LG Essen: Aussagen „natürlich“ oder „hautpflegend“ unzulässig bei Hand-Desinfektionsmittel
Tipp: Weiterführende Informationen zum Thema finden Sie hier: "Leitfaden: Biozide im Internet rechtssicher verkaufen"
Der Handel mit Desinfektionsmitteln hat durch die Corona-Pandemie stark zugenommen. Dabei unterliegt der Verkauf von Desinfektionsmitteln hohen rechtlichen Hürden. Dass dies auch hinsichtlich der Bewerbung von Desinfektionsmitteln gilt, zeigt eine aktuelle Entscheidung des LG Essen (LG Essen, Urteil vom 19.05.2022, Az. 43 O 51/21).
Inhaltsverzeichnis
I. Rechtlicher Hintergrund
Marktüblichen Desinfektionsmitteln ist eines gemein: Sie basieren im Wesentlichen auf Alkohol, in aller Regel Ethanol oder Isopropanol.
Diesen Alkoholen kommt eine bakterizide, tuberkulozide, fungizide und begrenzt viruzide Wirkung zu, so dass auch eine Eignung für die Desinfektion von Haut bzw. Flächen, die mit dem Coronavirus kontaminiert ist bzw. sind, besteht.
Wird ein Desinfektionsmittel auf dem Markt bereitgestellt, ist zunächst eine Produktabgrenzung vorzunehmen. Nur dann steht fest, welche rechtlichen Vorgaben für eine Verkehrsfähigkeit des Produkts zu beachten sind. Die Einhaltung der jeweils maßgeblichen rechtlichen Vorgaben betrifft auch den Onlinehändler, der mit Desinfektionsmitteln handelt.
Im Bereich von Desinfektionsmitteln kommt in erster Linie eine Einstufung als Biozidprodukt, Arzneimittel oder Kosmetikum in Betracht.
Mit der rechtlichen Einordnung von Desinfektionsmitteln setzen wir uns in diesem Beitrag fundiert auseinander.
II. Sachverhalt
In dem der Entscheidung des LG Essen zugrundeliegenden Fall hatte das beklagte Unternehmen auf seiner Website unter der Rubrik „hand sanitizer“ das Produkt „I – wirkt gegen viren und bakterien, pflegt die haut und spendet feuchtigkeit. 99,6 % natürliche inhaltsstoffe. mit 70 % bioethanol. (6+45 ml)“ für einen Kaufpreis in Höhe von 29,90 EUR beworben.
Wegen dieser Werbung wurde die Beklagte von einem Wettbewerbsverband abgemahnt und zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung aufgefordert. Der Verband begründete seine Abmahnung auszugsweise wie folgt:
"… sind wir auf Ihren Internetauftritt www…..de und die dort beworbenen Produkte aus der Reihe „hand sanitizer“ aufmerksam geworden. Ausweislich der Produktbeschreibung wirken diese gegen Viren und Bakterien. Es handelt sich damit um Biozide …
Bereits gleich zu Anfang unter der eine Melone haltenden Hand bezeichnen Sie das Produkt als „natürlicher, hautpflegender hand sanitizer.“ … Ähnliches gilt für den Hinweis auf „99,7 % natürliche Inhaltsstoffe“ …… Ebenso ist im Fließtext davon die Rede,,… und pflegt zugleich die Hände (e-test: sehr gut).“ Wiederum ist davon die Rede, das Produkt enthalte „natürliche feuchtigkeitsspender wie aloe vera und pflanzliches glycerin …"
Da die Abmahnung erfolglos blieb, erhob der Verband Klage vor dem LG Essen.
III. Entscheidung des LG Essen
Das LG Essen gab dem klagenden Verband recht und verurteilte die Beklagte u. a., es bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu unterlassen,
"1.) für einen „hand sanitizer“ mit den folgenden Aussagen zu werben:
a) ,,natürlicher; hautpflegender hand sanitizer“ und/oder
b) ,,99,6% natürliche inhaltsstoffe“ und/oder
c) ,,… und pflegt zugleich die hände (e-test: sehr gut), natürliche feuchtigkeitsspender wie aloe vera und pflanzliches glycerin regenerieren beanspruchte hände und sorgen für ein zartes und seidenweiches hautgefühl.“ und/oder
d) ,,unser hand-sanitizer besteht zu 99,7% aus natürlichen inhaltsstoffen, wobei der hauptinhaltsstoff (bioethanol) aus nachhaltiger landwirtschaft gewonnen wird“ und/oder
e) ,,99,6% natürliche inhalte: natürliche feuchtigkeitsspender wie aloe vera und pflanzliches glycerin wirken dem austrocknen der haut entgegen, ätherische öle sorgen für zusätzliche hautpflege.“ und/oder
f) ,,99,6% natürliche inhaltsstoffe, vegane formulierung“ und/oder
g) ,,natürliche feuchtigkeitsspender wie aloe vera und pflanzliches glycerin“ und/oder
h) ,,feuchtigkeitsspendend“ und/oder
i) ,,vegane formulierung“ und/oder
j) ,,pflegend“ und/oder
2.) für einen „hand sanitizer“ ohne einen Biozid-Warnhinweis gem. Art. 72 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 zu werben
und zwar zu 1.) und 2.) jeweils wie nachstehend wiedergegeben: (…)"
Die streitgegenständliche Werbung verstoße gegen Art. 72 Abs. 1 und 3 VO (EU) 528/2012 [Biozid-VO] und stelle insofern einen Rechtsbruch im Sinne von § 3a UWG dar.
Bei dem Produkt „I1“ handele es sich um ein „Biozidprodukt“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 S. 1 lit. a Biozid-VO.
Demgegenüber stelle das Handprodukt der Beklagten kein kosmetisches Mittel im Sinne von Art. 2 Abs. 1 S. 1 lit. a) VO (EG) 1223/2009 [Kosmetik-VO] dar.
Der ausschließliche und überwiegende Zweck des Produkts der Beklagten bestehe nicht darin, die menschliche Haut an den Händen zu reinigen, zu parfümieren, zu schützen oder sie in gutem Zustand zu halten.
"Der „hand sanitizer“ (engl. Handdesinfetionsmittel/Händedesinfektinsmittel) enthält nach den werblichen Aussagen den „Hauptinhaltsstoff‘ Bioethanol, welcher in seiner Wirkung die Viren und Bakterien beseitigt. Diese desinfizierende Wirkung geht über eine bloße Reinigung der Hände (etwa mit Seife), über eine Parfümierung, einen Schutz oder eine Pflege der Hände hinaus. Der überwiegende Zweck des Produkts ist insoweit kein kosmetischer. Die Ausnahme des Art. 72 Abs. 2 S. 1 lit. j) Biozid-VO ist deshalb nicht einschlägig."
Das Produkt sei auch nicht als dual-use Produkt zu klassifizieren, sondern als reines Biozidprodukt.
Die streitgegenständliche Werbung verstoße gegen Art. 72 Abs. 1 S. 1 Biozid-VO. Danach ist jeder Werbung für Biozidprodukte folgender Hinweis hinzuzufügen: „Biozidprodukte vorsichtig verwenden. Vor Gebrauch stets Etikett und Produktinformation lesen.“ Diese Sätze müssen sich von der eigentlichen Werbung deutlich abheben und gut lesbar sein, Art. 72 Abs. 1 S. 2 Biozid.-VO. Einen solchen Hinweis enthielt die Werbung der Beklagten jedoch nicht.
Darüber hinaus verstoße die Werbung gegen Art. 72 Abs. 3 Biozid-VO. Danach darf das Produkt nicht in einer Art und Weise dargestellt werden, die hinsichtlich der Risiken des Produkts für die Gesundheit von Mensch und Tier oder für die Umwelt oder seiner Wirksamkeit irreführend ist. Die Werbung für ein Biozidprodukt darf auf keinen Fall die Angaben „Biozidprodukt mit niedrigem Risikopotential“, „ungiftig“, „unschädlich“, „natürlich“, „umweltfreundlich“, „tierfreundlich“ oder ähnliche Hinweise enthalten, Art. 72 Abs. 3 S. 2 Biozid-VO.
Die Werbung der Beklagten enthielt nach Auffassung des Gerichts „ähnliche Hinweise“ im Sinne von Art. 72 Abs. 3 S. 2 Biozid-VO, wodurch die Risiken des Produkts für die Gesundheit von Mensch und Umwelt relativiert worden seien.
IV. Fazit
Der Verkauf von Desinfektionsmitteln unterliegt hohen rechtlichen Hürden. Nicht nur die rechtliche Einordnung kann unter Umständen schwierig sein. Auch bei der Werbung für Desinfektionsmittel ist Vorsicht geboten. Dass relativierende Aussagen wie „natürlich“ oder „hautpflegend“ im Zusammenhang mit dem Verkauf von Desinfektionsmitteln unzulässig und abmahnbar sein können, zeigt die o. a. Entscheidung des LG Essen. Online-Händler, die entsprechende Produkte vertreiben sollten daher sicherstellen, dass ihre Werbung den gesetzlichen Anforderungen genügt. Anderenfalls drohen kostspielige Abmahnungen.
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