Wie Du mir, so ich Dir: Gegenabmahnung nach BGH zulässige Waffe im Wettbewerbsrecht

Wie Du mir, so ich Dir: Gegenabmahnung nach BGH zulässige Waffe im Wettbewerbsrecht
22.04.2021 | Lesezeit: 10 min

Mancher Abmahner ist so naiv, vor Aussprache der eigenen Abmahnung seinen Internetauftritt nicht auf rechtliche Fehler hin zu prüfen. Für den Abgemahnten bietet es sich dann geradezu als Steilvorlage an, auf die Abmahnung mit einer Gegenabmahnung zu reagieren. Doch ist eine solche Retourkutsche überhaupt zulässig? Der BGH hat nun eine Antwort parat.

Worum geht es?

Auch in Zeiten von wachsenden „Anti-Abmahn-Bemühungen“ gibt es noch Mitbewerber, die „Händlerkollegen“ mit wettbewerbsrechtlichen Abmahnungen überziehen.

Soweit keine Besonderheit.

Spannend wird es allerdings dann, wenn der Abmahner selbst wettbewerbsrechtliche Probleme hat. In der jahrelangen Beratungspraxis der IT-Recht Kanzlei hat sich gezeigt, dass dies in einigen Fällen soweit geht, dass der Abmahner den / die von ihm abgemahnten Verstoß / Verstöße sogar selbst begeht.

Beispiel: Händler X mahnt über seinen Rechtsanwalt Konkurrenten Y ab, weil dieser bei einem grundpreispflichtigen Produkt keinen Grundpreis angegeben hat. Y stellt nach Erhalt der Abmahnung fest, dass X selbst nicht bei allen grundpreispflichtigen Produkten einen Grundpreis angegeben hat.

Da Y keine Lust hat, bei einem solch wiederholungsanfälligen Verstoß gegenüber X eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben und die teuren Abmahnkosten auszugleichen, denkt er über eine „Gegenabmahnung“ nach.

Y möchte daher seinen Anwalt entweder damit beauftragen, den Rechtsanwalt von X zu kontaktieren und auf die „Pattsituation“ hinzuweisen, damit die Abmahnung durch X zurückgenommen wird (Variante 1) bzw. direkt eine „Gegenabmahnung“ auszusprechen (Variante 2), ggf. mit dem Hinweis, man könne sich in der Sache wegen der beiderseits begangenen Verstöße ja auch gütlich im Sinne eines wechselseitigen Anspruchverzichts einigen (Variante 3).

Doch ist eine solche „Retourkutsche“ überhaupt zulässig oder handelt der Abgemahnte mit seiner Gegenabmahnung dann vielleicht sogar rechtmissbräuchlich?

Uneinheitliche Instanzrechtsprechung

Während die Reaktion mittels „sauberer“ Gegenabmahnung (im Beispiel die Variante 2) von den Gerichten in aller Regel nicht beanstandet wurde, existiert für Fälle, wo versucht wurde dabei zu „dealen“ (insbesondere zur Variante 1) Rechtsprechung, dass der Abgemahnte dann rechtsmissbräuchlich handelt und ihm damit letztlich alle bestehenden Gegenansprüche verloren gehen.

Der Vorwurf dabei ist, dass es dem Abgemahnten bei seiner Retourkutsche gar nicht um die Sache selbst gehe (die Einhaltung des lauteren Wettbewerbs bzw. die Beseitigung bestehender Verstöße), sondern primär darum, selbst möglichst schadlos aus der Sache herauszukommen (also keine Unterlassungserklärung abgeben und keine Abmahnkosten erstatten zu müssen).

Auch Variante 3, also die Aussprache der Gegenabmahnung „garniert“ mit einem Hinweis oder sogar Angebot auf die (gewünschte) Einigung ohne beiderseitige Unterwerfung hat so manchem Gegenabmahner schon Ärger eingebracht. Denn auch dabei, so könnte man die Intention des Gegenabmahners jedenfalls auslegen, geht es ihm im Kern gar nicht um die Sache, sondern darum, selbst möglichst glimpflich davonzukommen.

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Gefahr, sich dem Vorwurf des Rechtsmissbrauchs auszusetzen

Wer mit einer Gegenabmahnung auf die erhaltene Abmahnung reagieren wollte, dem blieb bisher damit nichts anderes übrig, als eine solche zunächst einmal formal auszusprechen und auf Annäherungsversuche zu verzichten, also die „harte Tour“ zu fahren.
Andernfalls schwang immer das Risiko mit, sich in den Bereich des Rechtsmissbrauchs zu begeben.

Würde ein Gericht dann einen Rechtsmissbrauch bejahen, dann gingen dem Gegenabmahner sowohl die geltend gemachten Unterlassungsansprüche als auch sein Kostenerstattungsanspruch flöten. Er verlöre dann also sämtliche Munition.

Die unklare Rechtslage machte es in einer solchen Pattsituation auch für den beratenden Rechtsanwalt nicht einfacher. Denn es mag juristisch die sauberste (und für den Anwalt die einträglichste) Lösung sein, dann gleich scharf mit einer Gegenabmahnung um sich zu schießen und die Vorgänge im Anschluss streitig auszutragen.

Wirtschaftlich betrachtet ist diese Vorgehensweise für den Mandanten (und auch für den Gegner) in den seltensten Fällen die beste Lösung, zumal dann nicht selten eine wahre Eskalation mit einem sogenannten „Abmahn-Pingpong“ die Folge ist.

Einvernehmliche Streitbeilegung in der Praxis oft die sinnvollste Vorgehensweise

Vielmehr dürfte es in den meisten Konstellationen im Mandanteninteresse sein, die Streitigkeiten einvernehmlich, bei Vermeidung der beiderseitigen Abgabe von Unterlassungserklärungen und Geringhaltung der Kosten zu erledigen. Alleine der Schockmoment, vom Angreifer in die verwundbare Opferrollte zu rutschen macht in der Praxis aus manchem Abmahner plötzlich einen lammfrommen Verhandlungspartner.

Bei einem sofortigen Gegenabmahnen auf die harte Tour droht dagegen eine Eskalation des Konflikts. Zudem werden dann schnell erhebliche weitere Kosten fällig. Auch ist letztlich keinem der Beteiligten im Ergebnis weitergeholfen, wenn wechselseitig möglicherweise sogar inhaltsgleiche Unterlassungsverpflichtungen bestehen.

Spannungsfeld für Rechtsberater

Es besteht somit häufig das Spannungsfeld, dass es für die Parteien eigentlich am sinnvollsten wäre, die Streitereien einvernehmlich ohne Abgabe einer Unterlassungserklärung und unter vergleichsweiser Regelung bzw. sogar Aufhebung der Kosten zu befrieden. Doch der Weg dorthin ist, gerade für den Vertreter der zunächst abgemahnten Partei, nicht ungefährlich.

Denn vereinzelte gerichtliche Entscheidungen brachten die Gefahr mit sich, dass die Abmahnerseite bei entsprechenden „Annäherungsversuchen“ auf stur schaltete und den Rechtsmissbrauchseinwand erhob.

Dies führte in der Praxis häufig dazu, dass entsprechende Verhandlungen gar nicht erst geführt wurden und die Sachen dann streitig ausgetragen wurde – für die Parteien im Regelfall nur nachteilig.

Paradox erscheint dies auch deswegen, wird gerade im Wettbewerbsprozess doch recht häufig von den Kammern auf eine vergleichsweise Erledigung des Rechtsstreits zwischen den Parteien gedrängt. Warum sollte daher eine vergleichsweise Erledigung bei vergleichbarer Interessenlage im außergerichtlichen Bereich dagegen „schmutzig“ sein? Jedenfalls, soweit es den Mittelweg (hier Variante 3) betrifft, der deutlich macht, dass der Abgemachte bei der Verfolgung der Verstöße ernst machen wird, sich einer einvernehmlichen Lösung aber nicht verschließen möchte.

BGH-Urteil schafft (etwas) Klarheit

Der BGH hat mit Urteil vom 21.01.2021, Az.: I ZR 17/18 entschieden, dass eine Gegenabmahnung nicht deshalb als rechtsmissbräuchlich anzusehen ist, weil sie eine Reaktion auf die vorherige Abmahnung eines vergleichbaren Verstoßes ist. Soweit nichts neues, war eine „saubere“ Gegenabmahnung auch bisher schon von den Instanzgerichten nicht als rechtsmissbräuchlich eingestuft worden.

Was war im Streitfall, denn der BGH zu entscheiden hatte passiert?

Die Parteien stehen in Wettbewerb im Bereich des Handels mit Druckerzubehör. Mit anwaltlichem Schreiben vom 13. Januar 2015 mahnte der Beklagte den Kläger wegen der Verwendung einer fehlerhaften Widerrufsbelehrung ab.

Der Kläger mahnte daraufhin seinerseits den Beklagten mit anwaltlichem Schreiben vom 21. Januar 2015 ab. Er machte geltend, der Beklagte habe Ware angeboten, ohne dabei in der Widerrufsbelehrung die im Impressum genannte Telefonnummer angegeben zu haben.

Der „Gegenabmahnung“ wurde dabei derselbe Gegenstandswert zugrunde gelegt wie der Abmahnung (so dass eine Aufrechnung der Abmahnkosten denkbar wäre). Ferner ließ der Kläger dem Beklagten dabei Folgendes mitteilen:

"Nach alledem erlauben wir uns eine vergleichsweise Regelung der Angelegenheit in der Art vorzuschlagen, dass beide Parteien die wechselseitig gerügten Verstöße einstellen und man sich bei zukünftig etwaig festgestellten Verstößen zunächst inter pares versucht, ohne kostenauslösende Abmahnungen, die Verstöße abzustellen. Erst wenn trotz Hinweis der Verstoß nicht abgestellt werden würde, soll der Ausspruch einer Abmahnung über Anwälte zulässig sein. Damit wäre die Sache erledigt. Eine Kostenerstattung findet wechselseitig nicht statt."

Der Beklagte ging auf den angebotenen „Deal“ nicht ein und reagierte auf die Gegenabmahnung nicht weiter. Aus diesem Grund sah sich der Kläger gezwungen, die mit seiner Gegenabmahnung geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung und Abmahnkostenerstattung gerichtlich weiterzuverfolgen. Das Landgericht in erster Instanz und in der Berufung das Oberlandesgericht sahen die Ansprüche des Klägers als gegeben. Mit seiner Revision zum BGH verfolgt der Beklagte seinen Antrag auf Klageabweisung weiter.

Auch der BGH sah den Kläger nun im Recht und wies die Revision des Beklagten zurück.

Zum vom Beklagten erhobenen Rechtsmissbrauchseinwand nahm der BGH wie folgt Stellung:

„Der Umstand, dass der Kläger, nachdem er zuvor vom Beklagten wegen eines vergleichbaren Verstoßes abgemahnt worden war, seinerseits am 21. Januar 2015 wegen des von ihm gesehenen Verstoßes des Beklagten gegen diesen eine Abmahnung ausgesprochen und Ersatz der ihm dadurch entstandenen Kosten verlangt hat, weist zunächst nur darauf hin, dass er damit im Ergebnis nicht schlechter stehen wollte als der Beklagte, der seinerseits zuvor gegen den Kläger wegen eines Fehlers in der von diesem gegebenen Widerrufsbelehrung eine Abmahnung ausgesprochen hatte. Für die Annahme eines Rechtsmissbrauchs reicht diese Motivation ebenso wenig aus wie der Umstand, dass der Kläger der Abmahnung vom 21. Januar 2015 keine vorformulierte Unterlassungserklärung beigefügt hat, zumal für dieses Verhalten der Umstand sprach, dass die Abmahnung an die den Beklagten vertretenden Rechtsanwälte gerichtet war.

e) Die Revisionserwiderung weist außerdem mit Recht auf weitere Umstände hin, die die vom Berufungsgericht in tatrichterlicher Würdigung des Sachverhalts vorgenommene Beurteilung, dass der Kläger bei der Abmahnung vom 21. Januar 2015 nicht missbräuchlich im Sinne von § 8 Abs. 4 Satz 1 UWG aF ( § 8c Abs. 1 und 2 UWG ) gehandelt hat, zusätzlich stützen. So spricht die Tatsache, dass der Kläger nicht nur den Beklagten abgemahnt, sondern den dabei geltend gemachten Unterlassungsanspruch später auch gerichtlich geltend gemacht hat, gegen ein missbräuchliches Verhalten (vgl. BGH, Urteil vom 20. Mai 1999 - I ZR 66/97 , GRUR 1999, 1116, 1118 [juris Rn. 33] = WRP 1999, 1163 - Wir dürfen nicht feiern). Ebenso ist, wie auch die Revision nicht in Zweifel zieht, der in der Abmahnung vom 21. Januar 2015 angesetzte Gegenstandswert von 10.000 € nicht als übersetzt anzusehen. Gegen den Schluss auf ein im Sinne von § 8 Abs. 4 Satz 1 UWG aF ( § 8c Abs. 1 und 2 UWG ) missbräuchliches Verhalten des Klägers spricht schließlich dessen in dem Schreiben vom 21. Januar 2015 gemachter Vorschlag, die Parteien sollten die wechselseitig gerügten Verstöße einstellen und bei von ihnen in der Zukunft festgestellten Verstößen versuchen, diese ohne kostenauslösende Abmahnungen abzustellen. Dieser Vorschlag zielte als pragmatische Lösung darauf ab, künftig ein beiderseits wettbewerbskonformes Verhalten zu erreichen, ohne dass die Parteien dabei darauf verzichteten, Ansprüche im Falle des Nichtzustandekommens einer Einigung doch noch gerichtlich geltend zu machen (vgl. OLG Bremen, GRUR-RR 2013, 477, 478 [juris Rn. 14]; Goldmann in Harte/Henning, UWG, 4. Aufl., § 8 Rn. 707)“

Trotz des deutlichen „Winks“ in der Gegenabmahnung, die Streitigkeiten vergleichsweise beizulegen und wechselseitig auf sich beruhen zu lassen, sah der BGH keinen Anlass, sich vertieft mit dem Rechtsmissbrauchsvorwurf auseinanderzusetzen. Die angedachte „Friedensklausel“ für die Handhabung künftiger Verstöße wertet der BGH sogar als „pragmatische Lösung“.

Fazit

Die Entscheidung des BGH ist begrüßenswert und schafft einen gewissen Rechtsfrieden.

Es wäre befremdlich, wenn der Abgemahnte bei ernsthaftem Vorgehen gegen vom Abmahner selbst begangene Wettbewerbsverstöße dann bei Inaussichtstellen einer einvernehmlichen Regelung immer Gefahr läuft, sich rechtsmissbräuchlich im Sinne des UWG zu verhalten.

Das Urteil darf jedoch nicht als Freibrief für „dubiose“ Verhaltensweisen im Zusammenhang mit vom Abmahner selbst begangenen Wettbewerbsverstößen verstanden werden. Für die Beurteilung, ob die Grenze zum Rechtsmissbrauch überschritten wurde kommt es immer auf den Einzelfall an.

Als sehr kritisch in diesem Zusammenhang dürfte weiterhin die im Beispiel geschilderte Variante 1 zu sehen sein, also die bloße Androhung einer Gegenabmahnung als Druckmittel, um die Abmahnerseite zum Anspruchsverzicht zu bewegen. Ein solches Verhalten kann u.E. auch weiterhin zum Bumerang werden.

Aber auch in Bezug auf die gegenständliche Variante 3 muss die Sache differenziert betrachtet werden. Zum einen kommt es hierbei auf die Formulierung des angedachten „Deals“ an. Wird daraus erkennbar, dass es dem Gegenabmahner in erster Linie darum geht, möglichst schadlos bzw. günstig aus der Sache herauszukommen, dürfte dies auch weiterhin zu Problemen führen. Ferner werden auch weitere Umstände, wie etwa die Höhe der mit der Gegenabmahnung geforderten Abmahnkosten eine Rolle spielen. Im vom Senat zu entscheidenden Fall deckten sich die Abmahnkosten der Höhe nach.

Wer hier aufzutrumpfen versucht, die Gegenabmahnung als besonders durch künstliches Aufblähen „teuer“ macht, der macht deutlich, dass es ihm um eine Kostenbelastung des Abmahners bzw. um eine Verbesserung seiner Lage in kostentechnischer Hinsicht geht.

Die Reaktion mittels Gegenabmahnung auf eine berechtigte Abmahnung hin dürfte als auch weiterhin ein heißes Pflaster bleiben. Dies macht einmal mehr deutlich, wie wichtig qualifizierte anwaltliche Beratung im Abmahnfall ist.

Besser noch: Sie lassen es gar nicht erst zu einer Abmahnung kommen. Insbesondere Fehler in Rechtstexten (wie hier den von beiden Parteien genutzten Widerrufsbelehrungen) bieten immer wieder Anlass für Abmahnungen. Wir sichern Sie ab, damit Sie gar nicht erst abgemahnt werden. Eine Übersicht unserer Schutzpakete finden Sie hier

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