn. 26 – Vertragsstrafenklausel; BGH, GRUR 2017, 208 Rn. 30 – Rückruf von RESCUE-Produkten; BGH, GRUR 2017, 823 Rn. 29 – Luftentfeuchter). Ein Einwirken auf Dritte sei nur insoweit erforderlich, als deren Handeln dem Unterlassungsschuldner wirtschaftlich zugutekommt und bei denen er mit (weiteren) Verstößen ernstlich rechnen muss (BGH, GRUR 2014, 595 Rn. 26 – Vertragsstrafenklausel; BGH, GRUR 2017, 208 Rn. 30 – Rückruf von RESCUE-Produkten; BGH, GRUR 2017, 823 Rn. 29 – Luftentfeuchter; BGH, GRUR 2018, 1183 Rn. 11, 19 – Wirbel um Bauschutt).

Im Streitfall kommt die Archivierung und Vorhaltung veralteter Homepage-Versionen der Beklagten wirtschaftlich nicht zugute. Die Klägerin hat auch nicht dargetan, wie dies der Fall sein sollte. Außer ihrem Prozessbevollmächtigten, der gezielt auf der Suche nach einer (vermeintlichen) Verletzung des Unterlassungsgebots unter Nutzung seiner Fachkenntnisse die Wayback Machine im Netz aufgesucht und einen Stand der Homepage der Beklagten zeitlich vor der Unterlassungserklärung angesteuert hat, kommt, wie ausgeführt, kein Marktteilnehmer auf die Idee, im Internet an dieser Stelle nachzuforschen und das Aufgefundene noch dazu als aktuelle Werbung der Beklagten zu interpretieren.

III. Fazit

Das LG Karlsruhe hat entschieden, dass der Schuldner einer Unterlassungspflicht jedenfalls im geschäftlichen Verkehr nicht verpflichtet ist, die so genannte Wayback Machine im Hinblick auf frühere Versionen von Webseiten zu durchsuchen und ggf. auf den Betreiber der Wayback Machine einzuwirken, bestimmte Inhalte früherer Website-Versionen zu entfernen.

Insoweit sieht das Gericht signifikante Unterschiede zu der Konstellation, dass rechtswidrige Inhalte ggf. noch nach dem Zustandekommen eines Unterlassungsvertrages im Cache einer Suchmaschine auffindbar sind, was etwa nach der Auffassung des OLG Köln einen Verstoß gegen den Unterlassungsvertrag begründen kann.

Diese Rechtsauffassung ist nachvollziehbar und aus Haftungsgesichtspunkten auch begrüßenswert. Denn die Wayback Machine dokumentiert lediglich Zustände aus der Vergangenheit, auf die der Unterlassungsschuldner zu einem späteren Zeitpunkt keinen Einfluss mehr nehmen kann. Denn die Vergangenheit kann nicht nachträglich geändert werden. Zudem würden die Beseitigungspflichten von Unterlassungsschuldnern unangemessen ausgeweitet, wenn diese sich auch auf die Wayback Machine erstrecken würden, was letztlich bedeuten würde, dass ggf. unzählige Altversionen von Webseiten geprüft werden müssten. In diesem Fall würde sich das Haftungsrisiko einer strafbewehrten Unterlassungserklärung in einem wirtschaftlich nicht mehr zu vertretenden Ausmaß erhöhen.

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1 Kommentar

T
Tina 23.03.2023, 15:09 Uhr
Wayback Machine
Danke für diesen wunderbaren Artikel! :)

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