BGH-Urteil: Käufer müssen auch bei nur kleinen Mängeln den Kaufpreis nicht zahlen
Der Käufer kauft Ware, die mangelhaft ist, und zahlt deshalb den Kaufpreis nicht, obwohl der Mangel der Kaufsache nur geringfügig und behebbar ist. Der BGH hat nun bestätigt, dass der Käufer die Zahlung des Kaufpreises in einem solchen Fall grundsätzlich zu Recht verweigert und auch nicht dazu verpflichtet ist, wenigstens einen Teil des Kaufpreises zu zahlen.
Worum ging es in dem Fall?
Der vom BGH (Urteil vom 19.11.2021, Az. V ZR 104/20) entschiedene Fall hat den Kauf eines Grundstücks zum Gegenstand: Der Käufer hat vom Verkäufer ein Grundstück gekauft, das entgegen den Vereinbarungen im Kaufvertrag mit bestimmten Rechten Dritter (sog. Grunddienstbarkeiten zu Gunsten von Nachbarn) belastet war, die für den jeweiligen Eigentümer des Grundstücks nachteilig sind. Diese Belastung des Grundstücks stellt einen kaufrechtlichen Mangel dar, der grundsätzlich behoben werden kann, und auf dessen Behebung der Käufer zweifellos auch einen rechtlichen Anspruch hat.
Im Verhältnis zum Gesamtwert des Grundstücks war die Wertminderung, die mit der Belastung des Grundstücks verbunden war, allerdings nicht besonders groß. Daher stellte sich aus rechtlicher Sicht die Frage, ob der Käufer die gesamte Zahlung des Kaufpreises verweigern durfte oder er den Kaufpreis zumindest teilweise zahlen musste, so wie es mehr oder weniger dem Wert des mangelhaften Grundstücks entsprochen hätte.
Was sagt das Gesetz dazu?
In § 320 Abs. 1 S. 1 BGB (sog. „Einrede des nicht erfüllten Vertrags“) ist geregelt:
"Wer aus einem gegenseitigen Vertrag verpflichtet ist, kann die ihm obliegende Leistung bis zur Bewirkung der Gegenleistung verweigern, es sei denn, dass er vorzuleisten verpflichtet ist."
Ein Kaufvertrag ist ein gegenseitiger Vertrag in diesem Sinne, der zudem den Verkäufer nach § 433 Abs. 1 BGB dazu verpflichtet, dem Käufer die Kaufsache „frei von Sach- und Rechtsmängeln“ zu verschaffen. Hat die Kaufsache einen Mangel, wie etwa im Fall des BGH, so ist die Leistung des Verkäufers nicht vollständig erbracht. Demnach könnte der Käufer gemäß der obigen Vorschrift die Erbringung seiner Gegenleistung, also die Zahlung des Kaufpreises, vollständig verweigern.
Allerdings sieht § 320 Abs. 2 BGB wiederum vor:
"Ist von der einen Seite teilweise geleistet worden, so kann die Gegenleistung insoweit nicht verweigert werden, als die Verweigerung nach den Umständen, insbesondere wegen verhältnismäßiger Geringfügigkeit des rückständigen Teils, gegen Treu und Glauben verstoßen würde."
Dies könnte man mit anderen Worten so lesen: Der Käufer muss den Kaufpreis dann zumindest teilweise an den Verkäufer zahlen, wenn der Mangel der Kaufsache nur sehr geringfügig ist, die Kaufsache im Wesentlichen bzw. überwiegend also mangelfrei.
Was hat der BGH hierzu entschieden?
In seiner Entscheidung betont der BGH nun allerdings (erneut), dass der Käufer im absoluten Regelfall nicht dazu verpflichtet ist, den Kaufpreis teilweise zu zahlen, selbst wenn die Kaufsache nur in einem geringfügigen Umfang mangelhaft ist und der Mangel behoben werden kann.
Das Gericht führt in dieser Hinsicht u.a. aus:
„Die Vorschrift des § 320 BGB verfolgt den doppelten Zweck, dem Gläubiger, der am Vertrag festhalten will, sowohl den Anspruch auf die Gegenleistung zu sichern als auch Druck auf den Schuldner auszuüben, um ihn zu vertragsgemäßer Leistung anzuhalten. In welchem Umfang die Gegenleistung noch aussteht, ist hierfür unerheblich, so dass der Schuldner seine Leistung grundsätzlich voll zurückhalten kann, auch wenn die Gegenleistung bereits teilweise erbracht worden ist. Nur ausnahmsweise kann der Käufer - wie in § 320 Abs. 2 BGB für den Fall der Teilleistung ausdrücklich hervorgehoben wird - die Zahlung des Kaufpreises nicht oder nicht vollständig verweigern, wenn dies nach den Gesamtumständen, insbesondere wegen verhältnismäßiger Geringfügigkeit der Pflichtverletzung des Verkäufers, gegen Treu und Glauben verstößt. (…)
Weist die Kaufsache einen behebbaren Mangel auf, ist der Käufer daher grundsätzlich selbst dann berechtigt, gemäß § 320 Abs. 1 BGB die Zahlung des Kaufpreises insgesamt zu verweigern, wenn es sich um einen geringfügigen Mangel handelt. (…)
Die Beurteilung, ob der Käufer die Zahlung des Kaufpreises nach Treu und Glauben ausnahmsweise nicht oder nicht vollständig verweigern kann, erfordert eine umfassende Interessenabwägung auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls. (…)“
Die Sichtweise des BGH kurz zusammengefasst: In aller Regel muss der Käufer den Kaufpreis nicht zahlen, wenn die Kaufsache mangelhaft ist, selbst wenn der Mangel behebbar und nur geringfügig ist. Nur in seltenen Ausnahmenfällen müssen Käufer von mangelhaften Kaufsachen einen Teil des Kaufpreises bereits bezahlen. Ob ein solcher Ausnahmefall vorliegt, lässt sich nur im jeweiligen Einzelfall und nur unter Abwägung sämtlicher Interessen des Verkäufers auf der einen und des Käufers auf der anderen Seite bestimmen.
Was sind die Folgen für Händler?
Zwar spielt der Fall des BGH im Grundstücksrecht; dennoch sind die Ausführungen des Gerichts auch auf Kaufverträge über andere Kaufgegenstände, wie beispielsweise Waren im Online-Handel anwendbar. Händler sollten diese Rechtsprechung daher kennen.
Auf den ersten Blick bedeutet dies nun: Händler müssen es wohl akzeptieren, wenn Kunden den Kaufpreis mit der Begründung nicht zahlen, die Kaufsache sei mangelhaft, selbst wenn der Mangel nur äußerst geringfügig ist.
Allerdings ist dies nicht immer und in jedem Fall so: Fehlen der Kaufsache bestimmte Merkmale, die Käufer und Verkäufer ausdrücklich im Rahmen einer Beschaffenheitsvereinbarung als zwingende Merkmale/ Eigenschaften der Kaufsache vereinbart haben, oder verschweigt der Verkäufer arglistig, d.h. vorsätzlich, Mängel der Kaufsache, so muss der Käufer erst einmal keinen Cent des Kaufpreises zahlen.
Geht es hingegen um wirklich nur äußerst minimale Mängel, haben Händler auch nach dieser Entscheidung des BGH weiterhin gute Chancen, vom Käufer die Zahlung eines größeren Teils des Kaufpreises zu fordern bzw. die vollständige Verweigerung des Käufers, den Kaufpreis zu zahlen, in rechtmäßiger Weise zurückzuweisen. Denn einen Automatismus in der Form, dass Käufer in solchen Fällen immer die Zahlung des Kaufpreises verweigern dürfen, gibt es nicht. Dies ist bloß der Regelfall, von dem die Gerichte standardmäßig ausgehen, wenn sie die Interessen des Händlers einerseits und des Käufers andererseits abwägen. Bei dieser Abwägungsentscheidung kann im Einzelfall dennoch herauskommen, dass jedenfalls die Weigerung des Käufers, einen Teil des Kaufpreises zu zahlen, nicht rechtmäßig ist.
Denkbar wäre dies etwa im folgenden Beispiel: Der Käufer kauft bei einem Möbelhändler eine Küche, die bis auf den Griff für eine Schublade vollständig wie vereinbart geliefert wird. Den fehlenden Schubladengriff dürfte jedes Gericht als derart geringfügigen Mangel ansehen, dass es eine Weigerung des Käufers, auch nur einen Teil des Kaufpreises zu zahlen, nicht akzeptieren würde, selbst wenn der Griff möglicherweise wegen Produktions- und/ oder Lieferschwierigkeiten erst einige Wochen oder Monate später nachgeliefert werden könnte.
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