KG Berlin: Genereller Ausschluss des Widerrufsrechts für Arzneimittel ist unzulässig
Seit Zulassung des Arzneimittelversandhandels auf dem deutschen Markt im Jahre 2004 wächst dessen Marktvolumen jährlich. Dieses vergleichsweise junge Geschäftsfeld ist jedoch aufgrund von hohen gesetzlichen Standards im Gesundheits- und Verbraucherschutz vielfach Schauplatz juristischer Streitigkeiten. In Bezug auf das Verbraucherwiderrufsrecht im Fernabsatz hat das Kammergericht Berlin in einem jüngst bekannt gewordenen Urteil vom 09.11.2018 (Az. 5 U 185/17) entschieden, dass ein genereller Ausschluss des Widerrufsrechts für Arzneimittel unzulässig ist.
Inhaltsverzeichnis
I. Der Sachverhalt
Eine niederländische Versandapotheke hatte in ihren AGB Arzneimittel vollständig und generell von dem für Fernabsatzverträge geltenden Widerrufsrecht ausgenommen.
Der Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände mahnte die Apotheke zunächst ab und erhob, nachdem weder eine Unterlassungserklärung abgegeben worden war noch Abmahngebühren bezahlt worden waren, Klage vor dem Landgericht Berlin. Dieses gab der Verbraucherzentrale Recht und verurteilte die Apotheke zur Unterlassung und Zahlung. Gegen dieses Urteil legte die Beklagte vor dem Kammergericht Berufung ein.
II. Die Entscheidung
Das Kammergericht wies die Berufung zurück. Die Versandapotheke unterlag damit auch in zweiter Instanz.
Für Fernabsatzverträge gilt bekanntlich ein umfassendes Verbraucherwiderrufsrecht, welches nicht durch einseitige Vorgaben des Unternehmers zum Nachteil des Verbrauchers ausgehebelt werden kann (§ 312 k BGB) . In § 312g Abs. 2 BGB ist jedoch ein Fallgruppenkatalog aufgeführt, der ein Widerrufsrecht für bestimmte Produkt- und Vertragsarten ausschließt.
Das Kammergericht entschied nun im Einklang mit früheren Entscheidungen des OLG Köln (Urteil v. 09.02.2018; Az. 4 U 87/17) und des OLG Naumburg (Urteil v. 22.06.2017; Az. 9 U 17/17), dass der Ausnahmekatalog des § 312g BGB den generellen Ausschluss des Widerrufsrechtes für Arzneimittel nicht rechtfertige.
So sei die Fallgruppe des § 312 g Abs. 2 Nr. 1 BGB (Ausschluss des Widerrufsrechts für nicht vorgefertigte, personalisierte Waren) nicht einschlägig, da insbesondere nichtverschreibungspflichtige Fertigarzneimittel nicht "eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse des Verbrauchers zugeschnitten" seien.
Auch § 312g Abs.2 Nr. 2 BGB, der ein Widerrufsrecht für schnell verderbliche Waren ausschließt, ist nach Meinung des Gerichts auf Arzneimittel nicht generell anwendbar. Arzneimittel seien keine Waren, die generell schnell verderben können. Arzneimittel mit geringer Haltbarkeitsdauer stellten die Ausnahme dar, nicht aber die Regel.
Die Beklagte führte an, dass zurückgegebene Arzneimittel im Großhandel nach § 7b der Arzneimittelhandelsverordnung (AM-HandelsV) nicht mehr als verkehrssicher gelten würden bzw. vor einer Weiterveräußerung einer gründlichen Prüfung unterzogen werden müssten. Dies gelte nach Ansicht der Beklagten erst recht für Arzneimittel, die von Verbrauchern zurückgesandt würden. Hieraus resultiere eine Art "rechtliche Verderblichkeit". Diese Argumentation wies das Gericht jedoch zurück. Die rein semantische Konstruktion der "rechtlichen Verderblichkeit" liefe sowohl dem Gesetzeswortlaut als auch dem erkennbaren Gesetzgeberwillen zuwider. Die AM-HandelsV gelte für Geschäfte mit Verbrauchern gerade nicht.
Auch die Ausnahme der Versiegelungsentfernung, die in § 312g Abs.2 Nr. 3 BGB niedergelegt ist, könne nur in Einzelfällen für Arzneimittel gelten, jedoch nicht stets und immer, sodass dies den von der Beklagten praktizierten Widerrufsausschluss ebenfalls nicht rechtfertige.
III. Fazit
Die Entscheidung des KG Berlin stellt einmal mehr den hohen Stellenwert des Widerrufrechts als wesentliche Ausprägung des Verbraucherschutzes im Fernabsatz heraus. Gleichzeitig bekräftigt sie, dass Unternehmer auch im Arzneimittelversand über das Ob des Widerrufsrechts nicht einseitig entscheiden können. Das Widerrufsrecht ist von Gesetzes wegen nur in streng umgrenzen Ausnahmefällen generell und objektiv ausgeschlossen. Für eine so breite und vielseitige Produktpalette, wie sie bei Arzneimitteln üblich ist, ist dies aber nicht der Fall. Versandapotheken, die in Ihren AGB ein Widerrufsrecht für sämtliche Arzneimittel generell ausschließen, handeln daher wettbewerbswidrig.
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