Verbot von Werbung für Botanicals mit gesundheitsbezogenen Angaben?
Die Vorgaben aus der Health Claims-Verordnung für gesundheitsbezogene Angaben in der Werbung beschäftigt viele Online-Händler. Wer sog. Botanicals (=pflanzliche Stoffe) verkauft, weiß gegenwärtig nicht, ob er mit bestimmten gesundheitsbezogenen Claims werben darf. In einem Fall hat der BGH nun Fragen hierzu zur weiteren Klärung dem EuGH vorgelegt. Wir erläutern, worum es dabei eigentlich geht und wie die Abmahnrisiken für Händler in der Zwischenzeit einzuschätzen sind.
I. Ist Werbung für Botanicals mit gesundheitsbezogenen Angaben erlaubt?
Als „Botanicals“ werden gemeinhin pflanzliche Stoffe bezeichnet.
Der Gesetzgeber hat zum Schutze der Verbraucher Werbung mit gesundheitsbezogenen Angaben nicht nur speziell für solche pflanzlichen Stoffe, sondern ganz generell strengen Voraussetzungen unterstellt, die vor allem in der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel (sog. „Health Claims-Verordnung“; kurz „HCVO“) geregelt sind.
Gesundheitsbezogene Angaben in der Werbung sind nach Art. 10 Abs. 1 HCVO verboten, sofern sie nicht:
- den in der Health Claims-Verordnung geregelten allgemeinen Anforderungen und
- den weiteren speziellen Anforderungen entsprechen,
- gemäß der Health Claims-Verordnung zugelassen sind und
- in die Liste der zugelassenen Angaben aufgenommen sind.
Nach Art. 10 Abs. 3 HCVO sind Verweise auf allgemeine, nichtspezifische Vorteile des jeweils beworbenen Nährstoffs oder Lebensmittels für die Gesundheit im Allgemeinen oder das gesundheitsbezogene Wohlbefinden nur dann zulässig, wenn ihnen eine in einer der vorgenannten Listen enthaltene spezielle gesundheitsbezogene Angabe beigefügt ist.
Nicht ganz geklärt ist bislang, was eigentlich gilt, wenn es diese Listen (noch) nicht gibt bzw. solange die behördliche Prüfung und Erstellung dieser Listen dauert - ist betreffende Werbung für pflanzliche Stoffe mit gesundheitsbezogenen Angaben in der Zwischenzeit erlaubt oder nicht?
II. Worum geht es im Fall des BGH?
Der beklagte Händler vertrieb das pflanzliche Nahrungsergänzungsmittel unter dem Namen „AdaptoGenie ANTI-STRESS-KOMPLEX“ und darb dafür in seinem Webshop mit den Angaben „Safran-Extrakt“ und „Melonensaft-Extrakt“.
Im Detail warb der Händler für dieses Produkt u.a. mit den folgenden Claims:
"stimmungsaufhellendes Safranextrakt."
"Das Safran-Extrakt Safr'Inside in Adapto-Genie wurde an 50 Teilnehmern über einen Zeitraum von 30 Tagen in einer Open Study getestet. Mit einer Dosis von 30 mg Safr'Inside pro Tag erlebten 77 % der Probanden nach nur zwei Wochen Einnahme eine Verbesserung des emotionalen Gleichgewichts, fühlten sich optimistischer und glücklicher. 66 % fühlten sich auch entspannter und dynamischer. Nach 30 Tagen verbesserte sich bei 11 % der Probanden die Schlafqualität."
"Melonensaft-Extrakt mit Superoxid-Dismutase-Aktivität hat in Studien unter Beweis gestellt, dass nach vier Wochen Stressgefühle und Erschöpfung abnahmen. Außerdem wurde die Reizbarkeit und Erschöpfung um 63 % reduziert, was zu einer deutlichen Verbesserung der Lebensqualität führte."
Der hiergegen klagende „Verband Sozialer Wettbewerb e.V.“ sieht in diesen Aussagen unzulässige gesundheitsbezogene Angaben gemäß Art. 10 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel (sog. „HealthClaims-Verordnung“; kurz „HCVO“), mahnte den Händler deshalb ab und forderte ihn zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auf.
Da der Händler dieser Forderung nicht nachgekommen war, landete der Fall schließlich vor Gericht und letztlich beim BGH.
III. Wie hat der BGH entschieden?
Nachdem die ersten beiden Instanzen gegen den Händler und zu Gunsten des klagenden Verbands entschieden hatten, befasste sich der BGH mit dem Fall (EuGH-Vorlage vom 01. Juni 2023 - Az. I ZR 109/22).
Aus Sicht des BGH sind Verweise auf allgemeine, nichtspezifische Vorteile des Nährstoffs oder Lebensmittels für die Gesundheit im Allgemeinen oder das gesundheitsbezogene Wohlbefinden nach Art. 10 Abs. 3 HCVO eine besondere Form von gesundheitsbezogenen Angaben, die somit den Anforderungen der Health Claims-Verordnung genügen müssen.
Der BGH hat weiter entschieden, dass die Angaben:
- "stimmungsaufhellend(es)",
- "Verbesserung des emotionalen Gleichgewichts",
- "fühlten sich optimistischer und glücklicher",
- "fühlten sich (…) entspannter und dynamischer",
- "verbesserte sich (…) die Schlafqualität",
- "Stressgefühle und Erschöpfung (nahmen) ab (…)",
- "die Reizbarkeit und Erschöpfung (wurde) um 63 % reduziert" und
- "deutliche(n) Verbesserung der Lebensqualität"
gesundheitsbezogene Angaben im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Nr. 1 und 5, Art. 10 Abs. 1 und 3 HCVO sind, die somit auch den Vorgaben aus Art. 10 Abs. 1 und Art. 10 Abs. 3 HCVO genügen müssten (s. hierzu unter Ziffer 2).
Aus Sicht des BGH hängt die Entscheidung, ob diese Claims gegen Art. 10 Abs. 1 und Art. 10 Abs. 3 HCVO verstoßen, aber entscheidend davon ab, ob diese Vorschriften überhaupt anwendbar sind, wenn für pflanzliche Stoffe
- mit gesundheitsbezogenen Angaben bzw.
- mit Verweisen auf allgemeine, nichtspezifische Vorteile des Nährstoffs oder Lebensmittels für die Gesundheit im Allgemeinen oder das gesundheitsbezogene Wohlbefinden
geworben wird, solange die Bewertung der Behörde und die Prüfung der Kommission über die Aufnahme der zu pflanzlichen Stoffen angemeldeten Angaben in die zugehörigen Gemeinschaftslisten noch nicht abgeschlossen sind.
Mit anderen Worten stellt sich die Frage: Darf für pflanzliche Stoffe bzw. Botanicals erst dann mit gesundheitsbezogenen Angaben geworben werden, wenn die Bewertung der zuständigen Behörden abgeschlossen ist, und die Kriterien dann feststehen, oder auch schon während des behördlichen (Prüf-)Verfahrens (soweit die sonstigen gesetzlichen Vorgaben für die Werbung im Übrigen eingehalten werden)?
Das Meinungsbild hierzu ist unterschiedlich:
- Manche sind der Auffassung, die Anforderungen aus Art. 10 Abs. 3 HCVO seien nicht anwendbar, solange die auf pflanzliche Stoffe bezogenen spezifischen Angaben durch die Behörden geprüft und bewerten werden, also diese müssten in der Zwischenzeit nicht beachtet werden. Die Begründung hierfür im Wesentlichen: Die Health Claims-Verordnung sehe kein generelles, sondern nur ein eingeschränktes Verbot für die Werbung mit gesundheitsbezogenen Angaben vor, wobei die Einschränkung von den Behörden kommen muss. Ohne diese behördliche Einschränkung sei Werbung zulässig und erlaubt.
- Mehrheitlich ist man aber der Ansicht, dass Art. 10 Abs. 3 HCVO auch auf pflanzliche Stoffe Anwendung finde. Ihre Begründung verweist auf den Wortlaut von Art. 10 Abs. 1 und Abs. 3 HCVO, der unspezifische gesundheitsbezogene Angaben erfasse, ohne danach zu differenzieren, ob sich die Angaben auf pflanzliche Stoffe beziehen oder nicht. Außerdem sei Zweck des Verbots, bestimmte gesundheitsbezogene Angaben in der Werbung nur nach einer wissenschaftlichen Bewertung auf höchstem Niveau zuzulassen; dieser Zweck sei aber erst erfüllt, wenn die zuständige Behörde dies entsprechend geprüft habe.
Die diese Frage durch Auslegung des Rechts der Europäischen Union zu beantworten ist, hat der BGH den Fall dem hierfür zuständigen EuGH vorgelegt.
IV. Welche Auswirkungen hat dies aktuell für Händler?
Nun wird sich der EuGH mit diesen Fragen zu beschäftigen haben (noch kein Aktenzeichen des BGH bekannt). Gegenwärtig ist nicht bekannt, wann mit der EuGH-Entscheidung gerechnet werden kann.
Bis zu einer Entscheidung des EuGH ist (weiterhin) nicht ganz klar, ob und ggf. wie für pflanzliche Stoffe mit solchen gesundheitsbezogenen Angaben geworben werden darf.
Sowohl für Online-Händler wie auch für Verbraucherschutz- und Branchenverbände ist dies mit Unsicherheiten verbunden. Einerseits möchten Hersteller und Händler sämtliche Möglichkeiten der Werbung für ihre Produkte ausnutzen, wozu bestenfalls auch gesundheitsbezogene Angaben gehören. Andererseits ist bis zu einer Entscheidung des EuGH nicht klar, ob dies zulässig ist, weshalb eine solche Werbung weiterhin wohl mit Abmahnrisiken verbunden ist.
Dennoch ist spannend zu beobachten, wie sich Mitbewerber und Verbände hierzu verhalten werden:
- Werden sie entsprechende Werbeangaben abmahnen und darauf setzen, dass die Abgemahnten die Unterlassungserklärungen abgeben werden oder dass die Rechtsprechung ihnen Recht geben wird?
- Oder werden sie sich mit Abmahnungen zurückhalten, um bei einer entsprechenden Entscheidung des EuGH am Ende nicht selbst vor Gericht zu unterliegen?
Vor diesem Hintergrund könnte es sein, dass zumindest manche der Organisationen, die aus ihrer Sicht unzulässige Werbung typischerweise abmahnen, zwar möglicherweise weiterhin auch im Bereich der Werbung für Botanicals mit gesundheitsbezogenen Angaben abmahnen, bei Weigerung der Abgabe einer Unterlassungserklärung aber ggf. nicht klagen, um entsprechende Prozessrisiken zu vermeiden.
V. Fazit: Das Wichtigste in Kürze
- Aktuell ist unklar, welche konkreten gesetzlichen Vorgaben für gesundheitsbezogene Angaben in der Werbung für Botanicals (=pflanzliche Stoffe) gelten.
- Da die Vorgaben aus dem EU-Recht stammen, hat der BGH diese Fragen zur Klärung dem EuGH vorgelegt.
- Bis zur Entscheidung des EuGH ist unklar, ob für pflanzliche Stoffe mit gesundheitsbezogenen Angaben geworben werden darf.
- Händler, die mit gesundheitsbezogenen Angaben für Botanicals werben, sind daher weiterhin Abmahnrisiken ausgesetzt.
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