Orientierungshilfe der EU-Kommission: Fernabsatzverträge, die nicht unter den Geltungsbereich der Richtlinie fallen
Nicht alle Fernabsatzverträge fallen unter den Geltungsbereich der mittlerweile in nationales Recht umgesetzten Verbraucherschutzrichtlinie 2011/83. Es ist für den europäischen Onlinehändler enorm wichtig zu wissen, welche Ausnahmetatbestände es hier gibt. Denn für solche Ausnahmetatbestände, die nicht unter den Geltungsbereich der Richtlinie fallen, gelten unter anderem nicht die vorvertraglichen Pflichtinformationen und das Widerrufsrecht.
Es ist daher hilfreich, dass die EU-Kommission vor kurzem eine Orientierungshilfe zur Anwendung der Verbraucherschutzrichtlinie veröffentlicht hat, die unter anderem zur Frage des Geltungsbereichs der Richtlinie eine hilfreiche Orientierung gibt. Die Aussagen der Orientierungshilfe zum Geltungsbereich der Richtlinie sollen hier vorgestellt werden. Begrifflichkeiten sind der deutschsprachigen Fassung der Verbraucherschutzrichtlinie entnommen.
Die Richtlinie unterscheidet zwischen
- Fernabsatzverträgen, die nicht unter den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen (Art. 3, Abs. 3) und (2)
- Fernabsatzverträgen, die zwar in den Geltungsbereich der Richtlinie fallen, für die aber kein Widerrufsrecht besteht (Art. 16).
Diese beiden Tatbestände sollten nicht verwechselt werden. Bei Fernabsatzverträgen, die unter den Geltungsbereich der Richtlinie fallen, für die aber kein Widerrufsrecht vorgesehen sind, gelten zum Beispiel selbstverständlich die vorvertraglichen Pflichtinformationen. Bei Fernabsatzverträge, die nicht unter den Geltungsbereich der Richtlinie fallen, gelten die Bestimmung unter anderem zu den vorvertraglichen Pflichtinformationen der Richtlinie nicht.
Im Folgenden geht es daher nur um die Fernabsatzverträge, die nicht unter den Geltungsbereich der Richtlinie fallen. Die Ausnahmetatbestände zum Widerrufsrecht (Art. 16) sollen in einer gesonderten News dargestellt werden.
Besondere Einzeltatbestände, die nicht unter den Geltungsbereich der Richtlinie fallen, Art. 3, Abs. 3 Richtlinie
Die Orientierungshilfe der EU-Kommission handelt nur bestimmte Einzeltatbestände ab.
1. Erwerb von Grundeigentum, Mietverträge, Gebäudeverträge ( Art. 3, Abs. 3, Buchstabe e und f)
Wortlaut der Richtlinie:
Diese Richtlinie gilt nicht für Verträge
e) über die Begründung, den Erwerb oder die Übertragung von Eigentum oder anderen Rechten an Immobilien;
f) über den Bau von neuen Gebäuden, erhebliche Umbaumaßnahmen an bestehenden Gebäuden oder die Vermietung von Wohnraum
Aus dem Wortlaut folgt, dass nur Verträge für Wohnzwecke ausgeschlossen sind, Miet- oder Pachtverträge, die nicht Wohnzwecken dienen, fallen dagegen unter den Geltungsbereich der Richtlinie. Der Begriff „erhebliche Umbaumaßnahmen“ ist eng auszulegen. Dies ergibt sich aus Erwägungsgrund 26 der Richtlinie:
Erwägungsgrund 26
„…Dienstleistungsverträge insbesondere im Zusammenhang mit der Errichtung von Anbauten an Gebäude (z. B. dem Anbau einer Garage oder eines Wintergartens) und im Zusammenhang mit der Instandsetzung und Renovierung von Gebäuden, die keine erheblichen Umbauarbeiten darstellen, Verträge über Dienstleistungen von Immobilienmaklern und über die Vermietung von Räumen für andere als Wohnzwecke sollten unter diese Richtlinie fallen“
Die EU-Orientierungshilfe gibt hier folgende Beispielsfälle, die in den Geltungsbereich der Richtlinie fallen: Anmietung von Parkplätzen oder Festhallen
2. Verträge über die Lieferung von Lebensmitteln, Getränken oder sonstigen Haushaltsgegenständen des täglichen Bedarf, die im Rahmen häufiger und regelmäßiger Fahrten geliefert werden (Art. 3, Abs. 3, Buchstabe i)
Wortlaut der Richtlinie:
Diese Richtlinie gilt nicht für Verträge über die Lieferung von Lebensmitteln, Getränken oder sonstigen Haushaltsgegenständen des täglichen Bedarfs, die am Wohnsitz, am Aufenthaltsort oder am Arbeitsplatz eines Verbrauchers von einem Unternehmer im Rahmen häufiger und regelmäßiger Fahrten geliefert werden
Dieser Ausnahmetatbestand gilt nur, wenn zwei Bedingungen erfüllt sind:
- Der Händler liefert die Ware im Rahmen häufiger und regelmäßiger Fahrten
- Die Ware ist für den täglichen Bedarf bestimmt
Der Verweis auf den Arbeitsplatz stellt klar, dass der Verbrauch (im englischen Text heißt es explizit „for current consumption“) dieser Haushaltsgegenstände nicht am Wohnsitz stattfinden muss.
3. Verträge, die unter Verwendung von Warenautomaten oder automatisierten Geschäftsräumen geschlossen werden (Art. 3. Abs. 3, Buchstabe l)
Wortlaut der Richtlinie:
Diese Richtlinie gilt nicht für Verträge die unter Verwendung von Warenautomaten oder automatisierten Geschäftsräumen geschlossen werden-
Die Orientierungshilfe gibt hier als Beispiel: Automatisierte Tankstellen, die für den Vertragsschluss nicht der physischen Präsenz eines Vertreters des Händlers bedürfen
4. Bestimmte Verträge, die mit elektronischen Kommunikationsmitteln geschlossen werden (Art. 3, Abs. 3, Buchstabe m)
Wortlaut der Richtlinie:
ZItat
Diese Richtlinie gilt nicht für Verträge die mit Betreibern von Telekommunikationsmitteln mit Hilfe öffentlicher Fernsprecher zu deren Nutzung geschlossen werden oder die zur Nutzung einer einzelnen von einem Verbraucher hergestellten Telefon-, Internet- oder Faxverbindung geschlossen werden
/Zitat
Vom Geltungsbereich der Richtlinie ausgeschlossen sind zwei Arten von Verträgen.
Die erste Vertragsart betrifft Verträge, die mit Betreibern von Telekommunikationsmitteln mit Hilfe öffentlicher Fernsprecher zu deren Nutzung geschlossen wurden. Öffentliche Fernsprecher werden gem. Artikel 2 der Universaldienstrichtlinie 2002/22/EC über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und –diensten als ein „der Allgemeinheit zur Verfügung stehendes Telefon (definiert), für dessen Nutzung als Zahlungsmittel unter anderem Münzen, Kredit-/Abbuchungskarten oder Guthabenkarten, auch solche mit Einwahlcode, verwendet werden können.“
Daraus folgt, dass zum Vertragsschluss in den öffentlichen Fernsprecher Münzen eingeworfen werden müssen oder eine Kreditkarte eingesetzt werden muss. Der Ausnahmetatbestand gilt daher nicht, wenn vorher eine prepaid Telefonkarte gekauft werden muss.
Die zweite Vertragsart betrifft Verträge, die zur Nutzung einer einzelnen von einem Verbraucher hergestellten Telefon-, Internet- oder Faxverbindung geschlossen werden. Diese Vertragsart hat einen wesentlich weiteren Anwendungsbereich und führt im Einzelnen zu erheblichen Auslegungsschwierigkeiten und zu einer zum Teil verwirrenden Kasuistik.
- Dieser Ausnahmetatbestand deckt z.B. Verträge in einem Internetcafé über eine einzelne Internet-Sitzung ab.
- Nicht abgedeckt sind dagegen Verträge über elektronische Kommunikationsdienstleistungen, die über einen längeren Zeitraum laufen und/oder ein bestimmtes Nutzungsvolumen betreffen.
Beispiel: Verträge, die über zuvor gekaufte prepaid Sim Karten für Mobildienste oder einen zuvor gekauften Zugangscode für Wi-Fi Dienste zustande kommen.
- Dagegen soll der Ausnahmetatbestand des Buchstabens m, Art. 3, Abs. 3 für Verträge gelten, die mit dem Provider von Mehrwertdiensten (premium rate services) abgeschlossen werden. Es handelt sich dabei um Dienste, die über die Telefonrechnung des Verbrauchers bezahlt werden und zwar in den Fällen, in denen der Vertrag abgeschlossen und in Gänze durch einen einzigen Telefonanruf oder eine einzige SMS abgewickelt wird.
Beispiel: Telefonanruf an die Telefonvermittlung eines Betreibers bei einer Abstimmung in einer Show
- Nicht abgedeckt sind dagegen Abonnement-Verträge, bei denen der Anruf oder ein SMS nur ein Mittel zum Vertragsabschluss ist, der dann später erfüllt werden soll
Beispiel: Verträge, die über einen Telefonanruf oder eine SMS mit einem Anbieter von Verkehrsinformationen abgeschlossen werden, bei späterer Übermittlung der Information auf das Kommunikationsgerät des Verbrauchers.
Wichtig für den Händler:
Wenn der Verbraucher die Nummer eines Premium-Rate-Dienstes (PRS) anrufen, oder an diese Nummer eine SMS schicken muss, um einen Vertrag abzuschließen, der dann zu einem späteren Zeitpunkt erfüllt wird, muss der Händler den Verbraucher im Vorhinein über die Kommunikationskosten informieren, wenn diese Kosten höher sind als die Kosten für den Grundtarif i.S.d. Art. 6 Abs. 1, Buchstabe f Richtlinie.
Kein Verbraucherschutz bei bestimmten Verträgen von Premium-Rate-Diensten?
Bestimmte Verträge hinsichtlich von Premium-Rate-Diensten fallen daher nicht unter den Anwendungsbereich der Richtlinie. Dies bedeutet allerdings nicht, dass in der EU für solche Verträge grundsätzlich überhaupt keine Verbraucherschutzbestimmungen bestehen. Die EU-Rahmenrichtlinien für elektronische Kommunikation insbesondere zur Genehmigung elektronischer Kommunikationsnetze und –dienste (2002/20/EC) und die Universaldienstrichtlinie 2002/22/EC ermächtigen die Mitgliedsstaaten, bestimmte Maßnahmen zum Schutz der Verbraucher in Verbindung mit der Nutzung von Premium-Rate-Diensten zu erlassen.
5. Regeln für öffentliche Versteigerungen
Gemäß der jetzt aufgehobenen Richtlinie 97/7/EC waren Verträge, die im Rahmen einer Versteigerung abgeschlossen wurden, von den Fernabsatzregeln ausgenommen. Die jetzt gültige Richtlinie 2011/83 führt dagegen aus, dass öffentliche Versteigerungen mit bestimmten Einschränkungen unter den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen. Öffentlichen Versteigerungen sind gemäß der Legaldefinition des Artikels 2 , Abs. 13 als „eine Verkaufsmethode (definiert), bei der der Unternehmer Verbrauchern, die bei der Versteigerung persönlich anwesend sind oder denen diese Möglichkeit gewährt wird, Waren oder Dienstleistungen anbietet, und zwar in einem vom Versteigerer durchgeführten, auf konkurrierenden Geboten basierenden transparenten Verfahren, bei dem der Bieter, der den Zuschlag erhalten hat, zum Erwerb der Waren oder Dienstleistungen verpflichtet ist.“
Im Fall einer öffentlichen Versteigerung können im Rahmen der vorvertraglichen Pflichtinformationen bestimmte Angaben des Händlers durch entsprechende Angaben des Versteigerers ersetzt werden (Art. 6, Abs. 3). Auch gilt nicht das Widerrufsrecht für Verträge im Rahmen einer öffentlichen Versteigerung (Art. 16, Buchstabe k).
Wichtig für Ebay-Händler:
Erwägungsgrund 24 der Richtlinie stellt klar, dass bei Verwendung von Online-Plattformen zu Versteigerungszwecken entsprechende Vertragsabschlüsse nicht als öffentliche Versteigerung im Sinne der Richtlinie gelten. Daher fallen Versteigerungen über Online-Plattformen ohne Einschränken unter den Geltungsbereich der Richtlinie, d.h. zum Beispiel, dass der Verbraucher über vorvertragliche Pflichtangaben vor Vertragsabschluss informiert sein muss und ihm im vollen Umfang das Widerrufsrecht zusteht.
24. … Die Verwendung von Online-Plattformen, die Verbrauchern und Unternehmern zu Versteigerungszwecken zur Verfügung stehen, sollte nicht als öffentliche Versteigerung im Sinne dieser Richtlinie gelten.
Tipp: Sie haben Fragen zu dem Beitrag? Diskutieren Sie hierzu gerne mit uns in der Unternehmergruppe der IT-Recht Kanzlei auf Facebook.
info; Bildquelle:shutterstock
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