Sendung angeblich unvollständig: Rechte des Händlers - Muster
Wie ist die Rechtslage, wenn Verbraucher behaupten, es sei unvollständig geliefert worden? Wer trägt die Beweislast, welche Pflichten hat der Händler, und wann sind „eidesstattliche Versicherungen“ erlaubt? Diese und weitere Fragen klären wir in diesen FAQ und stellen ein praktisches Muster zur Verfügung.
Inhaltsverzeichnis
- Die Theorie
- 1. Paket nicht vollständig: Muss der Händler nachliefern?
- 2. Paket unvollständig: Darf sich der Verbraucher vom Vertrag lösen?
- 3. Wie erhält der Händler Ersatz für den verlustig gegangenen Lieferteil?
- Die Praxis: Fälle behaupteter Unvollständigkeit
- 1. Verbraucher behauptet Unvollständigkeit, Händler ist anderer Meinung: Wer muss was beweisen?
- 2. Beweismittel des Händlers zur Entkräftung der behaupteten Lieferunvollständigkeit?
- Die Schadensregulierung mit Transportunternehmen: Mythos der „eidesstattlichen Versicherungen“
- 1. Versandunternehmen fordert „eidesstattliche Erklärung“ über fehlende Sendungsteile
- 2. Darf der Händler vom Verbraucher eine Erklärung über die Unvollständigkeit der Sendung verlangen?
- 3. Versandunternehmen verweigert Schadensausgleich bis zur Unvollständigkeitserklärung - zu Recht?
- 4. Dürfen Händler zusammen mit der Unvollständigkeitserklärung eine Ausweiskopie verlangen?
- Muster: Bitte um Abgabe einer Unvollständigkeitserklärung zur Nachforschung und Schadensregulierung
Die Theorie
Ausgehend von dem eindeutigen Fall, dass bestellte Ware dem Verbraucher nachweisbar nicht vollständig zugestellt wurde und dass wesentliche Teile fehlen, sollen die grundsätzlichen Rechte und Pflichten für Online-Händler in dieser Konstellation aufgezeigt werden.
1. Paket nicht vollständig: Muss der Händler nachliefern?
Wird dem Verbraucher eine Lieferung nicht vollständig zugestellt, liegt ein Gewährleistungsfall vor.
Eine unvollständige Lieferung stellt nämlich einen Sachmangel im Sinne des § 434 Abs. 3 BGB dar.
Für die Annahme eines Mangels ist es grundsätzlich gleich, ob das Fehlen von Teilen der Bestellung bereits in der Sphäre des Händlers, oder erst auf dem Transportweg durch das Versandunternehmen hervorgerufen wurde.
Gehen Bestellteile auf dem Versandweg verloren oder kommen abhanden, trägt der Händler hierfür aufgrund eindeutiger Anordnung nach § 475 Abs. 2 BGB i.V.m. § 447 BGB im Verhältnis zum Verbraucher die Verantwortung.
Aufgrund der Mangelhaftigkeit der Bestellung wegen Unvollständigkeit ist der Verbraucher berechtigt, vom Händler gemäß § 437 Nr. 1 BGB i.V.m. § 439 Abs. 1 BGB die Nachlieferung der fehlenden Bestellteile zu fordern.
Hierfür darf der Händler keinerlei Kosten (auch keine Versandkosten) berechnen.
2. Paket unvollständig: Darf sich der Verbraucher vom Vertrag lösen?
Dies hängt davon ab, auf welches Recht sich der Verbraucher beruft.
Will der Verbraucher wegen der Unvollständigkeit der Lieferung die Rückabwicklung des Vertrages einleiten, also gegen Rückgabe der unvollständigen Ware den Kaufpreis zurückerhalten, geht dies regelmäßig nicht ohne Weiteres.
Hintergrund ist, dass das gesetzliche Gewährleistungsrecht dem Händler die Möglichkeit einräumen will, das bestehende Vertragsverhältnis aufrecht zu erhalten, und ihm daher ein Recht zur Nachlieferung zugesteht.
Einen mangelbedingten Rücktritt vom Vertrag kann der Verbraucher damit nach § 437 Nr. 2 BGB i.V.m. § 323 BGB erst dann erklären, wenn er dem Händler eine Frist zur Nachlieferung der fehlenden Teile gesetzt hat und diese fruchtlos verstrichen ist.
Grundsätzlich steht dem Verbraucher bei online getätigten Bestellungen unabhängig vom gesetzlichen Gewährleistungsregime aber ein Verbraucherwiderrufsrecht zu, das er innerhalb von 14 Tagen nach der Lieferung ohne Angabe von Gründen ausüben und damit die Rückabwicklung des Vertrages einleiten kann.
Ist das Widerrufsrecht nicht von Gesetzes wegen ausgeschlossen (Gründe etwa nach § 312g Abs. 2 BGB) und ist die Widerrufserklärungsfrist noch nicht verstrichen, kann der Verbraucher infolge einer unvollständig gelieferten Online-Bestellung mit Blick auf sein Widerrufsrecht Zug-um-Zug gegen Rückgabe der unvollständigen Kaufsache den Kaufpreis zurückverlangen.
3. Wie erhält der Händler Ersatz für den verlustig gegangenen Lieferteil?
Behauptet der Verbraucher eine unvollständige Lieferung und ist sich der Händler sicher, die Ware vollständig aufgegeben zu haben, ist fraglich, wie der Händler seinen Verlust kompensieren kann. Immerhin muss er gegenüber dem Verbraucher ja grundsätzlich nachliefern (s.o.).
Im Verhältnis zum Verbraucher, der die unvollständige Lieferung erhalten hat, stehen dem Händler keine Ansprüche zu, um die verlustigen Warenteile geltend zu machen.
Richtiger Anspruchsgegner des Händlers, der einerseits um einen Teil der ursprünglichen Lieferung gebracht wurde und andererseits die verlustigen Teile neu liefern muss, ist dann das Transportunternehmen.
Nur im Innenverhältnis zwischen Händler und Transportunternehmen kommen Ersatzansprüche in Betracht. In diesem Verhältnis steht im Raum, dass das Transportunternehmen seine vertragliche Lieferpflicht verletzt und so durch unsachgemäßen Transport bzw. vorsätzliche oder fahrlässige Paketöffnung den Teilverlust hervorgerufen hat.
Ein Ersatzanspruch des Händlers ergibt sich, wenn die Sendung in der Sphäre des Transportunternehmens tatsächlich teilweise abhanden gekommen ist und das Unternehmen dieses zu vertreten hat, also vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat. Das Verschulden einzelner Mitarbeiter wird dem Transportunternehmen als solches über § 278 BGB zugerechnet.
Vorteilhaft für den Händler ist hierbei zwar auf den ersten Blick die gesetzliche Vermutung des § 280 Abs. 1 BGB, nachdem ein Vertretenmüssen des Transportunternehmens bzgl. des Teilverlustes unterstellt wird. Das Transportunternehmen müsste sich, um einer Haftung zu entgehen, durch geeignete Beweise exkulpieren.
Wichtig ist allerdings, dass für den Rückgriff auf das Transportunternehmens gemäß § 438 Abs. 1 HGB der Teilverlust entweder vom Händler oder vom Verbraucher angezeigt werden muss.
Offensichtliche Unvollständigkeit muss grundsätzlich spätestens bei der Ablieferung der Transportperson in Textform gemeldet werden. War die Unvollständigkeit äußerlich nicht erkennbar, muss sie dem Transportunternehmen innerhalb von 7 Tagen nach der Ablieferung in Textform gemeldet werden.
Unterbleibt die rechtzeitige Schadensanzeige, wird gemäß § 438 HGB die Vollständigkeit der Sendung vermutet. Es findet dann eine Beweislastumkehr zu Lasten des Händlers statt, welcher bei unterbliebener oder nicht rechtzeitiger Anzeige die Unvollständigkeit aktiv beweisen müsste.
Die Praxis: Fälle behaupteter Unvollständigkeit
Von der juristisch eindeutig zu beurteilenden Grundkonstellation der eindeutig unvollständigen Lieferung weicht die Praxis leider in diversen Einzelfällen ab.
Seltenst ist eine Sendungsunvollständigkeit nämlich eindeutig, oft stehen sich Erkenntnisse des Händlers und Aussagen des Verbrauchers gegenüber.
1. Verbraucher behauptet Unvollständigkeit, Händler ist anderer Meinung: Wer muss was beweisen?
Innerhalb der ersten 6 Monate nach der Lieferung muss der Händler beweisen, dass die Ware dem Verbraucher tatsächlich vollständig übergeben worden ist. Zugunsten des Verbrauchers greift nämlich der § 477 BGB ein, nach welchem die mangelbedingende Sendungsunvollständigkeit bereits bei der Lieferung vermutet wird.
Will der Händler seiner Nachlieferungspflicht abwenden und die gesetzliche Vermutung widerlegen, müsste er aktiv nachweisen können, dass der Verbraucher die Lieferung tatsächlich vollständig erhalten hat.
Bei Reklamationen wegen Unvollständigkeit nach Ablauf von 6 Monaten seit der Lieferung greift § 477 BGB nicht mehr, dann müsste der Verbraucher aktiv nachweisen, dass Teile der Bestellung bei der Lieferung fehlten. Gelingt ihm der Nachweis nicht, könnte der Händler die Nachlieferung sowie sonstige Gewährleistungsrechte zurecht verweigern.
2. Beweismittel des Händlers zur Entkräftung der behaupteten Lieferunvollständigkeit?
Oftmals werden innerbetriebliche Indizien in der Sphäre des Händlers als hinreichende Beweise für die Zustellung betrachtet.
Videokameras am Packtisch, ein Scannen der Ware vor dem Versand sowie ein Einlieferungsbeleg können allerdings nur beweisen, dass der Händler die Ware ausgesondert und ggf. an das Transportunternehmen übergeben hat.
Ein Beweis, dass das Transportunternehmen die Ware auch zugestellt hat, ist damit nicht verbunden.
Hierfür muss sich der Händler grundsätzlich an das Transportunternehmen halten, da nur dieses über taugliche Lieferungsbeweise verfügen kann. Solche können eine vom Empfänger unterschriebene Lieferquittung, eine Auslieferbestätigung, ein Abstellbeleg und/oder die Zeugenaussage der konkret eingesetzten Zustellperson sein.
Die Schadensregulierung mit Transportunternehmen: Mythos der „eidesstattlichen Versicherungen“
Bei Versuchen von Händlern, vermeintliche Zustellprobleme mit den Transportunternehmen aufzuklären, werden sie häufig mit diversen Anforderungen und Formalien konfrontiert.
Hintergrund ist, dass Transportunternehmen eine Haftung für anteilige Paketverluste erst dann anerkennen bzw. Ersatzzahlungen leisten, wenn sie hinreichend rückversichert sind, dass der Verbraucher über die vermeintlich unvollständige Zustellung keine falschen Angaben tätigt oder die Unwahrheit sagt.
1. Versandunternehmen fordert „eidesstattliche Erklärung“ über fehlende Sendungsteile
Viele Versandunternehmen leisten Ersatz für auf dem Transportweg verlustig gegangene Sendungsteile erst dann, wenn der bestimmungsgemäße Empfänger nachweislich bestätigt, diese Teile tatsächlich nicht erhalten zu haben.
Gefordert wird hier meist, dass der Händler vom Verbraucher eine eigenhändig unterschriebene sog. „eidesstattliche Versicherung“ oder „eidesstattliche Erklärung“ einholen soll.
Rechtlich ist die Bezeichnung zwar weit gefehlt. Eidesstattliche Erklärungen sind ein prozessuales Mittel der Glaubhaftmachung von Tatsachen und in Deutschland rechtlich nur wirksam, wenn sie gegenüber einer zuständigen Behörde abgegeben werden. Mit Ihnen wird anstelle eines offiziellen Eides eine Aussage gegenüber zuständigen Stellen offiziell und strafrechtlich belastbar bezeugt. An Eides statt versicherte Falschaussagen sind gegenüber zuständigen Behörden nach § 156 StGB und im Falle der Fahrlässigkeit nach § 161 StGB strafbewährt.
Gegenüber Privaten und privaten Unternehmen abgegebene „Eidesstattliche Versicherungen“ lösen diese Rechtsfolgen allerdings nicht aus, weil sie nicht – und dazu dient die eidesstattliche Versicherung allein – vor zuständigen Behörden (also staatlichen Institutionen wie Gerichten, Gerichtsvollziehern u.a.) – abgegeben wurden.
Ist die Bezeichnung als „eidesstattliche Versicherung“ auch falsch (treffender wäre "Unvollständigkeitserklärung"), ist eine vom Verbraucher unterschriebene Erklärung, die Lieferung nicht vollständig erhalten zu haben, aber dennoch rechtlich nicht irrelevant.
Lügt der Verbraucher in so einer Erklärung, macht er sich nämlich regelmäßig eines Betrugs gegenüber dem Händler und zulasten des für den Verlust ersatzpflichtigen Transportunternehmens schuldig und kann nach § 263 StGB strafrechtlich verfolgt werden.
2. Darf der Händler vom Verbraucher eine Erklärung über die Unvollständigkeit der Sendung verlangen?
Nein. Der Verbraucher ist nicht verpflichtet, eine Erklärung über das Fehlen von Sendungsteilen bei der Anlieferung abzugeben und so den Händler in seinem Regress gegen das Transportunternehmen zu unterstützen.
Der Händler darf an die Abgabe oder Nichtabgabe einer solchen Erklärung insbesondere keine Rechtsfolgen knüpfen, darf also vor allem die Nachlieferung der fehlenden Teile nicht von der offiziellen Erklärung des Verbrauchers abhängig machen, die Ware nicht vollständig erhalten zu haben.
Zulässig ist es aber, zukünftige Vertragsschlüsse mit dem Verbraucher bei Ablehnung der Abgabe einer Unvollständigkeitserklärung durch den Verbraucher zu verweigern. Der Händler hat nämlich das Recht, jenseits ungerechtfertigter Diskriminierungen frei zu entscheiden, mit wem er Verträge schließt und mit wem nicht.
Auf der anderen Seite liegt aber nah, dass ein Verbraucher, der die Wahrheit sagt und die Ware tatsächlich nicht vollständig hat, grundsätzlich zur Abgabe einer entsprechenden Erklärung bereit sein sollte. Immerhin entstehen ihm daraus dann ja keine Nachteile.
Erklärt sich ein Verbraucher nicht zur Abgabe bereit, kann der Händler dies zum Anlass nehmen, durch weitere Nachforschungen die vermeintlich unvollständige Lieferung akribischer zu untersuchen.
3. Versandunternehmen verweigert Schadensausgleich bis zur Unvollständigkeitserklärung - zu Recht?
Das lässt sich pauschal nicht beantworten.
Grundsätzlich gilt, dass für Ersatzansprüche des Händlers einerseits die Vermutung § 280 Abs. 1 BGB streitet und dass das Transportunternehmen beweisen müsste, dass die Ware vollständig zugestellt worden ist (s.o.)
Gelänge dies nicht, bestünde eine hinreichende Grundlage für einen Ersatzanspruch.
Allerdings wird eine Einstandspflicht des Transportunternehmens aber nach § 438 HGB von einer rechtzeitigen Anzeige diesem gegenüber abhängig gemacht (s.o.), deren Fehlen oder verspätete Vornahme die Beweislast umkehrt und den Händler verpflichtet, die Unvollständigkeit der Sendung aktiv nachzuweisen.
Schließlich sind auch bestimmte Modifikationen der geltenden frachtrechtlichen Bestimmungen Abweichungen in AGB zugänglich, die sich die Transportunternehmen gerne zu nutzen machen. Die Verpflichtung, für den Ersatz eine Unvollständigkeitserklärung („eidesstattliche Versicherung“) des Verbrauchers einzuholen, ist so eine Abweichung. Die Zulässigkeit hängt von einer Gesamtschau der AGB ab.
Stets zulässig ist die Verpflichtung der Vorlage einer Unvollständigkeitserklärung für die Schadensregulierung dahingegen, wenn es nicht um Lieferbedingungen, sondern um die Ausgestaltung von Zusatzleistungen wie einer Transportversicherung geht.
4. Dürfen Händler zusammen mit der Unvollständigkeitserklärung eine Ausweiskopie verlangen?
Nicht ohne Weiteres, nein. Hier spielt das Datenschutzrecht eine Rolle.
Der Händler ist nach Art. 5 DSGVO verpflichtet, die Grundsätze der Datenminimierung zu waren. Diese besagen, dass nur solche Daten verarbeitet werden dürfen, die für den jeweiligen Zweck auch konkret erforderlich sind.
Grundsätzlich ist es zwar zulässig, zur Kontrolle der Urheberschaft eines Dokuments einen Namens- und Unterschriftenabgleich durchzuführen.
Ein vollständiger Personalausweis mit allen Personendaten ist aber nicht erforderlich, um durch Namens- und Unterschriftenabgleich zu belegen, dass die abgegebene Unvollständigkeitserklärung auch tatsächlich vom bestimmungsgemäßen Erklärenden stammt.
Eine Ausweiskopie darf daher nur gefordert werden, wenn der Händler ausdrücklich dazu anhält, alle Daten auf dem Ausweis inkl. Lichtbild der Person zu schwärzen und nur den Namen sowie die Unterschrift ungeschwärzt zu belassen.
Wie auch bei der Erklärung selbst gilt: zur Übermittlung einer Ausweiskopie kann der Verbraucher nicht verpflichtet werden.
Muster: Bitte um Abgabe einer Unvollständigkeitserklärung zur Nachforschung und Schadensregulierung
Beim diesem Muster geht es darum, dass Sie Ihren Kunden beim (vermeintlichen) Erhalt einer unvollständigen Lieferung um die Abgabe einer offiziellen Erklärung zur Vorlage beim Transportunternehmen bitten wollen.
Das Muster ist für Mandanten hier abrufbar.
Tipp: Fragen zum Beitrag? Diskutieren Sie hierzu gerne mit uns in der Unternehmergruppe der IT-Recht Kanzlei auf Facebook .
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