BVerfG: IHK-Pflichtmitgliedschaft ist verfassungsgemäß

Die Industrie- und Handelskammern, Interessenvertreter der Gewerbebetriebe ihres Bezirks haben gem. § 1 IHKG die Aufgabe „für die Förderung der gewerblichen Wirtschaft zu wirken und dabei die wirtschaftlichen Interessen einzelner Gewerbezweige zu berücksichtigen“.
Inhaltsverzeichnis
- Zum Hintergrund der Entscheidung
- Zurückweisung der Verfassungsbeschwerden
- Schutzbereich des Art. 9 I GG für Pflichtmitgliedschaft nicht eröffnet
- Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 I GG
- Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit durch Heranziehung zur Zahlung von Beiträgen sei erforderlich
- Fazit
Die IHK, als berufsständische Körperschaft des öffentlichen Rechts, wird hierbei nicht nur beratend für die Betriebe tätig, sondern vertritt ihre Interessen auch gegenüber der Regierung und den Behörden.
Gegenwärtig gibt es 79 Zweigstellen der Industrie- und Handelskammern, deren Mitgliederzahl sich insgesamt zwischen vier und fünf Millionen bewegt. Der durchschnittliche jährliche Beitragssatz liegt bei 190 Euro. Der Mitgliedsbeitrag, dessen Höhe sich nach Art, Umfang und Leistung des jeweiligen Gewerbebetriebes richtet, dient der Finanzierung der gesamten Kammertätigkeit. Sofern ein Gewerbebetrieb einen bestimmten Gewinn unterschreitet, ist dieser von der Beitragspflicht befreit.
Die Pflichtmitgliedschaft ergibt sich aus dem Gesetz zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern. § 3 Abs. 2 und 3 IHKG normiert, dass die Mitgliedschaft grundsätzlich mit der Pflicht zur Zahlung eines Kammerbeitrages verbunden ist. Dies erregt Missfallen bei vielen Unternehmern. Jedoch sei die Mitgliedschaft, sowie die damit einhergehende Beitragspflicht verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wie das Bundesverfassungsgericht kürzlich feststellte (BVerfG, Beschl. v. 12.07,2017, Az. 1 BvR 2222/12 u. 1 BvR 1106/13).
Zum Hintergrund der Entscheidung
Zwei Unternehmen, eine GmbH aus Memmingen, welche Sonderaufbauten für Nutzfahrzeuge vertreibt, und eine GmbH aus Kassel, welche als Reiseveranstalterin tätig ist, sind mittels Verfassungsbeschwerde gegen die Pflichtmitgliedschaft in den Industrie- und Handelskammern vorgegangen.
Nach Ansicht der Beschwerdeführer verstoße die Unterwerfung der Mitgliedschaft in den Industrie- und Handelskammern, sowie die Verpflichtung, durch Beiträge an der Deckung der Kosten der Kammertätigkeit mitzuwirken gegen die Verfassung. Insbesondere seien die Grundrechte der allgemeinen Handlungsfreiheit gem. Art. 2 I GG, sowie die Meinungs- und Vereinsfreiheit nach Art. 5 I und Art. 9 I GG verletzt.
Darüber hinaus habe der Gesetzgeber ständig zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine öffentlich-rechtliche Zwangskooperation noch bestehe. Hierbei habe er die aktuellen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu beachten, welche sich in den letzten Jahren fundamental verändert hätten. Zudem fehle den Industrie- und Handelskammern eine sachlich-inhaltliche Legitimation, denn die Rechtsbegriffe „Gesamtinteresse der Gewerbetreibenden“ und „die Förderung der gewerblichen Wirtschaft“ in § 1 I IHKG seien zu unbestimmt. Auch sei die Selbstverwaltung der IHK, wie es bei Gemeinden und anderen Körperschaften des öffentlichen Rechts der Fall ist, verfassungsrechtlich nicht normiert. Dies sei mit dem Demokratieprinzip aus Art. 20 Abs. 2 GG unvereinbar und verstoße zudem gegen Unionsrecht.
Zurückweisung der Verfassungsbeschwerden
In seiner äußerst ausführlichen Entscheidung, wies das BVerfG die Verfassungsbeschwerden der beiden Unternehmer zurück. In seiner Begründung stelle das BVerfG eine Vereinbarkeit der Pflichtmitgliedschaft mit der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 I GG fest.
Schutzbereich des Art. 9 I GG für Pflichtmitgliedschaft nicht eröffnet
Nach Ansicht des BVerfG sei der Schutzbereich der Vereinigungsfreiheit aus Art. 9 I GG bereits nicht eröffnet.
"Die Vereinigungsfreiheit des Art. 9 I GG zielt auf freiwillige Zusammenschlüsse zu frei gewählten Zwecken. Eine gesetzlich angeordnete Eingliederung in eine öffentlich-rechtliche Körperschaft beruht hingegen auf einer Entscheidung des Gesetzgebers, bestimmte öffentliche Aufgaben auch unter kollektiver Mitwirkung privater Akteure zu erledigen. Das weitere Recht, nicht durch Pflichtmitgliedschaft von „unnötigen“ Körperschaften in Anspruch genommen zu werden, ergibt sich demgegenüber aus Art. 2 I GG."
Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 I GG
Im Weiteren führte das BVerfG aus, dass die Heranziehung zu Kammerbeiträgen zwar die in Art. 2 I GG grundrechtlich geschützte Freiheit berühre, dies aber verfassungsrechtlich gerechtfertigt sei.
"Die mit einer Pflichtmitgliedschaft in einem öffentlich-rechtlichen Verband einhergehende Beitragspflicht schränkt die wirtschaftlichen Voraussetzungen individuell selbstbestimmter Betätigungsfreiheit ein. Das Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG schützt insofern auch davor, durch die Staatsgewalt in einem finanziellen Nachteil belastet zu werden, der nicht in der verfassungsgemäßen Ordnung begründet ist."
Dieser Eingriff genüge jedoch den Anforderungen an die Rechtfertigung in Art. 2 I GG und sei auch verhältnismäßig.
Die Beitragspflicht sei gerechtfertigt, da die zugrundeliegende Pflichtmitgliedschaft auf einer legitimen Zwecksetzung beruhe. Die Kammer erfülle legitime öffentliche Aufgaben, für welche ein gesteigertes Interesse der Gemeinschaft bestehe und welche nicht wirksam im Wege privater Initiativen wahrgenommen werden könne.
"Das in § 1 Abs. 1 IHKG vorgegebene „Gesamtinteresse“ der gewerblichen Wirtschaft im Bezirk ist das unternehmerische Interesse. Ihre Aufgabe ist es, die Interessen aller Mitglieder im Bezirk durch eine selbstverwaltete Vertretung zusammenzuführen und dabei alle in einem Bezirk relevanten Vorstellungen zu Gehör zu bringen."
Dieser Zweck könne nur durch eine Pflichtmitgliedschaft erreicht werden. Hierdurch sei sichergestellt, dass alle regional betroffenen Unternehmen ihre Interessen einbringen und eine fachkundige Vertretung möglich ist. Dies könne durch private Verbände und mittels einer freiwilligen Mitgliedschaft nicht erreicht werden.
Auch hinsichtlich einer Europäisierung und Globalisierung ergäben sich keine Bedenken, denn auch hier sei es von Bedeutung, die bezirklichen Perspektiven zur Geltung zu bringen.
Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit durch Heranziehung zur Zahlung von Beiträgen sei erforderlich
Die Industrie- und Handelskammer nehme das Interesse der Mitglieder wahr und fördere deren wirtschaftliche Tätigkeit. Ein milderes Mittel zur Kostentragung als die in § 3 Abs. 2 S. 1 IHKG geregelte allgemeine Beitragslast sei nach Ansicht der Karlsruher Richter nicht ersichtlich.
Darüber hinaus sei die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt, da die Regelungen die Betroffenen nicht übermäßig belaste und nicht schwer wiegen. Die Beitragspflicht habe sich in den letzten Jahren zudem verringert und nicht erhöht.
"Der Gesetzgeber zwingt mit § 2 Abs. 1 IHKG zwar auch jene in die Kammer, die sich nicht einbringen wollen. Allerdings eröffnet die Pflichtmitgliedschaft den Kammerzugehörigen auch die Möglichkeit der Beteiligung und Mitwirkung an Entscheidungsprozessen, einschließlich der Möglichkeit, sich nicht aktiv zu betätigen."
Bei der Wahrnehmung des Gesamtinteresses sei die IHK zudem dazu verpflichtet, auch relevante Minderheitsbelange zu ermitteln und deren schutzwürdige Interessen zu vertreten.
Im Lichte des Demokratieprinzips gelte auch für die Industrie- und Handelskammern das Gebot schutzwürdige Interessen der Kammermitglieder nicht willkürlich zu vernachlässigen.
Fazit
Auch wenn die Zwangsmitgliedschaft vielen Unternehmern widerstrebt- das BVerfG hat mit seiner Entscheidung die Verfassungsmäßigkeit der Mitgliedschaft und die Rechtsmäßigkeit der Erhebung der Beiträge nach vielen Jahren erneut bestätigt.
Wer demnach als Gewerbetreibender in Deutschland tätig ist, ist auch Pflichtmitglied der Industrie- und Handelskammern und muss die Zahlung des Kammerbeitrages „wohl oder übel“ in Kauf nehmen.
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