Alles bleibt beim Alten!: Das Urteil des BGH vom 23.07.2009 hat auf die Anwendbarkeit und die rechtliche Qualifikation des EVB-IT Systemvertrages keine Auswirkung!
Der BGH hat in einem baurechtlichen Urteil (vom 23.07.2009; Az.:AZ: VII ZR 151/08) die Anwendbarkeit des Kaufrechts nach § 651 BGB bejaht. Diese Entscheidung berührt weder die Qualifikation des EVB-IT Systemvertrages als Werkvertrag, noch die Anwendbarkeit der werkvertraglichen Vorschriften auf diesen. Lesen Sie zu dieser aktuellen Diskussion unseren neuen Aufsatz.
1. Erläuternd vorab
Der EVB-IT Systemvertrag, der insgesamt dem Werkvertrag unterliegt, soll grundsätzlich Anwendung finden, wenn entweder die Erstellung von Individualsoftware geregelt wird oder der Schwerpunkt der Leistung in der Herbeiführung der Funktionsfähigkeit liegt (Customizing und/oder Integration in die Systemumgebung des Auftraggebers).
Individualsoftware bezeichnet Softwareprogramme, Programm-Module, Tools etc., die für die Bedürfnisse eines Kunden erstellt werden. Hierzu gehören auch Anpassungen von Standard- oder Individualsoftware auf Quellcodeebene, nicht jedoch Customizing.
2. Sachverhalt des BGH-Falles?
Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte in einem Baurechtsfall mit Urteil vom 23.07. 2009 entschieden, dass Verträge, die alleine die Lieferung von herzustellenden beweglichen Bau- oder Anlagenteilen zum Gegenstand haben, nach Maßgabe des § 651 BGB und damit nach Kaufrecht zu beurteilen sind. Im Fall wurden Bau- und Anlagenteile geliefert, die in ein Bauwerk eingebaut werden sollten. Gegenstand des Vertrages waren auch geringfügige Planungsleistungen, die der Herstellung der Bau- und Anlagenteile vorausgehen sollten.
Der BGH zog für die Entscheidung des Streitfalles konsequent und folgerichtig § 651 BGB als maßgebliche Vorschrift heran. Zum einen handelte es sich bei den Bau- und Anlagenteilen, wie von § 651 BGB vorausgesetzt, um bewegliche Sachen. Zum anderen knüpft der Gesetzestext des § 651 BGB gerade nicht an eine Verwendungsbestimmung zum Einbau in ein Bauwerk an. Darüber hinaus war es auch nicht die Aufgabe des Auftragnehmers, diesen Einbau vorzunehmen. Auch die Planungsleistungen änderten an der rechtlichen Qualifikation nichts, da sie nicht den Schwerpunkt des Vertrages bildeten.
3. Hat die Entscheidung Auswirkung auf die Anwendbarkeit und rechtliche Qualifikation des EVB-IT Systemvertrags?
Auf der einen Seite wäre denkbar, , dass durch die vorgenannte Rechtsprechung der EVB-IT Systemvertrag für die reine Erstellung von Individualsoftware nicht mehr anzuwenden ist. Auf der anderen Seite könnte diese Entscheidung möglicherweise auch Einfluss auf die Beurteilung der Anwendbarkeit des Systemvertrages insgesamt haben.
a. Individualsoftwareerstellung
Einzelne Stimmen in der IT-Recht Literatur folgern aus dem obigen Urteil, dass die Erstellung von Individualsoftware nach „Kaufrecht mit einigen werkvertraglichen Ergänzungen“ einzuordnen sei.
Tatsächlich ändert diese Entscheidung jedoch nichts an der Qualifikation der Softwareerstellung als Werkleistung gemäß § 631 I BGB.
Bei der Erstellung von Individualsoftware liegt der Schwerpunkt der Leistung nicht in der Herstellung und Lieferung einer Sache, sondern in der notwendigen geistig-schöpferischen Leistung. Gerade die geistig-schöpferische Leistung gibt dem Vertrag sein Gepräge, vergleichbar mit der in Entwurfsplänen verkörperten planerischen Leistung eines Architekten oder dem ausgedruckten Exemplar eines Gutachtens
Die Gegenmeinung führt unter Bezug auf das genannete Urteil aus, dass die planerische Leistung irrelevant sei, solange die geschuldete Leistung sich nicht in der Planung erschöpfe, sondern auf ein funktionsfähiges Ergebnis richte. Dabei wird jedoch verkannt, dass im Gegensatz zu dem vom BGH entschiedenen Fall, die Planung nicht nur die Vorstufe für die im Mittelpunkt der Leistung stehende Lieferung bildet, sondern den eigentlichen Schwerpunkt des Vertrages. Diesen Fall beurteilt der BGH ausdrücklich nach Werkvertragsrecht.
Die Entscheidung bestätigt letztlich die bisher herrschende Auffassung in der Literatur zu diesem Thema und nimmt gerade keinen entgegenstehenden Standpunkt ein.
b. Erstellung eines Gesamtssystems und Herbeiführung dessen Betriebsbereitschaft nach EVB-IT Systemvertrag
Liegt der Schwerpunkt aber in der Herbeiführung der Betriebsbereitschaft eines Gesamtsystems, d.h. auf dem Customizing, der Integration und der Montage in die Systemumgebung des Auftraggebers, ist schon aus diesem Grunde nach herrschender Rechtsprechung und Lehre Werkvertragsrecht und damit der EVB-IT Systemvertrag anwendbar. Auf die vertragstypologische Einordnung der Erstellung von Individualsoftware kommt es in diesem Falle gar nicht mehr an.
Fazit
Entgegen der Auffassung einzelner Vertreter der Auftragnehmerseite, hat das Urteil des BGH vom 23.7.2009 zum Aktenzeichen VII ZR 151/08 keinerlei Auswirkungen auf die Anwendbarkeit des EVB-IT Systemvertrages und dessen rechtliche Qualifikation.
Die Entscheidung bestätigt vielmehr die Anwendbarkeit des Werkvertragsrechts auf den EVB-IT Systemvertrag. Der BGH geht davon aus dass bei Leistungen, deren Schwerpunkt im geistig-schöpferischen Bereich liegt, wie bei der Softwareerstellung und der Erstellung von Gesamtsystemen, Werkvertragsrecht zur Anwendung kommt.
Autoren:
Elisabeth Keller-Stoltenhoff, IT-Recht-Kanzlei / Norman Müller, Wendler Tremml Rechtsanwälte
Hinweis: Die Autoren beraten die Arbeitsgruppe der öffentlichen Hand zur Erstellung der EVB-IT, der Vertragsbedingungen der öffentlichen Hand zum Einkauf von Informationstechnik.
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2 Kommentare
Die Verfechter der Ansicht, dass die Erstellung von Individualsoftare unter das Kaufrecht fällt, haben schon lange nach einer höchstrichterlichen Entscheidung gesucht, die ihre Linie bestätigt, da die herrschende Meinung in der IT-Literatur ihnen nicht folgen wollte. Die BGH Entscheidung, die als Bestätigung nun herangezogen wird, taugt hierfür aber in keiner Weise. Die Entscheidung bestätigt vielmehr die Anwendbarkeit des Werkvertragsrechts gerade für die Erstellung von Indivividualsoftware, da der BGH feststellt, dass bei Leistungen, deren Schwerpunkt im geistig-schöpferischen Bereich liegt, das Werkvertragsrecht zur Anwendung kommt. Softwareerstellung ist aber schon von Gesetzes wegen (§69a UrhG) eine rein geistig-schöpferische Leistung.
Das Urteil ist unmissverständlich; auch auf Softwareerstellungsverträge ist Kaufrecht anwendbar und damit der EVB-IT-Systemvertrag in großen Teilen unwirksam - verständlich daher, dass Frau Keller-Stoltenhoff diese (verzweifelte)Position ergreift.