BGH: Gesetzliche Privilegierung greift nur bei unveränderter Übernahme der Muster-Widerrufsbelehrung
Zur Vereinfachung der gesetzlichen Informationspflichten hat der Gesetzgeber Unternehmern für unterschiedliche Fallkonstellationen Muster-Widerrufsbelehrungen an die Hand gegeben, bei deren korrekter Verwendung eine gesetzliche Privilegierung zu Gunsten des Unternehmers greift. Mit Urteil vom 01.12.2022 (Az. I ZR 28/22) hat der BGH klargestellt, dass die gesetzliche Privilegierung nur dann greift, wenn das gesetzliche Muster unverändert übernommen wird. Dies hat auch Auswirkungen auf den Online-Handel.
Inhaltsverzeichnis
Hintergrund
Für bestimmte Verträge, unter anderem auch für Fernabsatzverträge, sieht das Gesetz ein gesetzliches Widerrufsrecht für Verbraucher vor, über das der Unternehmer den Verbraucher ordnungsgemäß informieren muss.
Zur Vereinfachung der gesetzlichen Informationspflichten hat der Gesetzgeber einige Muster-Widerrufsbelehrungen ins Gesetz aufgenommen, bei deren korrekter Verwendung eine gesetzliche Privilegierung zu Gunsten des Unternehmers greift. Macht der Unternehmer von dem gesetzlichen Muster in der für die konkrete Vertragssituation zutreffenden Weise Gebrauch, gilt seine Belehrung als gesetzeskonform.
Für Fernabsatzverträge regelt Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 2 EGBGB, dass der Unternehmer seine Informationspflichten im Hinblick auf das gesetzliche Widerrufsrecht für Verbraucher dadurch erfüllen kann, dass er das in der Anlage 1 vorgesehene Muster für die Widerrufsbelehrung zutreffend ausgefüllt in Textform übermittelt.
Diese gesetzliche Privilegierung gilt bei Verträgen im elektronischen Geschäftsverkehr entsprechend, wenn der Unternehmer das zutreffende gesetzliche Muster der Widerrufsbelehrung zur Erfüllung seiner vorvertraglichen Informationspflicht gemäß Art. 246a § 4 Abs. 1 EGBGB auf seiner Webseite verwendet.
Muster nicht immer praxistauglich
Unabhängig davon, dass die gesetzlichen Muster mit zahlreichen Gestaltungshinweisen versehen sind, die vom Unternehmer für die konkrete Vertragssituation korrekt umgesetzt werden müssen, bilden die Muster die Praxis des Unternehmers nicht immer vollständig ab, so dass in bestimmten Konstellationen eine Anpassung des Musters zweckmäßig erscheint.
Dies gilt beispielsweise für den Fall, dass die Widerrufsbelehrung nicht nur Verträge zur Lieferung von Waren, sondern auch Verträge zur Bereitstellung digitaler Inhalte und/oder Verträge zur Erbringung von Dienstleistungen berücksichtigen soll, wenn der Unternehmer hierfür nicht jeweils eine gesonderte Widerrufsbelehrung verwenden möchte.
Zudem kann es in der Praxis vorkommen, dass der Unternehmer den Verbraucher nur in bestimmten Fällen (z. B. Rücksendungen aus dem Ausland) mit den unmittelbaren Kosten der Rücksendung im Widerrufsfall belasten möchte, in anderen Fällen aber selbst die Kosten der Rücksendung tragen möchte.
Für solche Fälle ist das gesetzliche Muster der Widerrufsbelehrung nicht ausgelegt, so dass eine Anpassung des gesetzlichen Musters erforderlich ist, um den Verbraucher praxisgerecht zu informieren.
Entscheidung des BGH
Der BGH hat in der o. a. Entscheidung klargestellt, dass die gesetzliche Privilegierung nur dann greift, wenn das gesetzliche Muster unverändert übernommen wird.
Nach dem Wortlaut von Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 2 EGBGB setze die Inanspruchnahme der Schutzfunktion voraus, dass der Unternehmer seine Informationspflicht erfüllt, indem er "das" in der Anlage 1 vorgesehene Muster für die Widerrufsbelehrung "zutreffend ausgefüllt" dem Verbraucher übermittelt.
Zweck der Gesetzlichkeitsfiktion in Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 2 EGBGB sei es, dem Unternehmer die Erfüllung der Informationspflichten durch die Verwendung gesetzlich vorgesehener Muster zu erleichtern. Die Geschäftspraxis für den Unternehmer solle vereinfacht sowie Rechtssicherheit hergestellt und in der Folge die Rechtspraxis entlastet werden.
Würden Abweichungen des Mustertextes zugelassen, ließe sich schon mit Rücksicht auf die Vielgestaltigkeit möglicher individueller Veränderungen des Musters keine verallgemeinerungsfähige bestimmte Grenze ziehen, bei deren Einhaltung eine Schutzwirkung noch gelten und ab deren Überschreitung sie bereits entfallen soll.
Für die Zulassung gewisser individueller Änderungen durch den Unternehmer bestehe auch kein schutzwürdiges Bedürfnis. Dem Unternehmer stehe es frei, auf die Schutzwirkung der Musterverwendung zu verzichten und seine Informationspflichten durch eine individuell gestaltete Belehrung zu erfüllen.
Der Unternehmer könne seine Informationspflichten auch durch eine Belehrung erfüllen, die von der Musterbelehrung abweicht, aber inhaltlich den in § 356 Abs. 3 Satz 1 BGB, Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EGBGB geregelten Anforderungen genügt.
In einem solchen Fall trage der Unternehmer allerdings das Risiko, dass seine Information den allgemeinen Anforderungen an eine korrekte Belehrung genügt.
Entscheidend sei, ob der vom Gesetz mit der Einräumung eines Widerrufsrechts zugunsten des Verbrauchers verfolgte Zweck mit der verwendeten Widerrufsbelehrung erreicht wird. Unzulässig sei eine Belehrung, deren Inhalt oder Gestaltung die Gefahr begründet, dass der Verbraucher irregeführt und von einem rechtzeitigen Widerruf abgehalten wird.
Fazit
Mit Urteil vom 01.12.2022 hat der BGH klargestellt, dass die gesetzliche Privilegierung im Hinblick auf die Widerrufsbelehrung nur dann greift, wenn das gesetzliche Muster der Widerrufsbelehrung unverändert übernommen wird.
Zwar könne der Unternehmer seine gesetzlichen Informationspflichten auch durch eine von dem gesetzlichen Muster abweichende Belehrung erfüllen. Insoweit trage der Unternehmer aber das Risiko der Gesetzmäßigkeit der Belehrung.
In der Praxis kann es Konstellationen geben, für die das gesetzliche Muster der Widerrufsbelehrung nicht ausreicht. Für solche Fälle kann die Anpassung des gesetzlichen Musters erforderlich sein. In solchen Fällen trägt dann der Unternehmer das Risiko der Gesetzmäßigkeit seiner Widerrufsbelehrung.
Hinweis in eigener Sache:
Die IT-Recht Kanzlei stellt im Rahmen ihrer Schutzpakete für Online-Händler auch Widerrufsbelehrungen für besondere Konstellationen bereit, die vom gesetzlichen Muster abweichen. Auch in solchen Fällen orientieren wir uns stets am zutreffenden gesetzlichen Muster und versuchen, die Abweichungen so gering wie möglich zu halten. Sofern hierdurch unter Berücksichtigung der o. a. BGH-Entscheidung die gesetzliche Privilegierung verloren geht, haften wir als Rechtsanwaltskanzlei selbstverständlich im Rahmen unserer anwaltlichen Sorgfaltspflicht für evtl. Risiken solcher Abweichungen.
Mandanten unserer Kanzlei können sich somit auch dann sicher fühlen, wenn Sie im Rahmen unserer Schutzpakete eine Widerrufsbelehrung nutzen, die vom gesetzlichen Muster abweicht.
Tipp: Sie haben Fragen zu dem Beitrag? Diskutieren Sie hierzu gerne mit uns in der Unternehmergruppe der IT-Recht Kanzlei auf Facebook.
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