Frage des Tages: Führt die Auswahl unter Varianten zum Entfall des Widerrufsrechts?
Das Widerrufsrecht des Verbrauchers ist für den Händler generell eine unschöne Sache. Besonders unschön wird es aber dann, wenn die Ware kundenspezifisch gestaltet worden ist, also bei Widerruf schlecht oder gar nicht mehr weiterveräußert werden kann.
Inhaltsverzeichnis
In Bezug auf Waren, die nicht vorgefertigt sind und für deren Herstellung eine individuelle Auswahl oder Bestimmung durch den Verbraucher maßgeblich ist oder die eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse des Verbrauchers zugeschnitten sind, kennt das Gesetz eine Ausnahme vom Widerrufsrecht.
Doch ist das Widerrufsrecht schon dann ausgeschlossen, wenn der Verbraucher zwischen verschiedenen Varianten des Produkts auswählen kann?
Worum geht es?
Grundsätzlich steht dem Verbraucher beim Kauf im Internet ein mindestens vierzehntägiges Widerrufsrecht zu, kauft er bei einem Händler. Für den Händler bedeutet dies erhebliche Mehrkosten, macht der Verbraucher von seinem Widerrufsrecht Gebrauch.
So trägt der Händler nicht nur zwingend die Kosten der Hinsendung der Ware hin zum Verbraucher, sondern hat weitere Kosten, etwa was die Prüfung und Wiedereinlagerung der Widerrufsware betrifft.
Auch ein möglicher Wertverlust der Widerrufsware, eben weil diese nicht mehr „fabrikneu“ ist, droht.
Das kann sogar so weit gehen, dass die Widerrufsware gar nicht mehr verkäuflich ist. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Ware gezielt nach individuellem Kundenwunsch gefertigt wird.
Kauft der Verbraucher etwa ein T-Shirt, welches er vom Händler mit einem von ihm zur Verfügung Motiv bedrucken lassen hat, wird das T-Shirt bei einem Widerruf im Zweifel nicht mehr verkäuflich sein.
Für Szenarien, in denen der Unternehmer bei einem Widerruf aufgrund der Kundenspezifikation einen erheblichen wirtschaftlichen Schaden erleiden würde, sieht das Gesetz zu dessen Schutz einen Ausnahmetatbestand vom Widerrufsrecht vor.
Die Vorschrift des § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB regelt dazu:
Das Widerrufsrecht besteht, soweit die Parteien nichts anderes vereinbart haben, nicht bei folgenden Verträgen:
1. Verträge zur Lieferung von Waren, die nicht vorgefertigt sind und für deren Herstellung eine individuelle Auswahl oder Bestimmung durch den Verbraucher maßgeblich ist oder die eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse des Verbrauchers zugeschnitten sind,
Greift die vorgenannte Ausnahme ein, steht dem Verbraucher also kein Widerrufsrecht zu. Der Händler soll hierdurch vor dem Fall geschützt werden, in welchem er in Folge des Widerrufs eine Ware zurückerhält, die er wirtschaftlich nicht mehr sinnvoll verwerten kann.
Bereits im Jahre 2003 hat sich der BGH mit seinem Grundsatzurteil (Urteil vom 19.03.2003, Az.: VIII ZR 295/01) so positioniert, dass dieser Ausnahmetatbestand vom Widerrufsrecht eng auszulegen ist und die Ausnahme nur dann greift, wenn dem Händler andernfalls ein erheblicher, wirtschaftlicher Schaden entstehen würde.
Wie sieht es bei Auswahl unter angebotenen Produktvarianten aus?
Neben eindeutigen Fällen, in denen ganz klar eine Ausnahme vom Widerrufsrecht gegeben ist (etwa bei individueller Bedruckung, Beschriftung, Gravur der herzustellenden Ware), existieren in der Praxis eine Reihe von Grenzfällen.
In der Praxis fallen hierbei immer wieder Konstellationen auf, in denen der Händler seine Ware in mehreren, von ihm zur Auswahl gestellten Varianten zum Kauf anbietet.
Hier verhält es sich naturgemäß so, dass der Unternehmer (zu seinen Gunsten) von einem Nichtbestehen des Widerrufsrechts wegen Anfertigung der Ware nach individuellem Kundenwunsch ausgeht, der Verbraucher dagegen (zu seinen Gunsten) davon, er könne den geschlossenen Vertrag widerrufen.
Solche Konstellationen sorgen in der Praxis also oft für Streit zwischen den Parteien.
Beispiel:
Ein Händler verkauft über das Internet Bilderrahmen.
Auf der Artikeldetailseite kann der Interessent dabei aus verschiedenen Formaten, Holzarten und Farben auswählen und die Ware danach in den Warenkorb legen und bestellen.
Der Interessent kann jedoch keine spezifischen, eigenen Formate, Holzarten bzw. Farben für die Gestaltung des Rahmens angeben, sondern nur unter den vom Händler angebotenen Varianten auswählen.
Fünf Tage nach Lieferung des Bilderrahmens möchte der Verbraucher nun den Kaufvertrag widerrufen.
Steht dem Kunden ein Widerrufsrecht zu?
Dabei ist zu beachten, dass bei bloßer Auswahl des Kunden unter vom Händler angebotenen Varianten grundsätzlich nicht von einem Ausschluss des Widerrufsrechts auszugehen sein wird.
Denn durch das Anbieten der Varianten zeigt sich gerade, dass jede für sich ihre wirtschaftliche Daseinsberechtigung hat und ein Weiterverkauf einer solchen, nach Händlervarianten individualisierten Ware möglicherweise schwieriger im Vergleich zu gar nicht individualisierter Ware, jedoch durchaus denkbar ist.
Für einen erheblichen wirtschaftlichen Schaden spricht in einer solchen Konstellation in der Regel eher wenig. Zumal die Ware überhaupt nicht durch eine individuelle Vorgabe des Kunden „belastet“ ist, sondern lediglich eine Kombination von Standardauswahlen vorliegen mag.
Im Beispiel steht dem Kunden also ein Widerrufsrecht zu und er kann durch seine Widerrufserklärung binnen offener Widerrufsfrist den geschlossenen Vertrag wieder beseitigen.
Es existiert bereits Rechtsprechung dazu, dass der Ausschlussgrund des § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB etwa dann nicht greift, wenn es sich um
- Computer handelt, bei denen der Kunde eine Konfiguration unter Verwendung verschiedener Standardbauteile vornehmen kann (etwa diverse Speicher-, Arbeitsspeicher- und Grafikkartenoptionen);
- Kompletträder handelt, bei deren Bestellung der Kunde zwischen verschiedenen Felgen- und Reifenkombinationen auswählen kann;
- Betten handelt, bei deren Bestellung der Kunde zwischen verschiedenen Unterbauten, Matratzen, Kopfteilen und Füßen wählen kann.
In Konstellationen mit Auswahl nur unter wenigen Varianten haben viele Händler die Ware nicht selten zudem bereits in allen möglichen Kombinationen am Lager, um schnell liefern zu können.
Sofern die Ware bereits „vorproduziert“ ist, also in allen Varianten beim Händler am Lager liegt bzw. zumindest schon herstellerseitig im Zulauf ist, würde der Ausschlussgrund des § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB zudem bereits deswegen ausscheiden müssen, weil die Ware bereits vorgefertigt ist.
Fazit
Die Ausnahme vom Widerrufsrecht wegen individueller Kundenanfertigung nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB ist in der Praxis eng auszulegen.
Insbesondere greift die Ausnahme in der Regel nicht bereits dann, wenn der Kunde „nur“ zwischen vom Händler zur Verfügung gestellten Produktvarianten auswählen kann. Dies gilt auch dann, wenn verschiedene Varianten kombiniert werden können, sofern das Produkt dadurch nicht so exotisch wird, dass es in Folge des Widerrufs gar nicht mehr verkäuflich wäre.
Liegt die Ware bei Bestellung bereits in allen denkbaren Varianten(kombinationen) am Lager, scheitert der Ausschluss wegen bereits erfolgter Vorproduktion.
Stellt der Händler die Ware dagegen unter Einarbeitung einer individuellen Note des Verbrauchers her, etwa indem die Ware so personalisiert wird, dass eine Bedruckung, Beschriftung oder Gravur mit vom Kunden selbst vorgegebenen Motiven bzw. Schriften erfolgt, liegt in aller Regel eine Ausnahme vom Widerrufsrecht vor.
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