Entwurf zum neuen Jugendschutzgesetz (JuSchG): Was könnte das für Online-Händler bedeuten?
Der erste Entwurf zum neuen Jugendschutzgesetz (JuSchG) schlug bereits von Anfang an hohe Wellen. Die Entwurfsfassung des JuSchG wurde bereits in Bezug auf seine komplizierte und ineffektive Ausgestaltung gerügt. Besonders das Aufbrechen des etablierten Systems der Alterskennzeichnung sorgte für Widerstand. Sollte der Entwurf in seiner jetzigen Form seinen Weg in das neue JuSchG finden, werden auch Online-Händler mit Neuerungen konfrontiert werden. Welche das im Einzelnen sind und wie diese zu interpretieren sind, lesen Sie in unserem neuen Beitrag.
A. Ist neu immer gleich besser?
Der Referentenentwurf zur Änderung des Jugendschutzgesetzes (JuSchG) wurde bereits Ende 2019 vom Familienministerium finalisiert und wurde Anfang Februar dieses Jahres an einschlägige Organisationen versendet, um deren Meinung einzuholen.
Erste Kritik ließ nicht lange auf sich warten. So meldete sich der game-Verband (Verband der deutschen Games-Branche e.V.) zu Wort und kritisierte den Entwurf scharf. Dieser Kritik begegnete die Bundesfamilienministerin mit der Unterstellung, dass die Games-Branche bloßes Interesse an „Gewinnmaximierung“ habe.
Angesichts dieser aufgeheizten Diskussion stellt sich die Frage, ob der Entwurf zur Änderung des Jugendschutzgesetzes begrüßenswerte Änderungen bereithält oder - wie vielfach kritisiert - nicht zum eigentlichen Zweck, nämlich einem effizienteren Jugendschutz ohne Schaffung weiterer bürokratischer Hürden, beiträgt.
Fakt ist, dass es angesichts vieler existierender Vorschriften (bspw. JMStV, TMG usw.) mittlerweile ein unübersichtliches Flickwerk an jugendschützenden Normen existiert, das an sich schon komplex genug ist. So viel vorweg: Die geplanten Änderungen (sollten sie 1:1 umgesetzt werden) würden auch Online-Händler betreffen.
I. Die gute Nachricht vorweg: Herkunftslandprinzip wird gewahrt
Im Gegensatz zum neuen Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV), dessen Neuerungen wir bereits vorgestellt haben, wird das neue Jugendschutzgesetz wohl keine Geltung für ausländische Unternehmer beanspruchen. Nach dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) werden künftig auch ausländische Anbieter zur Einhaltung des JMStV verpflichtet, wenn deren Angebote „zur Nutzung in Deutschland bestimmt“ sind.
Das neue Jugendschutzgesetz hingegen scheint das aus Art. 3 der E-Commerce-RL (EU-Richtlinie) herrührende Herkunftslandprinzip zu wahren und findet nur für im Inland (Deutschland) ansässige Händler Anwendung.
II. Der erste Hammer: Alterseinstufung vor dem Umbruch
Ein zentraler Kritikpunkt am Entwurf zur Änderung des Jugendschutzgesetzes ist die geplante Einführung des „§ 10b JuschGE Entwicklungsbeeinträchtigende Medien“:
"Zu den entwicklungsbeeinträchtigenden Medien nach § 10a Nummer 1 zählen insbesondere übermäßig ängstigende, Gewalt befürwortende oder das sozialethische Wertebild beeinträchtigende Medien. Bei der Beurteilung der Entwicklungsbeeinträchtigung können auch außerhalb der medieninhaltlichen Wirkung liegende Umstände der jeweiligen Nutzung des Mediums berücksichtigt werden, wenn diese auf Dauer angelegter Bestandteil des Mediums sind und eine abweichende Gesamtbeurteilung rechtfertigen. Insbesondere sind nach konkreter Gefahrenprognose als erheblich einzustufende Risiken für die persönliche Integrität von Kindern und Jugendlichen, die im Rahmen der Nutzung des Mediums auftreten können, angemessen zu berücksichtigen."
Der erste Satz dieser geplanten neuen Vorschrift ist wenig spektakulär und definiert im Wesentlichen den in einigen anderen jugendschützenden Regelungen verwendete Begriff der „Entwicklungsbeeinträchtigung“. In den Sätzen 2 und 3 der geplanten Vorschrift steckt allerdings Brisanz:
Künftig sollen auch „außerhalb der medieninhaltlichen Wirkung liegende Umstände“ bei der Beurteilung der Entwicklungsbeeinträchtigung berücksichtigt werden. In der Entwurfsbegründung wird dazu ausgeführt, dass Umstände wie die Frage, „ob die Medien eine exzessive Nutzungsweise fördern, uneingeschränkte Kommunikationsmöglichkeiten mit anderen Nutzerinnen und Nutzern eröffnen, uneingeschränkte Kaufmöglichkeiten digitaler Güter eröffnen oder bei der Nutzung eine unangemessene Übermittlung personenbezogener Daten an Dritte erfolgt“ Berücksichtigung finden sollen. Dabei werden explizit „Kommunikationsrisiken in Online-Spielen“, „simuliertes Glücksspiel“, „glücksspielähnliche Elemente wie »Lootboxen«“ oder „das Verleiten zur Preisgabe persönlicher Daten“ angesprochen.
Sollten diese Änderungen in dieser Form in das neue Jugendschutzgesetz übernommen werden, stünden vor allem Online-Händler vor enormen Herausforderungen. Es stünde zu befürchten, dass unterschiedliche Vertriebswege ein und desselben Mediums je nach Gestaltung der jeweiligen Plattform zu unterschiedlichen Alterseinstufungen führen könnte.
Denkbar wäre folgendes Szenario: Während bspw. ein mehrteiliger Film auf Plattform 1 mit FSK 6 angeboten wird, könnte er auf Plattform 2 durch Vorschlag des zweiten Teils des Films („exzessive Nutzungsweise“!) oder auf Plattform 3 durch Bereitstellung einer Kommentarfunktion („uneingeschränkte Kommunikationsmöglichkeiten mit anderen Nutzern“!) durchaus eine höhere Alterseinstufung erfordern.
Auch sollen
"insbesondere (…) als erheblich einzustufende Risiken für die persönliche Integrität von Kindern und Jugendlichen“ anhand einer „konkreten Gefahrenprognose"
Berücksichtigung im Rahmen der Beurteilung einer etwaigen Entwicklungsbeeinträchtigung finden.
Dies ist alleine schon deshalb zu kritisieren, da eine seriöse „konkrete Gefahrenprognosen“ im Allgemeinen an nicht vorhandenen Erfahrungswerten und somit an mangelnder Entscheidungssicherheit scheitern dürfte. Besonders negativ in Erscheinung tritt auch die in der Entwurfsbegründung aufgegriffene Aussage, dass bei der Altersfreigabe auch die durch Plattformen getroffenen Vorsorgemaßnahmen (§§ 24a ff.) Berücksichtigung finden könnten. Dies heißt im Klartext, dass ein und demselben Medium je nach Anbieter unterschiedliche Altersfreigaben anhaften könnten.
Zusammenfassend erscheinen die geplanten Änderungen besonders unglücklich vor dem Hintergrund, dass der Begriff der „Entwicklungsbeeinträchtigung“ bisher für alle Medien gleich galt und jetzt plötzlich im neuen Jugendschutzgesetz durch das Hinzufügen unbestimmter und damit auslegungsbedürftiger Rechtsbegriffe „verschlimmbessert“ werden soll.
III. Kennzeichnungspflichten bei Film- und Spielplattformen
1. Kennzeichnungspflichten nach § 14a JuschGE
Ein neu geschaffener § 14a JuschGE soll künftig zur Alterskennzeichnung für Online-Film- und Spielplattformen verpflichten:
"(1) Film- und Spielplattformen, die als Diensteanbieter Filme oder Spielprogramme in einem Gesamtangebot zusammenfassen und mit Gewinnerzielungsabsicht als eigene Inhalte nach § 7 des Telemediengesetzes zum individuellen Abruf zu einem von den Nutzerinnen und Nutzern gewählten Zeitpunkt bereithalten, müssen gemäß den Altersstufen des § 14 Absatz 2 die in der Plattform bereitgehaltenen Filme und Spielprogramme im Falle einer Entwicklungsbeeinträchtigung mit einer entsprechenden deutlichen Kennzeichnung versehen, die
1. im Rahmen des Verfahrens des § 14 Absatz 6 oder durch eine nach § 19 des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages anerkannte Einrichtung der freiwilligen Selbstkontrolle oder
2. durch ein von den obersten Landesbehörden anerkanntes automatisiertes Bewertungssystem einer im Rahmen einer Vereinbarung nach § 14 Absatz 6 tätigen Einrichtung der freiwilligen Selbstkontrolle vorgenommen wurde, wenn keine Kennzeichnung im Sinne des Nummer 1 gegeben ist. § 10b und § 14 Absatz 2a gelten entsprechend.
(2) Der Diensteanbieter ist von der Pflicht nach Absatz 1 Satz 1 befreit, wenn die Film- oder Spielplattform im Inland weniger als eine Million Nutzerinnen und Nutzer hat."
Gefordert werden „deutliche Alterskennzeichen“, welche entweder im bisherigen Kennzeichnungsverfahren durch freiwillige Selbstkontrolle (Nr. 1) oder durch ein „automatisiertes Bewertungssystem“ (Nr. 2) realisiert werden sollen.
Zwar kommt es im neu geschaffenen § 14a JuschGE zu Überschneidungen mit den sich aus dem Jugendmedienstaatsvertrag ergebenden Anbieterpflichten nach §§ 5, 12 JMStV. Der Wortlaut des § 14a JuschGE spricht jedoch von „Diensteanbietern“, für welche nach Art. 2 lit. b in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 E-Commerce-RL das Herkunftsprinzip gelten dürfte, sodass sich auch die in § 14a JuschGE normierten Kennzeichnungspflichten lediglich an deutsche Online-Händler richten dürften.
2. Wirksame Selbstregulierung außer Kraft gesetzt?
Durch den Entwurf zum neuen Jugendschutzgesetz in seiner derzeitigen Fassung droht eine Entwertung bisher gut funktionierender Selbstregulierung durch das Hinzuziehen von Jugendschutzbeauftragten. Bisher fungieren Jugendschutzbeauftragte (siehe § 7 JMStV) als Ansprechpartner für die Nutzer und beraten den Anbieter in Fragen des Jugendschutzes und können diesem Beschränkungen oder Änderungen von Angeboten vorschlagen.
Diese Form der Selbstregulierung hat sich bisher bewährt, weshalb es umso verwunderlicher ist, warum dieses Instrument durch den neu geschaffenen § 14a Nr. 2 („automatisiertes Bewertungssystem“) gänzlich entwertet werden soll. Diese geplante Änderung dürfte vor allem Online-Händler verärgern, die bisher eigenverantwortlich (und effektiv!) Alterskennzeichen bzw. Alterseinstufungen vorgenommen haben.
IV. Vorsorgemaßnahmen
Nach § 24a JuschGE sollen „Diensteanbieter, die fremde Informationen für Nutzerinnen und Nutzer mit Gewinnerzielungsabsicht speichern oder bereitstellen“ (also beispielsweise Video-Sharing-Plattformen) zukünftig „durch angemessene und wirksame strukturelle Vorsorgemaßnahmen“ sicherstellen, dass Kinder und Jugendliche vor ungeeigneten Inhalten (u.a. entwicklungsbeeinträchtigende und jugendgefährdende Medien) geschützt werden. In § 24a Abs. 2 Nr. 2-8 JuSchGE werden mögliche Maßnahmen aufgezählt.
Denkbar sei beispielsweise eine Meldefunktion für ungeeignete Inhalte oder jugendschutzfreundliche Voreinstellungen, die „Nutzungsrisiken für Kinder und Jugendliche unter Berücksichtigung ihres Alters begrenzen“ und einige andere Optionen. Nicht klar wird hingegen, welche Maßnahmen konkret umzusetzen sind, um der Pflicht zur Schaffung geeigneter Vorsorgemaßnahmen zu genügen.
Insbesondere 24a Abs. 2 Nr. 4 JuSchGE fällt negativ auf. Dort wird die Möglichkeit der „Bereitstellung technischer Mittel zur Altersverifikation“ genannt. Solche Altersverifikationssysteme finden bereits in der aktuellen Fassung des JMStV Erwähnung, allerdings nur im Zusammenhang mit unzulässigen Angeboten im Sinne des § 4 JMStV. Wenn solche Altersverifikationssysteme nach 24a Abs. 2 Nr. 4 JuSchGE nun auch für „lediglich“ entwicklungsbeeinträchtigende Angebote gefordert würden, wäre dies eine drastische und schlicht nicht nachvollziehbare Verschärfung der in diesem Punkt doch sehr effektiven bisherigen Regelungen.
Im Entwurf wird explizit das Herkunftslandprinzip nach Art. 3 Abs. 4-6 E-Commerce-RL und dessen nationale Umsetzung in § 3 Abs. 5 TMG verwiesen und betont, dass diese Norm des TMG „unberührt“ bleibe.
B. Fazit
Festzuhalten bleibt, dass die geplanten Änderungen zwar eine Modernisierung des JuSchG bedeuten (sollen). Auf der anderen Seite muss jedoch auch klar angemerkt werden, dass angesichts neu hinzukommender Paragraphen bürokratische Hürden nicht abgebaut, sondern vielmehr aufgestellt werden.
Das Hinzutreten neuer Regelungen, die oft entweder unklar beziehungsweise widersprüchlich sind oder sogar einen Rückschritt auf dem Weg zur Harmonisierung des Jugendschutzes bedeuten, tragen nicht zur Rechtssicherheit bei.
Die geplanten Neuerungen bedeuten allenfalls einen Mehraufwand - insbesondere für Online-Händler. Auch wenn die Änderungen aufgrund des Entwurfsstadiums noch nicht in Stein gemeißelt sind, empfiehlt es sich für Online-Händler, die aktuellen Entwicklungen im Blick zu behalten. Wir halten Sie auf dem Laufenden.
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