Das „Erschleichen“ einer einstweiligen Verfügung – keine gute Idee!
Im Wettbewerbsrecht ist es regelmäßig eilig: Der Mitbewerber kann daher bereits binnen weniger Tage nach dem Wettbewerbsverstoß einen gerichtlichen Titel im Eilverfahren erlangen, eine sogenannte einstweilige Verfügung. Dabei wird die Rechtslage meist nur sehr oberflächlich beleuchtet und nicht selten unter Verschweigen relevanter Tatsachen zumindest vorläufiger Vollzug zu Lasten des Abgemahnten geschaffen. Warum ein Verschweigen von Einlassungen des Abgemahnten dabei keine gute Idee ist, möchten wir nachfolgend darstellen.
Worum geht es?
Abmahnungen wettbewerbsrechtlicher Natur sind an der Tagesordnung.
Aufgrund der sehr komplexen und im dynamischen Wandel befindlichen Rechtslage im Ecommerce werden von vielen Online-Händlern Wettbewerbsverstöße begangen. Diese werden intensiv abgemahnt, sei es von Mitbewerbern oder Abmahnverbänden.
Wenn der Abgemahnte auf eine berechtigte Abmahnung hin keine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgibt, dann lässt der Abmahner ihm zustehende Unterlassungsansprüche im Regelfall gerichtlich durchsetzen.
Bei Wettbewerbsverletzungen regelt das Gesetz, dass diesbezügliche Unterlassungsansprüche auch ohne Glaubhaftmachung des Verfügungsgrundes (also der Dringlichkeit) im Wege des einstweiligen Rechtschutzes (Eilverfahren) gesichert werden können, § 12 Abs. 1 UWG:
„§ 12
Einstweiliger Rechtsschutz; Veröffentlichungsbefugnis; Streitwertminderung
(1) Zur Sicherung der in diesem Gesetz bezeichneten Ansprüche auf Unterlassung können einstweilige Verfügungen auch ohne die Darlegung und Glaubhaftmachung der in den §§ 935 und 940 der Zivilprozessordnung bezeichneten Voraussetzungen erlassen werden.“
Die Besonderheit des Eilverfahrens besteht dabei darin, dass bei Vorliegen eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung das Gericht dann lediglich eine summarische (in der Praxis meist nur sehr grobe) Prüfung der Rechtslage vornimmt und die Antragsgegnerseite im Regelfall vor Erlass der Verfügung überhaupt nicht angehört wird. Man kann bei manchen Landgerichten in der Praxis sogar eine stark abmahnerfreundliche Haltung feststellen und viele Anträge werden „durchgewunken“, ganz nach dem Motto „da wird schon was dran sein“.
Ungünstig für den Antragsgegner, denn dieser wird damit binnen weniger Tage vor (zunächst) vollendete Tatsachen gestellt. Nach Zustellung einer entsprechend des Antrags des Abmahners ergangenen einstweiligen Verfügung wird ihm das beanstandete (angeblich) wettbewerbswidrige Verhalten nämlich vom erkennenden Gericht unter Androhung gesetzlicher Ordnungsmittel (u.a. Ordnungsgeld von 5 bis zu 250.000 Euro je Zuwiderhandlung) für die Zukunft verboten.
Der Antragsgegner muss sich (zunächst) zur Vermeidung entsprechender Sanktionen also an die ergangene Verfügung halten, unabhängig davon, ob diese überhaupt zu Recht ergangen ist. Das ist bitter, weil mit der Umstellung bzw. Anpassung oft hohe Kosten und ehebliche Umsatzverluste verbunden sind.
Zudem muss der Antragsgegner dann – will er die Verfügung beseitigen – selbst prozessuale Schritte (im Regelfall einen sogenannten Widerspruch) einleiten, die nicht selten mit erheblichen Verfahrenskostenrisiken verbunden sind.
Was gerne verschwiegen wird
Der Umstand, dass im Regelfall gar keine Anhörung des Abgemahnten als Antragsgegner erfolgt, wird von der Antragstellerseite in manchen Fällen ausgenutzt.
Nicht selten werden Einlassungen des Abgemahnten, welche den gerichtlich geltend gemachten Unterlassungsanspruch erschüttern könnten, komplett oder zumindest teilweise gegenüber dem Gericht verschwiegen.
Reagiert der Abgemahnte auf die Abmahnung und kann sogar erhebliche Einwände vorbringen, die den Wettbewerbsverstoß zum Kippen bringen, so kann der Abmahner trotzdem eine für ihn positive gerichtliche Entscheidung herbeiführen, verschweigt er schlicht die Reaktion der Antragsgegnerseite bei seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung.
Damit wird dann über den Kopf und die Einwände des Abgemahnten zu dessen Lasten vom Gericht entschieden.
Eine Praxis, mit der sich nun sogar das Bundesverfassungsgericht beschäftigen musste.
Verschweigen der Reaktion des Gegners starkes Indiz für Rechtsmissbrauch
Das Bundesverfassungsgericht musste sich mit einer Verfassungsbeschwerde auseinandersetzen, der grob verkürzt der folgende Sachverhalt zugrunde lag:
Ein Anbieter von Nahrungsergänzungsmitteln (im Folgenden: Antragsgegner) mit Sitz in Österreich wurde von einem deutschen Wettbewerbsverein (im Folgenden: Antragsteller) wegen angeblicher Wettbewerbsverstöße abgemahnt.
Daraufhin erwiderte die Antragsgegnerin per Telefax und wies die Abmahnung zurück.
Der Antragsteller ließ sich davon nicht beirren und beantragte wenige Tage später beim LG Berlin den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen den Antragsgegner. Dabei verschwieg er den Umstand der Erwiderung des Antragsgegners in seinem Antrag wie folgt:
„Der Antragsteller mahnte die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 2. September 2020 ab (Anlage A 6). Diese reagierte hierauf nicht, gab insbesondere nicht die von ihr geforderte strafbewehrte Unterlassungserklärung ab. Die Inanspruchnahme gerichtlicher Hilfe ist somit erforderlich.“
Das Landgericht Berlin erließ daraufhin die einstweilige Verfügung und untersagte dem Antragsgegner den angeblich wettbewerbswidrigen Vertrieb des Nahrungsergänzungsmittels.
Der Antragsgegner sah durch das Verschweigen seine prozessualen Rechte verletzt und ging im Wege des Widerspruchs gegen die Verfügung vor und beantragte, die (aus der ergangenen einstweiligen Verfügung sofort mögliche) Zwangsvollstreckung einzustellen.
Parallel hierzu reichte der Antragsgegner Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein, um auch auf diesem Wege gegen die ergangene einstweilige Verfügung vorzugehen.
Das Bundesverfassungsgericht entschied daraufhin bereits durch Nichtannahmebeschluss (vom 03.12.2020, Az. 1 BvR 2575/20), dass die Verfassungsbeschwerde schon nicht zur Entscheidung angenommen wird.
Diese sei bereits aufgrund der fehlenden Erschöpfung des fachgerichtlichen Rechtswegs unzulässig, § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG. Denn der Antragsgegner ging zu diesem Zeitpunkt noch im Rahmen des eingelegten Widerspruchs gegen die Verfügung beim LG Berlin (als Fachgericht) vor. Der originäre Rechtsweg war damit noch gar nicht erschöpft.
Trotz der Nichtannahme kann der Antragsgegner aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts im Verfahren vor dem LG Berlin vermutlich Früchte ziehen.
Das Bundesverfassungsgericht äußerte sich dahingehend, dass das Verschweigen der Reaktion des Antragsgegners durch den Antragsteller ein Indiz für ein rechtsmissbräuchliches (und damit unzulässiges) Vorgehen des Antragstellers sein kann:
„Die Beschwerdeführerin ist gehalten, zunächst den Weg des Widerspruchsverfahrens und des Verfahrens zur Aussetzung der Vollziehung der einstweiligen Verfügung weiterzuverfolgen. Das Widerspruchsverfahren ist vorliegend noch anhängig und der Antrag der Beschwerdeführerin auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung noch nicht beschieden. Der von der Beschwerdeführerin gerügte Umstand – nämlich, dass die einstweilige Verfügung auf den wahrheitswidrigen Vortrag der Gegenseite ergangen sei, die Beschwerdeführerin habe auf eine vorgerichtliche Abmahnung nicht reagiert – kann im zunächst vorrangigen fachgerichtlichen Verfahren korrigiert werden, ohne dass es einer verfassungsgerichtlichen Intervention bedarf.
Erwiese sich der von der Beschwerdeführerin dargestellte Sachverhalt im weiteren Verlauf des Widerspruchsverfahrens als zutreffend, so bildete dies jedenfalls ein Indiz für ein rechtsmissbräuchliches Verhalten im Sinne von § 8 Abs. 4 UWG (in der Fassung bis zum 1. Dezember 2020; jetzt § 8c UWG in der Fassung vom 2. Dezember 2020) und § 242 BGB. Dem Verfügungsantrag stünde dann der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegen. Bei Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs nach § 8 Abs. 4 UWG (in der Fassung bis zum 1. Dezember 2020; jetzt § 8c UWG in der Fassung vom 2. Dezember 2020) entfällt die Klagebefugnis, und die auf Unterlassung oder Beseitigung gerichtete Klage ist als unzulässig abzuweisen (vgl. Goldmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 4. Aufl. 2016, § 8 Rn. 729). Dies gilt für einen Verfügungsantrag gleichermaßen. Die angegriffene Entscheidung wäre bereits aus diesem Grunde aufzuheben.
Ein Indiz für ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen kann darin gesehen werden, dass der Antragsteller die Reaktion des Antragsgegners auf eine vorgerichtliche Abmahnung verschweigt. Die prozessuale Wahrheitspflicht nach § 138 Abs. 1 ZPO verpflichtet den Antragsteller zu vollständiger Erklärung über die tatsächlichen Umstände (vgl. OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 22. Februar 2019 - 1 W 9/19 -, BeckRS 2019, 12651 Rn. 10). Kann dem Antragsteller eine planmäßig gezielte Gehörsvereitelung zur Erschleichung eines Titels vorgeworfen werden, kann ein Verfügungsantrag als rechtsmissbräuchlich zurückzuweisen sein (OLG München, Urteil vom 8. Juni 2017 - 29 U 1210/17 -, BeckRS 2017, 124245).
Auf Grundlage des Sachvortrags der Beschwerdeführerin kommt hier – vorbehaltlich einer umfassenden Tatsachenfeststellung und Gesamtwürdigung der Umstände – ein Fall des Rechtsmissbrauchs im Sinne von § 8 Abs. 4 UWG (in der Fassung bis zum 1. Dezember 2020; jetzt § 8c UWG in der Fassung vom 2. Dezember 2020) in Betracht, da der Gegner des Ausgangsverfahrens die ihm ausweislich des Sendeberichts unter zutreffender Telefaxnummer und innerhalb der vom ihm gesetzten Frist am 14. September 2020 übersandte Erwiderungsschreiben auf die Abmahnung dem Landgericht nicht vorgelegt hat, sondern vielmehr angab, eine Reaktion sei nicht erfolgt.
Erst im Rahmen des Widerspruchsverfahrens ist eine ausreichende Sachaufklärung, die eine zur Beurteilung der Rechtsmissbräuchlichkeit erforderliche Betrachtung der Gesamtumstände einschließt, möglich.“
Die von dem Antragsgegner ebenfalls gerügte Verletzung des Rechts auf prozessuale Waffengleichheit aufgrund Vorenthaltung rechtlichen Gehörs ist nach Ansicht des Gerichts nicht hinreichend dargetan.
Fazit
Eine einstweilige Verfügung ist im Normalfall leicht zu bekommen. Diese „zu behalten“ ist dagegen umso schwerer, ist der Unterlassungsanspruch nicht wasserdicht und der Antragsgegner verteidigungsbereit.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist ein mahnendes Beispiel dafür, dass der Antragsteller auch im Eilverfahren keine Narrenfreiheit genießt. Den Verstoß gegen die prozessuale Wahrheitspflicht, sei es auch nur durch Verschweigen relevanten Gegnervortrags, sehen die Gericht nicht gerne.
Ein derartiges Verschweigen lässt sich mit guten Gründen als gewichtiges Indiz für einen Rechtsmissbrauch im Sinne des § 8c UWG werten. Folgt das Fachgericht hier der Ansicht des Bundesverfassungsgerichts und bejaht einen Rechtsmissbrauch, dann fliegt dem Abmahnverband die einstweilige Verfügung um die Ohren.
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