Etikett ab – Widerrufsrecht weg?

Etikett ab – Widerrufsrecht weg?
Stand: 23.01.2025 5 min

Gerade Textilverkäufer ächzen aufgrund des Widerrufsrechts. Die spannende Frage: Kann der Verbraucher trotz entfernter Etiketten widerrufen?

Worum geht es?

Das Verbraucherwiderrufsrecht im Ecommerce ist eine gute Sache für Verbraucher. Grundgedanke dahinter ist, dass der Kunde die Ware im Fernabsatz nicht wie in einem Ladengeschäft prüfen kann und daher problemlos von seinem Online-Kauf wieder loskommen soll, entspricht die Ware nicht seinen Erwartungen.

In der Praxis kommt es nicht selten aber zu einer missbräuchlichen Nutzung des Widerrufsrechts.

Dabei bestellen Verbraucher gezielt die von Ihnen gewünschte Ware online, um die Ware kostenfrei nutzen zu können. Eine echte Kaufabsicht fehlt; es ist von vorneherein klar, dass die Ware zurück gehen wird.

Auch im Sortiment Bekleidung müssen sich Händler oft mit entsprechend verdächtigen Fällen auseinandersetzen. Ein Anzug für die Kommunion, das Cocktail-Kleid für den Abiball oder gar ein kostenloses Hochzeitskleid – rechtlich ist das (leider) in der Regel möglich.

Die Bekleidung wird in solchen Fällen also gezielt für den anstehenden Anlass bestellt und nach „Zweckerfüllung“ direkt der Widerruf erklärt.

In derartigen Fällen bleibt der Unternehmer dann nicht nur auf den Kosten der Hinsendung und ggf. den Kosten der Rücksendung sitzen.

Vielmehr liegt der eigentliche Schaden darin, dass die Ware nicht mehr verkäuflich ist bzw. nur noch zu einem geringeren Preis verkäuflich ist (etwa deklariert als Retourenware). Dies deswegen, weil der Gebrauch der Waren sichtbar ist (z.B. bei Verschmutzungen) oder die Ware geruchlich „verunreinigt“ wurde, z.B. durch Essensgeruch.

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Schutz durch Etikett?

Aus diesem Grund versuchen viele Textilverkäufer, sich durch das Anbringen von Etiketten an der Bekleidung zu schützen.

In der Artikelbeschreibung bzw. der Widerrufsbelehrung wird dann ausgeführt, dass ein Widerruf nur dann möglich ist, wenn das Etikett bzw. die angebrachten Etiketten noch nicht entfernt wurden.

Hintergrund ist, dass die Etiketten zum einen optisch störend sind.

Wer sein neues Ballkleid ausführen möchte, der wird sich daran stören, wenn an diesem noch die Etiketten zu sehen sind.

Zum anderen werden manche Etiketten auch so angebracht, dass diese die Nutzung der Bekleidung erschweren bzw. unmöglich machen, etwa am Anfang eines Reißverschlusses, so dass dieser nicht geschlossen werden kann, also z.B. eine Winterjacke also nicht nutzbar wäre.

Kurzum: Viele Händler erhoffen sich, den Widerrufs-Missbrauch entweder durch herstellerseitig bereits angebrachte Etiketten oder durch (zusätzlich) selbst angebrachte Etiketten eindämmen zu können.

Diese Hoffnung ist aber (leider) vergebens.

Kein Ausschluss des Widerrufsrechts bei Entfernung

Das gesetzliche Widerrufsrecht erlischt nicht dadurch, indem der Verbraucher bei Bekleidung (von seltenen, denkbaren Ausnahmen bei versiegelten Hygieneartikeln bzw. gesundheitsrelevanten Kleidungsstücken einmal abgesehen) ein an der Textilie befindliches Etikett entfernt.

Und zwar unabhängig davon, ob das Etikett nur optisch störend ist oder das Prüfungsrecht des Verbrauchers vereitelt, weil er die Kleidung etwa nicht vollständig anprobieren kann, ohne das Etikett zu entfernen.

Selbst das Entfernen eines Wäsche- bzw. Pflegeetiketts, welches zum dauerhaften Verbleib an der Textilie bestimmt ist (und um das es hier gar nicht gehen soll), würde das Widerrufsrecht nicht zum Erlöschen bringen.

Gefährlich sind daher Aussagen wie:

„Kein Widerrufsrecht bei Entfernen des Etiketts“

„Widerruf nur möglich, wenn Ware im Originalzustand mit unversehrten Etiketten“

Hier würde der Verbraucher darüber getäuscht, dass mit der Entfernung des Etiketts ein Erlöschen des Widerrufsrechts verbunden ist, was aber tatsächlich gar nicht der Fall ist.

Entsprechende Formulierungen in der Artikelbeschreibung, in AGB, innnerhalb der Widerrufsbelehrung oder sonst im Rahmen des Bestellvorgangs sind daher abmahngefährdet, da unwirksam und irreführend.

Daher sollte auch solche Hinweise unbedingt verzichtet werden, zumal im Ernstfall ohnehin rechtlich wirkungslos.

Unter Umständen: Wertersatz als Kompensation

Das der Händler den Widerruf des Verbrauchers wegen eines entfernten Etiketts also grundsätzlich nicht ablehnen kann, stellt sich die Frage, wie in der Praxis vorzugehen ist, da der Händler die Ware ja zurücknehmen muss.
Ein (kleiner) Trost für betroffene Händler ist die Möglichkeit eines Anspruchs auf Wertersatz gegen den Verbraucher.

Ein Wertersatz kommt jedoch nur dann überhaupt in Betracht, wenn der Wertverlust der Widerrufsware auf einen zur Prüfung der Beschaffenheit, Eigenschaften und Funktionsweise der Waren nicht notwendigen Umgang durch den Verbraucher zurückzuführen ist.

Ferner muss Verbraucher im Rahmen der Widerrufsbelehrung zutreffende über die Möglichkeit eines Wertersatzes durch den Unternehmer informiert worden sein.

Andernfalls ist ein Wertersatz schon deswegen ausgeschlossen.

Hier muss insbesondere darauf geachtet werden, eine rechtssichere und vor allem aktuelle Widerrufsbelehrung zu verwenden, um sich als Händler nicht unnötig Rechte abzschneiden.

Entfernt der Verbraucher ohne sachlichen Grund lediglich optisch störende Etiketten, die ihn nicht an der Anprobe der Bekleidung hindern, kommt ein Wertersatz dem Grunde nach in Betracht (etwa bei Herausschneiden eines eingenähten Wäscheetiketts).
Geht es dagegen um die Entfernung solcher Etiketten, die eine Anprobe des Kleidungsstücks vereiteln (etwa weil ein Reißverschluss oder Knopf dadurch nicht geschlossen werden kann), muss ein Wertersatz deswegen ausscheiden, da hier die Entfernung für eine Prüfung der Beschaffenheit, Eigenschaften und Funktionsweise notwendig ist.

In der Praxis ist die Forderung eines Wertersatzes jedoch kompliziert, da der Unternehmer für diesen sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach beweisbelastet ist, bei einem Rechtsstreit als darlegen und im Bestreitensfall auch beweisen können müsste, dass der Verbraucher über die Stränge geschlagen hat und welcher konkrete „Schaden“ dadurch an der Ware entstanden ist.

Fazit:

Im Regelfall kann sich ein Verkäufer von Bekleidung nicht auf einen Ausschluss des gesetzlichen Verbraucherwiderrufsrechts berufen, wenn der Verbraucher ein an der Kleidung befestigtes Etikett entfernt hat.

Unter Umständen kommt ein Anspruch auf Wertersatz in Betracht, sofern die Entfernung des Etiketts zur Prüfung der Kleidung nicht notwendig war.

Ein wirksames Vorgehen gegen „Kleidungsschmarotzer“ ist daher aufgrund der extrem verbraucherfreundlichen Rechtslage beim Widerruf leider kaum möglich.

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Bildquelle: BartTa / shutterstock.com

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