Erhebliche Rechtsunsicherheit nach Inkrafttreten der HWG-Novelle
Im Herbst 2012 trat die HWG-Novelle in Kraft. Damit wollte der deutsche Gesetzgeber die liberalen europarechtlichen Vorgaben nach langer Zeit in das deutsche Recht umsetzen. Dies sollte möglichst restriktiv erfolgen. Aufgrund eines redaktionellen Fehlers ist nun aber anscheinend das Gegenteil geschehen: eine erhebliche Liberalisierung – oder doch nicht? Die IT-Recht Kanzlei fasst die aktuelle Problematik zusammen.
I. Ungenaue Redaktion macht Probleme
Die HWG-Novelle des Jahres 2012 - die IT-Recht Kanzlei hat die Novelle im letzten Jahr vorgestellt - ist mittlerweile geltendes Recht. Dennoch weiß bei einigen Punkten niemand genau, was nun eigentlich gilt. Denn aufgrund eines – wohl – redaktionellen Versehens hat der deutsche Gesetzgeber große Verwirrung und Rechtsunsicherheit geschaffen.
Eigentlich wollte der Gesetzgeber die fortschreitende Liberalisierung auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene möglichst restriktiv ins nationale Recht umsetzen. Neben Vorgaben aufgrund von EU-Richtlinien ging es dabei vor allem um die Anpassung des deutschen Heilmittelwerberechts an Urteile des EuGH.
Statt eines weiterhin möglichst strengen nationalen Werberechts für Heilmittel hat der Gesetzgeber nun jedoch womöglich – unfreiwillig – ein besonders liberales Recht geschaffen.
II. Unfreiwillige Einschränkungen beim Verbotstatbestand des § 11 HWG
Der Fehler ist bei der Neufassung des § 11 HWG passiert.
Während es einleitend bei § 11 Absatz 1 HWG richtigerweise auch weiterhin heißt, dass „außerhalb von Fachkreisen [...] für Arzneimittel, Verfahren, Behandlungen, Gegenstände oder andere Mittel nicht geworben werden [darf]“, ändert sich der Wortlaut der einzeln aufgelisteten Verbotstatbestände des § 11 Absatz 1 HWG dagegen durch die Novelle in eine engere Richtung.
So wird nun in den Tatbeständen des § 11 Absatz 1 Nr. 2, 5, 7 und 13 HWG ausdrücklich nur noch von Arzneimitteln gesprochen, so dass diese Werbeverbote dem Wortlaut nach nicht mehr die anderen, an sich vom Heilmittelwerbegesetz ebenfalls erfassten Heilmittel und Gegenstände umfassen.
Beispiel: Vor der HWG-Novelle lautete § 11 Nr. 7 HWG:
"Außerhalb von Fachkreisen darf für Arzneimittel, Verfahren, Behandlungen, Gegenstände oder andere Mittel nicht geworben werden, mit einer Werbeaussage, die geeignet ist, Angstgefühle hervorzurufen oder auszunutzen."
Durch die Novelle ist folgende Formulierung entstanden:
"Außerhalb von Fachkreisen darf für Arzneimittel, Verfahren, Behandlungen, Gegenstände oder andere Mittel nicht geworben werden, mit Werbeaussagen, die nahelegen, dass die Gesundheit durch die Nichtverwendung des Arzneimittels beeinträchtigt oder durch die Verwendung verbessert werden könnte."
Somit gilt dieses Werbeverbot dem Wortlaut nach nur noch für Arzneimittel, nicht jedoch für die anderen Gegenstände, die in § 11 Absatz 1 HWG einleitend aufgeführt sind.
II. Gibt es einen Weg aus der Rechtsunsicherheit?
Für die Werbenden in der Heilmittel- und Arzneimittelbranche ist die nun aus Versehen vom deutschen Gesetzgeber geschaffene Liberalisierung gar nicht so schlimm – wenn die unfreiwillige Liberalisierung denn tatsächlich besteht und auch weiterhin Bestand haben wird!
Denn zum einen ist noch völlig unklar, wie die Gerichte mit dem teils widersprüchlichen Gesetzestext umgehen werden. Zum anderen besteht die Möglichkeit, dass der Gesetzgeber schon bald reagiert und den Fehler korrigiert. Für beide Möglichkeiten gibt es jedoch noch keinerlei Anhaltspunkte.
Solange zudem das Gesetz in seiner derzeitigen Fassung existiert, müssen die Werbenden und ggf. die Gerichte mit ihm arbeiten. Die IT-Recht Kanzlei nennt mögliche Reaktionen der Gerichte auf den redaktionellen Fehler.
1. Korrektur des redaktionellen Fehlers durch Auslegung des Gesetzes
Es besteht die Möglichkeit, dass die Rechtsprechung die Verbotstatbestände des § 11 Absatz 1 HWG so auslegt, wie sie vom Gesetzgeber an sich beabsichtigt waren.
Zwar widerspricht dies bei den betroffenen Verbotstatbeständen dem jeweiligen Wortlaut. Allerdings könnten die Gerichte den Standpunkt vertreten, dass der Gesetzgeber entsprechend seinem Willen, der in den Gesetzesmaterialien wie etwa den Beratungsprotokollen zum Ausdruck gekommen ist, die Verbotstatbestände nicht nur in Bezug auf Arzneimittel, sondern auch auf die anderen vom HWG grundsätzlich erfassten Gegenstände und Verfahren beziehen wollte. Eine solche Auslegung wäre zwar sehr gewagt, jedoch würde sie nicht dem eigentlichen Willen des Gesetzgebers widersprechen und könnte daher gerechtfertigt werden.
2. Sanktionen nur bei eindeutig bestimmten Verbotstatbeständen
Dieser Lösungsansatz wird jedoch durch die Besonderheit in Frage gestellt, dass es sich bei den Tatbeständen in § 11 Absatz 1 HWG um Verbote handelt.
Vorsätzliche und fahrlässige Verstöße gegen die Verbote des § 11 Absatz 1 HWG stellen gemäß § 15 Absatz 1 Nr. 8 HWG Ordnungswidrigkeiten dar, die gemäß § 15 Absatz 3 HWG mit einer Geldbuße von bis zu 50.000 Euro geahndet werden können.
Im Ordnungswidrigkeitenrecht gilt jedoch wie im Strafrecht das sog. Analogieverbot: demnach darf nur das, was ausdrücklich, klar und eindeutig bestimmt verboten ist, sanktioniert werden. Verbote müssen möglichst klar formuliert sein, damit die Betroffenen bereits im Vorfeld wissen können, welche Sanktionen ihnen bei welchen späteren Verstößen drohen.
Dasselbe gilt in Bezug auf die Werbeverbotstatbestände in § 11 Absatz 1 HWG. Würden sie daher entgegen dem Wortlaut auch auf andere Gegenstände und Mittel als Arzneimittel entsprechend angewandt, so müssten Personen, die sich an die wortwörtlichen Formulierungen des § 11 Absatz 1 HWG halten, Sanktionen befürchten. Gerade dies würde jedoch rechtsstaatlichen Grundsätzen widersprechen.
3. Kein Analogieverbot im Wettbewerbsrecht
Bei Verstößen gegen einzelne Verbotstatbestände des § 11 Absatz 1 HWG drohen nicht nur Geldbußen, sondern auch Abmahnungen von Mitbewerbern. Denn die Werbeverbote sind als Marktverhaltensregelungen im Sinne des § 4 Nr. 11 UWG anzusehen, die den Anspruchsberechtigten die Möglichkeiten wettbewerbsrechtlicher Maßnahmen eröffnen.
Im Gegensatz zum Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht gibt es im Wettbewerbsrecht kein Analogieverbot. Daher könnte die etwas skurrile Situation entstehen, dass Verstöße gegen die erweitert ausgelegten und auf die anderen Gegenstände und Verfahren angewandten Verbotstatbestände des § 11 Absatz 1 HWG zwar wegen des Analogieverbots nicht als Ordnungswidrigkeiten geahndet, von den Anspruchsberechtigten jedoch mittels Abmahnungen geltend gemacht werden könnten.
4. Keine Konsequenzen bei Verstößen gegen § 11 Absatz 1 HWG?
Dies alles ist jedoch äußerst fraglich. Am wahrscheinlichsten scheint im Moment, dass Verstöße gegen § 11 Absatz 1 HWG in der Fassung, wie die Vorschrift vom Gesetzgeber an sich ursprünglich gewollt war, keine Konsequenzen haben, sondern lediglich Verstöße gegen den § 11 Absatz 1 HWG, wie er nun tatsächlich im Gesetz steht, negative Folgen haben.
Denn auch Mitbewerber werden sich mit Abmahnungen eher zurückhalten, solange die Rechtslage derart unklar ist. Ansonsten drohen sie mit diesen zu scheitern, was mit Kosten verbunden ist.
III. Welche Werbeverbote gelten für Medizinprodukte?
Neben der Verwirrung um den redaktionellen Fehler bei der Umsetzung der HWG-Novelle enthält § 11 HWG weitere Unklarheiten.
So heißt es in § 11 Absatz 1 Satz 2 HWG: „Für Medizinprodukte gilt Satz 1 Nr. 7 bis 9, 11 und 12 entsprechend“. Es stellt sich die Frage, ob dies bedeutet, dass die anderen Werbeverbotstatbestände des § 11 Absatz 1 HWG nicht auf Medizinprodukte anwendbar sind?
Einerseits könnte der Satz so zu verstehen sein, dass die anderen Werbeverbote nicht bloß entsprechend, sondern sogar in direkter Anwendung auch für Medizinprodukte gelten sollen. Somit würden doch alle Werbeverbotstatbestände auch bei Medizinprodukten Anwendung finden. Dafür würde sprechen, dass Medizinprodukte ebenfalls als „Gegenstände oder andere Mittel“ anzusehen sind, wie sie in § 11 Absatz 1 Satz 1 HWG einleitend und für alle Verbotstatbestände des § 11 Absatz 1 HWG gültig angesprochen werden.
Andererseits könnte man den Satz so auffassen, dass die anderen, nicht aufgezählten Werbeverbotstatbestände gerade nicht für Medizinprodukte gelten sollen. Dies ist allerdings deshalb fraglich, weil die „Gegenstände und anderen Mittel“ aus § 11 Absatz 1 Satz 1 HWG begrifflich weiter sind als Medizinprodukte und diese an sich einschließen.
Für eine komplett getrennte Betrachtung und Behandlung von „Gegenständen und anderen Mitteln“ in § 11 Absatz 1 Satz 1 HWG und Medizinprodukten in § 11 Absatz 1 Satz 2 HWG würde zudem die unterschiedliche, abgestufte und klar voneinander abgrenzende Definition in § 1 Absatz 1 HWG sprechen.
Die Rechtsprechung hatte – soweit ersichtlich – diese Frage bislang noch nicht zu entscheiden. Die juristische Fachwelt äußert sich hierzu nicht einheitlich. Es herrscht somit Rechtsunsicherheit.
Doch wegen des im Ordnungswidrigkeitenrecht geltenden Analogieverbots (siehe oben) und des damit einhergehenden sog. Bestimmtheitsgrundsatzes, wonach insbesondere Verbotsnormen hinreichend klar, deutlich und bestimmt sein müssen, ist im Zweifel eher davon auszugehen, dass nur die in § 11 Absatz 1 Satz 2 HWG ausdrücklich in Bezug genommenen Werbeverbotstatbestände auch auf Medizinprodukte Anwendung finden.
IV. Fazit
Eigentlich sollte die HWG-Novelle mehr Rechtsklarheit bringen. Denn mit ihr sollten die von der EU – insbesondere vom EuGH – aufgestellten Lockerungen des Heilmittelwerberechts Einzug in das geschriebene nationale Recht finden.
Es ist jedoch anders gekommen, weil der deutsche Gesetzgeber im Gesetzgebungsverfahren unsauber gearbeitet hat. Aufgrund von redaktionellen Fehlern besteht ein Zustand größerer Rechtsunsicherheit. Erst eine baldige Anpassung – und somit Klarstellung – durch den Gesetzgeber wird diese Rechtsunsicherheit beseitigen können. Solange sich zudem noch kein Gericht mit dem Problem auseinandergesetzt und dazu geäußert hat, ist keine Tendenz in eine Richtung erkennbar.
Bei Problemen und weiteren Fragen zum Thema HWG und HWG-Novelle hilft Ihnen das Team der IT-Recht Kanzlei selbstverständlich gerne weiter.
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