EuGH: Keine Spürbarkeitsschwelle für immateriellen Schadensersatz nach DSGVO
Die Frage, unter welchen Voraussetzungen immaterielle, also nicht körperliche Schäden aufgrund von Datenschutzverstößen nach der DSGVO ersatzfähig sind, beschäftigt europäische Gerichte seit jeher. Nun wurde die vielfach vertretene Auffassung, für einen ersatzfähigen Schaden sei ein spürbarer Nachteil erforderlich, der über persönliches Unbehagen hinausgehe, vom EuGH kassiert. Nach Ansicht des höchsten europäischen Gerichts ist eine solche Erheblichkeitsschwelle mit dem Unionsrecht nicht vereinbar.
Inhaltsverzeichnis
I. Der Sachverhalt
Ausgangsfall des Verfahrens war ein Rechtsstreit in der deutschen Gemeinde Ummersdorf, die im Jahr 2020 auf ihrer Internetseite ohne Einwilligung von Betroffenen die Tagesordnung einer Gemeinderatssitzung sowie ein Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen veröffentlicht hatte, in welchem verschiedene Klarnamen mehrfach ausgeschrieben waren.
Nach Ansicht der Betroffenen handle es sich bei der Offenlegung ihrer Namen um einen DSGVO-Verstoß, aus dem ein ersatzfähiger immaterieller Schaden resultiere.
Nach Ansicht der Gemeinde seien bloße persönliche Befürchtungen eines Datenkontrollverlustes aber nicht ersatzfähig. Vielmehr sei ein spürbarer Nachteil erforderlich, der aus einer objektiv nachvollziehbaren, mit gewissem Gewicht erfolgten Beeinträchtigung von persönlichkeitsbezogenen Belangen resultiere.
Mit der streitentscheidenden Frage, ob ein immaterieller Schaden für seine Ersatzfähigkeit das Überschreiten einer gewissen Bagatellgrenze voraussetze, war nun in zweiter Instant das Landgericht Ravensburg befasst. Dieses setzte das Verfahren aus und legte die Rechtsfrage nach einer Erheblichkeitsschwelle für immaterielle Schäden nach DSGVO dem EuGH vor.
II. Die Entscheidung
Mit Urteil vom 14.12.2023 (Az. C‑456/22) entschied der EuGH, dass die Ersatzfähigkeit eines immateriellen DSGVO-Schadens nicht vom Erreichen einer gewissen Spürbarkeit abhänge.
Eine solche Schwelle sei im maßgeblichen Rechtsakt der DSGVO nicht anlegt. Vielmehr lege Erwägungsgrund 146 der DSGVO ein weites Verständnis des Schadensbegriffes zugrunde, dem eine Beschränkung unter Anwendung eines Erheblichkeitskriteriums gerade entgegenstehe.
Ferner könnten nationale Spürbarkeitsschwellen im Rahmen der Schadensdefinition die praktische Wirksamkeit des Unionsrechts behindern und das intendierte, gleichmäßige und hohe Schutzniveau bei Verarbeitungen personenbezogener Daten untergraben. Immerhin stünde dann den nationalen Gerichten ein weitläufiger eigenständiger Beurteilungsspielraum in der Handhabung des Schadensbegriffes zu, der widerstreitende Entscheidungen und Rechtsunsicherheit zu provozieren geeignet sei.
Die Beweispflicht für das Vorliegen eines Schadens werde von dieser Auslegung allerdings nicht tangiert. Betroffene, die einen Ersatzanspruch verfolgen, müssten insofern einen substantiierten Nachweis erbringen, einen Schaden auch erlitten zu haben. Nur auf dessen vermeintliche Geringfügigkeit komme es bei der Annahme eines ersatzfähigen Schadens nicht an.
III. Fazit
Bereits im Mai 2023 hatte der EuGH zu den Anspruchsvoraussetzungen des DSGVO-Schadensersatzes ein Grundsatzurteil gefällt, darin die Frage nach der Anwendung einer Erheblichkeitsschwelle für ersatzfähige immaterielle Schäden aber weitestgehend offen gelassen.
Mit dem aktuellen Urteil aus Dezember 2023 wurde der bisher gängigen Praxis, für immaterielle Schäden eine spürbare Beeinträchtigung zu fordern, ein unionsrechtlicher Riegel vorgeschoben. Vom Erreichen einer gewissen Erheblichkeit darf der Stattgabe eines DSGVO-Schadensersatzanspruches bei immateriellen Schäden nicht mehr abhängig gemacht werden.
Vielmehr genügt, dass aufgrund einer Datenschutzverletzung ein – wie auch immer gearteter – beweisbarer Nachteil eingetreten ist.
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