Clean Labelling bei Lebensmitteln: rechtliche Grenzen der Werbung mit der Enthaltsamkeit
Seit geraumer Zeit ist in der Gesellschaft ein kontinuierlicher Bewusstseinswechsel hin zu einer gesünderen Ernährung zu verzeichnen, welcher den Trend zum Kauf natürlicher und urbelassener Lebensmittel beflügelt. Auf die geänderte alimentäre Nachfrage versucht der Lebensmittelhandel immer häufiger mit sogenannten „Clean Labels“ zu reagieren, die als Werbebotschaften den Verzicht auf bestimmte Inhaltsstoffe suggerieren, die nach allgemeiner Anschauung als besonders schädlich oder ungesund eingestuft werden. Derartige „Verzichtswerbung“ steht allerdings häufig im Widerspruch zur tatsächlichen stofflichen Zusammensetzung der vermeintlich „reinen“ Produkte und birgt so ein latentes lebensmittelrechtliches Irreführungspotenzial. Der folgende Beitrag zeigt auf, welche Grenzen der Zulässigkeit von Clean Labels durch die geltenden Gesetze gezogen werden, und welche rechtlichen Anforderungen bei deren Einsatz zu beachten sind.
Inhaltsverzeichnis
- I. Clean Labels: des einen Freud, des anderen Leid
- II. Rechtliche Grenzen und Anforderungen
- 1.) Lebensmittelrechtliche Irreführungsgrundsätze
- 2.) Irreführung durch Divergenzen zwischen Label und Inhaltsstoffen
- 3.) Unzulässige nährwertbezogene Angaben
- 4.) Unzulässige Angaben für Gluten und Laktose
- 5.) Unzulässige Werbung mit Selbstverständlichkeiten
- III. Fazit
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I. Clean Labels: des einen Freud, des anderen Leid
In Anlehnung an die zunehmende Wertschätzung einer gesunden Ernährung und einer „Rückkehr zum Natürlichen“ in der Bevölkerung weisen viele Hersteller und Lebensmittelhändler vor allem bei vorverpackten Lebensmitteln auf Produktverpackungen oder in Print- und Online-Werbematerialien gezielt und aufmerksamkeitserregend darauf hin, dass das jeweilige Erzeugnis bestimmte, gesellschaftlich verpönte Inhaltsstoffe nicht enthält.
Durch Angaben, die meist in grüner Farbe und mit rustikalen Schriftzügen ergehen und mit „Frei von“- oder „Ohne“-Hinweisen versehen sind, sollen dem Verbraucher die besondere Naturbelassenheit und Reinheit des Lebensmittels vor Augen geführt und mithin eine hohe ernährungsphysiologische Qualität suggeriert werden.
(Quelle: http://www.laves.niedersachsen.de/)
Häufig nehmen die sogenannten „Clean Labels“ (englisch für „saubere Kennzeichnung“) dabei Bezug auf das Nichtvorhandensein von bestimmten Lebensmittelzusatzstoffen wie Konservierungsmitteln, Geschmacksverstärkern oder Farbstoffen, teilweise werden aber auch werbewirksam unliebsame Herstellungsmethoden wie der Einsatz von Radioaktivität oder genetisch verändertem Material für das jeweilige Produkt negiert.
Problematisch und für die aufklärungsbedürftigen Verbraucher, die auf dem Gebiet der Lebensmittelkennzeichnung und der hierfür zu beachtenden Rechtsakte meist über keine nennenswerten Kenntnisse verfügen, nachteilig ist im Bereich des Clean-Labelling die Tatsache, dass ein eindeutiger gesetzlicher Rahmen bisher fehlt. Weil sich die Zulässigkeit der Verzichtswerbung insofern vor allem an der Lebensmittelinformations-Verordnung (LMIV), für bestimmte Zutaten an der Health-Claims-Verordnung (HCVO) und im Übrigen an den allgemeinen lauterkeitsrechtlichen Maßstäben orientiert, verfügen Hersteller und Händler bislang über eine weitreichende Gestaltungsfreiheit, mit der Lebensmitteln – legal – eine weitaus höhere Natürlichkeit zugwiesen werden kann, als dies tatsächlich der Fall ist. Möglich ist es nämlich, den konkreten Wortlaut der Angabe so anzupassen, dass er in rechtlicher Hinsicht weniger strenge zusatzstoffliche Voraussetzungen auslöst, hinsichtlich seiner Werbekraft aber kaum Wirksamkeit einbüßt.
Während für Verbraucher beispielsweise die Indizwirkung, welche die Angaben „ohne Farbstoffe“ und „ohne künstliche Farbstoffe“ für die Reinheit des Produkts erzeugen, weitgehend identisch sein dürfte, ergeben sich in rechtlicher Hinsicht stark divergierende Zulässigkeitsanforderungen für die inhaltliche Zusammensetzung.
Ausgehend von diesen Feststellungen und einer Vielzahl von Markterhebungen fordern die Verbraucherzentralen seit langem, der rechtmäßigen Verwendungen von Clean Labels engere Grenzen zu ziehen, um die Zulässigkeit beschönigender Werbeaussagen für Lebensmittel einzuschränken und dem Handel die Möglichkeit zur täuschungsgeeigneten Werbung mit der Enthaltsamkeit teilweise zu entziehen.
Bislang wurden derartige Bestrebungen von der Legislative allerdings nicht aufgegriffen, sodass es Herstellern und Händlern möglich bleibt, den Einsatz von „sauberen Etiketten“ unter Einhaltung bestimmter Grundsätze durch ideenreiche Wortlautausprägungen an einem hinreichenden Irreführungspotenzial vorbei zu schiffen.
II. Rechtliche Grenzen und Anforderungen
Auch wenn die lauterkeitsrechtlichen Anforderungen an den rechtmäßigen Einsatz von „Clean Labels“ bislang in keinem Spezialgesetz kodifiziert wurden, müssen werbende Lebensmittelunternehmer dennoch verschiedene rechtliche Grundsätze beachten, welche das latente Täuschungspotenzial der Verzichtswerbung einzudämmen und einen verhältnismäßigen Ausgleich zwischen Werbeinteressen und hervorgerufener Verbrauchervorstellung herzustellen suchen. Insofern drohen bei der Werbung mit „Clean Labels“ vor allem wettbewerbswidrige Irreführungen über die stoffliche Zusammensetzung des Produkts oder über dessen Qualität, für deren wirksamen Ausschluss der Unternehmer einerseits lebensmittelspezifische substanzielle Voraussetzungen einhalten und zum anderen gesetzliche Produktions- und Stoffzulassungsregeln beachten muss.
Nach einer Darstellung der lebensmittelrechtlichen Irreführungsgrundsätze sollen mit dem „Clean Labelling“ zusammenhängende Tatbestände der lauterkeitsrechtlichen Verbrauchertäuschung und die Bedingungen für ihren rechtssicheren Ausschluss aufgezeigt werden.
1.) Lebensmittelrechtliche Irreführungsgrundsätze
Wird ein vorverpacktes Lebensmittel beworben, angeboten oder gekennzeichnet, richtet sich die Lauterkeit der Informationspraxis des jeweiligen Lebensmittelunternehmers maßgeblich nach Art. 7 der Lebensmittelinformationsverordnung (LMIV). Diese Vorschrift, die bei Verstößen als Marktverhaltensnorm über §3a UWG unmittelbare wettbewerbsrechtliche Konsequenzen auslösen kann, normiert spezifische Konstellationen, bei denen eine lebensmittelrechtliche Irreführung anzunehmen ist. Als Regelung des europäischen Lebensmittelrechts geht Art. 7 LMIV innerhalb seines Anwendungsbereichs dem allgemeinen Irreführungsverbot nach §§5,5a UWG grundsätzlich vor.
Eine wettbewerbswidrige Irreführung liegt bei Informationen über Lebensmittel der gesetzlichen Normierung folgend immer dann vor, wenn
- zur Täuschung geeignete oder unwahre Angaben in Bezug auf die Eigenschaften des Lebensmittels, insbesondere in Bezug auf Art, Identität, Eigenschaften, Zusammensetzung, Menge, Haltbarkeit, Ursprungsland oder Herkunftsort und Methode der Herstellung oder Erzeugung gemacht werden
- dem Lebensmittel Wirkungen oder Eigenschaften zugeschrieben werden, die es nicht besitzt
- suggeriert wird, dass sich das Lebensmittel durch besondere Merkmale auszeichnet, obwohl alle vergleichbaren Lebensmittel dieselben Merkmale aufweisen, insbesondere durch besondere Hervorhebung des Vorhandenseins oder Nicht-Vorhandenseins bestimmter Zutaten und/ oder Nährstoffe (Werbung mit Selbstverständlichkeiten)
Auf dem Gebiet der „Clean Labels“ können ergänzend zu den spezifischen Irreführungsgrundsätzen des Art. 7 LMIV auch Bestimmungen der Health-Claims-Verordnung (HCVO) hinzutreten, wenn eine „Frei von“- oder „Ohne Angabe“ einen Nährstoff derart betrifft, dass sie als nährwertbezogene Angabe zu qualifizieren ist.
In diesem Fall unterliegt die Werbebotschaft spezifischen stoffbezogenen Zulassungsvoraussetzungen aus dem Anhang zur HCVO und erfüllt einen eigenständigen Irreführungstatbestand, wenn die tatsächliche inhaltliche Zusammensetzung des Produkts die besonderen meist mengenmäßigen Richtwerte überschreitet.
2.) Irreführung durch Divergenzen zwischen Label und Inhaltsstoffen
Insbesondere dort, wo „Clean Labels“ den Verzicht auf bestimmte Inhaltsstoffe ausloben, drohen Widersprüchlichkeiten zwischen dem erzeugten Anschein der Natürlichkeit und der tatsächlichen inhaltlichen Zusammensetzung des Produkts.
Grundsätzlich muss der Werbende hier mit Blick auf Art. 7 Abs. 1 LMIV sicherstellen, dass sich die bezeichnete, freigestellte Substanz nicht tatsächlich im deklarationspflichtigen Zutatenverzeichnis wiederfindet oder anderweitig im Produkt enthalten ist und so eine Disparität entstehen lässt, die den Verbraucher über die reale stoffliche Zusammensetzung zu täuschen und in seiner geschäftlichen Entscheidung zu beeinflussen geeignet ist.
Bei der Beurteilung des Irreführungspotenzials eines „Clean Labels“ im Zusammenhang mit dem Zutatenverzeichnis kommt es maßgeblich auf die konkrete Formulierung an, derer sich der Werbende bedient. Zu unterscheiden ist insofern, ob nach dem Label nur auf „künstliche“ oder „Zusatzstoffe“ verzichtet oder eine Kategorie an Inhaltsstoffen allgemein ausgeschlossen wird.
a) Erklärter Verzicht auf Zusatzstoffe oder künstliche Stoffe im Geltungsbereich der VO (EG) Nr. 1333/2008
Preist ein lebensmittelbezogenes „Clean Label“ an, dass das jeweilige Produkt frei von einer bestimmten Kategorie künstlicher Substanzen oder Zusatzstoffe ist, so sind für den wirksamen Ausschluss eines Irreführungspotenzials besondere begriffliche Voraussetzungen zu beachten, welche das europäische Recht für Lebensmittelzusatzstoffe aufstellt.
(1) Der Begriff der Kunst- und Zusatzstoffe nach geltendem Recht
Kunst- und Zusatzstoffe müssen gemäß der europäischen Verordnung Nr. 1333/2008 besonders zugelassen werden und sind ob ihrer rechtmäßigen Verwendung auf bestimmte Klassen von Lebensmitteln beschränkt, welche die konkretisierende deutsche Zusatzstoff-Zulassungsverordnung (ZZulV) in ihren Anhängen abschließend aufzählt. Derartige Zusatzstoffe sind auch im Zutatenverzeichnis nach Art. 9 Abs. 1 lit. b LMIV zwingend deklarationspflichtig.
Wird ein Lebensmittel durch ein „Clean Label“ als „frei von“ bestimmten künstlichen oder Zusatzstoffen beworben, so ergeben sich die materiellen Anforderungen an dessen stoffliche Zusammensetzung maßgeblich aus der Legaldefinition des Art. 3 Abs. 2 der VO Nr. 1333/2008.
Als tatbestandliche Zusatzstoffe sind insofern nur solche Stoffe anzusehen, die in der Regel weder selbst als Lebensmittel verzehrt noch als charakteristische Lebensmittelzutaten verwendet werden und einem Lebensmittel aus technologischen Gründen bei der Herstellung, Verarbeitung, Zubereitung, Behandlung, Verpackung, Beförderung oder Lagerung zugesetzt werden.
Entscheidend kommt es für die Klassifizierung einer Substanz als Zusatzstoff also darauf an, dass diese nicht selbst als Lebensmittel gilt.
Gleichzeitig aber sind nach Art. 3 Abs. 2 lit. a ii. auch sämtliche Lebensmittel von der Zusatzstoffeigenschaft ausgenommen, die getrocknet oder in konzentrierter Form, einschließlich Aromen, die bei der Herstellung von zusammengesetzten Lebensmitteln wegen ihrer aromatisierenden, geschmacklichen oder ernährungsphysiologischen Eigenschaften beigegeben werden und eine färbende Nebenwirkung haben.
Zusammenfassend ist nach der gesetzgeberischen Intention das Vorliegen eines Zusatzstoffes immer dann zu verneinen, wenn die jeweilige Substanz aus einem Lebensmittel extrahiert wird und so auch bei der regulären Nahrungsaufnahme konsumiert werden kann. Unabhängig davon also, ob dem lebensmittelimmanenten Stoff eine den künstlichen Stoffen vergleichbare Wirkung im Endprodukt zukommt, scheidet die Zusatzstoff- und künstliche Eigenschaft dann aus, wenn der Inhaltsstoff natürlich in einem anderen Lebensmittel enthalten ist.
Damit unterfallen dem Begriff der Zusatzstoffe weitestgehend nur synthetisch erzeugte Substanzen.
(2) Auswirkung auf die von der Verzichtserklärung umfasste Lebensmittelzusammensetzung
Schließt der Werbende im „Clean Label“ nur den Einsatz von künstlichen Substanzen oder Zusatzstoffen aus, gibt ihm dies aufgrund der engen gesetzlichen Definition die Möglichkeit, in zulässiger Weise verschiedenste Stoffe weiterhin zu verwenden, solange sie nur natürlichen Ursprungs sind.
Maßgeblich für die Lauterkeit der Verzichtswerbung ist insofern nämlich nur, dass das Produkt tatsächlich keine Stoffe enthält, die der VO Nr. 1333/2008 nach als tatbestandliche Zusatzstoffe gelten. Irreführend ist das „Clean Label“ also nicht, wenn auf synthetische Zusatzstoffe verzichtet wird, dieselben technischen oder physiologischen Wirkungen aber durch natürliche Zusätze erreicht werden.
Hinweis: freilich mutet dieses Vorgehen wie ein Taschenspielertrick an, der dem Verbraucher aufgrund des Verzichts von künstlichen Stoffen eine besondere Natürlichkeit und Urbelassenheit suggeriert, obgleich für die verfolgten Wirkungen nunmehr bloß natürliche anstelle von synthetischen Substanzen zum Einsatz kommen. Zwar sind auch die natürlichen Wirkstoffe im Zutatenverzeichnis zu kennzeichnen; allerdings wird der durchschnittliche Verbraucher meist nicht wissen, dass diese unscheinbaren, harmlos klingelnden Zusätze das Produkt seiner Natürlichkeit im Zweifel ebenso berauben wie tatsächliche Zusatzstoffe.
Gerade in Anlehnung an diese der geltenden Rechtslage nach zulässige subtile Provokation von Fehleinschätzungen der Verbraucher wird eine spezialgesetzliche Erfassung derartiger Werbeaussagen gefordert.
Dieses Schlupfloch machen sich Lebensmittelunternehmer vermehrt zu eigen und labeln ihre Produkte unter Rückgriff auf natürliche Substanzen, die ähnlich wie die synthetischen Pendants wirken, als „frei von Zusatzstoffen“.
Weil es für die Beurteilung des Irreführungspotenzials solcher Aussagen ausschließlich auf das konkrete Verständnis der maßgeblichen Verkehrskreise ankommen soll, muss eine wettbewerbswidrige Handlung verneint werden, weil auf natürliche Zusätze der Formulierung nach gerade nicht verzichtet wurde. Auf die Wirkungsidentität kommt es mithin gerade nicht an.
(3) Beispiele
Folgende „Clean Labels“ über fehlende künstliche oder Zusatzstoffe gelangen in der Praxis besonders häufig zum Einsatz und sind wettbewerbsrechtlich unbedenklich, auch wenn die vom Zusatzstoff ausgehende chemische Wirkung durch den jeweilig im Endprodukt enthaltenen natürlichen Zusatz nur substituiert wird:
(4) Sonderfall 1: Glutamat
Dem Geschmacksverstärker Glutamat wird nachgesagt, das Krebsrisiko zu erhöhen. In der Lebensmittelwerbung besonders gängig sind daher Clean Labels, welche den Verzicht auf den Zusatz von ausweisen und so den Anschein erwecken, das jeweilige Lebensmittel sei unbehandelt und entfalte so einen unverfälscht natürlichen Geschmack.
Wird der Verzicht auf Glutamat werbend hervorgehoben, ist mit Blick auf die Inhaltsstoffe zur Beurteilung der Zulässigkeit dem konkreten Wortlaut nach zu differenzieren:
- wird die Angabe „Ohne Zusatz von Glutamat“ gewählt, ist sie zulässig, wenn das Lebensmittel tatsächlich nicht mit Glutamat entsprechend der gesetzlichen Definition eines Zusatzstoffes angereichert wurde. Demgegenüber unschädlich ist es dann, , wenn das beworbene Produkt stattdessen den Geschmacksverstärker Hefeextrakt oder einen ähnlichen natürlichen Zusatz enthält. Dies gilt, obwohl auch natürliches Hefeextrakt über beträchtliche Mengen an Glutamat verfügt, weil kein „Zusatz“ erfolgt ist, also die Beigabe synthetischen Glutamats unterblieben ist
- wird demgegenüber mit dem Label „Ohne Glutamat“ geworben, also nicht maßgeblich auf den Zusatz dieses Stoffes abgestellt, wird der Verbraucher die Aussage so verstehen, als sei tatsächlich überhaupt kein Glutamat im Endprodukt enthalten. Hier verbietet sich lauterkeitsrechtlich also auch der Einsatz von glutamathaltigen natürlichen Geschmacksverstärkern. Wird dennoch Hefeextrakt beigefügt, stellt das „Clean Label“ eine irreführende Angabe über die Zusammensetzung des Lebensmittels dar.
(5) Sonderfall 2: Konservierungsstoffe
Eine gesteigerte Werbewirksamkeit entfaltet ebenfalls der Hinweis, ein Lebensmittel sei „frei von Konservierungsstoffen“. Für die wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit dieser Aussage ist nach geltender Auffassung allein darauf abzustellen, ob das beworbene Lebensmittel Stoffe nach Anhang 5 der ZZulV enthält, der die vom Gesetzgeber tatbestandlich normierten Konservierungsstoffe (Sorbate, Benzoate, Sulfite und Schwefeloxide, Nitrite und Nitrate) abschließend aufzählt.
Ist dies nicht der Fall, darf rechtmäßig mit dem Verzicht auf Konservierungsstoffe geworben werden. Dies gilt auch dann, wenn die konservierende Wirkung durch andere Substanzen (etwa: Citronensäure) erreicht wird, solange diese gesetzlich nicht als Konservierungsstoffe gelten.
b) Erklärter Verzicht auf bestimmte Wirkstoffe im Allgemeinen
Strengere Zulässigkeitsvoraussetzungen und Anforderungen an die stoffliche Zusammensetzung des Lebensmittels gelten für die Lauterkeit von „Clean Labels“ immer dann, wenn durch die sie das Vorhandensein einer gesamten Kategorie von Wirkstoffen negiert wird, ohne dass auf deren Eigenschaft als künstlicher Stoff oder Zusatzstoff abgestellt wird.
Während die Lauterkeit der Werbung mit dem Verzicht auf künstliche Substanzen oder bestimmte Zusatzstoffe nicht dadurch infrage gestellt wird, dass das Lebensmittel ähnlich wirkende natürliche Inhaltsstoffe enthält, gilt Abweichendes, wenn der Wortlaut des „Clean Labels“ diese Differenzierung gerade nicht anlegt.
Wird das Fehlen eines bestimmten Wirkstoffs also im Allgemeinen hervorgehoben, darf ein verständiger Verbraucher vernünftigerweise davon ausgehen, dass dieser weder in synthetischer noch in natürlicher Form im Endprodukt enthalten ist. Eine Irreführung über die Zusammensetzung ist deswegen anzunehmen, wenn trotz einer allgemeinen Verzichtserklärung für einen Wirkstoff Substanzen im Lebensmittel nachgewiesen werden können oder gar deklariert werden, die die als nicht vorhanden ausgelobte Wirkung herbeiführen.
Bei folgenden „Cleans Labels“ würde ein Vorhandensein der beigestellten Stoffe zur Unzulässigkeit der Werbeaussage führen:
3.) Unzulässige nährwertbezogene Angaben
Bestimmte Konstellationen der Verzichtswerbung bewegen sich über die lauterkeitsrechtlichen Grenzen des Art. 7 LMIV hinaus auch im Anwendungsbereich der Health-Claims-Verordnung (HCVO) und unterliegen als nährwertbezogene Angaben so besonderen inhaltsspezifischen Voraussetzungen.
Als nährwertbezogene Angaben gelten nach Art.2 Abs.2 Nr. 4 b iii HCVO nämlich auch solche Aussagen, mit denen erklärt, suggeriert oder auch nur mittelbar zum Ausdruck gebracht wird, dass ein Lebensmittel besondere positive Nährwerteigenschaften besitzt, weil es bestimmte Nährstoffe gerade nicht enthält.
Erfüllen die „Clean Labels“ den Tatbestand einer nährwertbezogenen Angabe, so sind sie nach Art. 8 Abs. 1 HCVO nur zulässig, wenn sie ihrer Aussage nach im Anhang der HCVO aufgeführt sind und das beworbene Lebensmittel die diesbezüglich normierten materiellen Anforderungen erfüllt (sog. Verbot mit gesetzlichem Erlaubnisvorbehalt). Nährwertangaben, die sich außerhalb der ausdrücklich zugelassenen Formulierungen bewegen, sind (mit Ausnahme der allgemeinen nichtspezifischen Verweise nach Art. 10 Abs. 3 HCVO) grundsätzlich verboten.
In den Bereich der strikt regulierten Health Claims fallen vor allem Freizeichnungserklärungen über Fette, Zucker und Salze, mit denen angedeutet wird, das jeweilige Lebensmittel sei besonders verträglich oder gesundheitsschonend, weil es ohne derartige Inhaltsstoffe auskomme.
Eine Verzichtswerbung für die bezeichneten Nährstoffe ist zulässig, wenn in Bezug auf das konkrete Lebensmittel die für die jeweilige Angabe die folgenden, im Anhang formulierten inhaltsspezifischen Gehaltsgrenzen eingehalten werden.
Achtung: die Angabe „Ohne Salzzusatz“ ist im Anhang der HCVO gerade nicht erlaubt und mit materiellen Anforderungen versehen worden und gilt damit nach Art. 8 Abs. 1 HCVO als grundsätzlich verboten!
4.) Unzulässige Angaben für Gluten und Laktose
Die Inhaltsstoffe Gluten und Laktose entfalten eine besondere diätetische Bedeutung, weil sie bei einem nicht unbedeutenden prozentualen Teil der Bevölkerung Unverträglichkeiten und digestive Beschwerden hervorrufen.
Betroffene müssen sich, um Komplikationen vorzubeugen, bei der Lebensmittelwahl insofern zwangsweise an besonderen „Clean Labels“ orientieren, welche das jeweilige Produkt von diesen Inhaltsstoffen freizeichnen.
In Anbetracht der gesteigerten gesundheitlichen Relevanz ist die Zulässigkeit von glutenbezogenen Angaben spezialgesetzlich in der EU-Verordnung Nr. 41/2009 normiert. Nach deren Artikel 3 Abs. 2 darf ein Lebensmittel nur dann als „Glutenfrei“ beworben werden, wenn es einen Glutengehalt von höchstens 20mg pro kg aufweist.
Demgegenüber sind materielle Anforderungen für die Erklärung, ein Lebensmittel sei „laktosefrei“, bisher gesetzlich nicht normiert worden. Zwar wird eine Aufnahme in einen Spezialtatbestand der LMIV diskutiert. Bislang kann zur Beurteilung der Lauterkeit der Werbeaussage nur eine Empfehlung von Lebensmittelexperten dienen, welche die diesbezügliche zulässige Höchstmenge auf maximal 10mg pro 100g oder 100ml begrenzen möchte.
5.) Unzulässige Werbung mit Selbstverständlichkeiten
Auf dem Gebiet des „Clean Labelling“ kommen über die Disparitäten zwischen Werbeaussage und inhaltlicher Zusammensetzung des Lebensmittels hinaus verschiedene Konstellationen in Betracht, in denen das in Art. 7 Abs. 1 lit. c LMIV spezialgesetzlich regulierte Verbot der Werbung mit Selbstverständlichkeiten verletzt wird.
a) Fallgruppen und Verbotszweck der Werbung mit Selbstverständlichkeiten
Eine Werbung mit Selbstverständlichkeiten ist für „Clean Labels“ immer dann anzunehmen, wenn das Lebensmittel mit Eigenschaften angepriesen wird, die es bereits von Gesetzes wegen aufweisen muss, etwa weil nach besonderen Rechtsakten
- spezifische Maximalgehalte an Inhaltsstoffen nicht überschritten werden dürfen oder
- bestimmte Zusatzstoffe für das Lebensmittel überhaupt nicht zugelassen sind oder
- besondere Herstellungs- und Behandlungsverfahren für das Lebensmittel nicht angewendet werden dürfen
Wird durch das „Clean Label“ erklärt, ein Lebensmittel enthalte eine gewisse Zutat nicht oder sei ohne einen bestimmten Herstellungs- oder Aufbereitungsprozess ausgekommen, obwohl die Zutat im konkreten Fall sowieso nicht hätte verwendet oder das Verfahren nicht hätte angewendet werden dürfen, wird dem Verbraucher eine besondere, herausstellende Qualität und Reinlichkeit suggeriert, die grundsätzliche alle Produkte derselben Kategorie ohnehin aufgrund von gesetzlichen Vorschriften erreichen müssen.
Derartige Werbung hat zur Folge, dass der Verbraucher von einem besonderen gesundheitlichen Auftrag des Herstellers oder Händlers ausgeht und dem beworbenen Lebensmittel ein ungerechtfertigtes Alleinstellungsmerkmal zuordnet. Dem Lebensmittel wird also ein positives Image zuteil, nach welchem der Verbraucher seine Kaufentscheidung gegebenenfalls auszurichten geneigt ist, obwohl dieses Image zwangsweise allen Produkten identischer Gattungen anhaften muss. Dies gewährt dem Werbenden nicht nur einen wettbewerbswidrigen Vorteil gegenüber der Konkurrenz, sondern täuscht auch den Umworbenen in relevanter Weise über die tatsächliche Produktqualität und die Besonderheit von Merkmalen oder Eigenschaften.
b) Beispiele
Weil die Möglichkeiten einer verbotenen Werbung mit Selbstverständlichkeiten von der jeweilig angepriesenen Lebensmittelkategorie einerseits und den freigezeichneten Inhaltsstoffen oder Verfahren andererseits abhängen, sind sie so zahlreich, dass eine abschließende Aufzählung nicht geleistet werden kann.
Vorsicht ist aber insbesondere bei nur begrenzt zugelassenen Zusatzstoffen nach Anlage 4 der ZZulV geboten, weil die dort normierten Substanzen nur bei bestimmten Arten von Lebensmitteln überhaupt zum Einsatz gelangen dürfen.
So ist der Geschmacksverstärker „Glutamat“ neben anderen beispielsweise nicht für Schokoladenerzeugnisse, Marmeladen, Obstkonserven, trockene Teigwaren, Kaffee und Honig zugelassen. Ein Hinweis „Frei von Glutamat“ bei diesen Lebensmittelkategorien stelle also eine irreführende und verbotene Werbung mit einer Selbstverständlichkeit dar.
Im Bereich der Herstellungsverfahren kann demgegenüber ein Hinweis auf eine unterbliebene Bestrahlung schnell irreführend sein, weil sich die Zulässigkeit des Einsatzes von Strahlen nach der Lebensmittelbestrahlungsverordnung (LMBestrV) richtet und demgemäß auf ein minimales Spektrum von Erzeugnissen beschränkt ist.
Mit Gamma-, Elektronen und Röntgenstrahlen dürfen nach §1 LMBestrV insofern nur getrocknete aromatische Kräuter und Gewürze behandelt werden, während ultraviolette Bestrahlung ausnahmsweise auch auf der Oberfläche von Obst- und Gemüseerzeugnissen und bei Hartkäse für die Lagerung erlaubt ist.
Wird anderen als den genannten Lebensmitteln der Hinweis „Ohne Bestrahlung“ oder „Unbestrahlt“ beigestellt, liegt aufgrund des weitreichenden gesetzlichen Verbots eine irreführende Werbung mit Selbstverständlichkeiten vor.
III. Fazit
Das sogenannte „Clean Labelling“ ist ein beliebtes Werbeinstrument des Lebensmittelhandels, mit welchem der Verzicht auf bestimmte Inhaltsstoffe oder Herstellungsverfahren angepriesen wird, die in der Gesellschaft und in Fachkreisen kontrovers diskutiert werden oder schlichtweg den Ruf haben, der Gesundheit abträglich zu sein. Der dadurch geweckte Anschein einer besonderen Urbelassenheit und Natürlichkeit soll dem gesteigerten gesellschaftlichen Interesse an einer möglichst gesunden Ernährung Rechnung tragen und den Lebensmittelumsatz ankurbeln, entspricht allerdings nicht immer der realen Tatsachenlage.
Zwar kommt den „Clean Labels“ bereits ihrer Natur nach ein hohes immanentes Täuschungspotenzial zu, das vor allem dazu verpflichtet, die tatsächlich im Lebensmittel enthaltenen Inhaltsstoffe auf die Werbeaussagen abzustimmen, um irreführende Widersprüchlichkeiten zu vermeiden. Bisher verfügen Lebensmittelunternehmer auf dem Gebiet der Verzichtswerbung jedoch über eine weitgehende Gestaltungsfreiheit, die sie ermächtigt, den Wortlaut ihrer Formulierungen so zu wählen, dass deren Werbekraft gewahrt wird, bei der Lebensmittelzusammensetzung aber wenig strenge lauterkeitsrechtliche Anforderungen gelten und Raum für Trickserei besteht.
So schließt der erklärte Verzicht auf „künstliche Farbstoffe“ beispielsweise nicht aus, dass die färbende Wirkung durch farbintensive Naturextrakte aus Spinat oder der roten Beete herbeigeführt werden darf.
Dennoch müssen Werbende, auch wenn eine Petition der Verbraucherschutzzentralen zur Verabschiedung eines Spezialgesetzes zur Regulierung der zulässigen „Clean Labels“ von der Legislative bislang nicht aufgegriffen wurde, nach geltendem Recht bereits verschiedene Grundsätze beachten. Abhängig vom in „Label“ ausgewiesenen Stoff und von besonderen Zulassungsvorschriften und mengenmäßigen Begrenzungen aus dem Gesetz können die Werbeaussagen neben der Irreführung über die stoffliche Zusammensetzung nämlich auch den Tatbestand einer unerlaubten Werbung mit
Selbstverständlichkeiten tangieren oder als unzulässige nährwertbezogene Angaben zu qualifizieren sein.
Im obigen Beitrag werden die wichtigsten gesetzlichen Grenzen des „Clean Labelling“ aufgezeigt und unter Einsatz vieler Beispiele spezialgesetzliche Anforderungen für bestimmte Aussagen und Inhaltsstoffe zusammengetragen.
Bei weiteren Fragen zu den – auch stoffbezogenen – Zulässigkeitsvoraussetzungen des Clean Labelling und zu weitergehenden lebensmittelrechtlichen Werbeanforderungen steht Ihnen die IT-Recht Kanzlei gern persönlich zur Verfügung.
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