OLG Frankfurt a.M.: Online-Handel mit Bio-Lebensmitteln setzt Zertifizierung durch Kontrollstelle voraus

OLG Frankfurt a.M.: Online-Handel mit Bio-Lebensmitteln setzt Zertifizierung durch Kontrollstelle voraus
18.11.2014 | Lesezeit: 6 min

Bio-Produkte suggerieren dem Verbraucher besondere qualitative Eigenschaften und eine gewisse „Reinheit“ der Ware, unterliegen angesichts ihrer Herstellung und ihres Verkaufs allerdings strengen unionsrechtlichen Vorgaben. Diese machen die Vergabe des Bio-Siegels und dessen zulässige Verwendung von einem aufwendigen und umfassenden Prüf- und Zertifizierungsprozess abhängig und können bei Verstößen nicht nur Ordnungswidrigkeiten, sondern auch lauterkeitsrechtliche Ansprüche begründen. Wettbewerbsrechtliche Relevanz entfaltet vor allem die Pflicht zur Anführung der Nummer der prüfenden Kontrollstelle, welche in den vergangen Jahren ob deren Geltung für den Online-Handel kontrovers diskutiert wurde und Gegenstand zahlreicher Abmahnungen war.

Mit Urteil vom 30.09.2014 (Az. 14 U 201/13) bestätigte das OLG Frankfurt a.M. die insbesondere von Verbraucherzentralen vertretene Ansicht , dass der Online-Handel von Bio-Produkten mangels Anwendbarkeit der gesetzlichen Ausnahmevorschrift des §3 Abs. 2 Öko-Landbaugesetz (ÖLG) nicht von der Kontroll- und Zertifizierungspflicht befreit ist und dass mithin die jeweilige Kontrollnummer stets angeführt werden muss.

1.) Die gesetzlichen Bestimmungen zur Anführung der Öko-Kontrollnummer und ihre Ausnahmen

a) Pflichten für Hersteller und Händler gleichermaßen

Die Anforderungen an die Herstellung, Verarbeitung und den Handel mit Bio-Produkten sind durch die Vorschriften der EG-Öko-Verordnung (EG-VO 834/07) europaweit harmonisiert worden und prägen sich insbesondere in der Pflicht zur Kontrolle und Zertifizierung der Erzeugnis durch staatlich anerkannte Stellen aus.

So verpflichtet Art. 28 Abs. 1 der Verordnung jeden Unternehmer, der Bio-Produkte erzeugt, aufbereitet, lagert, aus einem Drittland einführt oder in Verkehr bring, seine Tätigkeit bei einer Öko-Kontrollstelle zu melden und zugleich sein Unternehmen einer Bio-Zertifizierung zu unterwerfen. Dabei soll erst nach erfolgreicher Zertifizierung die Verwendung des Bio-Siegels oder des Präfixes „Bio“ im geschäftlichen Verkehr gestattet sein. Die Kontrollpflicht betrifft nach eindeutigem Wortlaut der Vorschrift nicht nur die Lieferanten, sondern auch jeden Einzelhändler, der Bio-Produkte vertreibt.

Die Pflicht zur Anführung der Kontrollnummer ergibt sich für die Adressaten der Öko-Verordnung aus Art. 24 Abs. 1 lit. a), welcher für jegliche Werbung und alle Angebote, die erkennen lassen, dass ein Erzeugnis nach den Vorgaben der Verordnung hergestellt wurde und mithin das Bio-Siegel, die Bezeichnung „Bio“ oder ein Äquivalent ausweisen darf, stets auch die Darstellung der spezifischen Kontrollstellennummer vorschreibt.

Die Kontrollstellen wurden in den Mitgliedsstaaten als privatwirtschaftliche Unternehmen eingerichtet, die zur Prüfung und Zertifizierung berechtigt sind und die Einhaltung der gesetzgeberischen Vorgaben überwachen.

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b) Privilegierung bei der direkten Abgabe an Endnutzer

Eine Ausnahme von der Kontrollpflicht findet sich jedoch in §3 Abs. 2 des Öko-Landbaugesetzes (ÖLG), dessen Verabschiedung der Umsetzung der Verordnungsvorgaben sieht und von einer Ermächtigungsgrundlage gebraucht macht, durch die bestimmte Händler privilegiert werden sollen.
Nach dem Wortlaut der Vorschrift sollen solche Händler von der Kontrollpflicht freigestellt sein, die biologische Erzeugnisse lediglich direkt an Endnutzer abgeben, ohne diese selbst zu erzeugen, aufzubereiten oder zu importieren. Ihnen wird keine eigenständige Zertifizierung auferlegt, sodass auch die Angabe einer Kontrollnummer, die stets eine vorangehende Prüfung voraussetzt, obsolet ist.

c) Geltung des §3 Abs. 2 ÖLG im Online-Handel?

Umstritten war jedoch lange Zeit die Auslegung des Merkmals der „direkten Abgabe“, welches gerade angesichts der zunehmenden Bedeutung des Online-Handels kontrovers diskutiert wurde.

Teilweise fand die Ansicht Gehör, nach der auch im Online-Handel eine direkte Abgabe an der Verbraucher erfolge, weil elektronische Angebote ebenso wie im stationären Handel eine Einladung zum Kauf („invitatio ad offerendum“) enthielten, die der Verbraucher einseitig annehmen könne (so zuletzt das LG Fulda, Urteil v. 23.09.2013 - Az. 2 O 161/13). Nach einer derartigen Auffassung konnte nach dem Ausnahmetatbestand des §3 Abs. 2 ÖLG im elektronischen Geschäftsverkehr keine Pflicht begründet werden, die unternehmerische Tätigkeit einer Kontrolle und Zertifizierung zu unterziehen und mithin in der Werbung und bei Angeboten eine Kontrollnummer auszuweisen.

Dahingegen tendierte die Gegenauffassung dazu, die Online-Händler sehr wohl in die Pflicht zu nehmen.

Mit Blick auf teleologische Erwägung wurde insofern argumentiert, dass zusätzlich zur direkten Abgabe zudem das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der beidseitigen Anwesenheit der Vertragsparteien erforderlich sei. Privilegiert werden sollten ausschließlich solche Händler, die den Verbrauchern Möglichkeit böten, die Erzeugnisse ausgestellt zu sehen, und am Vertragsschluss direkt beteiligt seien (so etwa die deutsche Wettbewerbszentrale mit Meldung vom 27.04.2011 – die IT-Recht-Kanzlei berichtete in folgendem Beitrag)

Bisher war eine verbindliche Auslegung durch die Rechtsprechung nicht erfolgt, sodass auf Basis der unsicheren Rechtslage vermehrt solche Händler abgemahnt wurden, die online Bio-Produkte vertrieben, ohne die jeweilige Kontrollnummer der zertifizierenden Stelle anzugeben.

2.) Die Entscheidung des OLG Frankfurt a.M.

Letzterer Ansicht hat sich nun das OLG Frankfurt a.M. als erstes Gericht in zweiter Instanz überhaupt, das über den Anwendungsbereich des §3 Abs. 2 ÖLG zu entscheiden hatte, angeschlossen. Nach Sinn und Zweck der Vorschrift könne sich die Ausnahme der Kontroll- und Zertifizierungspflicht sowie die damit einhergehende Obliegenheit zur Anführung der Kontrollnummer in Angeboten und Werbung nur auf Ladengeschäfte beziehen, weil nur hier eine direkte Abgabe möglich sei. Das Merkmal „direkt“ sei nämlich nicht ausschließlich auf objektive Merkmale der Vertriebskette zu beziehen und mithin nicht schon dann erfüllt, wenn dem Verkauf durch den Händler und dem Erwerb durch den Verbraucher kein weiterer Intermediär zwischengeschaltet ist. Vielmehr könne eine „direkte Abgabe“ nur bei gleichzeitiger räumlicher Anwesenheit von Händler und Verbraucher möglich sein.

Aus dieser Überlegung heraus sah das Gericht die Pflicht zur Öko-Zertifizierung und zur Angabe der Kontrollnummer im Online-Handel als verbindlich an. Aufgrund der grundlegenden Bedeutung der Auslegungsfrage und der damit einhergehenden finanziellen und bürokratischen Konsequenzen für die unternehmerische Tätigkeit im elektronischen Geschäftsverkehr ließ das OLG allerdings die Revision zu. So erlangt das Urteil keine Rechtskraft, sondern ist einer abschließenden Klärung der Auslegungsfrage durch den BGH anhängig.

Es ist jedoch zu erwarten, dass auch der BGH eine restriktive Auslegung des §3 Abs. 2 ÖLG vornehmen und mithin die Geltung des Kontroll- und Ausweisungspflichtprogramms im Online-Handel bestätigen wird. Insofern nämlich vertrat bereits die „Länderarbeitsgemeinschaft Ökologischer Landbau“ (LÖK), die eigens aufgrund von Auslegungsdifferenzen der ÖLG-Vorschriften in den Bundesländern einberufen und für eine harmonisierte Handhabung der Regelungen sorgen sollte, im Jahre 2008 eine mit der aktuellen Entscheidung des OLG Frankfurt a.M. identische Position.

Fazit

Nach Ansicht des OLG Frankfurt a.M. besteht die Pflicht zur Kontrolle und Zertifizierung durch eine Öko-Kontrollstelle und zur Angabe der Kontrollnummer beim Vertrieb von Bio-Produkten nach Art. 28 Abs. 1, Art. 24 Abs. 1 lit. a der EG-VO Nr. 834/07 stets auch im Online-Handel. Der Ausnahmetatbestand des §3 Abs. 2 ÖLG, der Händler bei einer „direkten Abgabe“ an den Endnutzer von den Obliegenheiten befreit, greife nur in Ladengeschäften. Insofern erfordere das Merkmal „direkt“ stets die gleichzeitige Anwesenheit von Händler und Verbraucher.

Aufgrund der zugelassenen Revision ist das Urteil nicht rechtskräftig geworden. Allerdings spricht vieles dafür, dass der BGH der rechtlichen Bewertung des OLG in Kürze folgen wird.

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