Das neue Kaufrecht 2022: Beweislastumkehr für Mängel gilt nun ein Jahr lang

Das neue Kaufrecht 2022: Beweislastumkehr für Mängel gilt nun ein Jahr lang
10.01.2022 | Lesezeit: 5 min

Zum 01.01.2022 mussten sich gewerbliche Verkäufer (und damit auch die Online-Händler) auf zahlreiche Änderungen im Kaufrecht einstellen. Eine besonders praxisrelevante Änderung ist dabei die Verlängerung der sogenannten Beweislastumkehr in Bezug auf die gesetzlichen Mängelrechte. Diese gilt künftig ein Jahr lang statt aktuell nur sechs Monate.

Worum geht es?

Ist die Kaufsache mangelhaft, muss der Verkäufer dafür im Rahmen der kaufvertraglichen Mängelrechte nach den §§ 437 ff. BGB einstehen und dem Käufer stehen regelmäßig Rechte auf Nacherfüllung durch Reparatur bzw. Ersatzlieferung und ggf. dann auch auf Kaufpreisminderung oder Rücktritt vom Vertrag zu.

So weit ist die Rechtslage eindeutig.

Weitaus weniger eindeutig ist in der Praxis dagegen die tatsächliche Frage, ob denn überhaupt ein Sachmangel (im rechtlichen Sinne) vorliegt. Denn – anders als die meisten Käufer und auch einige Verkäufer denken – bedeuten die gesetzlichen Mängelrechte nicht, dass die verkaufte Sache eine bestimmte Zeit lang halten bzw. fehlerfrei bleiben muss.

Die Rechte des Käufers aus den §§ 437 ff. BGB knüpfen vielmehr jeweils daran an, ob die gelieferte Sache bereits bei Gefahrübergang einen Mangel aufwies. Was später passiert, ist hierfür nicht von Relevanz.

In der Praxis: Häufig Streit, wann der Mangel vorlag

Beim Verkauf vom Händler an einen Verbraucher ist der relevante Zeitpunkt für die Feststellung, ob die Ware mangelhaft ist oder nicht regelmäßig die Übergabe der Ware.

Nur wenn ein Mangel bereits zu diesem Zeitpunkt bereits vorgelegen hat (z.B. die bestellte Vase kommt als Scherbenhaufen an) oder da zumindest bereits angelegt gewesen ist (z.B. die Vase weist bei Ankunft einen Haarriss auf und zerspringt eine Woche später bei einem Temperaturwechsel), hat der Käufer überhaupt gesetzliche Mängelrechte.

Darüber, ob bereits zu diesem relevanten Zeitpunkt ein Mangel vorlag, wird in der Praxis sehr häufig zwischen den Parteien gestritten.

Grundsätzlich ist es der Käufer, der dahingehend beweisbelastet ist. Er ist es also, der im Streitfall das Vorliegen des geltend gemachten Mangels bereits zu diesem Zeitpunkt (dem Gericht) nachweisen können muss.

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Beweiserleichterung für Käufer beim Verbrauchsgüterkauf bereits seit 2002

Weil dies in der Praxis meist sehr schwierig ist, hat der Gesetzgeber mit der Schuldrechtsreform zum 01.01.2002 eine Regelung zur Beweislastumkehr in das Gesetz aufgenommen, die beim Kauf einer beweglichen Sache durch einen Verbraucher von einem Unternehmer die folgende gesetzliche Vermutung aufstellt:

Zeigt sich innerhalb von sechs Monaten seit Gefahrübergang ein Sachmangel, so wird vermutet, dass die Sache bereits bei Gefahrübergang mangelhaft war, es sei denn, diese Vermutung ist mit der Art der Sache oder des Mangels unvereinbar.

Seitdem ist es für Händler schwierig geworden, sich auf den Standpunkt zu stellen, ein Mangel habe gar nicht von Anfang an vorgelegen, zeigt sich dieser binnen 6 Monaten ab Übergabe der Ware.

Denn: Bis auf nachweislich vom Kunden selbst herbeigeführte Defekte und so gar nicht mit der Art der Sache oder des Mangels vereinbare Szenarien schafft diese Regelung eine sehr bequeme Rechtsposition für den reklamierenden Verbraucher.

Künftig: Vermutung gilt ein ganzes Jahr statt 6 Monate

Genau 20 Jahre später wird diese gesetzliche Vermutung nun kräftig umgekrempelt:

Künftig gilt diese nicht nur für sich binnen 6 Monate ab Gefahrübergang zeigende Mängel, sondern sogar für Mängel, die sich binnen eines Jahres ab Gefahrübergang zeigen.

So regelt § 477 Abs. 1 BGB-E die Beweislastumkehr künftig wie folgt neu:

Zeigt sich innerhalb eines Jahres seit Gefahrübergang ein von den Anforderungen nach § 434 oder § 475b abweichender Zustand der Sache, so wird vermutet, dass die Sache bereits bei Gefahrübergang mangelhaft war, es sei denn, diese Vermutung ist mit der Art der Sache oder des mangelhaften Zustands unvereinbar.

Mit anderen Worten: Die Dauer der für den Händler doch sehr unbequemen Rechtsposition verdoppelt sich nun im neuen Jahr – von sechs Monaten auf ein Jahr.

Kosten für Gewährleistungsabwicklung dürften steigen

Nach dem neuen Kaufrecht haben gewerbliche Verkäufer gegenüber Verbrauchern also doppelt so lange wie bislang mit der Vermutung zu leben, der Mangel habe bereits zum relevanten Zeitpunkt des Gefahrübergangs vorgelegen.

Natürlich handelt es sich dabei nach wie vor um keine echte Beweislastumkehr, sondern um eine widerlegbare, gesetzliche Vermutung.

In der Praxis sind die Hürden für ein erfolgreiches Widerlegen, solange der aufgetretene Mangel nicht völlig inkompatibel mit der Vermutung ist, für den Händler hoch.

Etliche Händler haben seit 2002 ihr Gewährleistungsmanagement so gestaltet, dass bei einer Reklamation in den ersten sechs Monaten der Kunde mit seinem Anliegen problemlos zu seinen Mängelrechten kommt.

Denn hier im Detail nachzuforschen, ob und wie der aufgetretene Mangel mit dem vermuteten früheren Auftreten tatsächlich vereinbar ist und die mit einer erfolgreichen Widerlegbarkeit einhergehenden Prozessrisiken dürften in keinem Verhältnis stehen.

Besonders bitter wird sich die Neuregelung beim Verkauf von gebrauchten Waren auswirken. Hier kann die Haftungsfrist für Mängel vertraglich auf ein Jahr (statt grundsätzlich zwei Jahre) verkürzt werden. Künftig wird der Gebrauchtwarenhändler dann gegenüber Verbrauchern bei einer entsprechenden Verkürzung aber das volle Jahr unter Geltung der Beweislastumkehr zugunsten des Käufers haften müssen.

Da bei gebrauchten Waren das Risiko erst nach Gefahrübergang auftretender Mängel wegen des Alters und der bereits erfolgten Nutzung deutlich höher sein dürfte im Vergleich zu fabrikneuen Waren, wird das Haftungsrisiko dort durch die Neuregelung nochmals deutlich erhöht werden.

Man stelle sich einen Gebrauchtwagen für 500 Euro vor, für welchen der Händler dann mindestens ein volles Jahr für quasi alle Mängel einstehen muss, die sich in diesem Zeitraum zeigen.

Fazit

Die Verlängerung des Zeitraums für die Geltung der Beweiserleichterung bei Sachmängeln von sechs Monaten auf ein volles Jahr dürfte mit zu den bedeutendsten und praxisrelevantesten Änderungen des neuen Kaufrechts 2022 gehören.

Die damit einhergehende Umstellung der Gewährleistungsabwicklungspraxis könnte die Händler (und letztlich damit auch wieder den Verbraucher) eine ganze Stange Geld kosten.

Die IT-Recht Kanzlei wird weiter regelmäßig zu den Neuerungen, die mit der Novellierung des Kaufrechts in 2022 einhergingen, informieren.

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Bildquelle:
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2 Kommentare

S
Stefan Schridde 14.10.2021, 12:42 Uhr
Der konstruktive Mangel ermöglicht weiterhin geplante Obsoleszenz
Wenn ein Bauteil mit hoher Verschleißneigung (z.B. Zahnrad aus Kunststoff mit raschem Abrieb) unzugänglich, nicht tauschbar und/oder hinsichtlich seiner Haltbarkeit kostengleich besser hätte ausgelegt werden können, kann von einem konstruktiven Mangel von Anfang an gesprochen werden. Dies wird jedoch nach wie vor vom Gesetzgeber nicht berücksichtigt. Damit bleibt eine typische Methode der geplanten Obsoleszenz weiter möglich. Wie kann so etwas besser im Gesetz zum Schutz von Klima, Ressourcen und Gesellschaft berücksichtigt werden?
W
Wolfgang Denda 05.10.2021, 11:28 Uhr
500€ PKW?
Die billigen guten Schlurren werden doch schon seit Jahrzehnten direkt ins Ausland verschoben, wo man anscheinend Qualität noch zu schätzen weiss. Von daher zieht diese Bedrohungskulisse für den "armen" Händler nicht.

Dennoch, danke für die Aufklärung zum demnächst aktuellen Kaufrecht.

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