Muss der Käufer einen Mangel der Kaufsache beweisen, bevor er Mängelrechte geltend macht?
Versandhändler machen häufig die Erfahrung, dass Käufer Mängel an der gelieferten Ware reklamieren, ohne diese zu beweisen. Besonders bei Streitigkeiten auf Online-Marktplätzen führt dies zu Nachteilen für Händler, da Marktplatzbetreiber im Rahmen interner Streitschlichtungsverfahren häufig zugunsten der Käufer entscheiden. Doch wer trägt in solchen Fällen die Beweislast, und welche Auswirkungen hat die Entscheidung des Marktplatzbetreibers auf die Rechte der Parteien?
I. Beweislast bei Gewährleistungsfällen
Im Zivilrecht gilt der Grundsatz, dass diejenige Partei, die einen Anspruch geltend macht, die anspruchsbegründenden Tatsachen beweisen muss. Beruft sich der Käufer auf gesetzliche Mängelrechte, muss er also auch beweisen, dass die Voraussetzungen hierfür vorliegen. Hierzu gehört auch die Tatsache, dass die vom Händler gelieferte Ware einen rechtlich relevanten Mangel hat.
Dieser Grundsatz gilt auch dann, wenn der Vertrag zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher geschlossen wurde (Verbrauchsgüterkauf). Zwar enthält § 477 Abs. 1 BGB für den Verbrauchsgüterkauf eine (widerlegliche) gesetzliche Vermutung zugunsten des Verbrauchers, dass der Mangel bereits bei Lieferung der Ware vorlag, wenn er innerhalb der ersten 12 Monate ab Lieferung in Erscheinung tritt. Diese Regelung greift aber nur dann, wenn tatsächlich ein Mangel im Sinne des § 434 BGB besteht. Dies muss jedoch im Streitfall der Käufer beweisen, wobei er sich hierzu gängiger Beweismittel bedienen kann (z. B. durch Zusendung von Bildern des Mangels oder einer substantiierten Fehlerbeschreibung, die ggf. noch durch einen Zeugen gestützt wird).
II. Keine Beweispflicht des Käufers
Sofern tatsächlich ein Mangel im Sinne des § 434 BGB besteht, kann der Käufer seine Mängelrechte grundsätzlich auch dann geltend machen, wenn er den Mangel noch nicht nachgewiesen hat, da das Gesetz das Bestehen dieser Mängelrechte nicht davon abhängig macht, dass der Käufer den Mangel auch nachweist. Die Beweislast kommt in solchen Fällen also erst dann zum Tragen, wenn der Händler den behaupteten Mangel bestreitet, etwa weil er von einer selbst verschuldeten Fehlbedienung oder von einem Unfall des Käufers ausgeht.
III. Prüfungsrecht des Händlers
Hat der Händler begründete Zweifel an der Behauptung des Käufers, so kann er den Käufer auffordern, ihm die Ware zu Prüfungszwecken zu überlassen. Hierdurch ggf. entstehende Transportkosten hat der Händler zu tragen, sofern das Vorliegen eines Mangels aus Sicht eines objektiven Empfängers nicht völlig unwahrscheinlich ist. Dies gilt auch dann, wenn sich im Nachhinein herausstellen sollte, dass doch kein Mangel vorlag.
Sollte sich der Käufer ohne nachvollziehbaren Grund weigern, dem Händler die Ware zu Prüfungszwecken zu überlassen, obwohl er den Mangel noch nicht nachgewiesen hat, so kann dies eine schuldhafte Verletzung von vertraglichen Nebenpflichten darstellen und ggf. einen Schadensersatzanspruch des Händlers begründen, wenn diesem aufgrund der Weigerung des Käufers ein materieller Schaden entstehen sollte.
Praxistipp:
Sofern der vom Käufer behauptete Mangel nicht offensichtlich und unstreitig ist, sollte der Händler den Mangel nicht anerkennen, sondern immer zuerst auf Zusendung der Ware zum Zweck der Prüfung bestehen. Weigert sich der Käufer ohne nachvollziehbaren Grund, dem Händler die Ware zu Prüfungszwecken zu überlassen, obwohl er den Mangel noch nicht nachgewiesen hat, sollte der Händler etwaige Nacherfüllungsmaßnahmen ausdrücklich „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“ in Aussicht stellen und sich vorbehalten, die Forderung des Käufers zurückzuweisen, falls sich herausstellen sollte, dass kein Mangel vorliegt, für den der Händler einzustehen hat. Dies gilt insbesondere für solche Fälle, in denen der Käufer eine Ersatzlieferung fordert, bei der er die mangelhafte Ware erst an den Händler zurückgeben müsste, nachdem ihm dieser eine Ersatzware geliefert hat. Dagegen müsste der Käufer die mangelhafte Ware im Falle einer Reparatur ohnehin an den Händler zurückgeben.
IV. Grundsätzlich kein Rücktrittsrecht ohne Gelegenheit zur Nacherfüllung
Häufig fordern Käufer im Falle eines angeblichen Mangels der Kaufsache direkt den bereits gezahlten Kaufpreis gegen Rückgabe der Ware zurück. Dabei übersehen sie jedoch, dass der Händler grundsätzlich ein Recht zur zweiten Andienung hat, ihm also grundsätzlich zunächst Gelegenheit zur Nacherfüllung (durch Reparatur oder Ersatzlieferung) gegeben werden muss. Dieses Recht wird häufig auch von den Betreibern von Online-Marktplätzen missachtet, wenn sie dem Käufer im Rahmen einer internen „Streitschlichtung“ sofort einen Rückzahlungsanspruch gegen den Händler zusprechen, weil die gelieferte Ware nach Aussage des Käufers mangelhaft sei.
Ein sofortiges Rücktrittsrecht des Käufers kann aber in Betracht kommen, wenn der Händler die Nacherfüllung ernsthaft und endgültig verweigert, dem Händler die Nacherfüllung unmöglich ist oder wenn sonstige Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen den sofortigen Rücktritt rechtfertigen.
Daneben kann auch noch ein gesetzliches Widerrufsrecht in Betracht kommen, wenn der Käufer als Verbraucher gehandelt hat. Dann dürfte die Widerrufsfrist aber noch nicht abgelaufen sein und der Verbraucher müsste den Widerruf auch ordnungsgemäß gegenüber dem Widerrufsadressaten erklären.
Praxistipp:
Hat der Händler dem Käufer die Nacherfüllung in der Annahme verweigert, dass überhaupt kein relevanter Mangel vorliegt und tritt der Käufer deshalb vom Vertrag zurück und fordert anschließend den Kaufpreis zurück, so könnte der Händler den Kaufpreis zur Vermeidung einer Zahlungsklage gegen sich unter dem Vorbehalt zurückzahlen, dass sich der Mangel auch tatsächlich feststellen lässt. Sollte er im Rahmen einer Prüfung der vom Käufer zurückgegebenen Ware feststellen, dass überhaupt kein Mangel vorlag, so könnte er den Kaufpreis erneut vom Käufer einfordern, Zug um Zug gegen (erneute) Überlassung der Ware.
V. Kein Präjudiz durch Entscheidung des Marktplatzbetreibers
In unserer Beratungspraxis berichten uns Händler immer wieder von Fällen, in denen Betreiber von Online-Marktplätzen bei Streitigkeiten über Gewährleistungsrechte des Käufers aufgrund der Aussagen beider Parteien darüber entscheiden, ob der Händler verpflichtet ist, dem Käufer den Kaufpreis zu erstatten oder nicht. Häufig ziehen dabei die Händler den Kürzeren, ganz im Sinne einer maximalen Kundennzufriedenheit.
Wird der vom Käufer an den Händler gezahlte Geldbetrag vom Marktplatzbetreiber selbst oder von einem von diesem beauftragten Zahlungsdienstleister für einen gewissen Zeitraum treuhänderisch verwaltet, hat der Händler hierauf zunächst keinen Zugriff und kann während dieses Zeitraums praktisch auch nicht verhindern, dass der Marktplatzbetreiber dem Käufer den bereits gezahlten Geldbetrag in einem solchen Streitfall zurückzahlt. Im Ergebnis verfügt der Händler in solchen Fällen zunächst weder über die Ware noch über den Kaufpreis. Erhält der Händler irgendwann die Ware zurück und muss dann feststellen, dass diese überhaupt nicht mangelhaft war, muss er sich entscheiden, ob er die Kröte schluckt oder ob er den Käufer erneut auf Kaufpreiszahlung in Anspruch nimmt.
So unbefriedigend das Verhalten so mancher Marktplatzbetreiber in solchen Fällen für den Händler ist, so wenig ist dieses als Präjudiz für etwaige Folgestreitigkeiten zwischen Händler und Käufer zu werten. Häufig fehlt es den Mitarbeitern von Online-Marktplätzen schon am notwendigen juristischen Sachverstand, um solche Streitigkeiten rechtskonform zu entscheiden. Darüber hinaus fehlt es auch an der notwendigen Kompetenz, solche Streitfälle mit juristischer Bindungswirkung zu entscheiden. Sollte es der Händler daher im Falle einer für ihn nachteiligen Entscheidung des Marktplatzbetreibers auf einen Rechtsstreit vor einem Zivilgericht mit dem Käufer ankommen lassen, hätte die Entscheidung des Marktplatzbetreibers keinen Einfluss auf den Ausgang des Rechtsstreits. Im Ergebnis könnte der Käufer zur erneuten Zahlung des Kaufpreises verurteilt werden, Zug um Zug gegen erneute Überlassung der Ware.
VI. Fazit
Bei Streitigkeiten über das Bestehen von Mängelrechten im Rahmen von Kaufverträgen muss der Käufer beweisen, dass tatsächlich ein rechtlich relevanter Mangel vorliegt, wobei er sich hierzu der gängigen Beweismittel bedienen kann. Dies gilt auch beim Verbrauchsgüterkauf, da die gesetzliche Vermutung des § 477 Abs. 1 BGB nur greift, wenn tatsächlich ein Mangel vorliegt.
Liegt tatsächlich ein Mangel vor, kann der Käufer seine Mängelrechte grundsätzlich auch dann geltend machen, wenn er den Mangel noch nicht nachgewiesen hat, da das Gesetz das Bestehen dieser Mängelrechte nicht davon abhängig macht, dass der Käufer den Mangel auch nachweist.
Haben die Parteien den Kaufvertrag über einen Online-Marktplatz geschlossen, bei dem der Marktplatzbetreiber bei Streitigkeiten über das Bestehen von Mängelrechten im Rahmen einer internen „Streitschlichtung“ entscheidet, welche Rechte den Parteien zustehen, so hat dies keinen Einfluss auf einen etwaigen Rechtsstreit, den die Parteien ggf. nach einer solchen Entscheidung vor einem Zivilgericht führen.
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