Gewährleistungsrecht: Beweislastumkehr nach § 477 BGB
In Teil 3 unserer neuen Serie zur Gewährleistung geht es um das Beweisrecht. Im Zivilrecht gilt: Wer einen Anspruch geltend macht, muss ihn beweisen. Doch zum Schutz der Verbraucher greift in bestimmten Fällen die sogenannte „Beweislastumkehr“. Lesen Sie im Folgenden was es damit auf sich hat.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Was besagt die Beweislastumkehr?
- 2. Was, wenn ein Verbraucher nach Ablauf des Jahres einen Mangel geltend macht, sich aber darauf beruft, dass der Mangel schon vor dem Ablauf der Zeitspanne vorhanden war?
- 3. Gibt es Ausnahmen von der gesetzlichen Vermutung bei Auftreten von Mängeln innerhalb von einem Jahr?
- 4. Gilt die Vermutungswirkung selbst dann, wenn originalverpackte Waren verkauft werden, die nur stichprobenartig kontrolliert werden können?
- 5. Muss im ersten Jahr jede Verschlechterung des Produkts als Mangel anerkannt werden?
- 6. Wie ist die Vermutungswirkung zu beurteilen, wenn der Käufer (mechanisch) auf die Kaufsache eingewirkt hat?
1. Was besagt die Beweislastumkehr?
Kauft ein Verbraucher von einem Unternehmer eine bewegliche Sache (sog. Verbrauchsgüterkauf), so gilt zu Lasten des Verkäufers ab dem 01.01.2022 nach § 477 BGB die verlängerte gesetzliche Vermutung, dass Mängel, die sich innerhalb eines Jahres ab Gefahrübergang zeigen, bereits bei Gefahrübergang vorgelegen haben. In diesem Fall muss also der Verkäufer nachweisen, dass der Mangel nicht schon bei Gefahrübergang vorlag.
Achtung: die Mängelvermutung gilt bei einem Verbrauchsgüterkauf über lebende Tiere (wegen deren Mängelentwicklungspotenzials als lebende Organismen) nur innerhalb von 6 Monaten ab Gefahrübergang.
Beispiel: Ein Verbraucher kauft bei einem Unternehmer im Ladengeschäft einen Fernseher und nimmt ihn gleich mit. Zwei Wochen später steht der Käufer wieder im Geschäft des Unternehmers und macht Mängelrechte geltend, da das Gerät nicht funktioniere. Nun muss der Unternehmer beweisen, dass der Fernseher zum Zeitpunkt der Übergabe an den Käufer mangelfrei war. Dies dürfte ihm nicht gelingen, es sei denn der mangelhafte Fernseher hat etwa Schäden, die unzweideutig auf eine unsachgemäße Behandlung durch den Kunden schließen lassen.
2. Was, wenn ein Verbraucher nach Ablauf des Jahres einen Mangel geltend macht, sich aber darauf beruft, dass der Mangel schon vor dem Ablauf der Zeitspanne vorhanden war?
In diesem Falle muss der Verbraucher beweisen (etwa durch einen Schnappschuss des Mangels mit automatischem Datumsverweis durch eine Digitalkamera), dass der Mangel bereits innerhalb von einem Jahr nach Übergabe aufgetreten ist. Gelingt ihm dies nicht, hat er Pech gehabt: die Vermutungswirkung greift dann jedenfalls nicht mehr zu seinen Gunsten ein. Dies bedeutet, dass nun der Verbraucher beweisen muss, dass der Mangel bereits zum Zeitpunkt der Übergabe vorgelegen hat.
3. Gibt es Ausnahmen von der gesetzlichen Vermutung bei Auftreten von Mängeln innerhalb von einem Jahr?
Ja. Nach § 477 BGB versagt die Beweislastumkehr dann, wenn die Vermutung mit der Art der Sache oder der Art des Mangels unvereinbar ist.
Der Ausschluss der Vermutungswirkung wegen der Art der Sache greift vor allem bei leicht verderblichen Waren, also insbesondere Lebensmitteln da bei diesen davon ausgegangen werden kann, dass sie sich erst nach Gefahrübergang durch natürliche Prozesse beim Käufer verschlechtert haben.
Beispiel: Kauf von Gemüse, das ungekühlt nach kurzer Zeit verdirbt.
Zudem ist die gesetzliche Vermutung auch dann ausgeschlossen, wenn ein Mangel der Kaufsache vorliegt, der auch einem fachlich nicht besonders versierten Käufer bei der Übergabe hätte auffallen müssen – etwa aufgrund sichtbarer äußerer Abnutzungen der Kaufsache, vor allem bei fabrikneuen Waren
Beispiel: Kauf eines PKW mit offensichtlich zerkratztem Kotflügel.
Im Übrigen gilt die Beweislastumkehr nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 4.6.2015, Az. C-497/13) und BGH (Urteil vom 12.10.2016, Az. VIII ZR 103/15) grundsätzlich aber bei jedem mangelhaften Zustand, selbst wenn dieser ganz offensichtlich erst nach Übergabe der Kaufsache eingetreten ist, aber auf einem vorherigen Mangel als Ursache des mangelhaften Zustandes beruht.
Beispiel: Ein Verbraucher kommt mit einem Auto mit Totalschaden zurück zum Autohändler und behauptet, die Bremsen des Autos seien bereits bei Übergabe mangelhaft gewesen (weshalb dann anschließend wegen Versagens der entsprechenden Bremsen der Totalschaden am Auto entstanden sei). Innerhalb von einem Jahr nach der Übergabe des Autos greift auch in diesem Fall die Beweislastumkehr des § 477 BGB, so dass der Verkäufer nachweisen muss, dass die Bremsen damals mangelfrei gewesen sind bzw. der Unfall nicht auf den Mangel zurückzuführen ist.
4. Gilt die Vermutungswirkung selbst dann, wenn originalverpackte Waren verkauft werden, die nur stichprobenartig kontrolliert werden können?
Ja. Zwar knüpft die Beweislastumkehr u. a. an die typischerweise besseren Erkenntnismöglichkeiten des Verkäufers an, der die Waren nach Eingang im eigenen Lager fachmännisch überprüfen kann. Allerdings setzt die Vermutung nicht einen tatsächlich bestehenden Wissensvorsprung des Verkäufers in Bezug auf mögliche Mängel voraus, sondern dient ausschließlich einem hohen Verbraucherschutzniveau. Selbst wenn also der Verkäufer bei einer Lieferung aufgrund deren großen Umfangs eine komplette Überprüfung nicht gewährleisten kann, greift die Vermutungswirkung zu Gunsten des Verbrauchers.
Somit gilt die Beweislastumkehr nach § 477 BGB auch bei mangelbehafteten Mengenbestellungen.
5. Muss im ersten Jahr jede Verschlechterung des Produkts als Mangel anerkannt werden?
Nein. Gewöhnlicher Verschleiß (z. B. abgenutzte Sohlen bei Schuhen), Abnutzung oder Defekte, die regelmäßig vor allem durch unsachgemäße Behandlung der Kaufsache entstehen (z. B. Scheuerstellen bei Kleidung) sind von der Gewährleistung ausgeschlossen. In diesen Fällen handelt es sich in der Regel nicht um Sachmängel, die bereits beim Verkauf vorlagen. Der Beweis, dass kein Mangel vorliegt, obliegt dennoch dem Verkäufer – er dürfte jedoch in diesen Fällen häufig leicht zu führen sein.
6. Wie ist die Vermutungswirkung zu beurteilen, wenn der Käufer (mechanisch) auf die Kaufsache eingewirkt hat?
Wirkt der Kunde mechanisch auf die Kaufsache ein – etwa durch Veränderung elektrischer Anschlüsse – und macht dann innerhalb von einem Jahr einen Mangel geltend, ist die Gewährleistung ausgeschlossen, sofern der Mangel auf einem Fehler beruht, der mit der mechanischen Einwirkung in Zusammenhang steht. Die Einwirkung innerhalb von einem Jahr ab Gefahrübergang muss allerdings der Verkäufer nachweisen.
Geht es jedoch um einen Mangel, der mit der Einwirkung auf die Kaufsache in keinerlei Verbindung steht, bleibt die Sachmangelhaftung des Verkäufers bestehen.
Beispiel: Der Käufer (Verbraucher) einer Digitalkamera setzt im Wechsel mit dem Original-Akku des Herstellers auch den Akku eines anderen Herstellers in die Kamera ein. Drei Monate nach Erhalt der Kamera funktioniert sie nicht mehr, unabhängig davon, ob der Original- oder der Ersatz-Akku verwendet wird. Der Käufer macht daraufhin Gewährleistungsansprüche gegenüber dem Verkäufer geltend. Der Verkäufer behauptet, die Kamera sei durch die Verwendung des fremden Ersatz-Akkus beschädigt worden, kann das aber nicht nachweisen. Somit muss er den Gewährleistungsansprüchen des Käufers nachkommen.
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23 Kommentare
Frage wie soll ich mich nun verhalten - Verkäufer bezieht sich auf Hersteller LOWA und dieser lehnt die Gewährleistung ab.
an meinem Whirlpool ist vermutlich die Zirkulationspumpe defekt. Der Kauf ist 18 Monate her, Der Hersteller beruft sich auf die Beweislastumkehr und will einen Austausch oder eine Reparatur nicht übernehmen. Ist das korrekt?
nun ist bei diesen im Fersenbereich oben an der Kante ein Loch.
Der Verkäufer hat sie dem Hersteller eingeschickt, sagt aber die "6 Monate" Gewährleistung sind abgelaufen.
Wie verhalte ich mich nun?
Vielen herzlichen Dank
Danke für die Antworten.
Danke und freundliche Grüße
Wie verhält es sich denn, wenn der Gegenstand nach 12 Monaten kaputt geht, der Verkäufer diesen nach den zwölf Monaten nicht nur einmal, sondern zwei Mal repariert (angenommen dieser geht nach den ersten zwölf Monaten zwei mal kaputt - vorher nicht) ohne von dem Käufer einen Nachweis zu fordern, das der Mangel seit Anfang an bestand.
Kann der Verkäufer beim dritten Defekt jetzt einen Nachweis einfordern, oder hat der Käufer ein Recht auf Rückgabe/Kaufpreisminderung?
ich habe im Juni 2020 einen Backofen gekauft. Dieser hat nun einen defekt. Ich habe diesen reklamiert und der Hersteller beruft sich nun auf die Beweislastumkehr nach 6 Monaten und will das ich ihm Beweise das dieser Mangel zum Auslieferzustand bestanden hat. Dies kann ich nicht. Er möchte mir das Gerät nicht reparieren. Habe ich nicht dennoch lt. Gewährleistungsrecht die Chance mein Gerät reparieren zu lassen vom Hersteller?
Danke für die HIlfe
Eduard
Beginnt die Gewährleistungsfrist mit Bestellung oder Auslieferung der Ware? Hab gerade möglicherweise eine 6 Monate Punktlandung geschafft :)
wie ist es beim B2B Handel Direktlieferung (Dropshipping)? Unser Händler liefert zum Endkunden, die Ware kommt beschädigt an. Der Kunde macht vom Widerruf gebrauch, Händler lässt die Ware abholen und berechnet uns von EK Preis Netto 20% für wieder Aufrüstung. Ist das so rechtens?
habe einen 18 mon. alten PKW als Nichtraucher Fahrzeug von einem renomierten VW Autohaus im Jan. 2020 erworben. Vorbesitzer war eine Vermietungsgesellschaft. Bei der Probefahrt im Jan. 2020 fiel mir auf, dass der Wagen immer noch einen Neuwagengeruch ausstrahlte. Nach den letzten sonnenreichen Tagen hat sich der Innenraum des Fahrzeugs aufgeheizt; extremer Nikotingeruch ist festzustellen. Daraufhin habe ich das Fahrzeug näher in Augenschein genommen; ein Brandfleck in der Fußmatte des Beifahrerraums sowie Ascherückstände im Zigarettenanzünder konnten festgestellt werden. Das Autohaus hat sich daraufhin bereiterklärt eine allumfassende Desinfektion durchzuführen. Nach dieser durchgeführten Desinfektion hat sich an der Geruchsbildung nichts verändert.
Wie soll ich weiter verfahren. mfG
Müssen wir im die Armatur wieder Instand setzen?.
Mit freundlichen Grüßen
Wie verhält es sich bei einem arglistig verschwiegen Mangel bei der Beweislastumkehr , wenn dieser erst nach den 6 Monaten entdeckt wird?
Ist der Käufer dann auch in der Pflicht den Beweis zu erbringen?
Vielen Dank vorab
Mit freundlichen Grüßen
Jenny Köhler
Mein Freund hat Anfang Februar ein gebraucht s Auto beim Händler gekauft. Die Probefahrt lief reibungslos ab. Nachdem kauf, 3 Tage später und 30 km weiter, leuchtete die Kühlwasserlampe auf. Er füllte das Kühlwasser nach, paar Kilometer weiter, leuchtet sie wieder auf. Er ist dann zur Werkstatt gefahren. Die haben festegelslg das die Dichtung kaputt ist. Er hat sich mit den Händler in Verbindung gesetzt, dieser sagt er kann nichts machen außer ihm die Garantie für 800 Euro zu verkaufe . Er hat abgelehnt. Das Auto steht nun seit 2 Wochen rum weil keiner weiß wie man jetzt vorgeht. Ist der Händler in der beweispflicht oder wie läuft das?! Liebe Grüße
Ich meine damit offensichtliche Billigartikel, bei denen der Kunde schon am Preis erkennen kann, das hier keine großartige Qualität vorliegen kann. Als Beispiel: leicht reißende Nähte bei Strumpfhosen. Der Kunde geht ja hier bewusst das Risiko von schlechter Ware ein, zahlt dafür aber auch entsprechend wenig Geld.