KG Berlin: In einem Kalender abgebildeter erigierter Penis nicht in jedem Falle pornographisch
In einer aktuellen Entscheidung des KG Berlin ging es um einen Kalender, bestehend aus 12 Monatsblättern, auf denen im DIN-A4-Format jeweils ein zumeist vollständig unbekleideter Mann im Alter zwischen 20 und 40 Jahren abgebildet war. Die Männer hatten von zwei Ausnahmen abgesehen, allesamt einen erigierten Penis, der im unteren Drittel des Bildes zu sehen ist. Zu klären war, ob sich der Anbieter wegen Verbreitung pornographischer Schriften gem. § 184 StGB strafbar gemacht hat.
Inhaltsverzeichnis
Sachverhalt
Am 21. November 2003 schickte der Angeklagte dem Zeugen […] auf dessen Bestellung hin einen Kalender mit dem Namen „Titanmen 2004“ zum Preis von 12,95 €. An den Zeugen […] übersandte er am selben Tag einen Kalender mit dem Titel „Kristen Bjorn: Bodyheat 2004" zum gleichen Preis. Die Kalender bestehen aus 12 Monatsblättern, auf denen im DIN-A4-Format jeweils ein zumeist vollständig unbekleideter Mann im Alter zwischen 20 und 40 Jahren abgebildet ist. Es handelt sich um technisch hochwertige, farbige Ganzkörperfotos, bei denen nur die Füße und teilweise die Unterschenkel nicht sichtbar sind. Die Männer posieren vor wechselnden Hintergründen aus einer Natur- oder Wohnumgebung. Sie haben, von zwei Ausnahmen abgesehen, allesamt einen erigierten Penis, der im unteren Drittel des Bildes zu sehen ist. Es werden keine sexuellen Handlungen vorgenommen und auch den Gesichtern der abgebildeten Männer ist keine sexuelle Erregung zu entnehmen. Sie schauen mit neutralem Gesichtsausdruck in die Kamera. Unter dem jeweiligen Foto ist in gleicher Größe das Monatskalendarium abgedruckt.
Am 28. November 2003 bot der Angeklagte auf seiner Internetseite […] vergleichbare Kalender an. Diese waren für jeden Internetnutzer frei und ohne vorherige Altersüberprüfung zugänglich. Im Einzelnen handelte es sich um die Kalender „Fallen Angel 2004", „Titanmen 2004", A Taste of Italy", „Kristen Bjorn: Bodyheat 2004“, „Kristen Bjorn: Stallions 2004“, „Bel Ami Classics 2004", „Bel Ami New Generation 2004“, „Sam Carson: First Exposure 2004“, „Falcons Studios: Heroes 2004", „Unzipped 2004“ und „College Jocks 2004". Auf der Internetseite waren zur Illustration jeweils das Titelblatt sowie ein Kalenderblatt abgebildet, die auf einem 15 - 17 Zoll Bildschirm jeweils etwa 3 x 2 cm groß sind. Auch auf diesen Bildern haben die Männer ganz überwiegend einen erigierten Penis. Sie nehmen keine sexuell herausfordernden Stellungen ein und werfen dem Betrachter keine sexuell auffordernden Blicke zu. Sexuelle Handlungen oder Unterwürfigkeitsgesten sind ebenfalls nicht zu sehen. Die Gesichter und Körper der abgebildeten Männer werden vielmehr eindeutig und unverzerrt wiedergegeben und zeigen den jeweiligen Mann in seiner Gesamtausstrahlung, so dass keiner der Bildausschnitte auf das Genital reduziert ist. Der Art und Weise der Aufnahmen ist zu entnehmen, dass sich die abgebildeten Männer freiwillig und gern fotografieren ließen.
Entscheidung des Gerichts
Das Amtsgericht Tiergarten hat den Angeklagten mit Urteil vom 14. März 2005 aus rechtlichen Gründen vom Vorwarf der Verbreitung pornographischer Schriften freigesprochen. Zu Recht, wie das KG Berlin mit Urteil vom 8.2.2008; Az.:(4) 1 Ss 312/07 (192/07) feststellte.
Kein Verstoß gegen § 184 StGB
Der Angeklagte habe sich dadurch, dass er die Kalender im Internet frei zugänglich anbot und sie dem jeweiligen Besteller übersandte, nicht wegen Verbreitung pornographischer Schriften (§ 184 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 i.V.m. § 11 Abs. 3 StGB) strafbar gemacht.
So seien die vom Angeklagten vertriebenen Kalender nicht als pornographische Schriften zu qualifizieren:
- Zunächst verstehe sich von selbst, so das LG Berlin, dass allein aus der Tatsache, dass sich die Kalender des Angeklagten speziell an ein männliches, homosexuelles Publikum wenden, kein für § 184 Abs. 1 StGB relevanter Hinweis auf den pornographischen Charakter dieser Schriften abzuleiten ist.
- Es könne nach Ansicht des KG Berlin dahinstehen, ob die zur Bebilderung eines Kalenders verwendeten Fotos überhaupt auf eine sexuelle Stimulation des Betrachters abzielen. Denn die Darstellungen seien insgesamt nicht von einer Verabsolutierung sexuellen Lustgewinns unter Außerachtlassung sämtlicher individueller und emotionaler Bezüge gekennzeichnet. Die abgebildeten Personen seien vielmehr unter Berücksichtigung ihrer Individualität abgelichtet worden. Es sei offensichtlich Wert darauf gelegt worden Männer unterschiedlicher Nationalität zu präsentieren. Unterschiede hinsichtlich Hautfarbe, aber auch Haarschnitt und Bartwachs seien deutlich erkennbar dargestellt. Gleiches gelte für die Tätowierungen einiger Männer. Das Bemühen der Hersteller des Kalenders, unterschiedlichste Männertypen zu versammeln, um dadurch den Kalender abwechslungsreich zu gestalten und möglichst viele Käufer anzusprechen, sei unverkennbar. Da die Kalender ausschließlich aus Ganzkörperfotos bestehen und auch nur ein Mann pro Bild zu sehen ist, würden diese individuellen Merkmale auch nicht hinter anderen Aspekten wie der Nacktheit oder der Tatsache, dass die Männer einen erigierten Penis haben, zurück treten. Ihnen komme aufgrund der Gesamtgestaltung des einzelnen Fotos aber auch des gesamten Kalenders eigenständige Bedeutung zu. Daraus folge zugleich, dass die abgebildeten Männer nicht zu auswechselbaren Objekten degradiert werden. Eine solche Herabwürdigung werde von den Bildern auch deshalb nicht vermittelt, weil die abgebildeten Personen einen ausgesprochen selbstbewussten Eindruck machten. Sie würden ihren gesamten Körper mit Stolz präsentieren. Eine „Entmenschlichung" von Sexualität im oben beschriebenen Sinne liege daher nicht vor.
- Darüber hinaus sei auch laut KG Berlin das Kriterium einer aufdringlichen, vergröbernden oder „anreißerischen“ Darstellung zu verneinen. Dies ergibe sich insbesondere aus der Tatsache, dass dem jeweils abgebildeten erigierten Penis zumindest optisch, keine hervorgehobene Bedeutung zukommt. Da es sich um Ganzkörperfotos und nicht lediglich um Bildaasschnitte handele, werde der Blick des Betrachters nicht gezielt dorthin gelenkt. Dies werde dadurch verstärkt, dass der erigierte Penis jeweils nur im unteren Drittel, des Bildes zu sehen ist. Er sei bei keinem der Fotos in der Bildmitte platziert. Eine aufdringliche Hervorhebung werde euch nicht durch entsprechende Gesten oder Stellungen erzeugt. Die abgebildeten Personen würden überwiegend recht natürliche Haltungen einnehmen, die vor allem den muskulösen Oberkörper betonen. Entgegen der Auffassung der Revisionsführerin ergebe sich ein pornographischer Charakter der Kalender auch nicht aus der ständigen Wiederholung des Motivs des erigierten Penisses. Die Wiederholung nicht pornographischer Inhalte vermöge diese grundsätzlich nicht pornographisch zu machen. Anders könne dies allenfalls bei einer fortschreitenden Eskalation der Darstellung durch eine Aneinanderreihung von Szenen mit sexuell immer stärker provozierenden Reizen zu beurteilen sein (vgl. S/.S/Lenckner/Perron/Eisele a.a.O., § 184 Rdn. 5). Hier blieben die Bilder von Monat zu Monat jedoch inhaltlich nahezu unverändert, so dass eher ein Gewöhnungseffekt als eine Spannungssteigerung eintritt. Überdies weise die formale Gestaltung der Bilder einen - wenn auch geringen - ästhetischen Wert auf. Dies sei nicht zuletzt auf die unterschiedlichen Hintergrundmotive zurückzuführen, die entweder der Natur oder einer Wohnumgebung entnommen sind. Der Hintergrund sei jeweils deutlich erkennbar und trage wesentlich zur positiven Grundstimmung der Bilder bei. Eine übersteigerte, von den äußeren Lebensumständen völlig losgelöste Darstellung sei deshalb auch unter diesem Aspekt zu verneinen.
Kein Verstoß gegen Jugendschutz
Auch habe sich der Angeklagte nach Überzeugung des Gerichts nicht nach § 27 Abs. 1 i.V.m. § 15 Abs. 2 Nr. 5 JSchG strafbar gemacht, indem er die Kalender frei zugänglich im Internet anbot und sie dort teilweise abbildete.
So unterliegen nach § 15 Abs. 2 Nr. 5 JSchG dem umfassenden Vertriebs- und Werbeverbot des § 15 Abs. 1 JSchG schwer jugendgefährdende, aber nicht indizierte Trägermedien, die offensichtlich geeignet sind, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen oder ihre Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit schwer zu gefährden. Nach § 27 Abs. 1 JuchG wird bestraft, wer gleichwohl ein solches Trägermedium anbietet oder zugänglich macht.
Das KG Berlin ist der Ansicht, dass der Anwendungsbereich des § 27 Abs. 1 i.V.m. § 15 Abs. 2 Nr. 5 JSchG auch zunächst für die vom Angeklagten gewählte Vertriebsform über das Internet eröffnet sei:
Nach § 1 Abs. 2 S. 1 JSchG ist das Jugendschutzgesetz auf sog. Trägermedien anwendbar. Darunter sind nach dieser Vorschrift Medien mit Texten, Bildern oder Tönen auf gegenständlichen Trägern zu verstehen, die zur unmittelbaren Wahrnehmung bestimmt sind. Dem gegenständlichen Verbreiten, Überlassen, Anbieten oder Zugänglichmachen steht dabei nach § 1 Abs. 2 S. 2 JSchG das elektronische Verbreiten, Überlassen, Anbieten oder Zugänglichmachen gleich. Die vom Angeklagten vertriebenen Kalender stellen gegenständliche Träger von Bildern im Sinne dieser Vorschrift dar. Indem er diese auf seiner Homepage darstellte und anbot, hat er sie auf elektronischem Wege zugänglich gemacht.
Jedoch seien die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen des § 15 Abs. 2 Nr. 5. JSchG nicht erfüllt:
"Zwar können grundsätzlich auch Darstellungen unterhalb der Pornographieschwelle schwer jugendgefährdend sein (vgl. Liesching in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Bd. 2, J 214, § 15 Rdn. 52 m.w.Nachw.). Obwohl es sich bei § 15 Abs. 2 Nr. 5 JSchG um einen Auffangtatbestand handelt, sind jedoch die Anforderungen an eine Eignung zur schweren Jugendgefährdung streng (vgl. Liesching a.a.O., § 15 Rdn. 51 f.). „Schwer“ ist die Jugendgefährdung, wenn sie auf einen gravierenden Erfolg hinausläuft, der aber noch nicht eingetreten sein muss; es muss die abstrakte Möglichkeit einer gravierenden sozialethischen Desorientierung bestehen, die in einem den Grundwerten der Verfassung krass zuwiderlaufenden Charakter der betreffenden Trägermedien zum Ausdruck kommt (vgl. Liesching a.a.O., § 15 Rdn. 51; Schumann a.a.O., S. 565 (579); Nikles/Roll/Spürck/Umbach, Jugendschutzrecht 2. Aufl., § 15 JSchG Rdn. 94). Eine solche schwere Gefährdung ist offensichtlich, wenn sie klar zutage tritt und deshalb jedem einsichtigen, für Jugenderziehung und Jugendschutz aufgeschlossenen Menschen ohne besondere Mühe erkennbar ist (vgl. BGHSt 8, 80 (87 f); für die Perspektive eines unbefangenen Beobachters BVerfGE 77, 346 (358)).
Nach diesen Grundsätzen fehlt es bei den verfahrensgegenständlichen Abbildungen, wie das Amtsgericht zu Recht erkannt hat, sowohl am Erfordernis einer „schweren“ Jugendgefährdung als auch an der „offensichtlichen“ Eignung, eine solche herbeizuführen. Die Darstellung nackter Körper einschließlich der Genitalien stellt noch keine Negation von Grundwerten der Verfassung dar. Die Abbildungen sind auch nicht derart verstörend oder losgelöst von realen Bezügen, dass durch sie die Gefahr einer erheblichen Verunsicherung oder gar einer sozialethischen Desorientierung droht."
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